Werner Horvath: "Schach", Gemälde im Stil des neuen bildenden Konstruktivismus
In
einem Krankenzimmer.
Von 6 Betten sind 3 belegt, die übrigen frisch bezogen.
Fein: Es kam alles so überraschend für mich. Ich kann es jetzt noch nicht fassen.
Eins: Glauben Sie mir, bei mir war es genauso. Aber so plötzlich wie es gekommen ist, ist es auch schon wieder vorüber. Und jetzt werde ich bald entlassen - als gesund entlassen - und keiner konnte sich das vorher vorstellen. Ich selbst am allerwenigsten.
H.: (1) Du sitzt in der stadtbahn und Dir gegenüber ein typ mit einem gerät, er drückt auf den knopf... Du denkst es ist ein abend im sommer... und schon platzt Dir der darmtrakt...
Eins: Die Medizin heutzutage, die kann das alles. Und in diesem Krankenhaus sind sie besonders gut.
H.: Ich soll morgen operiert werden!
Eins: Davon merkst du gar nichts. Eine kurze Narkose - du schläfst wie ein Murmeltier - und wenn du aufwachst, ist alles vorbei.
H.: (2) mein opa hat den ersten mitgemacht, die zweite hälfte davon, der hat an der front immer über magenschmerzen geklagt, da haben sie ihn ins lazarett eingeliefert und haben ihm den bauch aufgeschnitten, da ist alles rausgekommen und bei der beerdigung da war ich dabei.
Eins: Aber doch nicht mehr heutzutage! Die wissen schon alles über deinen Bauch, die haben die Computertomographie und den Ultraschall, die kennen jedes kranke Stückchen - schnippschnapp - weg - und du bist wieder der alte.
Fein: Und Sie glauben, die schaffen
das auch bei mir? -
Obwohl es für eine Operation zu spät ist?
Eins: Aber ich sagte doch - bei mir war es genauso. Wir haben fast die gleiche Krankheit, ich meine, wir hatten - ich hatte fast die gleiche Krankheit wie Sie. Kleine Punktion - Katheter rein - Zytostatika. Na gut, ein paar Tage ist man ein bißchen müde - aber da muß man durch.
H.: (3) Mein Testament habe ich mit der Hand geschrieben, an einem Februarmorgen, während ich meine Füße ins heiße Wasser tauchte...
Eins: Das kannst du vergessen. Die Mühe hast du dir umsonst gemacht. Bei so einer Operation passiert heute nichts mehr.
Fein (holt einen Zettel aus dem Nachtkästchen): (4) Ca. 3cm großer herdförmiger Perfusionsausfall im Segment Nr.VI ganz kaudal subkapsulär, ähnlicher Ausfall von etwa 2,5cm Größe an der Segmentgrenze VII/VIII, etwa 6mm großer Herd an der Segmentgrenze VI/VII subkapsulär. Alle drei Formationen hoch suspekt maligne im Rahmen der Grundkrankheit. Der linke Lappen bei diesem Patienten portalvenös schlecht perfundiert , daher bezüglich sekundärblastomatöser Veränderungen reduziert beurteilbar.
Eins: Alles kein Problem. Zytostatika - alles schrumpft bis es weg ist - gesund. Wie bei mir.
H.: (5)
Eine Heftpflaster-Wunde.
So sagt er, um uns zu täuschen,
denn Krankheiten gehen um im Drahtsystem der Erde.
Telefonleitungen und Erdkabel verbreiten sie weiter,
Lues, Tuberkulose, Krebs, Leukämie,
Krankheiten, die dem Metall nicht zukommen.
Man hat sie zu spät erkannt.
Eins: Blödsinn. -
Mach' dich nicht verrückt. Ich sagte doch, du spürst
gar nichts. Wegen der Narkose.
H.: (6)
Betrachtet die Fingerspitzen, ob sie
sich schon verfärben!
...
(6)
Eines Tages kommt sie wieder, die
ausgerottete Pest.
Der Postbote wirft sie als Brief in den rasselnden Kasten,
als eine Zuteilung von Heringen liegt sie dir im Teller...
Eins: Blödsinn. -
Die Pest gibt's nicht mehr. Mach' dich nicht verrückt.
H.: (6)
Wir richten uns immer wieder auf das
Glück ein,
aber es sitzt nicht gern auf unseren Sesseln.
...
(6)
Betrachtet die Fingerspitzen! Wenn sie sich
schwarz färben,
ist es zu spät.
Fein: Sie meinen also, ich soll sie mir machen lassen, diese Embolisierung, oder wie das heißt?
Eins: Chemoembolisation. Chemoembolisation heißt das. Hab' ich auch gehabt. Örtliche Betäubung - Katheter rein - Zytostatika - und nach ein paar Zyklen ist alles gut.
Fein: Ein paar Zyklen? Heißt das, man muß das öfters bekommen?
Eins: Naja, bis es eben wirkt. Es tut nicht sehr weh. Ein, zwei Stunden vielleicht. Dann wird es besser. Ein bißchen müde ist man halt. Aber da muß man durch.
In diesem Moment öffnet sich die Tür. Eine Schwester steckt den Kopf herein und schaut sich um.
Schwester: Gleich kommt die Visite, meine Herren! Schön brav ins Bett legen und artig sein!
Fein: Aber wir liegen ja im Bett.
Schwester: Brav, brav. Nur weiter so. Gleich kommt der Professor.
Sie verschwindet, doch gleich öffnet sich die Tür wieder und der Professor erscheint an der Spitze der Visite. Gerade als er durch die Tür tritt, ertönt von draußen eine Frauenstimme mit ausländischem Akzent.
Frau: (7) Herr Doktor, die Periode...
Professor: (7)
Na, freuen Sie sich doch man
Daß die Bevölkerungsquote ein bißchen
wachsen kann.
Frau: (7) Herr Doktor, ohne Wohnung...
Professor: (7)
Na, 'n Bett wer'n Sie doch noch
ham,
Da gönn'n Sie sich ein bißchen Schonung
...
(7)
Und halten sich ein bißchen warm
...
(7)
Da wer'n Se mal 'ne nette Mutter...
Frau: (7) Herr Doktor, ein Arbeitsloser, daß der kein Kind...
Professor: (7) Na, Frauchen, das is bloß 'n Antrieb für Ihren Mann.
Frau: (7) Herr Doktor...
Professor: (7) ...da kann ich Sie nicht verstehn.
Er dreht sich um und geht ins Zimmer. Mehrere Ärzte in weißen Kitteln folgen ihm, am Schluß die Schwester. Er bleibt vor dem Bett von Eins stehen.
Professor: Na, wie geht's uns heute, Herr Eins?
Eins: Hervorragend. Jeden Tag besser. Dank Ihrer Hilfe, muß ich sagen, Herr Professor. Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen das danken soll!
Professor: Freut mich zu hören, Herr Eins. Oder ehrlich gesagt, ich habe erwartet, das zu hören. Schließlich habe ich es Ihnen ja auch versprochen. Und ich pflege mein Wort zu halten.
Er nimmt die Krankengeschichte und blättert darin. Schließlich drückt er sie der Schwester in die Hand.
Professor: Ein paar Tage bleiben Sie
noch bei uns, Herr Eins - sozusagen zur
Erholung. Dann sind Sie wieder voll bei Kräften.
...
Wenn nur jeder Patient so aktiv mithelfen würde wie Sie! Dann
könnten wir noch viel mehr
ausrichten mit unserer Medizin, (zu den
Ärzten gewandt) was meine
Herren!
Ärzte: Und ob! Und ob!
Professor: An Ihnen sollte sich so
mancher Patient ein Beispiel
nehmen! Und der Erfolg, die Heilung - die haben Sie sich auch selbst
verdient.
....
Also weiter alles Gute und wir sehen uns morgen wieder.
Er geht zum nächsten Bett.
Professor: Ah, der Herr Fein! Na,
haben Sie sich alles überlegt?
...
Wir machen dann morgen die Chemoembolisation. Schwester, geben Sie ihm
das
Aufklärungsformular.
(Die Schwester holt einige Zettel hervor
und übergibt sie an Fein.)
Lesen Sie sich das gut durch, da steht alles über den Eingriff
drin. Dann unterschreiben
Sie, vergessen Sie auch das Datum nicht. Die Schwester wird es dann
später holen.
...
Und falls Sie noch Fragen haben, wenden Sie sich an Herrn Eins, der
wird Ihnen sicher
alles erklären. Er kennt sich dabei bestens aus,
schließlich hat er das alles hinter
sich. Nicht wahr, Herr Eins?
Eins: Ja, sicher.
Die Visite geht zum nächsten Bett.
Professor: Und bei Ihnen werden wir morgen operieren. Alles klar?
H.: Ich habe Angst.
Eins: Er hat sein Testament gemacht.
Professor: Sehr vernünftig,
das sollten wir alle tun.
(Die Ärzte lachen, der Professor
dreht sich zu ihnen um.)
Da gibt's gar nichts zu lachen.
(Er sieht einen der Ärzte an.)
(8) Was willst
du? Jeder stirbt. Millionen, sage ich dir. Besser
so: Was willst du? Ich sage dir, da verrecken noch
ganz andere Leute, Leute, die
leben könnten. Die leben lassen könnten. Die mit dem
Herrgott auf du und du stehen.
Präsidenten! Stelle dich doch auf einen etwas
überlegenen Standpunkt! Denke dir: Eine
Ratte verreckt! Na also! Nur nicht aufmucksen!
Es ist zunächst ganz still im Zimmer.
Schließlich setzt sich Eins auf.
Eins: Aber...
(8)
Das Leben ist herrlich: Wie wenn man auf
einem reißenden Strom auf dem Rücken
hinschießt, nackt, unter orangefarbenem Himmel,
und man sieht nichts, als wie der Himmel violett wird...
...
(8)
Oder wenn man mit spitzen, knirschenden
Zähnen eine saftige Frucht zerfleischt...
...
(8)
oder schluchzend vor Liebeskummer einen Apfel
frißt...
...
(8)
oder Waldluft einpumpt, wenn die müden
Füße einen schier umschmeißen...
Professor: Sehr richtig, Herr Eins.
Nur immer positiv denken!
(Er wendet sich an Fein und H.)
Das gilt auch für Sie! Das ist das Wichtigste am
Heilungsprozeß!
Eins: (9) Ich lasse einfach keine negativen Gedanken zu. Das würde nur Kraft vergeuden. Ich weiß, daß uns das Leben prüft und wir an diesen Prüfungen wachsen und reifen müssen. Das ist unsere Bestimmung.
Professor: Genau. Dann ist ja alles
klar.
...
(Er dreht sich um und geht zur
Tür.)
Ich wünsche einen angenehmen Abend, meine Herren!
Die Visite geht. Es ist längere Zeit still im Zimmer.
H.: (10) Noch einmal das Meer... Begreifst du, was ich meine? Noch einmal die Weite alles Möglichen...
Fein (hat den Aufklärungsbogen
aufgeschlagen und liest): (11)...punktiert
der Arzt eine Schlagader in der Leiste, seltener
am Arm, mit einer dünnen Hohlnadel. Durch diese führt
er...
(11)
...einen Führungsdraht in das Blutgefäß
ein, über den er - eventuell auch über eine
Gefäßschleuse oder einen
Instrumentierkanal - dann unter Röntgenkontrolle einen...
(11)
...Kunststoffschlauch, an dessen Ende sich
ein aufblasbarer Ballon, ein aufgesetzter Stent oder eine
Laserlichtquelle...
...
Mein Gott, und das alles wollen die mit mir machen?
Eins: Denken Sie sich doch nichts bei dem Papierzeug. Die Ärzte brauchen das doch nur, weil die Rechtsanwälte so lästig sind. Aus lauter Geldgier so lästig sind. Die wollen dauernd Schadenersatz aus den Ärzten herauspressen. Und da müssen die sich eben absichern.
Fein: Schadenersatz? Für welchen Schaden? Ich denke, es kann gar nichts passieren?
Eins: Kann es ja auch nicht. Aber heute klagt schon jeder, und dann sagt er womöglich, er wollte gar nicht geheilt werden, und das alles aus lauter Geldgier. Das kommt aus Amerika.
H.: (10) Und da man erwacht, ringsum das Klatschen der Wellen, nichts als der Himmel, nichts als die Wölbung des Wassers...
Fein (liest): (11)...kann
es zu bleibenden
Schäden - zum Beispiel Nervenlähmungen - am
entsprechenden Arm oder Bein kommen...
...
(11)...Verlust
des behandelten Beines im
weiteren Verlauf...
...
Was soll das nun wieder heißen?
Eins: Ach, lesen Sie das gar nicht!
Unterschreiben Sie und geben
Sie das Formular dann der Schwester. -
Es bleibt Ihnen ja doch nicht erspart. -
Es ist auch die einzige Möglichkeit.
Fein (resigniert): Wenn Sie meinen... (Er unterschreibt.)
Die Tür öffnet sich und der Krankenhauspfarrer tritt ein. Er sieht auf seine Liste und vergleicht diese mit den Namen auf den Schildern über den Betten. Dann geht er zu H. und bleibt vor dessen Bett stehen.
Pfarrer: Sei gegrüßt, mein Sohn. Ich bin gekommen, um dir die Krankensalbung zu geben. Du wirst ja morgen operiert.
H.: Krankensalbung? (Er richtet sich ruckartig auf.) Die letzte Ölung? Steht es so schlimm um mich? Muß ich sterben?
Pfarrer: (12) Die Krankensalbung ist nicht nur das Sakrament derer, die sich in äußerster Lebensgefahr befinden. Daher ist der rechte Augenblick für ihren Empfang sicher schon gegeben, wenn der Gläubige beginnt, wegen Krankheit oder Altersschwäche in Lebensgefahr zu geraten.
H.: Herr Pfarrer, sagen Sie mir, warum das alles, wozu ist das alles gut - das Leiden, die Krankheiten, all das Elend?
Pfarrer: (12)
In der Krankheit erfährt der
Mensch seine Ohnmacht, seine Grenzen und seine Endlichkeit. Jede
Krankheit kann uns den
Tod erahnen lassen.
...
(12)
Krankheit kann zu Angst, zum Rückzug auf
sich selbst, zuweilen sogar zu Verzweiflung und zu Auflehnung gegen
Gott führen. Sie kann
aber auch den Menschen reifer machen, ihm den Blick dafür
öffnen, was in seinem Leben
unwesentlich ist, so daß er sich dem Wesentlichen zuwendet.
...
(12)
Sehr oft führt Krankheit zur Suche nach
Gott, zur Rückkehr zu ihm.
H.: Aber ich war immer ein braver Mann. Wird mich die Krankensalbung wieder gesund machen?
Pfarrer: (12) Durch die Gnade dieses Sakramentes erhält der Kranke die Kraft und die Gabe, sich mit dem Leid des Herrn noch inniger zu vereinen.
H.: Werde ich wieder gesund? Gibt mir die Krankensalbung die Gesundheit zurück?
Pfarrer: Ja,
(12)
die Genesung, falls dies dem Heil der Seele
zuträglich ist.
Eins: Garantie mit Einschränkungen sozusagen.
Pfarrer (wendet sich zu ihm.) Halten
Sie sich da heraus, Herr
Eins. Das ist nicht Ihr Gebiet.
...
Noch nicht.
...
Aber bedenken Sie:
(8)
Jeder wird einmal müd! Wohin dann mit Ihnen?
Eins: (8) Dann kommen Sie! Oder ich werde schlafen. Erst wenn ich für ergiebige Träume gesorgt habe.
Pfarrer: Aber auch Sie werden einmal sterben.
Eins. (8)
Sterben? Ich lasse mich nicht
überreden. Ich wehre mich bis aufs Messer.
...
(8)
Ich glaube an kein Fortleben und bin aufs
Hiesige angewiesen.
Pfarrer: (8) Sie sinken immer tiefer!
Fein (hebt schüchtern die Hand): Herr Pfarrer, ich fürchte mich auch. Ich glaube, die machen hier nur Experimente mit uns.
Pfarrer: (12)
Medizinische und psychologische
Experimente an Personen oder Menschengruppen können zur
Heilung von Kranken und zur
Verbesserung der öffentlichen Gesundheit beitragen.
...
(Fein verschwindet langsam unter der Decke.
Der Pfarrer wendet sich wieder
zu H.)
Hast du mir noch etwas zu sagen, mein Sohn?
H.: (13)
Ich bin geworden. Ich bin
verantwortlich geworden. Ich bin schuldig geworden.
...
(13)
Ich habe getan. Ich habe unterlassen. Ich
habe zugelassen.
Eins: (14)
Ist sich etwas versagt haben
gleichbedeutend mit etwas unterlassen haben, frage ich mich frage ich
dich, oder hat
entsagen etwas mit scheitern zu tun, ich versage, bin (vulgär)
ein Versager, also
VERSAGENDER, ich versage / scheitere in dieser und jener Situation,
aber heißt entsagen
nicht auch abschwören, jemandem etwas versagen, verweigern,
verderben...
...
(14)
jemanden aufgeben, seinem Glauben
entsagen...
Pfarrer (fällt ihm ins Wort):
Seien Sie ruhig, Sie sind nicht
gefragt.
(Zu H.) Und weiter?
H.: (13) Ich bin schon mit der Erbsünde behaftet auf die Welt gekommen. Von Natur aus habe ich zum Bösen geneigt.
Pfarrer: (12) Das Leiden, Folge der Erbsünde, erhält so einen neuen Sinn: es wird zur Teilnahme am Heilswerk Jesu.
H.: (13) Ich habe nicht älter werden wollen. Ich habe nicht sterben wollen.
Eins: Das brauchst du auch nicht zu wollen. Das kommt von selber.
Pfarrer: Unterbrechen Sie uns nicht ständig. Lassen Sie ihn ausreden.
H.: (13) Ich habe nicht die Forderung meiner Vernunft nach Unsterblichkeit als Beweis meiner Existenz nach dem Tod angesehen.
Eins: (13) Ich habe nicht meinen Ekel vor der Zukunft als Beweis meiner Nichtexistenz nach dem Tod angesehen.
Pfarrer (zu Eins): Wollen Sie auch die Krankensalbung?
H.: (13) Ich habe nicht das Nachlassen des Schmerzes als Beweis des Vergehens der Zeit angesehen.
Eins: (13) Ich habe nicht meine Lust zu leben als Beweis des Stillstands der Zeit angesehen.
H.: (13) Ich bin nicht gewesen, wie ich hätte sein sollen.
Eins: (13) Ich bin nicht, was ich gewesen bin.
Pfarrer (nimmt ein Ölfläschchen
und betupft die Stirn von H.):
So spreche ich dich von deinen Sünden los und spende dir das
Sakrament der
Krankensalbung.
(Er spritzt Öl zu Eins
hinüber.)
Und dich auch. (Er geht.)
Fein (lugt jetzt langsam unter der Decke hervor): (15) Die
Sünde wird schwarz wie die Sünde sein.
Die Seele wird unerschöpflich wie die Seele sein.
...
(15)
Der Tod wird so gewiß wie der Tod sein.
Eins: Fein beobachtet. Aber haben Sie sich da nicht etwas zu sehr vom Pfarrer beeindrucken lassen?
Fein (nach einer Pause): (16) Wenn wir es bereuen würden?
Eins: (16) Was?
Fein: (16) Nu ja... Er sucht. Wir brauchen ja nicht gerade ins Detail zu gehen.
Eins: (16) Daß wir geboren wurden?
Die Tür öffnet sich und die Schwester schiebt einen ärmlich gekleideten Mann ins Zimmer, der eine Plastiktüte trägt.)
Schwester: Ich bringe Ihnen einen
Neuen, meine Herren.
...
(Zum Neuen) Alles nette Leute,
Sie werden sich wohlfühlen. Die
werden Ihnen alles zeigen.
(Sie wendet sich an Eins.)
Herr Eins, Sie sollen dann beim Professor vorbeischauen. Es geht um
Ihre Entlassung. (Sie verschwindet.)
Der Neue: Guten Tag.
Eins: Ebenfalls. Nur herein,
fühl' dich wie zu Hause.
(Er weist auf ein Bett, während er
sich einen Schlafmantel anzieht.)
(17) Hier ist
deine Schlafstelle
Das Bett ist noch ganz frisch
Es lag erst ein Mann drin.
Wenn du heikel bist
Schwenke Deinen Zinnlöffel in dem Bottich da
Dann ist er wie ein frischer
Bleibe ruhig bei uns.
Eins geht aus dem Zimmer.
Der Neue steht mit hochgezogenen Schultern unschlüssig da.
Der Vorhang fällt.
Im Büro des Professors. Diesem gegenüber sitzt ein Herr im grauen Anzug.
Professor: ...und so, Herr Inspektor, kann ich dem
Gesundheitsministerium mitteilen, daß unser Projekt der
integrierten Betreuung von
Palliativpatienten voll geglückt ist. Der im Krankenzimmer
direkt stationierte Mediziner
- es könnte natürlich auch eine andere speziell
ausgebildete Person sein - kann
Aufklärung in einer nie vorher gekannten Qualität
geben, er ist jederzeit zu einem
Gespräch verfügbar, ja er kann auch zur Vermittlung
eines positiven Lebensgefühls
beitragen.
...
(18)
Dort, wo es keine Möglichkeiten der
Heilung mehr gibt, ist es unsere verdammte Pflicht, für den
Patienten da zu sein.
Inspektor: Und was halten Sie von Sterbehilfe?
Professor: Das ist nicht das Problem. So etwas wird eigentlich nie wirklich von uns verlangt.
Inspektor: (18)
Wenn keiner das verlangt,
dann könnten wir's ja ohne weiteres zulassen.
...
(18)
Gerade jetzt, wo das Sparpaket in aller
Munde ist, wo wir alle immer hören, daß 60 Prozent
der Gesundheitsressourcen für die
letzten zwei Jahre des Mensch-Seins aufgewendet werden, läuft
diese Diskussion.
...
Und...
(18)
In der Praxis höre ich immer wieder, wir
tun's eh, nur bitte redet nicht drüber.
Professor: (18)
Ist die Abschaltung des
Beatmungsgerätes ein aktives Tun oder lediglich ein
Unterlassen, das den Arzt von jeder
Verantwortung im Sinne der passiven Sterbehilfe freispricht?
...
Das ist wohl damit gemeint.
...
Aber darum geht es hier nicht. Nicht Sterbehilfe, sondern
Sterbebegleitung ist unsere
Aufgabe.
Es klopft an der Tür.
Professor: Das muß Dr. Eins sein. (Er ruft:) Herein! (Eins tritt ein.)
Eins: Herr Professor, was ist mit H.?
Professor: Es gab Komplikationen. Wir haben ihn leider verloren.
Inspektor: Das kann vorkommen.
Professor: Aber jetzt zu etwas anderem. Dr. Eins, können Sie uns kurz Ihre bisherigen Erfahrungen schildern?
Eins: Nun, ich habe es schon mehrfach in internen Sitzungen gesagt. Meine Erfahrungen sind durchaus positiv. Ich glaube, ich kann auf diese Art sehr viel für die armen unheilbar Erkrankten tun.
Inspektor: Ist das der einzige Grund, warum Sie diese Tätigkeit übernommen haben?
Eins: (19) Ich glaube an die Illusion. Auch das, was nirgends vorkommt auf dieser Welt, auch das, was man mit Händen nicht greifen und mit Händen nicht zerstören kann, auch das, was nur als Wunsch vorkommt, als Sehnsucht, als Ziel über alles Vorhandene hinaus...
Inspektor (zum Professor): Glauben Sie das auch?
Professor: (19)
Nichts ist wirklicher als
diese Illusion. Sie hat die Dome erbaut, sie hat die Dome
zertrümmert. Jahrtausende haben
gesungen, gelitten...
(19)
Nichts auf Erden ist wirklicher als diese
Illusion.
...
Und wir wollen auch bei Todkranken die Illusion nicht sterben lassen.
Eins: Und so kümmere ich mich
um die Sterbenden...
(20)
So reden wir ins Dunkle...
(20)
wieder und wieder, weil man reden muß, um
nicht zu ersticken an den Todesängsten.
...
Das ist nicht überall so. In anderen Krankenhäusern
liegt so mancher Patient...
(20)
in jenem fremden stillen Bett wie Hunderte
andere Kranke in dieser Nacht, und niemand da, der ihre Hände
hält und spricht. Niemand.
Das ist nicht eingeplant in der "menschlichen" Gesellschaft.
...
Dabei sind Trost und Hoffnung so leicht zu geben.
Inspektor: (21)
Es ist nun mal so, daß man
immer dem glaubt, der Gutes verspricht.
...
(21)
Daher kommt es auch, daß man den Ärzten
so viel Vertrauen schenkt und daß man oft, indem man ihnen
glaubt, die eigene Habe
verliert. Das ist die einzige Sekte, die sich von anderer Leute
Übel nährt und lebt.
Es ist einige Zeit still im Zimmer.
Professor: Ja, ja,
(10)
der liebe Doktor, er meint es gut mit den
Menschen, drum lügt er so oft.
...
(10)
Warum sollten sie nicht lustig sein, sagt
er, die Hoffnungslosen?
Inspektor: Wie dem auch sei. Sie haben
mich überzeugt.
...
Wir werden Ihr Modell landesweit einführen.
Der Vorhang fällt.
Wieder im Krankenzimmer. Eins sitzt beim Tisch vor
einem Schachbrett und
verschiebt hin und wieder eine Figur. Die Schwester bezieht das Bett
von H. neu.
Es ist lange ruhig im Zimmer, nur Fein stöhnt manchmal auf; er
hängt an einer Infusion.
Fein: (3)
Beide Arme keuchen, es ist gerade
ein Fluß meinen Arm heruntergelaufen...
...
(22)
habe die ganze Nacht ÜBER DIDEROT gelesen,
habe in den Pausen die Reproduktion eines frühen Bildes von
Francis Bacon betrachtet. Es
bildet ab Van Gogh zwischen leuchtenden Maiskolben...
...
(23)
Die Wahrheit ist, ich hatte die ganze Nacht
ÜBER DIDEROT gelesen, Ahnungen / Abweichungen eines Diderot
Zitates hatten sich
festgesetzt in meinem Kopf, hatten sich überschlagen,
zusammengeballt, legten an Gewicht
zu, Lage um Lage, wuchsen an.
...
(23)
Dichter, üppiger, rundeten sich zur
Kolossal Vorstellung DONNERNDE LAWINE, drängten aufgeschrieben
zu werden, aber die
Müdigkeit ließ es schon nicht mehr zu.
...
Ich habe schon seit einer Woche keinen Stuhl mehr gehabt.
Eins: (24) in wien kannte ich eine französische bauerstochter die führte sozusagen ein kot-tagebuch. täglich photographierte sie ihren stuhlgang - also das was da unter ihr platz nahm -
Schwester: Pfui!
Eins: (24) und an hand der bilder äußerte sie sich in kleinen notizen über den zusammenhang zwischen ihrer befindlichkeit und der form ihrer verdauung. wir bauern haben ein inniges verhältnis zu unserem abfall sagte sie als sie mir im cafe demel - nicht ohne stolz - einen einblick in ihr damals schon dreibändiges album erlaubte...
Fein: Aber ich habe nichts zu fotografieren. Seit einer Woche schon kein Stuhl.
Eins: (25) stellen Sie
sich vor sie sitzen
auf der rasenbank am elterngrab in eine ruckartige weltbetrachtung
versunken und
plötzlich fällt Ihnen die verdauung hinten heraus
aber Sie lassen sich in keinster weise
davon stören. was weg ist ist weg sagen Sie sich und denken an
Ihre eltern die Sie in
dieses land hineingeboren haben und Sie hängen hier herum und
Sie besitzen eigentlich
nichts mehr und Sie sind zu allem überfluß auch noch
verkrüppelt...
...
(25)
denn in diesem land ist ja bekanntlich
alles verkrüppelt...
Fein: Wo ist H.? Warum ist er nicht zurückgekommen?
Schwester: Sie haben ihn verlegt. Vielleicht in ein anderes Krankenhaus.
Eins: Nein, zur Nachbetreuung auf die Intensivstation. Nur für kurze Zeit.
Schwester: Sie müssen es wohl schon wieder besser wissen!
Eins: Der
Professor hat es mir gesagt. In die Intensivstation...
...
da hat er drei Schwestern für sich allein, die sich nur um ihn
kümmern,
...
viel schönere als hier.
Schwester (weist auf den Neuen, der manchmal nach Luft schnappt): Ich glaube, es geht ihm nicht gut. Sie sollten sich um ihn kümmern, Herr Eins. (Sie geht.)
Eins (geht zu ihm hin und beugt sich über ihn): Was ist mit dir? Fühlst du dich nicht wohl?
Der Neue (stöhnt): (26) Kuppelbauten, Leichenberge... Auch wir - wir haben den Krieg zurück in die Gedärme geholt
Eins: Denk
an etwas anderes. Zum Beispiel wohin du nach deiner
Entlassung gehen wirst.
...
Nach Hawai vielleicht.
(Der Neue stöhnt.)
...
(10)
Hawai... Hawai...
...
(10)
da blühen die Zitronen, die Ananas, die
Pfirsiche, die Feigen, die Datteln, die Bananen, alles zusammen!
...
(10)
Ich habe einen Matrosen gekannt, der ist
auf Hawai gewesen. Er hatte einen Stock,
...
(10)
einen alten niederländischen Knotenstock.
Auf Hawai ließ er ihn stehen. Aus Versehen.
...
(10)
Er hatte sich so auf den Stock gestützt,
als er, wie man sich denken kann, ein Mädchen sah... die
Mädchen von Hawai...
...
(10)
Kurz und gut, so einem Mädchen ging er
nach, den Stock ließ er stehen. Nach einem Jahr, das
Schicksal des Matrosen wollte es so,
kam er wieder nach Hawai...
...
(10)
Der Stock, den er aus Versehen hatte stehen
lassen, der alte niederländische Knotenstock: er
blühte.
Der Neue stöhnt wieder und schnappt nach Luft.
Eins (nimmt seinen Kopf in die Hände): (27) Du sitzt auf deinem wunderschönen Hengst. Es ist ein herrlicher Frühlingstag. Wir reiten durch die Wälder. Die Schlüsselblumen sind aufgegangen, der Himmel ist strahlend blau.
Der Neue stöhnt.
Eins (fast beschwörend): (28) Du sitzt auf deinem schönen Hengst Appaloosa; ein wunderbarer Frühlingstag, wir reiten durch die Wälder. Die Glockenblumen blühen, der Himmel ist zartblau...
Der Neue (versucht sich aufzurichten und stöhnt stockend): Bin ich - jetzt - auf der Intensiv? Ich habe auch - drei Schwestern. - Siehst du sie?
Eins: Ja.
1. Schwester: (10) Ich bringe von Kuba den ersten Kaffee.
2. Schwester: (10) Ich bin das Mädchen, das du nie berührt hast...
3. Schwester: (10) Ich bringe dir die Früchte: Ananas, Pfirsich, Feigen, Trauben; es sind die Früchte des nächsten, des kommenden Jahres.
1. Schwester: (10) Ich bringe dir die Bücher: Sophokles, Virgil, Konfuzius, Byron, Cervantes und alles, was du noch einmal hättest lesen wollen.
2. Schwester: (10) Ich bringe dir den Wein, den du verschüttet hast.
3. Schwester: (10) Ich bin der Tod.
Der Neue schließt seine Augen und stirbt. Eins legt seinen Kopf behutsam auf das Kopfkissen.
Fein: Was ist mit ihm?
Eins: Er schläft.
Fein: (14) Und was sei der
Sinn des ganzen
frage ich mich frage ich dich...
(14)
und was der Sinn des ganzen eigentlich sei,
sei es die Darstellung einer ganz spezifischen Unerbittlichkeit, einer
Unerbittlichkeit
nämlich die sich selbst abnagt wie ein Hund einen Knochen
abnagt ...
(14)
bis zum Mark und dergleichen...
Eins: (16) Die Tränen der Welt sind unvergänglich. Für jeden, der anfängt zu weinen, hört irgendwo ein anderer auf. Genauso ist es mit dem Lachen.
Fein (stockend): (10) Ich
möchte ihn...
...
(10)
kennenlernen, ihn, der mein anderes Leben
führt. Nur dies. Ich möchte wissen, wie es ihm
ergangen ist.
...
(10)
Ich möchte hören, was ich alles nicht
erlebt habe.
...
(10)
Ich möchte sehen wie mein Leben hätte
aussehen können. Nur dies. (Er
atmet schwer.)
Eins: (10) Ich kenne eine
Muschel, die es nicht gibt, eine
Muschel, die man nur denken kann, so schön ist sie...
(Fein hat die Augen weit aufgerissen und
versucht sich aufzusetzen.)
Eins: (10) ...so schön ist sie, und wenn man an den Küsten aller Meere streifte und wenn man Tausende und Hunderttausende von Muscheln eröffnete, sie alle zusammen, nie sind sie so schön, wie die Muschel, die man sich denken kann...
Fein fällt zurück und stirbt. Eins dreht die Infusion ab und drückt ihm die aufgerissenen Augen zu.
Eins: (10) ...nie sind sie so schön. -
Er geht langsam zum Fenster und blickt hinaus.
Eins (nach
längerer Pause): (29)
...weinen können,
ausleeren das Vergangensein,
die Geburt über meine Seele
fließen lassen,
weinen können
eine Nacht lang.
...
(29)
Neusein lang, die Augen öffnen
für eine andere Zeit,
leben will ich,
eine Nacht lang leben.
Eins dreht sich um,
geht zum Bett und klingelt der Schwester. Dann setzt
er sich wieder vors Schachbrett und macht einen Zug.
Die Schwester kommt und zieht das Leintuch über die
Köpfe der Gestorbenen.
Schwester: Und, Dr. Eins, haben Sie den beiden noch etwas mitgegeben von Ihrer Weisheit?
Eins: (30) Sie
gehören nur mehr sich
selbst...
...
(30)
Am meisten mit sich selbst
Beschäftigen sich die Sterbenden.
Sie läßt man.
...
(30)
Man überredet sie nicht mehr.
Man verschont sie mit Vorwürfen.
...
(30)
Sie sind außer der Gemeinschaft:
Sie haben zu lernen aufgehört.
...
(30)
Man verbessert nichts mehr an ihnen.
Die Schwester führt das Bett von Fein hinaus. Eins grübelt über seinem Schachspiel. Nach einiger Zeit kommt die Schwester wieder.
Schwester (während sie die Nachtkästchen ausräumt): Spielen Sie eigentlich gegen sich selbst?
Eins: In
gewisser Weise, ja.
Aber meistens stelle ich mir etwas ganz anderes vor.
...
Das Brett ist das Meer in all seinen Blautönen. Die Figuren
sind die Stadt mit ihren
Dächern, Mauern, Treppen und Kuppeln...
...
Und wenn ich eine Figur am Brett verschiebe, so denke ich,
daß ins Meer hinausgebaut
wird, ein Leuchtturm vielleicht, ein Turm in weichen Formen, der in
Harmonie verschmilzt
mit den Wogen des Meeres.
...
Eines Tages werde ich dieses Bild malen.
Schwester: Wollen Sie auch eine Ausstellung machen?
Eins: (31) Einstweilen
kann ich nur mit etwas
Bauernmalerei auf Möbeln dienen.
(Zynisch:) (31)
Aber in der Pension komme ich
ganz groß raus.
Die Schwester führt das zweite Bett weg. Eins sitzt immer noch am Schachbrett, als sie mit drei neuen Patienten wiederkommt.
Schwester:
So, das ist Ihr Zimmer, meine Herren, Ihr Reich sozusagen. Und das
ist Herr Eins, er hat die Behandlung schon hinter sich. Er wird in den
nächsten Tagen
entlassen.
...
Er wird Ihnen alles erklären.
Die drei Patienten stehen unschlüssig da. Eins steht auf, geht auf sie zu und schaut einem genau ins Gesicht.
Eins:
Gelbsucht, nicht wahr?
Der Gallengang ist verstopft.
...
War bei mir genauso. Gelb war ich wie ein Kanarienvogel. Und schwach.
Und verzweifelt.
Aber so plötzlich wie es gekommen ist, ist es auch schon
wieder vorüber. Und jetzt werde
ich bald entlassen - als gesund entlassen - und keiner konnte sich das
vorher vorstellen.
Ich selbst am allerwenigsten.
1. Patient: Sind Sie operiert worden?
Eins:
Operiert? Ach nein. (Er weist auf seinen
rechten Oberbauch.) Lokale Betäubung - kleiner
Stich - Stent rein - Galle fließt
wieder.
Da schauen Sie! (Er zieht sein Unterlid
hinunter.) Alles weg. Nichts
mehr gelb. Alles schön sauber! -
Und so einfach.
1. Patient: Was ist das, ein Stent?
Eins: Ein
kleines Metallgitter-Röhrchen, das stecken sie einfach
durch den Katheter in den Gallengang.
...
Die Medizin heutzutage, die kann das alles. Und in diesem Krankenhaus
sind sie besonders
gut.
2. Patient: Ich habe Lungenkrebs.
Eins: War bei mir genauso. Alles kein Problem. Ein paar Bestrahlungen. Na gut, ein paar Tage ist man ein bißchen müde - aber da muß man durch.
3. Patient: Bei mir haben sie schon alles versucht. Aber mir kann nur noch Gott helfen. Die Wissenschaft ist am Ende.
Eins: War
bei mir genauso. Alles kein Problem.
(16)
Auf Grund der sich aus den letzten
öffentlichen Arbeiten von Poincon und Wattmann ergebenden
Existenz eines persönlichen
Gottes...
(16)
mit weißem Bart...
(16)
außerhalb von Zeit und Raum der aus der
Höhe seiner göttlichen Apathie göttlichen
Athambie göttlichen Aphasie uns gern hat bis
auf einige Ausnahmen man weiß nicht warum aber das kommt noch
und so wie die göttliche
Miranda leidet mit denen die man weiß nicht warum ...
...
(Er wird dabei langsam immer lauter.)
(16) aber
greifen wir nicht vor und andererseits in Anbetracht
daß im Anschluß an die unvollendeten Forschungen
aber greifen wir nicht vor die
unvollständigen Forschungen nichtsdestoweniger
prämiiert von der anthropopopometrischen
Akakakakademie in Burg am Berg von Testu und Conard festgestellt wurde
bei Ausschaltung
aller Fehlerquellen bis auf die von den menschlichen Berechnungen
untrennbaren Irrtümer
daß im Anschluß an die unvollendeten unvollendeten
Forschungen von Testu und Conard
festgestellt gestellt gestellt wurde was folgt was folgt...
(Zunehmendes Erstaunen bei den drei
Patienten)
(16) was
nämlich folgt aber greifen wir nicht vor man weiß
nicht warum im Anschluß an die Arbeiten von Poincon und
Wattmann es ebenso klar erscheint
wie im Hinblick auf die Bemühungen Fatovs und Belchers
unvollendet unvollendet man weiß
nicht warum von Testu und Conard unvollendet unvollendet wird deutlich
daß der Mensch...
(Die drei Patienten weichen
zurück.)
(16)
daß der Mensch in Kürze trotz der Fortschritte der
Ernährung und der Abschaffung des Stuhlgangs im Begriff ist
abzumagern und zugleich
parallel verlaufend...
(Er schreit inzwischen laut.)
(16) man
weiß nicht warum trotz der Blüte der
Leibesübungen
der Praxis der Sportarten wie wie wie Tennis Fußball Rennen
zu Fuß und mit dem Fahrrad
Schwimmen Reiten...
(Die Schwester schaut zur Tür
herein und verschwindet gleich wieder.)
(16) Hockey zu
Lande zu Wasser in der Luft Penizillin und
Surrogate kurz ich wiederhole zugleich parallel verlaufend kleiner zu
werden man weiß
nicht warum trotz Tennis ich wiederhole Fliegen Golf mit neun und mit
achtzehn Löchern
Tennis auf Eis kurz man weiß nicht warum warum am Rhein Rhein
und Ruhr Rhein und Main
Main und Ruhr zugleich parallel verlaufend man weiß nicht
warum abzumagern einzulaufen
ich wiederhole Ruhr Main kurz mit glattem Verlust pro Nase seit
Gottscheds Tod von zwei
Finger hundert Gramm pro Nase grob gesagt durchschnittlich
ungefähr runde Zahlen gutes
Gewicht Lebendgewicht ohne Schuhe in Oldenburg man weiß nicht
warum kurz endlich gar
nicht wichtig die Dinge sind so und wenn man andererseits bedenkt was
noch schlimmer ist
daß daraus hervorgeht was noch schlimmer ist...
(Die Schwester ist inzwischen mit dem
Professor zurückgekommen. Der
schickt sie gleich wieder weg.)
(16) ich
wiederhole man weiß nicht warum trotz Tennis die
Dinge sind so man weiß nicht warum ich wiederhole zum
folgenden kurz endlich leider
leider zum folgenden für die Steine wer kann daran zweifeln
ich wiederhole aber greifen
wir nicht vor ich wiederhole der Kopf gleichzeitig parallel verlaufend
man weiß nicht
warum trotz Tennis zum folgenden der Bart die Flammen die
Tränen die Steine so blau so
ruhig leider leider der Kopf der Kopf der Kopf der Kopf in Oldenburg
trotz Tennis
Bemühungen aufgegebene unvollendete noch schlimmer die Steine
kurz ich wiederhole leider
leider aufgegebene unvollendete der Kopf der Kopf in Oldenburg trotz
Tennis der Kopf
leider leider die Steine Conard Conard...
(Zwei Wärter stürzen ins
Zimmer, dahinter die Schwester. Handgemenge. Sie
stecken Eins in eine Zwangsjacke und zerren ihn hinaus,
während dieser noch einige Worte
ausstößt.)
Apathie Aphasie Penizillin Ruhr Stuhlgang Stuhlgang Stuhlgang
Professor (zur Schwester): (32) er hatte gewußt daß es so kommen würde, er hatte jahrelang für diese existenzform trainiert. jahrelang hatte er sich ausschließlich dem studium dieser geschöpfe gewidmet dieser geschöpfe von denen eins zu werden ihm seiner meinung nach schon von anfang an bestimmt gewesen sein muß. seine gesamten größtenteils aus familienbesitz stammenden ersparnisse hatte er diesem studium geopfert.
Schwester: Ich habe ihn nie gemocht. Er hat immer nur an sich gedacht.
Professor (zu den drei
Patienten): Keine Sorge, meine Herren, er
hat nur seine schnelle Genesung noch nicht verkraftet. In ein paar
Tagen ist alles vorbei.
-
Hoffentlich geht es bei Ihnen auch so rasch.
Der Vorhang fällt.
(1) Johannes Jansen: zukunft. In: Heimat. Abgesang. Mehr geht nicht. Ansätze. edition suhrkamp, Neue Folge Band 932, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995.
(2) Johannes Jansen: äußerung einer gestalt im cafe kaskade brandenburg (september 86). In: Heimat. Abgesang. Mehr geht nicht. Ansätze. edition suhrkamp, Neue Folge Band 932, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995.
(3) Friederike Mayröcker: während die Fußspuren : Füße auf dem Boden zurückbleiben. In: Magische Blätter IV. edition suhrkamp, Neue Folge 954, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995.
(4) Auszug aus einem Originalbefund vom 9.6.1998.
(5) Günter Eich: Kleine Reparatur. In: Botschaften des Regens. Gedichte. edition suhrkamp 3306, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main. Einmalige Sonderausgabe 1996.
(6) Günter Eich: Betrachtet die Fingerspitzen. In: Botschaften des Regens. Gedichte. edition suhrkamp 3306, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main. Einmalige Sonderausgabe 1996.
(7) Berthold Brecht: Ballade zu Paragraph 218. In: Der Schnaps ist in die Toiletten geflossen. Berlin 1924 - 1933. edition suhrkamp, Neue Folge Band 833, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1994.
(8) Berthold Brecht: Baal. Drei Fassungen. edition suhrkamp 170, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1966.
(9) Dagmar Havlova über Vaclav Havel. In: Wir reifen an jeder Prüfung. News 18, 29.4.1998.
(10) Max Frisch: Santa Cruz. Eine Romanze. In: Frühe Stücke. edition suhrkamp 154, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1966.
(11) Ausschnitt aus einem Original- Aufklärungsformular (perimed).
(12) Katechismus der Katholischen Kirche. Oldenbourg Verlag, München 1993.
(13) Peter Handke: Selbstbezichtigung. In: Publikumsbeschimpfung und andere Sprechstücke. edition suhrkamp 3312, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1966.
(14) Friederike Mayröcker: Entfachung. In: Magische Blätter IV. edition suhrkamp, Neue Folge 954, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995.
(15) Peter Handke: Weissagung. In: Publikumsbeschimpfung und andere Sprechstücke. edition suhrkamp 3312, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1966.
(16) Samuel Beckett: Warten auf Godot. edition suhrkamp 3301, Suhrkamp Verlag, Berlin und Frankfurt am Main. Einmalige Sonderausgabe 1996.
(17) Aus dem Lesebuch für Städtebewohner. In: Der Schnaps ist in die Toiletten geflossen. Berlin 1924 - 1933. edition suhrkamp, Neue Folge 833, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1994.
(18) ärztemagazin 21/98, 23.5.1998.
(19) Nun singen sie wieder. Versuch eines Requiems. In: Frühe Stücke. edition suhrkamp 154, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1966.
(20) Eva Kohlrusch: Anruf in der Nacht. In: Und überhaupt... täglich Alles, 8.5.1998.
(21) Niccolo Machiavelli: Der goldene Esel, Erster Gesang. In: Machiavelli für Manager. insel taschenbuch 1733, Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1995.
(22) Friederike Mayröcker: nein / nichts. In: Magische Blätter IV. edition suhrkamp, Neue Folge 954, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995.
(23) Friederike Mayröcker: etcetera. In: Magische Blätter IV. edition suhrkamp, Neue Folge 954, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995.
(24) Johannes Jansen: chronik. In: Heimat. Abgesang. Mehr geht nicht. Ansätze. edition suhrkamp, Neue Folge Band 932, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995.
(25) Johannes Jansen: herkunft. In: Heimat. Abgesang. Mehr geht nicht. Ansätze. edition suhrkamp, Neue Folge Band 932, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995.
(26) Dieter M. Gräf: Rauschstudie: Vater+Sohn. Gedichte. edition suhrkamp, Neue Folge Band 888, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1994.
(27) Paul McCartney zu seiner sterbenden Frau Linda. In: Sie war die Liebe meines Lebens und bleibt es. News 18, 29.4.1998.
(28) Paul McCartney zu seiner sterbenden Frau Linda. In: Rätsel um Lindas Tod: Sterbehilfe? täglich Alles, 24.4.1998.
(29) Wolfgang Hohenwallner: Ich will eine Nacht weinen. In: Im Aufwind der alles umarmt. Lyrik und Prosa. Edition Kalliope, Krems 1997.
(30) Berthold Brecht: Sie gehören nur mehr sich selbst. In: Der Schnaps ist in die Toiletten geflossen. Berlin 1924 - 1933. edition suhrkamp, Neue Folge Band 833, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1994.
(31) Paul Pürgyi im persönlichen Gespräch mit dem Autor.
(32) Johannes Jansen: herabgekommen. In: Heimat. Abgesang. Mehr geht nicht. Ansätze. edition suhrkamp, Neue Folge Band 932, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995.
© dieser Textkollage: 1999 Werner Horvath, Linz.