Werner Horvath: "Blumen-Gesicht", Gemälde im Stil des neuen bildenden Konstruktivismus
Bei dem vorliegenden Bühnenstück handelt es sich zum Teil um eine Textkollage. Dazu verwendete Ausschnitte aus anderen Werken sind durch eine vorangestellte Zahl erkennbar, welche in der Bibliographie auch die jeweilige Quelle angibt. Die Zitate, insbesonders die Ausführungen Geisteskranker ("Psychopathologische Texte"), wurden größtenteils wörtlich übernommen, inklusive etwaiger grammatikalischer Fehler und solcher der Rechtschreibung.
In
einem Therapieraum, offensichtlich in einer Irrenanstalt. An einer
gepolsterten Tür lehnen zwei grobschlächtige
Wärter.
Im Raum selbst steht ein großer Tisch mit Papier und
Malgefäßen, Farbstiften und
Pinseln. Auf Staffeleien sind leere Leinwände
unterschiedlichen Formats plaziert.
Säbelmann:
Also, meine Herren, frisch ans
Werk ! Es ist wieder
Zeit, etwas zu schaffen !
...
Also, als Ihr Therapeut sage ich, und Sie wissen, mein Wort hat ein
gewisses Gewicht, Sie
sollten etwas tun, eben etwas schaffen, etwas schöpfen.
...
Ich meine, ich bin nicht umsonst Ihr Betreuer, sozusagen Ihr Animator.
Ich - Dr.Säbelmann
- weiß, wovon ich spreche. Glauben Sie mir, es wird Ihnen
guttun, wenn Sie sich
künstlerisch betätigen. Und wer weiß,
vielleicht werden Sie noch berühmt mit Ihren
Werken. Vielleicht werden Sie eines Tages noch entdeckt - und reich !
Stellen Sie sich
vor, was Sie sich dann alles in unserer Anstaltskantine kaufen
können !
Eins (1): Die Kunst ist eine private Sache, der Künstler macht sie für sich; ein verständliches Werk ist das Produkt eines Journalisten.
Säbelmann: Ich meine ja nur, daß Sie beachtet werden, gelobt werden. - Vorausgesetzt, Sie schaffen etwas.
Eins (1): Der Autor, der Künstler, der von den Zeitungen gelobt wird, stellt das Verständnis seines Werkes fest: elendes Futter eines allgemeinnützigen Mantels; Fetzen, die die Brutalität bedecken, Pisse, die zur Wärme eines niedrige Instinkte ausbrütenden Tieres beiträgt. Welkes und geschmackloses Fleisch, das sich mit Hilfe typographischer Mikroben vervielfältigt.
Zwei: Da kann ich Ihnen gar nicht
zustimmen.
...
(2)
Kunstwerke sind jedermann bekannt. Bau- und
Bildwerke findet man auf öffentlichen Plätzen, in den
Kirchen und in den Wohnhäusern
angebracht. In den Sammlungen und Ausstellungen sind Kunstwerke der
verschiedensten
Zeitalter und Völker untergebracht. Wenn wir die Werke auf
ihre unangetastete
Wirklichkeit hin ansehen und uns selber dabei nichts vormachen, dann
zeigt sich: Die Werke
sind so natürlich vorhanden wie Dinge sonst auch.
Säbelmann: Sie meinen, ein Kunstwerk sei nichts Besonderes ? Ein Kunstwerk sei nur ein Ding ? Und wo bleibt die Schöpferkraft ? - DAS eben ist sein Wesen !
Zwei (2):
Das, was etwas ist, wie es ist,
nennen wir sein Wesen. Der Ursprung von etwas ist die Herkunft seines
Wesens. Die Frage
nach dem Ursprung des Kunstwerks fragt nach seiner Wesensherkunft.
...
(2)
Das Werk entspringt nach der gewöhnlichen
Vorstellung aus der und durch die Tätigkeit des
Künstlers. Wodurch aber und woher ist
der Künstler das, was er ist ? Durch das Werk, denn,
daß ein Werk den Meister lobe,
heißt: das Werk erst läßt den
Künstler als einen Meister der Kunst hervorgehen.
Säbelmann: Wie meinen Sie das ? Was ist also zuerst ? Der Künstler oder das Kunstwerk ?
Zwei (2): Der Künstler ist der Ursprung des Werkes. Das Werk ist der Ursprung des Künstlers. Keiner ist ohne das andere.
Eins: Ein Kreisschluß sozusagen, ein Circulus vitiosus. So unsinnig wie die Frage nach dem Zuerst von Henne und Ei.
Zwei (2): Keines ist ohne das andere. Gleichwohl trägt auch keines der beiden allein das andere. Künstler und Werk SIND je in sich und in ihrem Wechselbezug durch ein Drittes, welches das erste ist, durch jenes nämlich, von woher Künstler und Kunstwerk ihren Namen haben, durch die Kunst.
Säbelmann (zu dem abgewandt an der Wand stehenden Unnützer): Und was sagen Sie dazu, Unnützer ? Sie haben noch gar nichts beigetragen !
Unnützer (nuschelt): Was soll ich dazu schon sagen...
Säbelmann: Na, zum Beispiel was Sie davon halten. Was ist denn nun Ihrer Meinung nach Kunst ?
Unnützer (dreht sich um) (3): Einem vom Schöpfer geschenkten Talent und der Anstrengung des Menschen entstammend, ist die Kunst eine Form der praktischen Weisheit. In ihr vereinen sich Erkenntnis und Können, um der Wahrheit einer Wirklichkeit in einer dem Sehen oder dem Hören verständlichen Sprache Gestalt zu verleihen. Soweit sich die Kunst von der Wahrheit der Geschöpfe und der Liebe zu ihnen inspirieren läßt, weist sie eine gewisse Ähnlichkeit mit der Tätigkeit Gottes in der Schöpfung auf.
Säbelmann: Ja, es
hängt insofern mit der Schöpferkraft
zusammen,
...
(4)
daß das telencephale Geschehen in keiner
Proportion zum thalamischen Moment steht, also das telencephale,
elektronal verbindende
Moment, das assoziative Moment, besonders der zytoarchitektonischen
Rindenfelder steht in
keiner Proportion zum Thalamus oder gar zum Hypothalamus, zum
Zwischenhirn.
Unnützer (3):
Das Tun des Guten ist mit
geistiger Freude und moralischer Schönheit verbunden.
Desgleichen bringt die Wahrheit
Freude und den Glanz geistiger Schönheit mit sich.
...
(3)
Weil der Mensch nach dem Bilde Gottes
geschaffen ist, bringt er die Wahrheit seiner Beziehung zu Gott, dem
Schöpfer, auch durch
die Schönheit seiner Kunstwerke zum Ausdruck.
Eins (5):
Was ist das SCHÖNE, die WAHRHEIT,
die KUNST, das GUTE, die FREIHEIT ? Worte, die für jeden
einzelnen etwas anderes
bedeuten, Worte, die den Anspruch erheben, zwischen aller Welt
Einhelligkeit zu stiften.
...
(5)
Worte, die nicht die Kraft haben, die man
gewohnt war, in ihnen zu finden. Ihre Bedeutung wechselt von einem
Individuum zum anderen,
von einem Land zum anderen. Die Menschen sind verschieden.
Unnützer (3):
Zu übersehen, daß der Mensch
eine verwundete, zum Bösen geneigte Natur hat, führt
zu schlimmen Irrtümern.
...
(3)
Durch die Sünde der Stammeltern hat der
Teufel eine gewisse Herrschaft über den Menschen erlangt.
Eins (5):
Wenn man arm an Geist ist, besitzt
man eine sichere, unerschütterliche Intelligenz, eine grimmige
Logik, einen
unverrückbaren Standpunkt.
...
Und..
...
(5)
die Intelligenz ist eine Organisation wie
jede andere. Sie dient dazu, Ordnung zu schaffen, dorthin Klarheit zu
bringen, wo keine
ist.
Unnützer (3): Die Macht Satans ist aber nicht unendlich. Er ist bloß ein Geschöpf; zwar mächtig, weil er reiner Geist ist, aber doch nur ein Geschöpf: er kann den Aufbau des Reiches Gottes nicht verhindern. (Er wendet sich wieder zur Wand.
Eins: Auch wenn Sie sich abwenden, das
kann man so nicht stehen lassen.
(6)
Wir alle, jeder von uns auf seine Weise,
befinden uns auf einer unablässigen, wenn auch oft ganz
unbewußten Suche nach dem Sinn
der uns umgebenden Geschehnisse, und wir alle neigen dazu, selbst
hinter den
verhältnismäßig unbedeutenden
Vorgängen unseres täglichen Lebens das Wirken einer
höheren Macht, sozusagen eines metaphysischen Versuchsleiters,
zu sehen.
...
Doch seien Sie vorsichtig !
...
(6)
Wenn sich einmal eine grundlegende Prämisse
ausgebildet und gefestigt hat, ergibt sich der Rest der
blühenden Wahnvorstellung fast
zwanglos aus anscheinend durchaus logischen Schlußfolgerungen
von dieser einen absurden
Prämisse.
Säbelmann (4): Ja, eine geistige Störung ist eigentlich eine Erklärung oder durch eine Erklärung möglich eines stetigen Darauftrommelns auf den Thalamus, besonders auf den Nucleus medialis lateralis thalami, ohne das Telencephalon in Anspruch zu nehmen.
Eins: Was ist denn der Unterschied zwischen Wahn und Vernunft ? - Manchmal würde ich es gerne wissen !
Säbelmann (4):
Der Unterschied zwischen Wahn
und Vernunft ist ein treppenartiger Stellungswechsel unter... von jedem
Gebiet aufs
andere, also von Treppe auf Treppe und unter Ausschaltung mancher
Treppen, also unter
Überspringung einiger Treppen und manchmal Stolpern
darüber.
...
Aber..
...
wir reden nur. Wir sollten etwas schaffen !
...
Zwei, was könnten Sie zum Beispiel schaffen ?
Zwei: Ein Bild vielleicht. Ich möchte ein Bild malen. Aber ich bin kein Maler. Ich kann das nicht.
Eins (5):
Die Maler, die Techniker, die das
sehr gut machen, was ein Photoapparat noch viel besser aufnimmt, werden
das Spiel
fortsetzen. Wir werden das unsere spielen. Wir wissen weder warum noch
wie. Mit all dem,
was uns in die Hände gerät. Es wird SCHLECHT GEMACHT
sein, aber das ist uns schnuppe.
...
Also, keine Furcht !
Zwei: Aber ich habe Furcht !
...
(7)
Das WOVOR der Furcht, das
"Furchtbare" ist jeweils ein innerweltlich Begegnendes von der Seinsart
des
Zuhandenen, des Vorhandenen oder des Mitdaseins.
...
Das Wovor der Furcht hat den Charakter der Bedrohlichkeit.
Eins: Was soll die Malerei schon Bedrohliches haben ! Sie hat nicht eine der drei Voraussetzungen einer erfolgreichen Drohung !
Säbelmann: Welche drei Voraussetzungen ?
Eins (6): Erstens: Sie muß glaubhaft, das heißt hinlänglich überzeugend sein, um ernstgenommen zu werden.
Säbelmann: Ha, ist die Malerei nicht ernst genug ?
Eins (6): Zweitens: Sie muß ihr Ziel, also den zu Bedrohenden, erreichen.
Säbelmann: Und das tut sie auch nicht ?
Eins (6): Drittens: Der Bedrohte muß imstande sein, der Drohung nachzukommen. Wenn auch nur eine dieser Voraussetzungen nicht gegeben ist oder verunmöglicht werden kann, ist die Drohung wirkungslos.
Zwei: Und dennoch ist da die Furcht.
...
(7)
Das WORUM die Furcht fürchtet, ist das sich
fürchtende Seiende selbst, das Dasein. Nur Seiendes, dem es in
seinem Sein um dieses
selbst geht, kann sich fürchten. Das Fürchten
erschließt dieses Seiende in seiner
Gefährdung, in der Überlassenheit an es selbst. Die
Furcht enthüllt immer, wenn auch in
wechselnder Ausdrücklichkeit, das Dasein im Sein seines Da.
Säbelmann (8): Der Tod hat im Leben viele ereignisse in Ewigkeit ist er ein einfaches.
Eins (9): Der Tod ist kein Ereignis des Lebens. Den Tod erlebt man nicht.
Zwei (7):
Der Tod im weitesten Sinn IST ein
Phänomen des Lebens.
...
(7)
Der Tod ist eine Seinsmöglichkeit, die je
das Dasein selbst zu übernehmen hat. Mit dem Tod steht sich
das Dasein selbst in seinem
eigensten Seinskönnen bevor.
...
(7)
Der Tod ist die Möglichkeit der
schlechthinnigen Daseinsunmöglichkeit.
...
(7)
Der Tod als Ende des Daseins ist die
eigenste, unbezügliche, gewisse, und als solche unbestimmte,
unüberholbare Möglichkeit
des Daseins. Der Tod ist als Ende des Daseins im Sein dieses Seienden
ZU seinem Ende.
Unnützer (dreht sich abrupt um) (3): Der Tod
setzt dem Leben des Menschen, das heißt der Zeit, in der
dieser die in Christus
geoffenbarte göttliche Gnade annehmen oder
zurückweisen kann, ein Ende.
...
(3)
Jeder Mensch empfängt im Moment des Todes in
seiner unsterblichen Seele die ewige Vergeltung.
Eins (9):
Die zeitliche Unsterblichkeit der
Seele des Menschen, das heißt ihr ewiges Fortleben nach dem
Tode, ist nicht nur auf keine
Weise verbürgt, sondern vor allem leistet diese Annahme gar
nicht das, was man immer mit
ihr erreichen wollte. Wird denn dadurch ein Rätsel
gelöst, daß ich ewig fortlebe ? Ist
denn dieses ewige Leben dann nicht ebenso rätselhaft wie das
gegenwärtige ? Die Lösung
des Rätsels des Lebens in Raum und Zeit liegt AUSSERHALB von
Raum und Zeit.
(Unnützer geht pfeifend auf und ab.)
...
(9)
Wie die Welt ist, ist für das Höhere
vollkommen gleichgültig. Gott offenbart sich nicht in dieser
Welt.
Zwei: Doch die Angst bleibt.
...
(7)
Das Wovor der Angst ist die Welt als solche.
...
(7)
Wenn sich demnach als das Wovor der Angst das
Nichts, das heißt die Welt als solche herausstellt, dann
besagt das: wovor die Angst sich
ängstet, ist das In-der-Welt-sein selbst.
...
Deshalb kann ich keine Bilder machen.
Säbelmann (10):
An den Arbeitstagen streift
einem
manchmal der Tod man muß aufpassen
Eine Linderungsform für Tod ist Sterben.
Eins (zu Zwei): Und doch kannst du es.
(Unnützer
legt sich auf den Boden.)
...
(1)
Ein Bild ist die Kunst, zwei geometrisch als
parallel festgestellte Linien zum Treffen zu bringen, auf einer
Leinwand, vor unseren
Augen, in der Wirklichkeit einer nach neuen Bedingungen und
Möglichkeiten übertragenen
Welt.
...
(1)
Werk von Schöpfern, entsprungen aus einer
echten Notwendigkeit des Autors, und für ihn. Erkenntnis eines
höchsten Egoismus, in dem
die Gesetze verkümmern.
Zwei: So egoistisch kann ich das nicht
sehen.
...
(9)
Das Bild ist ein Modell der Wirklichkeit. Den
Gegenständen entsprechen im Bild die Elemente des Bildes. Die
Elemente des Bildes
vertreten im Bild die Gegenstände. Das Bild besteht darin,
daß sich seine Elemente in
bestimmter Art und Weise zu einander verhalten.
Eins: Gut - angenommen das wäre so. Dann bestehlen sich die Maler in ihrer gegenseitigen Beeinflussung ständig selbst - sie sind sozusagen Selbstkleptomanen.
Zwei: Warum das ?
Eins (11): Derjenige, der Elemente eines Individuums stiehlt, ist ein Kleptomane. Er bestiehlt sich auch selbst. Er läßt die Charakterzüge verschwinden, die ihn von der Gemeinschaft entfernen.
Zwei: Mag sein. Doch...
...
(9)
Das Bild ist eine Tatsache.
Daß sich die Elemente des Bildes in bestimmter Art und Weise
zu einander verhalten,
stellt vor, daß sich die Sachen so zu einander verhalten.
...
(9)
Das Bild ist SO mit der Wirklichkeit
verknüpft; es reicht bis zu ihr.
Eins (6):
Die Geschichte der Menschheit zeigt,
daß es kaum eine mörderische, despotischere Idee
gibt als den Wahn einer
"wirklichen" Wirklichkeit...
...
(6)
...mit all den schrecklichen Folgen, die sich
aus dieser wahnhaften Grundannahme dann streng logisch ableiten lassen.
...
Und - seien Sie ehrlich - wenn etwas im großen nicht
funktioniert, warum sollte es im
kleinen klappen ?
Zwei: Doch aus Ihren Worten spricht
auch die Angst. Sie brauchen
aber keine Angst zu haben -
Ich male kein Bild.
(Ein Klingelzeichen ertönt.)
Eins: Ich muß ohnenhin jetzt gehen. Es ist wieder Zeit für mich.
Unnützer (erhebt sich): Für mich auch. Also dann - bis morgen.
Die beiden gehen unbehelligt an den Wärtern vorbei durch die Polstertüre.
Der Vorhang fällt.
Amt des Krankenhausverwalters. Hinter einem mächtigen Schreibtisch sitzt ein kleines Männchen und betrachtet ein Männermagazin. Als Schritte nahen, läßt er das Heft in einer Lade verschwinden. Es klopft kurz, dann treten Eins und Unnützer ein.
Verwalter: Ah, Dr. Eins und der Herr Pfarrer ! Nun - wie war es heute ? Sind Fortschritte bei unseren Patienten zu bemerken ?
Unnützer: Gott sei mit Ihnen, Herr Verwalter ! Also - wenn Sie mich fragen - ich kann keine Fortschritte erkennen. Aber Dr. Eins ist mir ja auch nicht gerade eine Hilfe. Eher im Gegenteil - manchmal habe ich den Eindruck, er unternimmt alles, damit sich der wahre Glauben und die ewige Wahrheit NICHT durchsetzen können. Er ist sozusagen kontraproduktiv.
Eins: Das beruht wohl auf
Gegenseitigkeit.
...
Aber, auch ich habe es schwer.
Verwalter: Und wo liegen Ihre Probleme ?
Eins: Nun, es geht im Prinzip um
folgendes:
(6)
Wie immer man den Begriff der psychischen
Normalität medizinisch, psychologisch oder philosophisch
untermauern will, bezieht er
sich rein praktisch auf den Grad der Wirklichkeitsanpassung des
Patienten.
Verwalter: Das ist aber doch klar, oder ?
Eins (6): Unter diesem scheinbar so klaren Begriff - jedermann weiß doch, was wirklich ist... - versteht man meist Verhalten, das im Einklang mit ganz bestimmten und grundsätzlichen Normen steht. Die wichtigste dieser vielen Normen ist, daß sie alle spontan befolgt werden sollen und nicht etwa nur deshalb, weil dem Patienten keine andere Wahl gelassen wird.
Verwalter: Natürlich, das ist doch nur menschlich - eine Höchstmaß an Freiheit - auch für Internierte.
Unnützer (3): Wahre Freiheit gibt es nur im Dienst des Guten und der Gerechtigkeit. Die Entscheidung zum Ungehorsam und zum Bösen ist ein Mißbrauch der Freiheit und macht zum Sklaven der Sünde.
Eins: Ich möchte aber auf die
Folgen hinweisen, die aus dieser
Freiheit entstehen:
(6)
Es bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als
daß sich der Patient SPONTAN richtig verhalten MUSS - solange
er das nicht tut, ist er
eben Patient und braucht weitere Hilfe. Da ihm aber diese Hilfe nicht
aufgezwungen werden
darf, bleiben nur paradoxe Beeinflussungen offen.
Verwalter: Das wird Ihnen ja nicht schwer fallen, Sie haben dies ja gelernt. Da bin ich optimistisch.
Eins: Natürlich - so sollte
es zumindest sein. Es gelingt aber
nicht stets.
(6)
Was wir aber vielmehr immer schon tun und
auch weiterhin jeden Tag und jede Minute tun werden ist, beide Seiten
des Dilemmas zu
ignorieren, indem wir uns dem ewigen Widerstand gegenüber
verschließen und leben, als
bestünde er nicht. Das Ergebnis ist jener sonderbare Zustand,
der "geistige
Gesundheit" oder - mit noch unfreiwilligerem Humor -
"Wirklichkeitsanpassung" genannt wird.
Verwalter: Jetzt sind Sie aber schon sehr philosophisch geworden ! Es fehlt nur noch, daß Sie die Frage nach dem Sinn des Lebens überhaupt stellen !
Unnützer (3): Das menschliche Leben ist heilig, weil es von seinem Beginn an der Schöpfermacht Gottes bedarf und für immer in einer besonderen Beziehung zu seinem Schöpfer bleibt, seinem einzigen Ziel. Nur Gott ist der Herr des Lebens von seinem Anfang bis zu seinem Ende.
Eins (5): Sie sagen: Ich existiere, weil Gott es will. Das ist ein Ammenmärchen. Sie werden niemals wissen, warum Sie existieren, aber Sie werden sich immer leicht dazu bringen lassen, dem Leben eine ernsthafte Bedeutung beizumessen. Sie werden niemals verstehen, daß das Leben ein Wortspiel ist, denn Sie werden nicht allein genug sein, um dem Haß, den Urteilen und all dem, was großen Einsatz verlangt, einen ausgeglichenen und ruhigen Geisteszustand entgegenzusetzen, in dem alles einander gleich und ohne Bedeutung ist.
Unnützer (3): Wird der Zweifel mit Absicht gepflegt, kann er zu geistiger Verblendung führen !
Verwalter: Aber, aber, meine Herren !
Etwas Mäßigung, wenn ich
bitten darf !
...
Schließlich haben wir alle eine Aufgabe.
...
Was glauben Sie, was in diesen Aktenschränken und (er weist auf die Lade,
in die er das Männermagazin verschwinden ließ)
in diesen Laden für Arbeit auf
Erledigung wartet ! Da bleibt keine Zeit für kleinliche
Streitigkeiten !
...
(Er lacht:) Und nachdem Sie
mir auch heute wieder die Frage nach dem
Sinn der Welt nicht ausreichend beantworten konnten, möchte
ich Sie etwas anderes fragen:
Sind wenigstens ein paar Bilder entstanden, ein paar "Kunstwerke" ?
Unsere
Klinik könnte wieder etwas Geld gebrauchen. Sie wissen schon,
Heilmittel sind teuer, und
die moderne Fachliteratur auch.
Eins: Gut' Ding braucht Weile. Wir diskutieren noch die Voraussetzungen.
Unnützer: Die Voraussetzungen
sollten längst klar sein ! Kunst
ist wahr und schön,
(3)
wenn sie durch die Form ihrer Berufung
entspricht: im Glauben und in der Anbetung das transzendente Mysterium
Gottes erahnen zu
lassen und zu verherrlichen - die unsichtbare, über alles
erhobene Schönheit der
Wahrheit und Liebe, die in Christus erschienen ist, der Abglanz von
Gottes Herrlichkeit
und Abbild seines Wesens ist, und in dem die ganze Fülle der
Gottheit leibhaftig wohnt.
Diese geistige Schönheit spiegelt sich in der seligen
Jungfrau, den Engeln...
Verwalter (unterbricht ihn): Dr. Eins,
Sie haben es gehört, Sie
sollten unsere Patienten anhalten, Jungfrauen zu malen,
möglichst schöne !
...
Gegen Engel hätte ich übrigens auch nichts, vor allem
nicht gegen weibliche.
Unnützer (12): "Engel" bezeichnet das Amt, nicht die Natur. Fragst du nach seiner Natur, so ist er ein Geist; fragst du nach dem Amt, so ist er ein Engel: seinem Wesen nach ist er ein Geist, seinem Handeln nach ein Engel.
Eins: Ja, ja, ich weiß
schon. Engel erzielen immer gute Preise.
...
Vor allem auf Hochglanzpapier.
...
Aber, ich sage es ungern, irgendwie hat der Herr Pfarrer auch wieder
recht mit seiner
Sichtweise. Es gibt ohnehin nicht viele Möglichkeiten.
...Eigentlich gibt es nur drei Möglichkeiten.
Verwalter: Und die wären ?
Eins (6): Erstens: Die Welt hat keine Ordnung. Dann aber wäre die Wirklichkeit gleichbedeutend mit Konfusion und das Leben ein psychotischer Alptraum.
Verwalter: Tendieren Sie zu dieser Meinung ?
Eins (6): Glücklicherweise bringen die meisten von uns es fertig, diese Möglichkeit zu ignorieren. Für die daran Scheiternden hält sich die Psychiatrie für zuständig.
Verwalter: Und was sind dann die anderen beiden Möglichkeiten ?
Eins (6): Zweitens: Die Wirklichkeit hat nur insofern eine Ordnung, als wir zur Milderung unseres Zustands existentieller Desinformation eine Ordnung in den Lauf der Dinge hineinlesen, uns aber nicht dessen bewußt sind, daß wir selbst der Welt diese Ordnung zuschreiben, sondern vielmehr unsere eigenen Zuschreibungen als etwas "dort draußen" erleben, das wir Wirklichkeit nennen.
Unnützer: Die Ordnung ist
gottgegeben.
(3)
In der Schöpfung hat Gott eine Grundlage und
Gesetze gelegt, die bestehen bleiben. Der Mensch muß sich
seinerseits treu an diese
Grundlage halten und die Gesetze, die Gott in die Schöpfung
eingeschrieben hat, achten.
Eins: Das wäre die dritte
Möglichkeit.
Nehmen wir an,
(6)
es besteht tatsächlich eine von uns
unabhängige Ordnung. Sie ist die Schöpfung eines
höheren Wesen, von dem wir abhängen,
das aber selbst von uns ganz unabhängig ist.
...
(6)
In diesem Fall wird KOMMUNIKATION mit diesem
Wesen zu unserer vordringlichen Aufgabe.
...
(6)
Das Malheur ist nur, daß alle diese
Anschauungen unhaltbar sind.
Verwalter: Mit anderen Worten: wieder
kein Bild. Ich mache Sie
darauf aufmerksam, Sie beide, meine Herren, Sie sägen an Ihrer
Existenz ! Was ich
erwarte, was ich von Ihnen auch erwarten darf, sind Resultate. Und das
sind nun einmal
Bilder.
...
Von mir aus auch Gedichte. Die lassen sich auch
veröffentlichen. Von irgend etwas müssen
wir ja leben.
...
Wissenschaftliche Arbeiten kann ich von unseren Patienten ja wohl nicht
erwarten.
Eins (1): Die Wissenschaft widert mich an, sobald sie zum spekulativen System wird, ihren - so unnützen - aber zumindest individuellen Charakter der Nützlichkeit verliert. Ich hasse die fette Objektivität und die Harmonie, diese Wissenschaft, die alles in Ordnung findet. Macht weiter so, Kinder, Menschen... (Unnützer hebt grüßend die Hand und geht.) Die Wissenschaft sagt, wir seien die Diener der Natur: alles ist in Ordnung, liebt euch und zerbrecht eure Köpfe.
Verwalter: Und wie wär's mit Philosophie ? Sie sind doch so ein großer Philosoph !
Eins (5):
Wozu haben uns die Theorien der
Philosophen gedient ? Haben wir mit ihrer Hilfe einen Schritt
vorwärts oder rückwärts
getan ? Was ist "vorwärts", was ist
"rückwärts" ? Haben sie die
Formen unserer Befriedigung verändert ?
...
(5)
Wir sind
...
(5)
Wir streiten, wir erregen, wir sträuben uns.
Der Rest ist Soße.
Verwalter: Damit werden wir wohl auch
nicht reich.
...
Aber ich habe noch zu tun. (Eins
überlegt, fährt sich mit dem Finger zur
Nase.)
...
Sie sicher auch.
...
Also dann, ich nehme an, daß Sie gehen wollen. (Er steht auf und gibt Eins
die Hand.)
...
Gut, dann bis 18 Uhr. - Sie haben es hoffentlich nicht vergessen, wir
haben heute
Pressekonferenz.
Eins: Wie könnte ich das vergessen. Bis 18 Uhr. (Er geht.)
Verwalter (ruft ihm nach): Und lassen Sie sich ewas einfallen !
Dann nimmt er wieder an seinem Schreibtisch Platz, holt das Magazin aus seiner Lade und breitet den Centerfold aus.
Der Vorhang fällt.
Im Vortragssaal. Vorne steht ein Tisch mit drei Sesseln, dem Saal zugewandt. Davor mehrere Stuhlreihen.
Die beiden Wärter öffnen Mineralwasserflaschen, stellen diese und Gläser auf den Tisch und rücken die Sessel zurecht. Dann tragen sie mehrere Gemälde herein und lehnen sie an die Wand.
Schließlich führt der Verwalter zwei Personen herein, einen Mann und eine Frau, offensichtlich Reporter. Die Wärter postieren sich an der Tür.
Verwalter: Bitte sehr, meine Damen und Herren, nach Ihnen. Nehmen Sie bitte Platz, es ist genug frei.
Die beiden setzen sich mit einigem Abstand nieder. Jetzt kommt Eins in den Saal, direkt gefolgt von Säbelmann.
Verwalter: Ah, der Herr Doktor. Und Herr Säbelmann, kommen Sie, setzen Sie sich hierher zu uns . (Sie setzen sich vorne hin.) Ein Wasser für Sie. (Schiebt je eine Mineralwasserflasche zu Eins und Säbelmann. Letzterer nimmt sie und trinkt sie in einem Zug leer.)
Verwalter (steht auf):
Meine Damen und Herren ! Ich darf mich zunächst einmal
bei Ihnen vorstellen: Mein Name ist Specht, ich bin der Verwalter
dieser psychiatrischen
Spezialklinik. Ich darf Ihnen in diesem Zusammenhang auch gleich
unseren behandelnden
Psychiater vorstellen, Herrn Doktor Eins, der für seine
Kunsttherapie weit über unsere
Landesgrenzen hinaus bekannt ist.
...
Dieser nette Herr hier (er zeigt auf
Säbelmann), sozusagen der
dritte im Bunde, ist ein Patient von uns. Herr Säbelmann hat
sich freundlicherweise
bereit erklärt, bei der heutigen Pressekonferenz mitzuwirken
und etwaige Fragen von Ihnen
zu beantworten. Nicht wahr, Herr Säbelmann ?
Säbelmann: Ja.
Verwalter:
Und nun zu Ihnen. Meine Damen und Herren, ich
begrüße Sie sehr herzlich als Vertreter der Presse
hier in unserer Klinik. Es sind zwar
nicht viele Reporter gekommen, aber ich darf sagen, daß die
wichtigsten gekommen sind. So
begrüße ich Frau Kalmitzky von den Landesnachrichten
und Herrn Schopron vom
überregionalen Tagblatt umso herzlicher.
...
Der Anlaß für diese Pressekonferenz ist leicht
erklärt. Wir werden morgen in unserer
Klinik wie jedes Jahr eine Ausstellung eröffnen, welche die
besten und
ausdrucksstärksten Gemälde zeigen wird, die im Rahmen
der Kunsttherapie von unseren
Patienten geschaffen wurden. Und Sie wissen, einige unserer
Schützlinge sind in der
Kunstszene mittlerweile voll anerkannt und etabliert. Ich darf
hinzufügen: Einige andere
werden es in kurzer Zeit ebenfalls sein.
Aber jetzt genug der Einleitungsworte. Herr Doktor Eins wird Ihnen erzählen, warum die heuer ausgestellten Werke so besonders sind, und wie ich sehe, hat er auch einige Beispiele mitgebracht. Ich darf nur noch hinzufügen, und vielleicht können Sie dies auch in Ihren Artikeln anmerken, daß es sich um eine Verkaufsausstellung handelt, deren Erlös wie immer zur Anschaffung von Heilmitteln, sowie von Fachliteratur und Zeitschriften dient. - Bitte, Herr Doktor Eins.
Eins: Auch ich darf Sie ganz herzlich bei uns begrüßen und ich möchte gleich in medias res gehen.
Säbelmann (13): Talent ist
Begabung
Genie ist Gestattung
Eins: Da
kann ich Herrn Säbelmann nur recht geben. Doch beginnen
wir am Anfang alles Schaffens - in der Kindheit.
...
(14)
Mit seinem Organismus und den
dazugehörigen kreativen Grundfunktionen ist der Mensch
imstande - ohne Anleitung und ohne
Nachahmung - zu erfinden und zu gestalten. Diese
ursprünglichsten Hervorbringungen sind
einfach und allgemein. Wir sehen sie bei Kindern und in primitiven
Kulturen: Gesichter,
geometrische Formen, Rhythmen, Symbole. Durch Tradition und Unterricht
werden jedoch von
Anfang an zwischen seelischer Eigentätigkeit und dem Kulturgut
immer weiter ausgedehnte
Synthesen hergestellt. Dabei werden die kreativen Grundfunktionen durch
die wachsende
Menge des Übernommenen und Erlernten in den Hintergrund
gedrängt.
Säbelmann: Morgen fliege ich.
Eins: Ja,
Herr Säbelmann. Gute Reise !
...
(14)
Wie das Kind im Laufe seiner Entwicklung
die Kreativität verliert, so kann sie der psychisch Kranke
durch Zurückschreiten auf
diesem Weg wiederfinden.
Herr Schopron: Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Wollen Sie damit sagen, daß Kinder durch den Unterricht, vielleicht sogar durch den Zeichenunterricht, das Zeichnen verlernen ?
Eins:
Genau das.
(15)
Mit dem durch die Gesellschaft anerzogenen
Verzicht auf die kreative Eigengestaltung geht auch ein Verlust der
Freude an der
Gestaltung einher. Die praktische Erfahrung bestätigt dies:
die meisten der Kleinkinder
wissen genau, wie oder was sie zeichnen, malen, tanzen, singen sollen
und tun dies dann
auch mit einer ungeheuren Freude und Hingabe. Nach einigen Jahren
Schule kann aber dann
jeder "zeichnen, wie er soll". Das Absinken der Kreativität
ist dann eklatant.
Frau Kalmitzky: Und der Geisteskranke kann wieder zeichnen ? Warum das?
Eins (15): Vielleicht benötigt ein Mensch, um kreativ tätig zu sein, den unter anderem in der Psychose gegebenen Realitätsverlust, eine gewisse Verneinung und Verleugnung sozialer Normen, die nicht nur, aber auch bei Schizophrenen auftritt. Vielleicht ist der Geisteskranke in dieser Beziehung, trotz seiner oder gerade durch seine Ungeordnetheit seinem wahren Ich näher als der von der Gesellschaft ständig begrenzte Gesunde.
Säbelmann (4): Ja, zum Beispiel das Talent ist eine erworbene und durch Übung sich angleichende Stellenorganisation der einzelnen architektonischen und zytoarchitektonischen Rindenfelder des Archäpalliums.
Eins: Doch
genug der Theorie. Ich möchte Ihnen einige Beispiele
zeigen. (Er hält ein Bild hoch.)
Dieses Werk mit dem Titel
"Fee mit roter Tinte (16)"
stammt von einem schizophrenen
Künstler.
...
(15)
Eine gar grausig anmutende Frauengestalt
mit einer Blume im Haar steht vor einem farbigen Hintergrund, dessen
Konturen
verschwimmen; in der linken oberen Ecke läßt sich
die ebenfalls verschwommene
Darstellung eines Fensters oder Bildes vermuten. Der
abstoßende Eindruck, den das
zerrinnende Gesicht auf den Betrachter ausübt, ist
größtenteils bedingt durch die
fehlenden Augen; aus der linken Augenhöhle ergießt
sich ein Strom Blut. Warum dieses mit
"roter Tinte" umschrieben wird, ist zunächst
rätselhaft, aber die fehlenden
Augen lassen auf einen erschreckenden Zustand schließen, dem
der Patient damals
ausgesetzt sein mußte.
...
Die symbolhältige Darstellungsweise ist offensichtlich. Diese
sog. Symbolbildung stellt
nun eine der kreativen Grundfunktionen dar.
Herr Schopron: Gibt es da noch andere ?
Säbelmann (17): Das Handwagerl macht einen erheblichen Lärm wenn man es zieht. Die Räder des Handwagerls sind aus Holz oder aus Eisen, je länger man fährt umso angenehmer wird das geräusch.
Eins: Ja, es gibt noch weitere kreative Grundfunktionen, die zugleich auch Hauptmerkmale des schizophrenen Gestaltens darstellen. Da möchte ich zunächst einmal neben der erwähnten Symbolbildung auf den Formalismus und die Deformation hinweisen.
Säbelmann (4): Als
wären es nie gesehene
Wände...
nie gewesene Wände... Das ist so der Geist durch die Mauer,
nicht wahr. Der Gedanke, der
eigentlich durch jede Mauer dringt.
als wären es nie gewesene Wände.
Eins (15): Das
schizophrene Gestalten ist
entweder durch Überbetonung oder durch den Verlust formaler
Kategorien gekennzeichnet.
Die Geometrisierungstendenz ist ein Ausdruck des ersteren und eine
Überbetonung der
Ordnung. Deformierungen dagegen sind auffällig und
"schockierend", kommen einer
Entstellung des Gesamtkomplexes gleich.
...
Auch dazu habe ich Ihnen ein Beispiel zu zeigen. (Er
hält ein weiteres
Bild hoch.)
...
(15)
Dieses Bild zeigt starke Anflüge einer
gruseligen Abstraktion. Das elongierte Gesicht ist jeder
konventionellen Darstellung,
jeglicher akademischer Gepflogenheit entfremdet. Es ist ausgemergelt
und wirkt wie eine
unheimliche, gespenstische, dämonische Fratze, wie ein
Zerrbild eines menschlichen
Antlitzes.
Säbelmann (18): das
"Böse" kommt
vom faulen Zeitraum.
Die Tante ist böse auf mich.
der Onkel kommt spät heim.
Die Kinder sind Böse.
Der Hund ist böse.
Die Hausfrau ist böse auf Dich.-
Das Tor ist verschlossen.
Das Schiff ist gesunken, die Mannschaft ist böse.
Eins:
Besonders wichtig als kreatives Gestaltungsmerkmal ist
weiters noch die sog. Physiognomisierungstendenz.
(15)
Unter dieser verstehen wir das Verleihen
einer Physiognomie dort, wo in Wirklichkeit keine vorhanden ist. Ein
von einem
Geisteskranken gezeichnetes Haus etwa (er
hält eine Zeichnung hoch)
erhält während des Zeichenvorganges immer mehr
Ähnlichkeiten mit einem menschlichen
Gesicht, der Lattenzaun mutet plötzlich wie eine Reihe
bleckender Zähne an, das Dach
erinnert an einen Hut, der Weg zur Haustür gleicht einer Nase
und die Fenster stellen
eindeutig Augen dar.
Säbelmann (19): Das Auge ist
oft weit und
trocken
Trockenheit in jeder Spur
die Pulpa geht gerade
und entzündet nur
...
(19)
Manchmal tropft es leicht
manchmal weint der Mensch
es wird wieder gut
Eins: Auch
zu dieser Physiognomisierungstendenz habe ich ein
Beispiel mitgebracht. Ich darf wohl behaupten, daß es sich
dabei um unser wertvollstes
Bild handelt, ein echtes Meisterwerk, auch hinsichtlich seiner
Ausführung. Man darf
gespannt sein, welchen Preis dieses Gemälde erzielen wird. (Er hält ein
Ölgemälde im Goldrahmen hoch.)
...
Sie sehen eine Art Landschaft. Flankiert von hoch aufragenden,
stilisierten, zum Teil
idealisierten und vor allem symbolträchtigen Blumen liegt ein
stiller See - oder ist es
das Meer ? - vor Ihnen. Der Himmel glüht in den
Rottönen des Abends.
...
Das Besondere daran ist nun, daß sich einzelne
Blüten zur Mitte neigen und sich
zusammenfügen zu einem imaginären Gesicht, einem
Antlitz mit vier Augen, eines davon
blutrot und gespalten. Stengel und Blätter bilden die Nase,
den Mund und den Bart dieses
Gesichts. Die Physiognomisierung geht aber noch weiter: Auch im Wasser
selbst ist ein
Gesicht zu erkennen, sich zusammensetzend aus einer Art schwimmenden
Seetangs oder
ähnlichem.
...
Ein Bild von unglaublicher Eindringlichkeit, ein Bild von
vordergründiger Schönheit und
hintergründiger Tiefe. Ein Bild, das uns die Unwirklichkeit
unserer Wirklichkeit vor
Augen führt. Ein Bild, das uns darauf hinweist, wie unsicher
unsere Konstruktionen der
Realität sind, auf welch schwachen Beinen das
"Offensichtliche" oft steht.
...
Was stellt es nun dar ? Was sehen Sie ? Eine perspektivische
Landschaft? - Blumen, Wasser
? - Gesichter ?
...
(Die beiden Reporter stehen auf und
fotografieren das Bild.)
Säbelmann (20): Die Rose ist
rot und flatterhaft.
manchmal flatterhaft in seinen Erscheinungen
Die Rose ist rot und hat ein schönes Bild
Manchmal sieht man Rosen am Weg
rand welken
Eins: Ich
könnte Ihnen noch viele weitere Beispiele zeigen und
noch Stunden über das faszinierende Thema der Beziehung von
Kreativität und
Geistesstörung erzählen. Aber es gibt einen
einfacheren Weg: Sehen Sie sich unsere
Ausstellung an. Sie sind zur morgigen Eröffnung herzlich
eingeladen.
...
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Verwalter: Vielen Dank, Doktor Eins, für Ihre sehr aufschlußreichen und vor allem fundierten Ausführungen. Wenn einer der Anwesenden noch Fragen hat ?
Frau Kalmitzky:
Ich hätte da schon eine Frage, sogar eine etwas
provokante Frage.
...
Muß man verrückt sein, um künstlerisch
etwas leisten zu können ?
Eins: Dazu muß ich Seneca zitieren, der schon sagte: "Non est magnum ingenium sine mixtura dementiae". Und dem möchte ich eigentlich nichts hinzufügen.
Verwalter:
Sind noch weitere Fragen ?
...
Diskussionsbemerkungen ?
...
(nach längerer Pause):
Wenn dem nicht so ist, möchte ich die
heutige Pressekonferenz schließen. Ich danke noch einmal sehr
herzlich für Ihr Kommen
und warte mit Spannung auf Ihre - sicher wieder sehr guten - Berichte.
Auf Wiedersehen bis zum nächsten Mal.
Die Reporter verlassen den Saal. Eins stellt die Bilder an die Wand zurück, der Verwalter ordnet seine Zettel.
Verwalter:
Sie haben mich wieder einmal überrascht, Doktor Eins. Da
spielen Sie
mir die ganze Zeit vor, daß unsere Patienten nichts schaffen
würden, und dann
präsentieren sie solche Bilder. Ich muß schon sagen,
alle Achtung !
....
Das wird gute Preise geben. Unsere Kunsttherapie ist ja doch Gold wert.
...
(Plötzlich mißtrauisch):
Die Bilder sind doch von unseren
Patienten ? Oder ?
Eins:
Natürlich nicht. Dachten Sie, daß man so etwas unter
Anleitung malen kann ?
...
Nein, ich habe die meisten der Bilder von einem Künstler, der
in Freiheit malte. Er war
allerdings auch mehrfach in psychiatrischer Behandlung - Schizophrenie
- insoweit stimmt
alles.
Verwalter:
Nun gut, das geht ja noch.
...
Diesen Künstler möchte ich kennenlernen !
Eins: Das wird nicht möglich sein. Er ist vor kurzem im Alter von 33 Jahren an einer unbehandelten Lungenentzündung gestorben. Er hat nicht auf sich geachtet, sein Schaffen war ihm wichtiger als seine Gesundheit.
Verwalter: Schade. Das Bild mit den Blumengesichtern hat mich nämlich beeindruckt. Ich hätte es ihm abgekauft.
Eins: Dieses Bild ist nicht von ihm.
Verwalter: Nicht von ihm ? Von wem dann ? Vielleicht können Sie mir diesen Maler vorstellen ?
Eins: Sie
kennen den Maler. Sogar ziemlich gut.
...
Er steht nämlich vor Ihnen. Das Bild ist von mir.
Verwalter:
Sie sind mir aber einer ! (Er
schüttelt den Kopf.) Aber Ideen haben Sie, das
muß man Ihnen lassen.
...
Das Bild wird die Sensation der heurigen Ausstellung werden.
...
Zahlreiche Kunstkritiker haben sich schon angesagt. Das Fernsehen wird
auch kommen.
...
Ich bin schon gespannt, wie Sie das mit dem Bild erklären
werden.
Eins: Uns wird schon etwas einfallen.
Säbelmann (sieht die beiden durchdringend an. Dann spuckt er aus und wendet sich an die beiden Wärter): Bringen Sie die Herren auf ihre Zimmer !
Die Wärter öffnen die Tür, Eins und der Verwalter gehen mit ihnen. Säbelmann bleibt noch kurz sitzen, dann steht er auf und trinkt alle Minrealwasserflaschen leer.
Der Vorhang fällt.
Bühnenbild wie im 1. Aufzug. Die Wärter stehen wieder neben der Tür. Personen im Raum: Säbelmann, einen Farbtopf balancierend, Frau Kalmitzky und Herr Schopron mit Hüten aus Zeitungspapier. Zwei steht auf einer Holzkiste.
Zwei (9): Das Bild stellt dar, was es
darstellt, unabhängig von seiner Wahr- oder Falschheit, durch
die Form der Abbildung. Was
das Bild darstellt, ist sein Sinn.
In der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung
seines Sinnes mit der Wirklichkeit
besteht seine Wahrheit oder Falschheit. Um zu erkennen, ob das Bild
wahr oder falsch ist,
müssen wir es mit der Wirklichkeit vergleichen.
Säbelmann: Eins
hätte jetzt geantwortet:
(6)
Der Glaube, daß die eigene Sicht der
Wirklichkeit die Wirklichkeit schlechthin bedeute, ist eine
gefährliche Wahnidee. Sie
wird dann aber noch gefährlicher, wenn sie sich mit der
messianischen Berufung verbindet,
die Welt dementsprechend aufklären oder ordnen zu
müssen - gleichgültig ob die Welt
diese Ordnung wünscht oder nicht. Dabei ist es
gleichgültig, ob die Wirklichkeit die der
Kanzel eines Bombenflugzeugs oder eines "Volksgerichtshofs" ist, der
die
reaktionärste oder revolutionärste Justiz
übt - menschliche Worte und die Gesetze der
Kommunikation werden auf den Kopf gestellt, und die Umnachtung der
Konfusion befällt
Opfer wie Henker.
Zwei: Und was hat ihm diese Ansicht genützt ? Wo ist er geblieben mit seiner Weisheit, dieser Eins ?
Säbelmann: Ich habe ihn als
geheilt entlassen. Wenn jemand
erkennt,...
(6)
...daß das wacklige Gerüst der
Alltagsauffassungen der Wirklichkeit im eigentlichen Sinn wahnhaft ist,
und daß wir
fortwährend mit seinem Flicken und Abstützen
beschäftigt sind - selbst auf die
erhebliche Gefahr hin, Tatsachen verdrehen zu müssen, damit
sie unserer
Wirklichkeitsauffassung nicht widersprechen, statt umgekehrt unsere
Weltschau den
unleugbaren Gegebenheiten anzupassen,...
...
...wenn jemand das erkennt, braucht er keine weitere Behandlung mehr.
Deshalb habe ich ihn
entlassen.
Zwei: Sie können gar niemand entlassen. Sie sind selbst hier eingesperrt. Sie sind selbst ein Verrückter.
Frau Kalmitzky: Eins ist entsprungen. Er wird schon gesucht.
Herr Schopron: Man hat ihn in der Stadt gesehen. Man sagt, daß er jetzt sein Leben als Stadtstreicher fristet.
Frau Kalmitzky: Ein armseliges Leben ! Ein Stadtstreicher ! Das hat er nun von seinen Ansichten !
Herr Schopron: Ein Stadtstreicher ! Das kommt davon, wenn man immer das Gegenteil sagt !
Säbelmann (21):
Wenn jeder das Gegenteil
sagt so deshalb weil er recht hat.
...
(Nach einer Pause): Ich
glaube, ich bin auch geheilt. Ich werde mich
auch entlassen.
Frau Kalmitzky: Das würde ich Ihnen nicht raten ! Stellen Sie sich solch ein Dahinvegetieren einmal vor - als Stadtstreicher !
Herr Schopron: Kein geregeltes Essen, kein fester Schlafplatz ! Keine Kunsttherapie ! Lassen Sie das lieber bleiben, seien Sie klug !
Säbelmann (11):
Klug sein - jedermann
respektieren - auf dem Schlachtfeld sterben - die Staatsanleihe
aufnehmen - für Herrn So
und So stimmen - der Respekt vor der Natur und der Malerei - auf
Veranstaltungen brüllen
- das ist das Leben der Menschen.
...
(22)
Seht mich gut an !
Ich bin idiotisch, ich bin ein Possenreißer, ich bin ein
Spaßvogel.
Seht mich gut an !
Ich bin häßlich, mein Gesicht hat keinen Ausdruck,
ich bin klein.
Ich bin wie Ihr alle !
Aber fragt Euch, bevor Ihr mich anseht, ob die Iris, durch die Ihr
Pfeile flüssigen
Gefühls hinausschickt, keine Fliegenkacke ist, ob die Augen
Eures Bauches keine
Tumorschnitte sind, deren Blicke einmal irgendeinen Teil Eures
Körpers als
Tripperausfluß verlassen.
Zwei: Sehr geheilt kommen Sie mir aber
nicht vor. Ich glaube
nicht, daß Sie sich entlassen können. Sie
können höchstens entspringen, so wie Eins.
...
(Zu den anderen): Glauben Sie
mir:
...
(9)
Aus dem Bild allein ist nicht zu erkennen, ob
es wahr oder falsch ist.
Ein a priori wahres Bild gibt es nicht.
...
(9)
Die Gesamtheit der wahren Gedanken sind ein
Bild der Welt.
Säbelmann (23):
Die Welt ist nah,
gebt mir das Brot
ich bin der Bar
Weihnachten
Königin die Welt ist offen,
Kinderin die Zeit ist nah.
Zwei: Was soll das wieder heißen ?
Säbelmann (23):
Du liebe Zeit, die Welt ist
nah.
Kinderin die Welt ist offen
Königin die Welt ist nar.
Frau Kalmitzky: Ich glaube
auch nicht, daß Sie jemand entlassen
können. Sie sind gar nicht der Arzt !
Säbelmann (23):
Du liebe Not die Welt ist
nah
gebt mir das Brot
ich bin der Bar.
Frau Kalmitzky: Sie können gar nicht der Arzt sein ! Da bin ich mir sicher !
Zwei: Unnützer war der Arzt. Aber Eins hat ihn ans Kreuz genagelt, bevor er entsprungen ist.
Säbelmann: Eins war immer gut zu den Menschen !
Zwei: Jetzt haben wir keinen Arzt mehr.
...
Aber wir brauchen auch keinen.
...
(24)
Das Ich, persönlich festgehalten, heißt
sich selbst - zu führen.
- Man versetzt sich irgendwie in die Beginnforschung zurück,
wenn man sich selbst als Ich
annimmt.
- Mit sich selbst in den Vordergrund gestellt, bietet man sich selbst
eine Grenze. -
Säbelmann: Wir sollten an die Verwaltung schreiben. Wenn wir hier keinen Arzt haben, können sie uns auch gleich entlassen.
Frau Kalmitzky: Das ist eine gute Idee. Ich schreibe. - Ich kann gut schreiben, das habe ich gelernt.
Herr Schopron: Ich kann auch schreiben. Aber ich habe keinen Federkiel.
Frau Kalmitzky (nimmt Papier und Pinsel): Also, was soll ich schreiben ?
Zwei (25):
An das
allerhöchste und höchstheiligste
Weltpräsidium
der Weltautorität des Allerhöchsten
in allerhöchster und höchstheiligster
Welterfassung und Weltvertretung
der schöpfungshöchstheiligsten
Weltrechtsgegebenheiten der Weltreinheit der
Weltforschung der Menschheit der Erde.
Frau Kalmitzky (kritzelt): Gut. - Und weiter ?
Säbelmann (26):
Ich unterzeichneter
Representant der
Gottheit, bitte Sie höflichst mir
heute eine Flasche Verwandlungs-
geist zu übergeben, da ich wünsche
heute noch in meine Freiheit zu
kommen, und in die Persönlichkeit
verwandelt werden will, wie
Ich gestern dem 18.August noch
gelebt habe, und bitte Sie...
...meinen weiteren Wünschen zu entsprechen
und meine eigenen Bestimmungen
durch Naturkraft in Wirklichkeit
setzen.
...Hochachtungsvoll
...
Säbelmann
Representant der Gottheit.
Frau Kalmitzky: Gut. Das habe ich. Was jetzt ?
Zwei: Wir sollten uns wieder unserem Ding zuwenden.
Säbelmann: Welchem Ding ? Was meinen Sie ?
Zwei: Ich meine unser Bild, unser Werk.
...
(2)
Alle Werke haben dieses Dinghafte. Was wären
sie ohne dieses ?
Das Steinerne ist im Bauwerk.
Das Hölzerne ist im Schnitzwe
rk. Das Farbige ist im Gemälde
. Das Lautende ist im Sprachwerk.
Das Klingende ist im Tonwerk.
Herr Schopron: Eine interessante Aussage. Vielleicht etwas gewagt. - Aber irgendwie vertretbar.
Zwei (2):
Das Dinghafte ist so unverrückbar
im Kunstwerk, daß wir sogar eher umgekehrt sagen
müssen:
Das Bauwerk ist im Stein.
Das Schnitzwerk ist im Holz.
Das Gemälde ist in der Farbe.
Das Sprachwerk ist im Laut.
Das Musikwerk ist im Ton.
Herr Schopron: Aber das kann doch nicht alles sein ! Kunst muß doch mehr sein - was ist das Wesen der Kunst ?
Zwei (2):
Sie fragen nach dem Wesen der Kunst.
Warum fragen Sie so ? Sie fragen so, um eigentlicher fragen zu
können, ob die Kunst in
unserem geschichtlichen Dasein ein Ursprung ist oder nicht, ob und
unter welchen
Bedingungen sie es sein kann und sein muß.
...
(2)
Solches Besinnen vermag die Kunst und ihr
Wesen nicht zu erzwingen.
Säbelmann (1):
Wie will man das Chaos ordnen,
das diese unendliche unförmige Variation, den Menschen,
ausmacht ?
...
(1)
Ich sage Ihnen: es gibt keinen Anfang und wir
zittern nicht, wir sind nicht sentimental. Wir zerreißen,
wütender Wind, die Wäsche der
Wolken und der Gebete und bereiten das große Spektakel des
Unheils, den Brand, die
Auflösung vor.
...
(1)
Mißt man sie am Maßstab Ewigkeit, ist jede
Aktion umsonst. Wenn das Leben aber eine schlechte Farce ohne Ziel ist,
und da wir
glauben, daß wir uns als gewaschene Chrysanthemen sauber aus
der Affäre ziehen müssen,
haben wir als einzige Verstandsgrundlage proklamiert: die Kunst.
Herr Schopron: Ja, die Kunst. Sie soll leben, sie soll gedeihen ! Sie soll gefördert werden !
Säbelmann (1): Diese Kunst zu fördern bedeutet, sie zu verdauen. Was wir brauchen, sind starke, gerade, genaue und für immer unverstandene Werke.
Herr Schopron: Unverstanden ? Wieso sollen die Werke nicht verstanden werden, analysiert und logisch erklärt ? - So wie Eins dies getan hat ?
Säbelmann (1): Die Logik ist eine Komplikation. Die Logik ist immer falsch. Sie zieht die Fäden der Begriffe, Worte, in ihrer formalen Äußerlichkeit zu illusorischen Endpunkten und Zentren. Ihre Ketten töten, riesige Tausendfüßler, die die Unabhängigkeit ersticken. Mit der Logik verheiratet, würde die Kunst im Inzest leben, indem sie ihren eigenen Schwanz immer ihren Körper verschlingt und herunterschluckt, sich in sich selbst liebt, und das Temperament würde zu einem mit Protestantismus geteerten Alptraum, einem Monument, einem Haufen fahlgrauer und schwerer Eingeweide.
Herr Schopron (zu Zwei): Übrigens hätten Sie dabei sein sollen, als Eins gestern die Bilder erklärte.
Frau Kalmitzky: Er war wirklich gut drauf. Wie auf einer echten Pressekonferenz. Specht war übrigens auch nicht schlecht. Schade, daß er so selten aus seiner Zelle kommen kann.
Herr Schopron: Mich hat das Ganze schon sehr angeregt. Ich werde jetzt auch Werke schaffen. Das wird mir guttun.
Frau Kalmitzky: Ich helfe Ihnen dabei. Was könnten wir beginnen ? Eine Plastik ? Tonschüsseln ?
Säbelmann: Was uns fehlt ist eine Eingebung. - Eine Erleuchtung. - Eine Erfindung.
Herr Schopron: Genau ! Wir werden ein
Patent anmelden.
...
(27)
Schach dem Tode und Verwundungen
Stahlpanzerplatten
1.50 hoch und 70 cm stark für
Panzer 3 Meter breit für Flak
geschütze 1.20 breit 1.50 hoch
ein Stahlgehäuse vorn
links und rechts und hinten
und ein unterirdischer
Gang zum Verlassen des
Stahlgehäuses und Schutz
panzer nach Art der Ritter
turniere aus Blei Schupen
panzer von Kopf bis zum Fuß
Frau Kalmitzky (27):
Lieferbar an die
Heeresstellen des Atlantik
paktes an Eisenhandlungen
aller Länder des Atlantik
paktes Bedingungen Sateliten
länder und Rußland
von der Erfindung gegen
Beschuß ausgeschlossen
Herr Schopron (27):
Schutzpanzer gegen Schlan
genbiß und Raubtier.
300 Kilo Gusstahl für eine
Stahlpanzerplatte für ein
ganzes Gehäuse 1.200 Kilo
Gussstahl Preis für ein
ganzes Gehäuse 10.800
Schutzpanzer gegen
Atomstrahlen aus Blei
und gegen Revolver Gewehr
Frau Kalmitzky (wirft ihren Papierhut in die Luft) (27):
Lieferbar auf Raten
und zwar 25 Monats
raten für die Heeresstellen,
die Schutzpanzer müssen
bar bezahlt von den
Konsumenten
Herr Schopron (27):
Eine gewisse
Schweigepflicht
Es darf nicht gesprochen
werden in öffentlichen
Fahrzeugen und auf der Straße.
Das Klingelzeichen ertönt. Auf ein Zeichen der Wärter hin marschieren alle vier aus dem Zimmer, gefolgt von den Wärtern.
Der Verwalter kommt und sieht sich um. Er betrachtet den Brief, faltet ihn schließlich zusammen und legt ihn in eine Mappe. Dann hebt er den Zeitungshut auf , steckt ihn dazu und klemmt sich die Mappe unter den Arm. Er sieht sich noch einmal gründlich um, dann geht er schließlich.
Der Vorhang fällt
(1) Tristan Tzara: DADA Manifest 1918. In: "DADA ! - 7 Manifeste", Edition Nautilus, Hamburg 1984.
(2) Martin Heidegger: Der Ursprung des Kunstwerkes. Reclam - Verlag, Stuttgart 1960.
(3) Katechismus der Katholischen Kirche. Oldenbourg - Verlag, München 1993.
(4) Artur Säbelmann: Tonbandaufnahme von Gesprächen mit Leo Navratil. In: Leo Navratil: "a+b leuchten im Klee - Psychopathologische Texte", Carl Hanser - Verlag, München 1971.
(5) Tristan Tzara: Vortrag auf dem Dadakongreß. In: "DADA ! - 7 Manifeste", Edition Nautilus, Hamburg 1984.
(6) Paul Watzlawick: Wie wirklich ist die Wirklichkeit ? Piper - Verlag, München 1996.
(7) Martin Heidegger: Sein und Zeit. Max Niemeyer - Verlag, Tübingen 1993.
(8) Karl Z.: Der Tod. In: Leo Navratil: "a+b leuchten im Klee - Psychopathologische Texte", Carl Hanser - Verlag, München 1971.
(9) Ludwig Wittgenstein: Tractatus logico - philosophicus. Suhrkamp - Verlag, Frankfurt 1963.
(10) Aloisius Schnedel: Der Tod. In: Leo Navratil: "a+b leuchten im Klee - Psychopathologische Texte", Carl Hanser - Verlag, München 1971.
(11) Tristan Tzara: Dada MANIFEST über die schwache Liebe und die bittere Liebe. In: "DADA! - 7 Manifeste", Edition Nautilus, Hamburg 1984.
(12) Augustinus: Psal. 103, 1, 15. In: Katechismus der Katholischen Kirche. Oldenbourg - Verlag, München 1993.
(13) Artur Säbelmann: Talent und Genie. In: Leo Navratil: "a+b leuchten im Klee - Psychopathologische Texte", Carl Hanser - Verlag, München 1971.
(14) Leo Navratil: Über Schizophrenie und Die Federzeichnungen des Patienten O.T. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1974.
(15) Patrick Horvath: Über die Beziehung zwischen Geistesstörung und Kreativität. Eine Fachbereichsarbeit aus "Philosophie und Psychologie", 1.BRG Linz, 1995.
(16) Originaltitel eines Bildes von Mag. Johannes Sturmberger.
(17) Karl Z.: Das Handwagerl. In: Leo Navratil: "a+b leuchten im Klee - Psychopathologische Texte", Carl Hanser - Verlag, München 1971.
(18) Alexander Herbrich: Das Böse. In: Leo Navratil: "a+b leuchten im Klee - Psychopathologische Texte", Carl Hanser - Verlag, München 1971.
(19) Artur Säbelmann: Das Auge. In: Leo Navratil: "a+b leuchten im Klee - Psychopathologische Texte", Carl Hanser - Verlag, München 1971.
(20) Aloisius Schnedel: Die Rose. In: Leo Navratil: "a+b leuchten im Klee - Psychopathologische Texte", Carl Hanser - Verlag, München 1971.
(21) Tristan Tzara: Proklamation ohne Anspruch. In: "DADA! - 7 Manifeste", Edition Nautilus, Hamburg 1984.
(22) Tristan Tzara: Tristan Tzara. In: "DADA! - 7 Manifeste", Edition Nautilus, Hamburg 1984.
(23) Alexander Helbrich: Weihnachten 1967. In: Leo Navratil: "a+b leuchten im Klee - Psychopathologische Texte", Carl Hanser - Verlag, München 1971.
(24) Franz Rechnitz: Gedanken über "das Ich". In: Leo Navratil: "a+b leuchten im Klee - Psychopathologische Texte", Carl Hanser - Verlag, München 1971.
(25) Paula T.: Brief. In: Leo Navratil: "a+b leuchten im Klee - Psychopathologische Texte", Carl Hanser - Verlag, München 1971.
(26) Georg K.: Brief. In: Leo Navratil: "a+b leuchten im Klee - Psychopathologische Texte", Carl Hanser - Verlag, München 1971.
(27) Jakob K.: Patent. In: Leo Navratil: "a+b leuchten im Klee - Psychopathologische Texte", Carl Hanser - Verlag, München 1971.
© dieser Textkollage: 1996 Werner Horvath, Linz.