Patrick Horvath

Die "Sammlung Horvath" für politische Kunst

Wien, 2018

Die Grundidee für den Aufbau der "Sammlung Horvath" - einer 1995 gegründeten und seitdem beständig erweiterten Kunstsammlung im Besitz von Dr. Werner und Dr. Patrick Horvath in Österreich - besteht darin, dass Kunst und Politik untrennbar miteinander verbunden sind. Diese Annahme ist der heute vielfach verbreiteten Auffassung entgegengesetzt, das Kunstwerk und die Person des Künstlers sollten "autonom", das heißt losgelöst von allen politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und überhaupt menschlichen Bezügen existieren. Konrad Paul Liessmann sieht in seinem Buch "Philosophie der modernen Kunst" diese Auffassung sogar als die maßgebliche für die zeitgenössische Kunst an.

Doch ist die Forderung einer dermaßen radikalen Autonomie der Kunst haltbar? Ist es wünschenswert, dass eine Gesellschaft Ressourcen in eine Kunst investiert, die dem Menschen dann nichts zurückgibt, sondern nur "für sich" besteht - und die aufgewendeten Ressourcen dann im Gesundheitsbereich, der Armutsbekämpfung und der Bildung abgehen? Realistisch ist die Forderung auf jeden Fall nicht: Alleine dass die Existenz einer solchen angeblich "autonomen" Kunst eine liberale politische Grundordnung zur Voraussetzung hat und ohne sie aufgrund der wahrscheinlich stattfindenden Zensur nicht wirklich möglich wäre, zeigt ihre Paradoxie auf. Oder meint man, ein autoritäres Regime würde heutige "ungewöhnliche", sehr oft tabubrechende künstlerische "autonome" Ausdrucksformen zulassen? Kunst kann so gesehen nicht losgelöst von Politik existieren.

Ein kurzer Streifzug durch die Kunstgeschichte zeigt, wie eng Kunst und Politik seit jeher verwoben sind - die Pyramiden im Alten Ägypten oder die Sixtinische Kapelle in Rom dienten genauso zur Demonstration eines politischen Machtanspruches wie die meisten Sammlerstücke der Habsburger, die heute in der Kunstkammer des Wiener Kunsthistorischen Museums zu sehen sind. Ohne diesen Zweck hätten diese Werke mangels Auftraggeber bzw. zur Verfügung gestellte Ressourcen niemals entstehen können. Und dennoch: Wer würde im Rückblick ihren künstlerischen Wert bezweifeln?

Versuche, die Politik aus der Kunst zu verbannen, gab es dennoch immer wieder. Die Malerei der Biedermeier-Zeit war scheinbar unpolitisch in ihren Motiven, doch wirkte im Hintergrund die Metternich'sche Zensur auf sie. Gerade das Biedermeier wird besonders dann zur "großen" Kunst, wenn zwischen Porträts und Naturkitsch und der Zensur zum Trotz die Sozialkritik an Armut und Ungerechtigkeit aufblitzt - in der Malerei Ferdinand Georg Waldmüllers ist das oft genug der Fall. Die Trennung zwischen Kunst und Politik muss unserer Ansicht nach im Endeffekt scheitern. Das muss aber nicht automatisch heißen, dass die Kunst der Politik hilflos "ausgeliefert" sein muss. Sie wirkt mit Feedbacks auf die Politik zurück, sie kann dabei auch kritisches Potenzial entfalten. Die Literatur Vaclavs Havels hat zum Fall des kommunistischen Regimes beigetragen. Kunst kann eine bestimmte Politik also auch bekämpfen, ablehnen, stören. Dann steht sie aber auch in einem Wechselverhältnis zur Politik und ist nicht autonom-losgelöst davon.

Wenn man diese Gedanken weiter verfolgt, findet man, dass es im Grunde zwei Arten gibt, wie die Bearbeitung von Politik durch Kunst aussehen kann:

(1) affirmativ, also der Verherrlichung eines bestehenden Machtsystems dienend und

(2) kritisch, also die Änderung bis hin zum Sturz eines bestehenden Machtsystems herbeiführen wollend.

Um diesen beiden Wegen nachzuforschen, besteht die "Sammlung Horvath" aus zwei Teilen. In den beiden Teilen werden jeweils Werke einer jeweils bestimmten Stilrichtung zusammengetragen, welche die affirmative bzw. die kritische Herangehensweise idealtypisch verkörpern. Die Wahl fiel dabei auf

(1) den Sozialistischen Realismus für die affirmative und

(2) die zeitgenössische kongolesische bzw. afrikanische Malerei ("art populaire") für die kritische Variante.

Die Bilder der beiden Stilrichtungen sind in gewisser Weise Gegensätze. Auf der einen Seite stehen die Werke des Sozialistischen Realismus, die sich durch technische Perfektion nahe der "Alten Meister" auszeichnen. Ihre Schöpfer, hauptsächlich Ausgebildete und Unterrichtende an berühmten Akademien, unterlagen dem Diktat des Inhaltes, was ihre Kunst in den Dienst der Propaganda des herrschenden Regimes stellte. Auf der anderen Seite findet man die farbenprächtigen Bilder aus dem Herzen Afrikas, die in ungezügelter Kreativität Geschichte, politische Vorgänge, aber auch Alltagsszenen darstellen und in einer fast herzerfrischenden Kreativität die Probleme der Menschen vor Ort - wie AIDS, Aberglaube, Korruption oder Gewalt durch Bürgerkriegsparteien - kritisch thematisieren. Die erstaunlichen Naturtalente und Autodidakten, die inhaltlich sehr frei agieren, unterliegen aber wiederum methodisch-technischen Einschränkungen aufgrund der Einfachheit der verwendeten Materialien, wie Mauerfarben, Lacke und selbstgefertigte Pinsel.

Die "Sammlung Horvath" umfasst zum gegenwärtigen Stand (2018) ca. 100 Werke des Sozialistischen Realismus und 150 Werke aus dem zeitgenössischen Afrika. In beiden Bereichen finden sich auch sehr prominente Vertreter dieser Richtungen, zum Beispiel Isaak Brodski, Grigori Shpolyanski und Boris Vladimirski (Sowjetunion) bzw. Cheri-Cherin, Moke-Fils und Sapin-Art (Kongo).

Jedes einzelne Bild könnte ausführlich besprochen werden, wir wollen uns hier begnügen, einige Erfolge bzw. Resonanz der "Sammlung Horvath" zu erwähnen. Grundsätzlich fanden ihre Bilder bereits Eingang in zahlreiche Kunstbücher, Kataloge und wissenschaftliche Artikel. Ein amüsantes Detail am Rande: Bereits zweimal zierten Bilder der "Sammlung Horvath" CD-Covers, nämlich der Bands Overlord ("In Soviet Russia, My Heart Breaks You") und Red Orchestra ("After the Wars").

Besonders erfreulich ist es aber, wenn die Bilder zum Zwecke der Demokratieerziehung eingesetzt werden. Wie dies zum Beispiel geschehen kann, zeigt idealtypisch das Schulbuch "Geschichte plus" des deutschen Verlages "Volk und Wissen".[1] Das Bild "Rosen für Stalin" von Boris Vladimirsky ist darin abgebildet - es zeigt Kinder, die einem ganz in Weiß gekleideten Stalin einen Strauß Rosen überreichen und ist ein idealtypisches Bild der Propaganda des Sozialistischen Realismus. Neben dieser Abbildung enthält das Schulbuch auch eine Fotografie von Gefangenen in einem stalinistischen Gulag. Die Schüler erhalten die Aufgabenstellung, die Bilder zu vergleichen und Schlüsse daraus zu ziehen - kritisches Denken wird dadurch gefördert.

Der Maler der "Rosen für Stalin" Boris Vladimirsky trug offenbar noch eine andere, kritische Seite in sich verborgen. Vorbehalte gegen Stalins Regime artikulieren seine "Schwarzen Raben". Das Bild zeigt die so genannten dunklen Autos des KGB, wie sie sich im Morgengrauen bedrohlich einem Dorf nähern, um Menschen "abzuholen" - ein eindrucksvolles, düsteres Werk, über dessen Entstehungsgeschichte wenig bekannt ist. Dieses Bild ist auch - neben einem Stalinporträt von Grigori Shpolyanski - eines der beiden Leihgaben der "Sammlung Horvath" an das am 6. Mai 2017 neueröffnete "Haus der europäischen Geschichte". Das neue, multimediale Museum im Leopoldspark im Herzen Brüssels wurde vom Europäischen Parlament ins Leben gerufen, zeigt auf sechs Stockwerken die wechselvolle Geschichte Europas und lädt die Besucher zu einer Reflexion über europäische Werte ein. Im dritten Stock, wo es in der Dauerausstellung um die Verbrechen von Nationalsozialismus und Stalinismus als Antithese zum demokratischen Europa geht, sind die Bilder der "Sammlung Horvath" nunmehr zu sehen.

Auch die afrikanischen Bilder der "Sammlung Horvath" werden der Öffentlichkeit laufend in einer regen internationalen Ausstellungstätigkeit nähergebracht. So wurden sieben Gemälde der kongolesischen Maler als Leihgabe für die Ausstellung "50 years of Congolese Independence" im Royal Museum for Central Africa, Leuvensesteenweg 13, Tervuren, Belgien (11.5.2010 bis 9.1.2011) zur Verfügung gestellt, ebenfalls sechs Gemälde als Leihgabe für die Ausstellung "Kongo. 50 Jahre Unabhängigkeit in 50 Bildern." im Cultuurhuis de Warande, Warandestraat 42, Turnhout, Belgien (25.4.2010 bis 6.5.2010). Weitere Ausstellungen der kongolesischen Bilder gab es auch in Österreich (Auswahl): Schloss Puchenau (2010), Jägermayrhof in Linz (2011), Peace Museum Vienna (2015). Die bisher größte Leihgabe der "Sammlung Horvath" erging 2018 mit 67 Bildern an das Kunsthaus Graz für die medial vielbeachtete  Ausstellung "Congo Stars" (22.9.2018 - 27.1.2019, Kunsthaus Graz, Lendkai 1, 8020), die 2019 in der Kunsthalle Tübingen fortgesetzt wird.

Einer der beiden Sammler, Werner Horvath, ist selbst künstlerisch tätig. In gewisser Weise kann sein Werk als dritter Teil der "Sammlung Horvath" angesehen werden. Wenn wir die Affirmation des "Sozialistischen Realismus" als These und die kritischen Bilder des Kongo als Antithese zu einem herrschenden System begreifen, versuchen diese Bilder die Synthese - Leistungen großer Persönlichkeiten hervorzuheben, wo dies aufgrund von Werten der Menschlichkeit und des Dialoges angebracht ist und Kritik zu üben, wo dies aufgrund derselben Werte notwendig ist. Die Malerei Werner Horvaths ist so gesehen auch politische Kunst - die Autonomie des Künstlers besteht hier nicht in der Abschottung von der Politik, sondern in der kritischen Auseinandersetzung auf der Basis der eigenen Einsicht.



[1] Funken/Koltrowitz 2001; ISBN 3-06-110924-2

Mainpage of the museum

Soviet  Socialist  Realism

Popular Art of the Congo