Patrick Horvath, Mat.-Nr.9502353

2.Übungsarbeit zur Vorlesung "Philosophische Grundlagen kommunikationswissenschaftlicher Theorienbildung" bei Dr.Hartmann

Sommersemester 1999

 

"TECHNOLOGY SHAPES CULTURE"

(Harold Innis)

Wie begründet sich diese Aussage?

Im Jahre 1517, so will es eine zeitgenössische Erzählung, nagelte der damals noch weitgehend unbekannte Mönch Martin Luther einige gehaltvolle Blätter an die Tür der Kirche zu Wittenberg. Auf diesen standen 95 Thesen, die neben massiver Kritik an gewissen Praktiken der Katholischen Kirche (z.B. dem Ablaßhandel) auch neue Gedanken zur Religion enthielten. Luther hatte mit seinen Thesen ausgesprochen, was viele seiner Zeitgenossen dachten. Rasch verbreiteten sich seine Gedanken, zunächst in ganz Deutschland, dann in ganz Europa. Das Antlitz der Welt wurde durch diese Ideen völlig verändert, es bildeten sich nach und nach "protestantische" Länder heraus, in denen die neuen Ideen auch eine völlig neue Kultur begründeten.

Heute ist man sich weitgehend einig darüber, daß diese Entwicklung ohne die kurz zuvor entwickelten Buchdruckverfahren nicht möglich gewesen wäre. Nur mithilfe dieser Verfahren konnten sich die neuen Ideen mit einer solch rasenden Geschwindigkeit europaweit verbreiten. Man mußte nicht mehr, wie einst, ein Buch in mühevoller, mehrjähriger Arbeit mit der Hand abschreiben. Man konnte Texte drucken. So gab es auch eine wesentlich größere Produktion mancher Texte. Die Reformation und die von ihr geschaffene neue Kultur verdankt also ihre rasche Ausbreitung vor allem den neuen technischen Möglichkeiten. Technology shapes culture, so hätte Harold Innis, Kommunikationsforscher und Lehrer von Marshall McLuhan, diesen Zusammenhang wohl ausgedrückt.

Nach Elisabeth Eisenstein führte die Druckerpresse in der frühen Neuzeit auch zu einer, wie sie es nennt, Standardisierung. Es war nunmehr möglich, weitgehend idente Bücher in großer Zahl zu produzieren. Damit vereinheitlichte sich die Kultur. Gelehrten aus verschiedensten Regionen lag das genau gleiche Bildungsgut vor, auf das sich ihr gemeinsames Weltbild stützen konnte. Doch die Vereinheitlichung gab es auch auf der Ebene der Sprache. Es ist kein Zufall, daß gerade in der vom Buchdruck geprägten frühen Neuzeit so etwas wie eine einheitliche deutsche Schriftsprache die zahllosen bunten, lokalen Dialekte zu verdrängen begann. Erwähnenswert ist auch, daß gerade Martin Luther mit seiner ersten deutschen Bibelübersetzung, die unglaublich weit verbreitet wurde, entscheidenden Anteil an der Ausformung dieser Schriftsprache hatte.

Neben der Standardisierung hat die neue Technik des Buchdrucks unsere Kultur um ein weiteres Element bereichert: Sie gab ihr eine verstärkte Kraft der Konservierung. So schreibt Eisenstein in ihrem Buch über die Druckerpresse: "Ein einzelnes Handschriftendokument, auch wenn es auf Pergament geschrieben war, war jedoch alles andere als dauerhaft (...) Dauerhafte Dokumente verlangten ein dauerhaftes Material. Inschriften aus Stein waren dauerhaft, Dokumente aus Papyrus zerfielen. (...) Mit dem Aufkommen des Buchdrucks verlor jedoch die Dauerhaftigkeit des Schreibmaterials ihre Bedeutung. Der Fortbestand (eines Textes) konnte eher gesichert werden, indem man eine Fülle von Papier verwendete als seltene und teure Haut. Quantität ging vor Qualität."

Man sieht an den bereits angeführten Beispielen deutlich (und es ließen sich noch zahllose andere hinzufügen), wie die Verwendung einer neuen Technologie wie des Buchdrucks förmliche Kulturrevolutionen hervorbringen kann. Das wollte Eisenstein auch ausdrücken, wenn die ihrem Aufsatz "Die Druckerpresse" den Untertitel gibt: "Kulturrevolutionen im frühen modernen Europa".

Die neuen Technologien der Gegenwart nehmen genauso Einfluß auf unsere heutige Kultur. Auf welche Art und Weise genau, wird erst die Zukunft zeigen. Es können aber schon aufgrund der bisherigen Erfahrungen begründete Thesen aufgestellt, rationale Utopien entworfen werden. Durch die Technik ist ein internationaler Austausch und eine Mobilität von Personen und Gütern möglich geworden, wie dies vielleicht noch nie zuvor der Fall war. Im Mittelalter dauerte es Monate, um von einer deutschen Stadt in die nächste zu kommen - so schlecht ausgebaut waren die Straßen, zudem mußte ein Reisender mit vielfältigen Gefahren ständig rechnen. Überall lauerten Räuber und wilde Tiere, es gab keine Autos, keine Flugzeuge und keine vergleichbaren Transportmittel.

Noch Goethe, der vor 250 Jahren geboren wurde - historisch betrachtet ist eine solche Zeitspanne lächerlich kurz - unternahm eine damals als großes Abenteuer betrachtete Italienreise; er war mehr als ein Jahr unterwegs und fand auf der Apenninhalbinsel eine für ihn völlig fremdartige Welt vor. Heute, an der Schwelle des dritten Jahrtausends, macht schon jeder Hausmeister einen zweiwöchigen Urlaub in Rimini. Mit dem Auto ist die Distanz nach Italien ein Katzensprung geworden.

Aber auch noch fernere Orte sind heute per Flugzeug leicht erreichbar. Reisen nach Australien, Japan oder Südamerika - im Mittelalter waren diese Ort unbekannt und unerreichbar. Heute finden sich diese Reiseziele in jedem Touristik-Katalog wieder. Wenn ich im Urlaub nach Kreta will, muß ich nicht in eine kleines Segelschiff steigen, das die Wellen hin und her werfen, und das, wenn es schlecht geht, im Sturm kentert oder von Piraten gekapert wird, wenn es gut geht nach Monaten die Insel erreicht. Vielmehr setze ich mich ins Flugzeug; nach nur zwei Stunden kann ich mir in Herakleion die Sonne auf den Bauch scheinen lassen.

Dazu kommen die modernen Kommunikationsmittel: Mit Telefon oder seit neuem auch mit e-mail können Nachrichten in Bruchteilen von Sekunden um die Welt geschickt werden. Die Neuen Medien besiegen Zeit und Raum. Daß solche Entwicklungen Spuren in unserer Kultur hinterlassen, ist nur natürlich. Schon jetzt trägt man in Österreich keine Lederhosen mehr, sondern Blue Jeans. Man ißt nicht mehr notwendigerweise in Wiener Beisln, sondern auch bei McDonald’s. Ob der Verlust der lokalen Kultur und die Herausbildung einer globalen Kultur zu bejubeln oder zu beklagen ist, sei dahingestellt. Fest steht für mich allerdings, daß die modernen Technologien durch ihre Überwindung der räumlichen Distanz internationalen Austausch im großen Stil möglich machen - dadurch fallen Grenzen, wie etwa heute im vereinten Europa. Auch verschmelzen so verschiedenste Kulturen zu einer größeren Einheit.

Und vielleicht wird die Welt auf diese Art wirklich zu Marshall McLuhans vielzitiertem "globalen Dorf".

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