Patrick Horvath, Mat.-Nr. 9502353

3.Übungsarbeit zur Vorlesung "Philosophische Grundlagen" bei Dr. Hartmann

Sommersemester 1999

 

Heißt "McLuhan lesen" auch "Medien verstehen" ?

 

Die Schriften des Herbert Marshall McLuhan übten in der ganzen westliche Welt einen gewaltigen Einfluß auf die Reflexion über die Mittel der Kommunikation und ihre gesamtgesellschaftlichen Wirkungen aus. Spätestens nach der Veröffentlichung seiner zwei berühmtesten Bücher, "The Gutenberg Galaxy" (1962) und "Understanding Media" (1964), wurde der kanadische Literaturwissenschaftler für viele, vor allem junge Menschen, zum schillernden Pop-Philosophen des aufkommenden Medienzeitalters.

Heute, aus der Distanz vieler Jahrzehnte, stellt sich die Frage, ob McLuhans Ruhm nur ein Strohfeuer war, ausgelöst durch grobe Mißverständnisse einiger seiner durchgeknallten Fans, oder ob McLuhans Werk uns auch heute noch etwas zu sagen hat.

McLuhan ist sehr schwer zugänglich. Liest man ihn zum ersten Mal, fühlt man sich ein wenig ratlos inmitten seiner bunten Aphorismen, die manchmal provokant sind, manchmal intelligent, oft aber auch ziemlich seltsam anmuten. "Das Grammophon - Ein Spielzeug läßt den Brustumfang der Nation schrumpfen", lautet z.B. eine seiner Kapitelüberschriften in "Understanding Media"; und während man einen solch seltsamen Erguß liest, wundert man sich, was man sich unter einer Nation mit Brüsten denn bloß vorstellen kann. Vielleicht die amerikanische Freiheitsstatue im Bikini?

Bevor man also durch McLuhan, wie er es verspricht, die "Medien verstehen" kann, muß man erst McLuhan verstehen. Und das gestaltet sich als fast noch größere Herausforderung.

Ich meine trotzdem, daß sich auch aus heutiger Sicht McLuhan bleibende Verdienste erworben hat in der Aufdeckung vieler Zusammenhänge und der Demaskierung vieler Vorurteile. Dazu gehört z.B. seine Sichtweise der Technik. In seinem Buch "Understanding Media" zitiert er David Sarnoff, der bei der Verleihung eines Ehrendoktorats an der Universität von Notre Dame folgendes meinte:

"Wir neigen nur zu leicht dazu, die technischen Mittel zum Sündenbock jener zu machen, die sie handhaben. Die Schöpfungen der modernen Wissenschaft sind an sich weder gut noch schlecht; die Art und Weise aber, wie sie verwendet werden, bestimmt ihren Wert."

McLuhan nennt diese Sichtweise aber die "übliche Nachtwandlermentalität" und karikiert diese Aussage: "Nehmen wir an, wir wollten sagen, ‘Apfelkuchen ist an sich weder gut noch schlecht; nur die Art wie er verwendet wird, bestimmt seinen Wert’. Oder, ‘der Pockenvirus ist an sich weder gut noch schlecht; nur die Art, wie er verwendet wird, bestimmt seinen Wert’. Oder auch, ‘Schußwaffen sind an sich weder gut noch schlecht; nur die Art, wie sie verwendet werden, bestimmen ihren Wert’."

An dieser Aussage sieht man deutlich, daß gewisse technische Geräte auch eine gewisse Verwendung nahelegen. Natürlich ist es theoretisch möglich, aus Apfelkuchen ein Knusperhäuschen zu bauen oder sich mit einem Maschinengewehr in der Nase zu bohren. Neil Postman erzählt von einem Studenten, in dessen Haushalt alle Glühbirnen durchgebrannt waren, der seinen Fernseher als Lampe verwendete, um sich auf die Prüfung vorzubereiten; auch berichtet er von einer alten Dame, die den Fernseher ausschließlich als Bücherregal benutzt. Aber Hand aufs Herz: Diese Verwendungsarten sind doch sehr ungewöhnlich und unwahrscheinlich; die technischen Geräte selbst legen allein aufgrund ihrer Natur eine ganz bestimmte Anwendungen nahe.

Dazu kommt noch der Umstand, den Neil Postman, der hier wohl an McLuhan anknüpft, mit dem Satz umschreibt: Technik ist Ideologie. Das Aufkommen der Brille im Mittelalter z.B. hat es den Menschen nicht nur ermöglicht, bestimmte Dinge besser zu sehen; sie hat auch den Menschen ihre bisherige Grundüberzeugung genommen, daß Defekte in der Physiologie quasi gottgegeben seien und man sie hinnehmen müsse. Die Brille nährte vielmehr die Überzeugung, daß man Defekte korrigieren könne und den Menschen quasi "verbessern" kann. Vielleicht ist diese Überzeugung auch eine Wurzel der Gentechnik.

Technische Geräte verändern also die Welt durch ihr bloßes Vorhandensein, sie verändern die Möglichkeit der Menschen genauso wie ihre Sichtweise der Dinge; und sie ändern auch das menschliche Zusammenleben. Nehmen wir das Aufkommen der Maschine im 19.Jahrhundert. Sie hat die Welt nicht nur verändert, weil sie gewisse Dinge produzierte. Sie hat die Gesellschaft auch verändert, weil sie den Menschen einen gewissen Arbeitsprozeß vorgab; die Arbeit mußte an einem Ort konzentriert werden, fixe Arbeitszeiten mußten eingehalten werden, die Menschen mußten sich dem "Rhythmus der Maschine" anpassen, während sie zuvor, etwa auf einem Bauernhof, eine freiere Zeiteinteilung wählen konnten. So änderte sich die ganze Arbeitswelt und dadurch die ganze Gesellschaft. Nicht so sehr die Produkte der Maschine änderten die Welt als vielmehr die Tatsache, daß es funktionierende Maschinen gab. Und so erklärt sich McLuhans Aussage: "Viele Menschen sind wohl eher geneigt zu sagen, daß nicht in der Maschine, sondern in dem, was die Maschine tut, der Sinn oder die Botschaft liege. Für die Art und Weise, wie die Maschine unsere Beziehungen zueinander und zu uns selbst verändert hat, ist es völlig gleichgültig, ob sie Cornflakes oder Cadillacs produziert."

Mit den Massenmedien, etwa dem Fernsehen, verhält es sich kaum anders. Es ist nicht so wichtig, was dort gesendet wird. Vielmehr ändert schon alleine der Umstand, daß es so etwas wie elektronische Medien gibt, die Welt. Denn diese verändern unser Bewußtsein, unsere Möglichkeiten, unsere Wahrnehmung von uns selbst und der Welt.

Auf welche Art verändert aber nun das Fernsehen unser heutiges soziales Gefüge? Nach McLuhan ist das Zeitalter des Buchdrucks vorbei; das geschriebene Wort ist nicht mehr die vorrangige Art und Weise der Kommunikation. Die "Gutenberg-Galaxis" löst sich langsam auf. Damit stirbt aber auch die aus dem Lesen entstandene Rezeptionsweise der Objektivität, Kühle und Distanz. Das Fernsehen hingegen verflicht nach McLuhan die ganze Menschheit zu einer größeren Einheit; Dinge, die sogar in den entlegensten Teilen der Welt passieren, werden emotional wirksam in jedes Wohnzimmer gebracht. Treffend formuliert McLuhan diesen Umstand im Vorwort von "Understanding Media": "Elektrisch zusammengezogen ist die Welt nur mehr ein Dorf." Ich glaube, daß diese prophetische Aussage heute, in einer Zeit, in der uns Fernsehbilder vom Flüchtlingselend der Kosovo-Albaner bewegen, mehr Gültigkeit besitzt als zu der Zeit, in der er sie aussprach.

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