Patrick Horvath

Der Bundespräsident

und sein Einfluß auf die Regierungsbildung 1999 / 2000

 

Patrick Horvath, Mat.-Nr.9502353, Studienkennzahl: 296 / 300

Seminar Österreichische Politik bei Herrn Prof. Wolfgang Müller, Wintersemester 1999 / 2000

 

Allgemeiner Teil: Die Institution Bundespräsident

Die Schaffung einer Institution im Verfassungskompromiß von 1920

Das Amt des österreichischen Bundespräsidenten wurde mit dem Bundesverfassungsgesetz von 1920 geschaffen. Diese Verfassung von 1920 kann man als Kompromißlösung zwischen den beiden großen politischen Lagern, den Sozialdemokraten und den Christlichsozialen betrachten. Dieser Kompromißcharakter äußert sich auch insbesonders an den Bestimmungen über das Amt des Bundespräsidenten.

Die Sozialdemokraten hatten in einem Aktionsprogramm von 1919 klar gemacht, daß für sie kein Bundespräsident in Frage käme. Die Christlichsozialen hatten ursprünglich zugestimmt, daß die Funktionen des Staatsoberhauptes beim Präsidenten der Nationalversammlung bleiben sollten. Sie änderten allerdings ihre Meinung; und am 14.Mai 1919 forderte ein Verfassungsentwurf der Christlichsozialen Partei (CSP) einen eigenen Staatspräsidenten. Vor allem die immer wieder zur Diskussion gestellte Volkswahl eines solchen Präsidenten lehnte die Linke allerdings ab; Sozialdemokraten sprachen von "cäsaristischen Experimenten" und der Gefahr eines "Wahlmonarchen". Einzig Karl Seitz, sozialdemokratischer Präsident der Nationalversammlung trat für eine eigene Präsidentschaft ein.

Auf die Schaffung des Amtes des Bundespräsidenten wirkte u.a. auch das Vorbild der Weimarer Verfassung in Deutschland, die einen starken Präsidenten vorsah; vor allem für die Großdeutschen war dies ein wesentliches Argument für die Einführung eines eigenen Bundespräsidenten.

Schließlich wurde ein Kompromiß zwischen diesen Positionen gefunden: Die bürgerlichen Parteien setzten sich nur insoferne durch, als das Amt des Bundespräsidenten geschaffen wurde. Sieht man aber davon ab, konnten die Sozialdemokraten den größeren Erfolg bei der Durchsetzung ihres Konzeptes davontragen. Ihr Einspruch verhinderte nämlich die Volkswahl des Bundespräsidenten, der statt dessen von der in der Verfassung geschaffenen Bundesversammlung (die aus Nationalrat und Bundesrat besteht) eingesetzt werden sollte, bei einer Amtszeit von vier Jahren. Auf Druck der Sozialdemokraten wurden Mitglieder gegenwärtig oder ehemals regierender Häuser von der Wahl zum Bundespräsidenten ausgeschlossen. Das war insoferne wichtig, als es in der Christlichsozialen Partei noch immer einen starken monarchistischen Flügel gab, der einer Restauration der Habsburger nicht abgeneigt waren.

Auch die Kompetenzen des Bundespräsidenten wurden auf Druck der Sozialdemokraten auf ein Minimum "zusammengestutzt"; und sieht man davon ab, daß er Staatsoberhaupt war und die Gesetze hinsichtlich ihrer Verfassungsmäßigkeit zu beurkunden hatte, kamen ihm ansonsten kaum nennenswerte Kompetenzen zu. Man kann also kaum davon sprechen, daß der Bundespräsident ein nennenswertes Gegengewicht zu dem das politische System dominierenden Parlament darstellte.

Aufwertung in der Verfassungsnovelle 1929

Im Rahmen einer Verfassungsnovelle im Jahre 1929 wurde das Amt des Bundespräsidenten beträchtlich aufgewertet. Die Initiative dazu geht auf die Christlichsozialen zurück, deren Konzept der sogenannten "wahren Demokratie" eine "Befreiung" des Staates vor der Herrschaft der Parteien beinhaltete.

Heute besteht weitgehende Einigkeit, daß die Parteienfeindlichkeit der Bürgerlichen durchaus auch als antiparlamentarische Bewegung zu werten ist. Bürgerliche, vor allem auch die Heimwehren, wollten einen "starken Mann" an der Spitze des Staates. Um die Verfassung aber auf einem nicht gewaltsamen Wege ändern zu können, benötigte man für eine Novelle aber eine 2/3-Mehrheit im Nationalrat und damit die Zustimmung der Sozialdemokraten. Diese waren u.a. angesichts von Putschdrohungen der Heimwehr bereit, teilweise nachzugeben. Das Amt des Bundespräsidenten wurde also aufgewertet; diese Aufwertung hatte allerdings erneut Kompromißcharakter. Man kann mit Norbert Leser sagen, daß es den Sozialdemokraten gelang, der Verfassungsnovelle "die gefährlichsten Giftzähne zu ziehen", d.h. die Sozialdemokraten stimmten einer Aufwertung des Bundespräsidentenamtes zwar zu, allerdings nicht in dem von Bürgerlichen erhofften Umfang.

Für den Bundespräsidenten wurde die Volkswahl eingeführt und eine relativ lange Amtszeit von sechs Jahren. Ferner erhielt er zahlreiche Kompetenzen, die im wesentlichen in dieser Form noch immer bestehen und über die noch zu sprechen sein wird. Vor allem auf den Druck der Sozialdemokraten ist es zurückzuführen, daß die meisten der Rechte des Bundespräsidenten nur in Zusammenwirkung mit anderen Organen ausgeübt werden können.

Entwicklung seit 1929

Bis zum Ende der ersten Republik gab es keine wesentlichen Änderungen der Kompetenzen des Bundespräsidenten.

Bundespräsident Miklas hätte nach der Entmachtung des Parlaments 1933 durch die Regierung Dollfuß dieselbige entlassen können, was er, aus Angst davor, verhaftet zu werden, unterließ. Diese Tat wäre insoferne eine heroische gewesen, weil so dem diktatorischen Regime seine Scheinlegalität entzogen worden wäre. Freilich wäre dies unter Umständen mit persönlichen Opfern für Miklas verbunden gewesen.

1945 wurde das Amt des Bundespräsidenten aus der ersten Republik übernommen; und zwar in der Fassung von 1929. Die Volkswahl, die eigentlich seit damals in der Verfassung festgeschrieben war, fand in der ersten Republik allerdings nicht statt. Auch Karl Renner, der erste Bundespräsident der Zweiten Republik, wurde von der Bundesversammlung gewählt. Auf ihn entfielen 204 von 204 gültigen Stimmen, bei einer ungültigen Stimme. Die erste Volkswahl eines Bundespräsidenten fand erst 1951 statt, ihr Sieger war der SPÖ-Kandidat Theodor Körner.

Seit 1945 gab es keine substantiellen Änderungen bei den Kompetenzen des Bundespräsidenten. Von den minimalen Änderungen sei nur folgende genannt:

Der Bundespräsident ernennt die Verfassungsrichter, unter anderem auf Vorschlag des Nationalrates. Als der Nationalrat Thomas Klestil einen Dreiervorschlag vorlegte, ernannte Klestil des zweitgereihten Kandidaten. Bisher war es Konvention gewesen, daß der Bundespräsident den Erstgereihten ernennt. Dies führte in der Folge dazu, daß im Rahmen der B-VG-Novelle 1994 "Dreiervorschläge" für die Ernennung von Mitgliedern des Verfassungsgerichtshofes an den Bundespräsidenten durch "Vorschläge" ersetzt wurden.

Im Prinzip existiert aber das Amt noch heute in der Form und mit denselben Kompetenzen, wie es 1920 bzw. 1929 festgelegt wurde.

Die Amtsinhaber und ihr Amtsverständnis

Bisher gab es in der Zweiten Republik sieben Bundespräsidenten. Die ersten fünf waren Kandidaten der SPÖ, die letzten zwei der ÖVP. Nach erfolgter Wahl versuchten sich alle Bundespräsidenten aber als überparteilich zu profilieren.

Bisher wurde das Amt nur von Männern ausgeübt, und zwar von "elder statesmen", die meistens schon andere Positionen im Staat innegehabt hatten. Der Bundespräsident mit dem "hochrangigsten" politischen Posten der Republik Österreich vor Amtsantritt war Adolf Schärf, der zuvor Vizekanzler war.

Auffällig ist, daß es noch nie einen ehemaligen Bundeskanzler gab, der das Amt des Bundespräsidenten ausübte. Das ist in gewisser Weise symptomatisch für die als gering eingestufte Macht des Bundespräsidenten. Schon Theodor Körner beklagte sich, weil er als Bürgermeister von Wien mehr bewegen konnte. Kreisky empörte sich über den Vorschlag, er solle Bundespräsident werden und sprach von einer Verschwörung, in der er entmachtet werden sollte.

Tabelle 1: Die Bundespräsidenten seit 1945.

(1) Starb im Amt. Bis zur Angelobung eines Nachfolgers führte der Bundeskanzler die Amtsgeschäfte des Bundespräsidenten

aus: Müller, Der Bundespräsident, S.142

Das Amtsverständnis der Bundespräsidenten war ursprünglich ein eher zurückhaltendes; d.h. es ist Teil unserer politischen Kultur, daß sich Bundespräsidenten nicht in die Tagespolitik einmischen. Vielmehr sollten sie eine Art "Autorität in Reserve" sein; in Krisenzeiten also, sagt diese Ideologie, soll eine Autorität vorhanden sein, die noch unverbraucht ist und der die Menschen vertrauen. Bisher verlief die Geschichte der Zweiten Republik aber ohne größere Krisen, sodaß man das Bundespräsidenten nicht auf diese Art auf den Plan rufen mußte. Das ursprünglich eher zurückhaltende Amtsverständnis der Bundespräsidenten hat auch damit zu tun, daß die ersten fünf von der Sozialdemokratie gestellt wurden, diese aber der Institution aus historischen Gründen eher ablehnend gegenüberstand. Bundespräsident Klestil und auch schon sein Vorgänger Waldheim verkündeten allerdings, "aktive" Präsidenten sein zu wollen. In dieser Arbeit behaupte ich, daß Klestil mit seinen Versuchen, das Amt des Bundespräsidenten aufwerten zu wollen, weitgehend gescheitert ist.

Tabelle 2: Bundespräsidenten seit 1951

aus: Welan, Der Bundespräsident, S.114

 

Kompetenzen des Bundespräsidenten

Einsetzung und Entlassung der Regierung

Der Bundespräsident ernennt den Bundeskanzler und auf seinen Vorschlag die übrigen Regierungsmitglieder. Er darf den Bundeskanzler und die gesamte Regierung entlassen. Für die Entlassung eines einzelnen Regierungsmitglieds bedarf er des Vorschlags des Bundeskanzlers. Er ist de jure in der Vergabe seines Auftrages frei, de facto muß er aber die Mehrheitsverhältnisse im Nationalrat berücksichtigen, da eine Mehrheit des Nationalrates (durch Zustimmung zu einem Mißtrauensantrag) eine Bundesregierung absetzen kann. Es entspricht der Konvention, wenngleich nicht der rechtlichen Pflicht, daß der Bundespräsident den Regierungsbildungsauftrag an den Chef der mandatsstärksten Partei vergibt.

Auflösung des Nationalrates

Auf Vorschlag der Bundesregierung darf der Bundespräsident den Nationalrat auflösen: Die Folge wären Neuwahlen. Diese Bestimmung ist weitgehend totes Recht, weil sie in der Zweiten Republik noch nie durchgeführt wurde. Der Bundespräsident darf den Nationalrat nur einmal aus demselben Anlaß auflösen.

Vertretung der Republik nach außen

Im Art.5 B-VG heißt es: "Der Bundespräsident vertritt die Republik Österreich nach außen". Somit ist die Außenpolitik eines der wichtigsten Betätigungsfelder des Bundespräsidenten. Bundespräsident Klestil leitete aus dieser Verfassungsbestimmung 1994 ab, daß er das Recht habe, Österreich im EU-Rat zu vertreten. In der Praxis hat sich diese Interpretation nicht durchgesetzt (sie wäre schwer praktikabel, wohl auch weil er für die anderen EU-Staaten mangels innenpolitischer Durchsetzungsfähigkeit kein reizvoller Verhandlungspartner wäre).

Repräsentation

Auf jeden Fall kommen dem Bundespräsidenten auch Repräsentationsaufgaben zu. In Erfüllung dieser Aufgabe nimmt er an Veranstaltung teil, hält Reden, eröffnet etc.

Oberbefehl über das Bundesheer

Der Bundespräsident ist Oberbefehlshaber des Bundesheeres. Oberbefehl bedeutet aber noch nicht alleiniges Verfügungsrecht. Ein umfassendes Informationsrecht ist aber aus dem Oberbefehl abzuleiten. De facto beschränkt sich aber ansonsten die Rolle des Bundespräsidenten beim Heer auf die Ausgabe des Tagesbefehls am Nationalfeiertag, ferner auf die Anordnung besonderer Rekrutierungsaufgaben (Einberufung zum außerordentlichen Präsenzdienst, Aufschub der Versetzung von Wehrpflichtigen in die Reserve).

Beurkundung des verfassungsmäßigen Zustandekommen der Bundesgesetze

Der Bundespräsident bekundet mit seiner Unterschrift unter jedes Bundesgesetz sein verfassungsmäßiges Zustandekommen. Selbst wenn große verfassungsrechtliche Bedenken gegen ein Gesetz vorlagen, hat er die Unterschrift noch nie verweigert. Es herrscht weitgehend Einigkeit, daß der Bundespräsident kein Gesetz ablehnen darf, weil er inhaltlich damit nicht einverstanden ist; ihm kommt kein Veto zu. Vielmehr geht es um die Überprüfung der Einhaltung formaler Regeln.

Sonstiges

Der Bundespräsident besitzt ein Notverordnungrecht, das allerdings so verklausuliert ist, daß es de facto "totes Recht" darstellt. Wohl als Relikt aus der Monarchie kommt ihm ein Begnadigungrecht zu, das allerdings auch nur mit Einschränkungen wahrgenommen werden kann. Ferner kommen dem Bundespräsidenten gewisse Staatspersonalbefugnisse zu, so ernennt er Beamte, Offiziere und Richter (z.B. auch des Verfassungsgerichtshofs). Er ist dabei meist an Vorschläge gebunden, kann diese aber auch ablehnen.

Wahl, Angelobung, Amtsdauer

Wahl

Das passive Wahlrecht besitzt jeder, der auch das Wahlrecht zum Nationalrat hat und vor dem 1.Jänner des Jahres der Wahl das 35.Lebensjahr überschritten hat. Normalerweise sind die Kandidaten aber wesentlich älter (siehe Tabelle 2).

Wie schon oben im historischen Teil festgestellt, sind "Mitglieder regierender Häuser oder solcher Familien, die ehemals regiert haben" ausgeschlossen. Gewählt wird, wer mehr als die Hälfte der Stimmen auf sich vereint. Ist dies im ersten Wahlgang nicht der Fall, treten die beiden erfolgreichsten Kandidaten in einem zweiten Wahlgang an. In diesem zweiten Wahlgang können die Parteien ("Wahlgruppen") ihren Kandidaten gegen einen anderen austauschen. Dieser Fall ist aber noch nie eingetreten.

Zwar wird der Bundespräsident persönlich gewählt, in der Realität zeigt sich aber, daß nur jemand Chancen hat, Bundespräsident zu werden, wenn er von einer der etablierten Parteien aufgestellt wird.

Eine direkte Wahl durch das Volk bedeutet in einer Demokratie Zugewinn an Legitimität und somit eine stärkere Stellung.

Angelobung

In der Verfassung ist festgelegt, daß der Bundespräsident bei Antritt seines Amtes folgendes Gelöbnis´ablegen muß: "Ich gelobe, daß ich die Verfassung und alle Gesetze der Republik getreulich beobachten und meine Pflicht bestem Wissen und Gewissen erfüllen werde." Wenn der Bundespräsident dieses Gelöbnis verweigern würde (was noch nie geschehen ist), hätte er die Verfassung verletzt.

Es ist auffällig, daß dieses Gelöbnis (übrigens kein "Eid") relativ nüchtern und unmetaphysisch formuliert ist. Das ist wahrscheinlich auf den Einfluß des "Vaters der Verfassung", den Rechtspositivisten Hans Kelsen zurückzuführen. In der Verfassungsnovelle von 1929 wurde auf Druck der Christlichsozialen zum Artikel 62 B-VG der Abschnitt 2 hinzugefügt: "Die Beifügung einer religiösen Beteuerung ist zulässig". Erstmals von dieser Gebrauch machte Kirchschläger und nach ihm auch Waldheim und Klestil ("So wahr mir Gott helfe").

Amtsdauer

Die Amtsdauer beträgt sechs Jahre. Eine darauffolgende Kandidatur ist möglich, die Wiederwahlquote ist aufgrund des hohen Ansehens des Bundespräsidenten sehr hoch. Noch niemals wurde ein amtierender Bundespräsident, der sich zum nochmaligen Antreten entschloß, abgewählt.

Zweifellos ist das einer der wesentlichsten Gründe, warum die gegnerischen Parteien oftmals gar keine Gegenkandidaten mehr aufstellen; so können sie Wahlkampfkosten sparen (wie bei der Wiederwahl von Klestil, bei der SPÖ und FPÖ auf Gegenkandidaten verzichteten).

Nach einer Amtszeit von zwölf Jahren muß mindestens eine Periode pausiert werden. Nachher ist theoretisch ein nochmaliges Antreten möglich. Aufgrund des hohen Alters der Bewerbers (siehe Tabelle 2) ist aber eine dritte Kandidatur noch nie vorgekommen und auch in Zukunft unwahrscheinlich.

Vertretung, Unvereinbarkeit, Absetzung

Vertretung

Ist der Bundespräsident an seiner Amtsausübung behindert, vertritt ihn zunächst der Bundeskanzler. Dauert die Verhinderung aber länger als 20 Tage oder ist der Bundespräsident an der Amtsausübung durch den Absetzungsbeschluß des Nationalrates gehindert, üben die drei Präsidenten des Nationalrates die Vertretungsfunktion aus. Dasselbe gilt für den Fall der dauernden Erledigung des Amtes, also des Todes. Das Kollegium beschließt mit Mehrheit. Wenn einer der drei Präsidenten verhindert ist, entscheidet im Zweifelsfall der ranghöhere Präsident. Auch für den Fall, daß nur ein Nationalratspräsident das Amt ausüben kann, bleibt er beschlußfähig.

Die Vertretungsbestimmungen sind problematisch, insbesonders wenn das Amt des Bundeskanzlers und des Bundespräsidenten in einer Hand ist. Kann der Bundeskanzler sich dann selbst entlassen? Das wird in der Literatur verneint. Was ist, wenn ein Mißtrauensvotum vom Nationalrat gegen die Bundesregierung ausgesprochen wird? Muß sich der Bundeskanzler dann selbst des Amtes entheben? Es gibt ferner gewisse Akte, die der Bundespräsident nur setzen kann, wenn sie ihm der Bundeskanzler vorschlägt (Auflösung des Nationalrates, Entlassung eines einzelnen Ministers etc.) Wäre es nicht seltsam, wenn sich der Bundeskanzler selbst einen Vorschlag macht und ihn dann gegenzeichnet? Hier hat man in der Praxis folgende Lösung gefunden: In diesem Falle gilt der Bundeskanzler für die Antragsstellung als verhindert und der Vizekanzler muß ihn dabei vertreten. Eine bange Frage bleibt ebenfalls bestehen: Darf der Bundeskanzler als Vertreter des Bundespräsidenten eine Regierungsumbildung durchführen? Das wäre eine große Machtkonzentration.

Unvereinbarkeit

Art.61 (1) B-VG bestimmt: "Der Bundespräsident darf während seiner Amtstätigkeit keinem allgemeinen Vertretungskörper angehören und keinen anderen Beruf ausüben."

Mit dieser strengen Unvereinbarkeitsbestimmung soll verhindert werden, daß der Bundespräsident an seiner Amtsausübung behindert oder Druck auf ihn ausgeübt wird.

Diese Bestimmung bedeutet u.a., daß der Bundespräsident kein Parteivorsitzender sein darf. Er darf auch keine Funktionen in Parteien oder ähnlichen Organisationen ausüben. Eine Mitgliedschaft in Bundesregierung, Nationalrat oder Landesregierung ist ebenfalls verboten. So wird auch eine allzu große Machtfülle des Staatsoberhauptes verhindert. Eine vorhandene Parteimitgliedschaft muß aber nicht aufgegeben werden.

Es ist zu unterscheiden zwischen "Ausübung" und "Innehabung" eines Berufs. Ein Universitätsprofessor, der Bundespräsident wird, müßte seinen Lehrstuhl nicht aufgeben; er dürfte nur keine Vorlesungen mehr halten.

Absetzung

Die Absetzung des Bundespräsidenten ist de jure möglich, de facto äußerst unwahrscheinlich. Es wurde noch nie ein Verfahren zur Amtsenthebung eingeleitet.

Eine Amtsenthebung könnte erfolgen, wenn folgendes passiert: Der Nationalrat müßte mit 2/3-Mehrheit die Einberufung der Bundesversammlung beschließen. Einstweilen darf der Bundespräsident sein Amt nicht ausüben und wird von den drei Präsidenten des Nationalrates als Kollegium vertreten (siehe oben). Wenn die Bundesversammlung es verlangt, wird eine Volksabstimmung über den Verbleib des Bundespräsidenten im Amt durchgeführt. Geht die Abstimmung gegen den Bundespräsidenten aus, ist er abgesetzt. Geht sie aber für ihn aus, gilt es als Wiederwahl für 6 Jahre (wobei die gesamte Amtsdauer nicht mehr als 12 Jahre überschreiten darf). Der Nationalrat wird in diesem Fall aufgelöst. Für die Betreiber eines Amtsenthebungsverfahrens ist dieses also äußerst risikoreich.

Der Fall Waldheim

Gerade im Zuge der aktuellen Ereignisse um die Regierungsbildung 1999 / 2000 tauchte der Name "Waldheim" immer wieder auf. In Zeitungen und Nachrichtenmagazinen werden Parallelen zwischen dem "Fall Waldheim" und der heutigen Situation sehr häufig gezogen.

Inwieweit ist der "Fall Waldheim" mit der Regierungsbildung 1999 / 2000 in Österreich vergleichbar?

Damals wie heute geht es um das Verhältnis zwischen Österreich und dem Nationalsozialismus. Während damals die Vergangenheit eines Bundespräsidentschaftskandidaten im Mittelpunkt der Diskussion stand, werden heute die oftmals problematischen Aussagen von FPÖ-Politikern der ersten und zweiten Reihe thematisiert, die für viele ein schlampiges Verhältnis zum Nationalsozialismus zeigen.

Damals wie heute folgten unüblich umfangreiche heftige internationale Medienberichte über die innenpolitische Situation Österreichs, ferner heftigste Empörung über die Vorfälle in vielen Ländern der Welt.

Die Folge waren damals die Isolation des Bundespräsidenten, heute gibt es ebenfalls eine Isolation der neuen Regierung.

Als Detailbeobachtung möchte ich anfügen, daß die FPÖ im Wahlkampf genau denselben Slogan verwendete wie einst die Waldheim-Befürworter ("Jetzt erst recht!"). Ist dies Absicht oder Zufall?

Es liegt zumindest assoziativ nahe, ein paar Fakten über den bisher umstrittensten Bundespräsidenten der Geschichte zu nennen.

Am 8.Juni 1986 wurde Kurt Waldheim, vormaliger österreichischer Außenminister und UNO-Generalsekretär, mit 53,9% Stimmenanteil zum Bundespräsidenten gewählt. Er setzte sich somit gegen seinen Herausforderer von der SPÖ (Kurt Steyrer) durch.

Schon während des Wahlkampfes wurde Waldheims Zugehörigkeit zu einschlägigen NS-Organisationen behauptet. Vermutungen wurden laut über mögliche Kriegsverbrechen, die er begangen haben soll, vor allem im Zusammenhang mit Deportationen von Juden aus Saloniki (Griechenland). Waldheim wurde nachgewiesen, daß seine Darstellungen der eigenen Vergangenheit in der deutschen Wehrmacht unvollständig, teils sogar irreführend waren. Waldheim machte auch mit sehr umstrittenen Aussagen im Wahlkampf von sich reden, etwa als er meinte, er sei in die Wehrmacht eingerückt, wie hunderttausend andere Österreicher auch, die ihre Pflicht erfüllt haben. Diese und ähnliche Bemerkungen sind zurecht kritisiert worden; denn selbst wenn einzuräumen ist, daß viele ihren Dienst in der Wehrmacht unfreiwillig taten, ist es doch unzulässig, ihre Teilnahme an einem brutalen Eroberungskrieg als Pflichterfüllung zu bezeichnen.

Überhaupt nahm der Wahlkampf durchwegs antisemitische Züge an. Plötzlich war in den Medien die Rede von den "ehrlosen Gesellen des Jüdischen Weltkongresses" und dem Weltjudentum, dem man die Führung einer "Kampagne" gemeinsam mit der SPÖ und der ausländischen Presse unterstellte (Verschwörungstheorien wurden plötzlich wieder salonfähig!).

Ebenfalls noch gut in Erinnerung ist die verbale Geschmacklosigkeit des damaligen ÖVP-Generalsekretärs Graff, der öffentlich verkündete, er sehe kein Problem im umstrittenen Präsidentschaftskandidaten seiner Partei, "solange nicht bewiesen ist, daß Waldheim eigenhändig sechs Juden erwürgt hat". Was aber, könnte man nachfragen, ist, wenn Waldheim nur fünf Juden erwürgt hat? Oder hundert erschossen? Ist das dann in Ordnung? Graff mußte wegen seiner Aussage zurücktreten.

Als Waldheim bereits Bundespräsident war, wurde eine Internationale Historikerkommission eingesetzt, die die Vorwürfe gegen ihn überprüfen sollte. Sie kam zum Ergebnis, daß Waldheim kein persönlich schuldhaftes Verhalten nachgewiesen werden konnte, d.h. er hat weder Kriegsverbrechen angeordnet noch begangen. Die Historikerkommission erhebt aber doch einige Vorwürfe gegen ihn: Waldheim hat (entgegen seinen Behauptungen) von den Verbrechen gewußt; er hat mehrfach nachweislich bei der Darstellung seiner Vergangenheit gelogen (so war er, entgegen seinen Beteuerungen, Mitglied bei SA und NS-Studentenbund); er ließ ferner, wie viele Österreicher, einen kritischen Umgang mit der NS-Vergangenheit missen.

Alles in allem war Waldheim also kein großer Kriegsverbrecher, sondern ein kleiner Mitläufer. Das entlastet ihn einerseits, aber nicht ganz. Denn ohne die vielen Millionen Mitläufer hätte ein System wie das des NS-Zwangsstaates nicht funktionieren können.

Die Waldheim-Krise führte zu einer starken Isolation Österreichs und auch des Bundespräsidenten in der internationalen Welt. Ein allgemein in Erinnerung gebliebenes, unmißverständliches Zeichen für diese Isolation war, daß Waldheim auf die "Watchlist" der USA gesetzt wurde, also Einreiseverbot erhielt.

Die internationale Isolation Österreichs, die Überhäufung österreichischer Politker mit Einreiseverboten und die Imageschäden Österreichs durch heftigste negative Schlagzeilen der internationalen Presse scheinen sich im Gefolge der Regierungsbeteiligung der FPÖ nun auf unheilvolle Weise zu wiederholen. Und wieder tauchen Verschwörungstheorien auf, die geheime Netzwerke und Bündnisse für diese Auslandskritik verantwortlich machen. Es stellt sich für mich die kritische Frage: Ist unser Volk dazu verdammt, durch eigenes Verschulden die unheilvolle Vergangenheit nochmals wiederholen zu müssen?

Bisheriger Einfluß der Bundespräsidenten auf die Regierungsbildungen (exklusive der Regierungsbildung 1999 / 2000)

In Österreich gibt es traditionell die Verfassungskonvention, daß sich der Bundespräsident weitgehend aus dem Prozeß der Regierungsbildung heraushält; vielmehr segneten die Bundespräsidenten der Vergangenheit meist die Ergebnisse der Parteiengespräche mit dem Regierungsauftrag ab.

Gleichwohl wurde in einigen Fällen wesentlicher Einfluß auf die Regierungsbildung ausgeübt.

Die Wahlen zum Nationalrat 1953 brachten die SPÖ bis auf ein einziges Mandat an die ÖVP heran; mehr noch, sie war stimmenstärkste Partei geworden. ÖVP-Parteiobmann Julius Raab zeigte Bestrebungen, eine Koalition mit dem VdU (= Verband der Unabhängigen, Vorläuferpartei der FPÖ) zu schließen. Hier stieß er allerdings auf den erbitterten Widerstand Körners. Er vertrat die Auffassung, daß der VdU keine staatstragende Partei sei. "Ich werde deshalb unter den gegebenen Verhältnissen niemals einem Vertreter dieser Partei in der Regierung zustimmen." Als die ÖVP auf ihrem Standpunkt beharrte, drohte Körner, den Auftrag zur Regierungsbildung an einen Sozialisten zu vergeben. "Ich habe erkannt, daß bloße Erklärungen und Versprechungen eines Einzelnen wie einer Partei nicht ausreichen, um sie aus einer negativ kritisierenden über Nacht zu einer positiv staatsbejahenden zu machen. Hierfür müssen vielmehr eindeutige Beweise erst erbracht werden." Die ÖVP mußte nachgeben und es kam zu einer Koalitionsregierung zwischen ÖVP und SPÖ.

Ich glaube, daß gerade dieser Fall mit der Regierungsbildung 1999 / 2000 gut vergleichbar ist. Es besteht dasselbe Problem: Die ÖVP will eine Koalition mit der FPÖ (Nachfolgepartei des VdU) schließen; diese Partei wird heute mehr denn je durch ihre Kritik am System der Zweiten Republik und wegen rechtsextremer Äußerungen von vielen Menschen im In- und Ausland als nicht staatstragend und sogar als gefährlich angesehen. Ein solcher Koalitionsversuch ist also schon einmal an der Weigerung des Bundespräsidenten gescheitert, den Regierungsauftrag zu vergeben. Bundespräsident Klestil hätte 1999 / 2000 möglicherweise auf diesen historischen Präzedenzfall zurückgreifen können.

Bei der Nationalratswahl 1970 wurde die von Kreisky geführte SPÖ zum ersten Mal mandatsstärkste Kraft im Nationalrat (81 von damals 165 Mandaten). Sie verfehlte die absolute Mehrheit, die sie später gewinnen sollte, nur knapp. Kreisky entschloß sich nach erfolglosen Verhandlungen mit der ÖVP zur Bildung einer Minderheitsregierung. Nach Rücksprache mit Bundespräsident Jonas gab Kreisky den Auftrag zur Bildung einer Koalitionsregierung zurück; Kreisky erhielt stattdessen den Auftrag zur Bildung eines Minderheitskabinetts. Dieses wurde von der FPÖ geduldet, im Tausch gegen eine die kleinen Parteien stärker begünstigende Wahlrechtsreform. Jonas sanktionierte damit den Konsens zwischen SPÖ und FPÖ; er verzichtete auf Einbringung anderer Alternativen. Aber er hätte in dieser Situation auch auf die Bildung einer Mehrheitsregierung drängen können.

Die damalige Einflußnahme ist mit der Regierungbeteiligung vergleichbar und auch wieder nicht. Gemeinsamkeiten bestehen insoferne, weil Bundespräsident Jonas den Auftrag zu einer SPÖ-Minderheitsregierung gab. Dasselbe tat Bundespräsident Klestil im Jänner 2000. Nur diesmal verweigerte die FPÖ (und auch die ÖVP) die Unterstützung einer solchen Regierung, weswegen sie auch nicht zustande kam. Das Kabinett Kreisky I hingegen konnte sich auf eine Duldung der FPÖ stützen.

Auch Jonas’ Nachfolger Adolf Schärf lehnte die Pläne des designierten Bundeskanzler Raab zu einer Drei-Parteien-Regierung ab. Gegenüber Anhängern einer SPÖ-FPÖ-Koalition äußerte er sich ablehnend. Ferner drängte er auf Beendigung der überlangen Koalitionsverhandlungen.

Ansonsten sind nur noch zwei Fälle erwähnenswert:

1949 weigerte sich Karl Renner, den unter Korruptionsverdacht stehenden Minister Krauland erneut zu ernennen.

Kurt Waldheim wird nachgesagt, mit dem Gedanken gespielt zu haben, die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Vorlage des Berichts der Internationalen Historikerkommission zu entlassen. Waldheim selbst hat diese Spekulationen allerdings heftig dementiert.

Sieht man von diesen Fällen ab, gibt es keine nennenswerten Einflüsse der Bundespräsidenten auf die Regierungsbildung.

 

Spezieller Teil: Der Einfluß des Bundespräsidenten auf die Regierungsbildung 1999 / 2000

Die Äußerungen des Bundespräsidenten vor der Wahl

Warnung vor unfinanzierbaren Wahlversprechen

Am 31.August, etwa einen Monat vor der Nationalratswahl, schaltete sich Bundespräsident Thomas Klestil mit einer Mahnung an alle politischen Parteien ein. Dabei forderte er einen fairen und verantwortungsbewußten Wahlkampf. Er meinte dabei insbesonders, es sollten keine Wahlversprechen gemacht werden, "die nach dem Wahltag aufgrund der weiterhin gebotenen öffentlichen Sparsamkeit nicht eingelöst werden können". Klestil warnte also vor unfinanzierbaren Wahlversprechen. Obwohl die Warnung an alle Parteien gerichtet waren, kann angenommen werden, daß der Präsident sich besonders auf die Versprechungen der Freiheitlichen bezog, einen "Kinderbetreuungsscheck" einzuführen.

Das Modell sah - grob vereinfacht - vor, jeder jungen Mutter monatlich mehrere tausend Schilling zu überweisen und dies über Jahre hinaus, selbst bei Berufstätigkeit der Mutter. Laut Angaben des SPÖ-Finanzministers Rudolf Edlinger würde dieser Scheck 40 Mrd. Schilling Mehrkosten verursachen. Diese können, meinte die SPÖ, nur über ein neues Sparpaket finanziert werden. Obwohl die SPÖ die Polemik gegen das Kinderscheck-Modell natürlich für den eigenen Wahlkamof nutzte, indem sie vor Sozialabbau und neuen Sparmaßnahmen warnte, bestand hinsichtlich der Unfinanzierbarkeit des FPÖ-Modells doch ein relativ breiter Konsens in Parteienlandschaft und Bevölkerung.

Einmahnung der "Korrektheit" im Wahlkampf

Am 28.9.99 berichtet der "Kurier" von einer weiteren Mahnung des Bundespräsidenten einige Tage vor der Wahl. Klestil trat für "politischen Anstand", "Fair Play" und "Korrektheit" im Wahlkampf gegenüber politischen Konkurrenten ein. "Ich habe bereits mehrmals darauf hingewiesen, daß Worte verletzen, ja zerstören können." Obwohl sich dieser Appell an alle Parteien richtete, kann erneut angenommen werden, daß Klestil sich besonders auf den FPÖ-Wahlkampf bezog. Diese Verbindung wird in entsprechenden Zeitungsartikeln und von anderen Politikern auch gezogen.

Schon zu Beginn des Wahlkampfes zeigten sich gewisse hetzerischen Töne in der Wahlkampflinie der FPÖ. Der Generalsekretär der FPÖ, Peter Westenthaler, forderte in August die Bekämpfung dessen, was er den "sozialen Mißbrauch" nennt; er meinte, vor allem ausländische Bürger lägen in der "sozialen Hängematte". Man solle Arbeitsunwilligen das Arbeitslosengeld stufenweise streichen. Die Politiker der anderen Parteien waren sich einig, daß die generelle Diffamierung von Arbeitslosen als sogenannte Sozialschmarotzer nicht zulässig ist. Ferner verwehrten sie sich gegen die ausländerfeindlichen Bemerkungen in Westenthalers Ausfällen und betonten die im Prinzip bestehende Treffsicherheit des sozialen Systems.

Ferner machte die Wiener FPÖ von sich reden, als sie in ganz Wien Plakate mit der Aufschrift "Stop der Überfremdung" affichierte. Dieser Gebrauch eines mit NS-Inhalten besetzten Wortes weckte nicht nur bei politischen Gegnern, sondern auch bei den Kirchen große Proteste. Sowohl hochrangige Vertreter der Katholiken, als auch der Protestanten verwehrten sich gegen das Schüren einer ausländerfeindlichen Stimmung durch die FPÖ. Repräsentanten des Zentralrats der deutschen Juden zeigten sich ebenfalls besorgt über die zunehmende Fremdenfeindlichkeit im Wahlkampf.

Zurückhaltung bei Äußerungen über Regierungsbildung

Gleichzeitig hüllte sich der Bundespräsident vor der Wahl in auffälliges Schweigen zur künftigen Regierungsbildung. Die Frag wurde insoferne schon vor der Wahl aktuell, weil der SPÖ-Vorsitzende Viktor Klima den medialen Vorstoß wagte, eine "Regierung der besten Köpfe" vorzuschlagen, also eine Expertenregierung.

Nach Meinung des SPÖ-Klubobmanns Peter Kostelka sei ein solches Expertenkabinett eine Variante einer SPÖ-Minderheitsregierung, der aber auch Parteiunabhängige oder Vertreter anderer Parteien angehören könnten. Kostelka warnte ebenfalls bei einer Pressekonferenz vor einer ÖVP-FPÖ-Koalition. Insoferne war die Idee einer SPÖ-Minderheitsregierung (obwohl das Wort "Minderheitsregierung" von SPÖ-Vertretern tunlichst vermieden wurde) als Gegenkonzept zu einer schwarz-blauen Koalition zu verstehen. Daß eine solche Regierung allerdings von der Duldung von mindestens einer dieser beiden genannten Parteien abhängig wäre, ferner nach einem Mißtrauensantrag, dem ÖVP und FPÖ zustimmen, zurücktreten müßte, zeigt neben der Schwäche dieses Konzepts auch die problematische Situation, in der sich die SPÖ gegenüber den beiden "bürgerlichen" Lagern befand. Man kann daran aber auch die Ängste der SPÖ erkennen, daß ihr der langjährige Koalitionspartner ÖVP abhanden käme (was ja dann auch eintrat).

Die Hofburg ließ allerdings verkünden, daß der Bundespräsident erst nach dem 3.Oktober zu möglichen Regierungsbildungen Stellung nehmen wollte.

Konzepte der Parteien zur Wahl 1999 in Stichworten

Ziel der vorliegenden Arbeit kann es nicht sein, den Wahlkampf und alle Positionen der Parteien, die im Wahlkampf vertreten wurden, darzustellen. Jedoch soll - aus Platzgründen in Stichworten und ohne Anspruch auf Vollständigkeit - darauf eingegangen werden, welche Anliegen die Parteien im Wahlkampf vertreten haben.

Auf eine ausführliche Diskussion, ja sogar eine Konkretisierung dieser Punkte (so eine solche überhaupt möglich ist, wo doch viele Aussagen in den Wahlprogrammen nur sehr allgemein formuliert wurden) muß ebenfalls verzichtet werden. Ebenso kann nicht die Frage gestellt werden, ob die Punkte sinnvoll bzw. finanzierbar sind - eine Frage, die besonders bei manchen FPÖ-Modellen wie der "flat tax" oder dem "Kinderscheck" durchaus berechtigt wäre. Vielmehr soll nur ein grober Überblick verschafft werden, soweit er für das Thema dieser Arbeit nötig erscheint.

SPÖ (Sozialdemokratische Partei Österreichs)

Zentraler Slogan: "Der richtige Weg"

Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch aktive Arbeitsmarktpolitik im Sinne des nationalen Aktionsplan (NAP) für Beschäftigung; Verbesserung des Wirtschaftsstandorts Österreichs durch Förderung von Unternehmensgründungen und -ansiedlungen; Beseitigung bürokratischer Hemmnisse; Angleichung der Rechte von Arbeitern und Angestellten; sozial gerechte Einsparungen mit dem Ziel einer Halbierung des Budgetdefizits bis 2003; Gleichstellung von Mann und Frau in Ausbildung, Beruf, Familie und Alter; Gleichstellung von Lebensgemeinschaft und Ehe; Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern, ebenso Umsetzung des Rechts jedes Kindes auf einen Betreuungsplatz und des Recht auf Teilzeitarbeit bis zum Schuleintritt des Kindes; Anhebung des Karenzgeldes auf 6.000 Schilling; Beibehaltung der Neutralität - kein Beitritt zu einem Militärpakt; Verschärfung des Waffengesetzes (Verbot von privatem Waffenbesitz); gegen Atomkraftwerke; Patientenrechte sollen in der Verfassung verankert werden; im Gesundheitsbereich Ausbau von Prävention und Qualitätskontrolle; Flexibilisierung und Internationalisierung des gesamten Bildungssystems; bessere Altersversorgung für Frauen, die ihre Eigenständigkeit stärkt

ÖVP (Österreichische Volkspartei)

Zentraler Slogan: "Der bessere Weg"

Vermittlung anstatt Verwaltung von Arbeitslosen; Betonung des Mittelstandes; Bürokratieabbau; Beibehaltung der Sonntagsruhe; Flexibilität der Arbeitszeiten; Angleichung der Rechte von Arbeitern und Angestellten; Reduktion der Lohnnebenkosten um rund 30 Mrd. Schilling; im Prinzip für Beitritt zur NATO, allerdings mit Vorbehalten (z.B. keine Stationierung von Atomwaffen auf dem Gebiet Österreich etc.); Einführung eines Karenzgeldes für alle; Erhöhung des Karenzgeldes; pensionsbegründener Anspruch für Kindererziehung; Einführung einer verschuldensunabhängigen Patientenentschädigungsversicherung; bessere Verankerung von Patientenrechten; Ausbau schmerzlindernder Medizin; in bestehende Pensionen darf nicht eingegriffen werden, allerdings soll man betriebliche und private Vorsorge ausgebauen.

FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)

Zentraler Slogan: "Jetzt erst recht"

Arbeit schaffen durch Steuersenkung; Arbeit für die Jugend; Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Klein- und Mittelbetriebe; Steuerpflichtige sollen einen jährlichen Freibetrag erhalten, alles was darüber hinaus geht, wird einheitlich mit 23% besteuert (flat tax); Steuerschlupflöcher sollen gestrichen, Steuererklärungen vereinfacht werden; Ziel ist auch die Senkung der Lohnnebenkosten; Unterbindung neuer Zuwanderung; Einführung eines "Kinderschecks" für alle Kinder bis zum 6.Lebensjahr, 5.700 Schilling pro Monat für Erstgeborene und 2.850 Schilling pro Monat für jedes weitere Kind, darüberhinaus für jede Frau die volle pensionsrechtliche Anrechnung der Kindererziehungszeiten. Volksabstimmung über österreichische Sicherheitspolitik; größeres Budget für das Bundesheer; lebenslange Freiheitsstrafe bei schwerem Kindesmißbrauch; Bildungs- und Berufsinformation für Jugend ausbauen; "Drei-Säulen-Modell" bei Pensionen: 1.) eine staatliche Pension für alle Erwerbstätigen, die eine über dem Existenzminimum liegende Lebensführung ermöglicht - 2.) zusätzliche betriebliche Pensionskassen, gespeist aus Umwandlung von Abfertigungsansprüchen und freiwilligen Leistungen der Betriebe und Versicherten - 3.) dazu private Eigenvorsorge, vor allem für Besserverdienende.

LIF (Liberales Forum)

Zentraler Slogan: "Antworten Sie liberal"

Privatisierung staatlicher Unternehmen; mehr Liberalisierungen; Unternehmensgründungen sollen erleichtert werden; Steuern und Ausgaben in der öffentlichen Verwaltung sollen gesenkt werden; gleicher Lohn für gleiche Arbeit; Verpflichtung des Staates zu aktiver Gleichstellungspolitik; eigenständige Absicherung der Frauen statt Mitversicherung; Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen; mehr Kinderbeihilfe für Familien mit geringem Einkommen; familiengerechte Arbeitszeiten für Eltern; Karenz der Väter fördern; europäische Außen- und Sicherheitspolitik als Mittelweg zwischen NATO und Neutralität; Einführung eines Freiwilligenheeres; mehr Qualitätskontrolle in der Medizin; Schutz der Menschen vor medizinischen Eigriffen, die keinen Nutzen bringen, sondern schaden; Reform des Bildungswesens (mehr Kooperation mit der Wirtschaft); Dreiteilige Pensionssicherung: 1.) Grundpension für alle - 2.) betriebliche Pensionskassen - 3.) private Vorsorge

Die Grünen

Zentraler Slogan: "Kompetent. Engagiert."

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit; 50%-ige Frauenquote in allen öffentlichen Institutionen; Umsetzung des Frauenvolksbegehrens; mehr Kinderbetreuungseinrichtungen; eine Karenzregelung, die den Wiedereinstieg ins Berufsleben ermöglicht; aktive Neutralität statt NATO-Beitritt; Abrüstung; EU-Erweiterung zur Stabilisierung Osteuropas; Stärkung der UNO; Bekämpfung der Atomenergie; Förderung ökologischer Landwirtschaft; Ausbau des öffentlichen Verkehrs; Chancengleichheit beim Zugang zu medizinischer Betreuung; mehr Qualtitätssicherung im Gesundheitsbereich; Grundpension von 6.000 Schilling pro Monat für alle, ferner ein Wohngeld von 2.000 Schilling, zusätzlich eine Versicherungspension für alle, die eingezahlt haben; Grund- und Versicherungspension zusammen dürfen einen Betrag von 32.000 Schilling im Monat nicht übersteigen.

Die Nationalratswahl vom 3.Oktober 1999

In einer parlamentarischen Demokratie mit Verhältniswahlrecht gibt es Koalitionsbildungen. Entsprechend müssen die politischen Parteien optimalerweise zwei Siege erringen: Einen bei der Wahl und einen bei den anschließenden Koalitionsverhandlungen. Manchmal kann ein Sieg dem anderen im Wege stehen; z.B. wenn man sich im Wahlkampf so sehr vom Gegner entfremdet hat, daß eine Koalition unmöglich ist etc. In der Regel ist aber ein möglichst gutes Ergebnis bei der Wahl auch für den Verhandlungserfolg wichtig. Die Verhandlungen zur Regierungsbildung 1999 / 2000 wurden in den Medien oftmals als Pokerspiel bezeichnet. Um in diesem Bild zu bleiben: Die Anzahl der Stimmen, aber vor allem der Nationalratsmandate sind die Karten, die an die Verhandler "ausgeteilt wurden" und die sie nun optimal einsetzen müssen.

Insoferne scheint es gerechtfertigt, als Ausgangspunkt der Betrachtung der Regierungsbildung das Ergebnis der Wahl 1999 zu betrachten. Einige Bemerkungen über den Wahlkampf werden ebenfalls einfließen, wobei eine vollständige Darstellung desselben ebenfalls den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen würde.

Die Hauptergebnisse waren: Sowohl die SPÖ, als auch die ÖVP erreichten mit ihrem Wahlergebnis einen historischen Tiefstand (schlechtestes Wahlergebnis seit 1945). Die SPÖ blieb allerdings stimmenstärkste Kraft. Die ÖVP fiel in der Wählergunst erstmals auf den dritten Platz zurück. Nach endgültiger Auszählung der Wahlkarten war aber klar, daß ihr auf die FPÖ nur 415 Stimmen fehlten und ein Mandatsgleichstand erreicht wurde. Trotzdem war dieses Ergebnis für viele Wähler ein Symbol für den Abstieg der ÖVP; und dieser dritte Platz war insoferne entscheidend, weil Parteichef Wolfgang Schüssel im Wahlfinale den Gang in die Opposition angekündigt hatte, sollte dieser Fall eintreten. Die FPÖ gewann stark dazu, wurde zweitstärkste Kraft im Land und erreichte das beste Ergebnis ihrer Geschichte. Auch die Grünen unter ihrem Parteichef Alexander van der Bellen konnten ihren Stimmenanteil steigern. Die Liberalen scheiterten sechs Jahre nach ihrer Gründung an der 4%-Hürde des Nationalrates und schafften den Wiedereinzug nicht. Andere Kandidaten waren chancenlos.

Daten aus: "Das Parlament" vom Oktober 1999, S.4

Die beiden renommierten Politkiwissenschafter Fritz Plasser und Peter Ulram analysierten das Wahlergebnis in groben Zügen wie folgt:

Es "hat eine beispiellose spektakuläre Neuorientierung des österreichischen Parteiensystem stattgefunden."

Die FPÖ wurde endgültig zur "neuen Arbeiterpartei", die "die SPÖ abgelöst" habe. In Zahlen heißt das: 47% der Arbeiter wählten die Freiheitlichen, bei der SPÖ waren es nur mehr 35%.

Die FPÖ wurde zur stimmenstärksten Kraft bei den Männern. Dabei zeigt sich ein deutlicher Unterschied zwischen Männern und Frauen: Während nur 21% der Frauen FPÖ wählten, taten es 32% der Männer. Und das trotz der Versuche, durch Ideen wie den "Kinderscheck" Frauenstimmen zu mobilisieren.

Bei Wählern unter 35 Jahren lag die FPÖ ebenfalls mit 35% der Stimmen auf Platz eins. Bei den Pensionisten konnte die SPÖ ihren ersten Platz verteidigen.

Ein Fünftel aller Wähler entschied sich erst zwei Wochen vor der Wahl für "ihre Partei".

Dann soll noch das Hauptergebnis einer Wählerstromanalyse berücksichtigt werden: Hier zeigt sich, daß SPÖ und ÖVP vor allem an die FPÖ Stimmen verloren. Die Liberalen verloren massiv an SPÖ und Grüne.

Daten aus: "Das Parlament" vom Oktober 1999, S.4

 

Konsequenzen der Wahl für die Regierungsbildung: Mögliche Varianten

Was bedeutete dieses Ergebnis für die darauffolgende Regierungsbildung?

Zunächst einmal schied erwartungsgemäß eine Variante der Koalition (die von den Medien vor der Wahl immer wieder ins Spiel gebracht wurde) aus: Nämlich eine rot-grüne Regierung bzw. eine Ampelkoalition bestehend aus SPÖ, Grünen und Liberalen. Erstere Koalitionsvariante hatte rechnerisch keine Mehrheit, letztere Variante war aufgrund des Ausscheiden der Liberalen aus dem Parlament hinfällig.

Im Prinzip war mit dem Wahlergebnis für jeden Beobachter klar, daß nur mehr drei Regierungsformen möglich waren; und alle drei sollten im Laufe der nächsten Monate noch ernsthaft zur Diskussion stehen:

Die Fortsetzung der "alten" Koalition SPÖ-ÖVP

Die Bildung einer SPÖ-Minderheitsregierung (die allerdings entweder ÖVP oder FPÖ "dulden" hätten müssen).

Eine umstrittene Koalition ÖVP-FPÖ; ex post kann man natürlich sagen, daß sich diese Variante durchgesetzt hat. Und hinter den Kulissen war diese Form der Regierung zu diesem Zeitpunkt - vielleicht - schon von einigen Akteuren geplant.

Rein rechnerisch wäre auch eine Koalition SPÖ-FPÖ möglich gewesen. Allerdings hatten Spitzenfunktionäre der SPÖ eine Koalition mit der FPÖ schon vor der Wahl ausdrücklich ausgeschlossen - und waren durch den umstrittenen Wahlkampf der FPÖ sicherlich in diesem Entschluß bestärkt worden. Auch unmittelbar nach der Wahl bekundete Kanzler und SPÖ-Vorsitzender Viktor Klima den Willen, sich an diese ursprüngliche Ankündigung zu halten. Es wurden wirklich auch später keine Versuche unternommen, zu einer Koalition mit der FPÖ zu gelangen (obwohl durchaus versucht wurde, eine Duldung einer SPÖ-Minderheitsregierung von den Freiheitlichen zu erreichen - dazu später mehr).

ÖVP kündigt Opposition an

ÖVP-Parteiobmann Wolfgang Schüssel, so haben die Ereignisse bewiesen, hielt nicht unbedingt eisern an seiner vor der Wahl gegebenen Erklärung fest, die ÖVP werde in Opposition gehen, sollte sie auf den dritten Platz in der Wählergunst zurückfallen. Es spricht einiges dafür (vor allem die Tatsache, daß Schüssel mittlerweile Bundeskanzler ist), daß man diese Oppositions-Ansage vor der Wahl als eine taktische auffassen kann. Sie hatte zur Folge, daß viele ÖVP-Sympathisanten, die ihre Partei in der Regierung halten wollten, mobilisiert werden konnten. Schüssel und auch die anderen ÖVP-Funktionäre hatten sich spätestens seit Bekanntgabe des Wahlergebnisses ausrechnen können, daß eine stabile Regierung, also eine, die im Nationalrat über eine Mehrheit verfügt, ohne ÖVP nicht denkbar war. Und auch die darauffolgenden Monate zeigten, daß die ÖVP relativ schnell von ihrer Oppositionsansage abrückte. Doch zunächst, unmittelbar nach der Wahl, blieb die Partei bei ihren ursprünglichen Aussagen.

"Der Vorstand hat den Kurs zur Kenntnis genommen. Die ÖVP geht in Opposition", verkündete der nunmehrige Bundeskanzler Schüssel knapp nach der Wahl.

Man muß dazu sagen, daß damals die Stimmen der Auslandsösterreicher noch nicht ausgezählt waren und das Wahlergebnis noch nicht endgültig feststand. Bald war darauf das endgültige Wahlergebnis bekannt, ebenso wie die Tatsache, daß die ÖVP drittstärkste Kraft an Stimmen war, allerdings nur knapp (lediglich 415 Stimmen trennten sie von der FPÖ) und ferner im Nationalrat einen Mandatsgleichstand mit den Freiheitlichen (52 Mandate) erzielen konnte.

Trotzdem beschloß der Bundesparteivorstand der ÖVP den Gang in die Opposition.

Tirols Landeshauptmann Wendelin Weingarten meinte dazu: "Was wir vor der Wahl gesagt haben, muß auch nach der Wahl gelten."

Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll und ÖVP-Klubobmann Adreas Khol äußerten sich ebenfalls in diesem Sinne: "Es geht um das Vertrauen zwischen Wähler und Politiker".

Entsprechend informierte der jetzige Bundeskanzler Dr.Schüssel Bundespräsident Klestil am 13.Oktober über den vom ÖVP-Bundesparteivorstand einstimmig gefaßten Beschluß, die angekündigte "Weichenstellung zum Gang in die Opposition" durchzuführen. Medien gegenüber meinte Dr.Schüssel folgendes: Der Beschluß des ÖVP-Vorstandes, nach den Wahlen zu tun, was man vorher versprochen habe, sei mit "viel Ernst und Nachdenklichkeit" getroffen worden und habe "nichts Taktisches und Spielerisches" an sich. Regierungsverhandlungen schloß der jetzige Bundeskanzler für die Zukunft aus. Allerdings werde man "inhaltliche Zukunftsgespräche" mit den anderen Parlamentsfraktionen führen.

Bundespräsident Klestils Rede am ÖGB-Kongreß

"Was wir brauchen, ist eine Regierung, die für eine Gesetzgebungsperiode auf solider Basis steht - und die die drängenden Probleme lösen kann, die auf uns zukommen werden", meinte Klestil in seiner Rede am 14.ÖGB-Kongreß. Eine deutliche Präferenz also für eine "solide Basis". In der gewählten Diplomatensprache Klestils könnte dies bedeuten, daß eine Regierung mit Mehrheit im Nationalrat bevorzugt würde. Er bezeichnete das Endergebnis als "schwierig zu deuten". Ferner meinte er: "Das Wahlergebnis entläßt niemanden aus seiner Verantwortung - und entbindet niemanden von seiner Verpflichtung gegenüber Österreich". Diese Wendung wurde allgemein als Kritik der Oppositionsansage der ÖVP aufgefaßt, die doch genau hätte wissen müssen, daß ohne ihre Mitwirkung keine Regierung mit Mehrheit im Nationalrat zustande kommen konnte. Klestil appellierte ferner ganz staatsmännisch, "so manches parteipolitisches Interesse und so manche taktische Überlegung zurückzustellen". Und weiter meinte er: "Ich werde mich daher auch nicht scheuen, an das Verantwortungsbewußtsein der auf die Republik vereidigten Mandatare zu appellieren, zuerst an unser Land - und erst dann an ihre Partei zu denken." Möglicherweise ist auch diese Aussage als Kritik an den taktischen Manövern der ÖVP gemeint. Mittlerweile hatte Klestil übrigens, ganz der Tradition entsprechend, die bisherige Bundesregierung mit der vorübergehenden Führung der Regierungsgeschäfte beauftragt.

Bundespräsident Klestil beauftragt SPÖ-Vorsitzenden Klima mit der Führung von "Sondierungsgesprächen"

Am 14.10.1999 bauftragte Bundespräsident Klestil den SPÖ-Vorsitzenden Viktor Klima mit der Führung sogenannter "Sondierungsgespräche".

Dies war eine Neuerung: Bisher war es in der Zweiten Republik üblich gewesen, den Chef der mandatsstärksten Partei gleich nach der Wahl mit einem Regierungsauftrag auszustatten. Klestil machte Klima hinsichtlich der Gestaltung der Sondierungsgespräche formale und inhaltliche Vorgaben.

Formale Vorgaben waren, daß Klima mit allen Parteien Gespräche führen sollte (also auch mit der FPÖ) und ferner es vorrangig um Inhalte, nicht um Personen zu gehen hatte.

Die inhaltlichen Vorgaben des Bundespräsidenten waren ebenfalls sehr detailliert. Es sollte gesprochen werden über...

... Konsolidierung des Staatshaushalts und die Überprüfung der Staatsausgaben hinsichtlich Sinnhaftigkeit.

...Maßnahmen zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts.

...Erarbeitung einer gemeinsamen Sicherheitspolitk Österreichs, die sich in EU-Europa eingliedern sollte.

...Abschaffung des Proporzsystems im öffentlichen und halböffentlichen Bereich.

...Neuregelungen der Kompetenzen der Ministerien.

...Bürokratieabbau in der Verwaltung.

...Vorrang für Forschung im Budget und eine Forschungsoffensive.

...Berücksichtigung einer Bildungsoffensive einschließlich der beruflichen Fortbildung im Budget.

...Sicherung des sozialen Standards.

Ich betone nochmals, daß die Vorgangsweise des Bundespräsidenten, zuerst sogenannte "Sondierungsgespräche" in Auftrag zu geben, unüblich war.

Wieso tat er es? Eine durchaus glaubwürdige Erklärung gab Bundespräsident Thomas Klestil rückblickend kurz vor der Angelobung des schwarz-blauen Kabinetts in einem Interview für die Zeitschrift NEWS:

"Ich habe diesen Weg aus mehreren Gründen gewählt: - Der ÖVP eine gesichtswahrende Möglichkeit zu geben, ihre Oppositionsentscheidung zu widerrufen - dies hat ja bis Mitte Dezember gedauert; - zu erreichen, daß alle Parteien einen Dialog miteinander beginnen, wie es in einer Demokratie üblich ist; und - SPÖ und ÖVP die Möglichkeit zu personellen Erneuerungen zu geben."

Bundespräsident Klestil vergibt den Regierungsauftrag zur Bildung einer SPÖ-ÖVP-Regierung

Nach Wochen der Sondierungsgesprächen zwischen den Parteien (auf deren genauen Verlauf hier aus Platzgründen nicht eingegangen werden kann), erteilte Bundespräsident Thomas Klestil am 9.12. 1999 den Regierungsauftrag an SPÖ-Vorsitzenden Viktor Klima. Der Bundespräsident knüpfte die Regierungsbildung an zwei Bedingungen:

Die Bundesregierung sollte mit "klarer, solider Mehrheit im Parlament" ausgestattet sein.

Sie sollte ferner "Ansehen im In- und Ausland" genießen.

Beide Bedingungen gemeinsam werden, davon kann man ausgehen, nur von einer SPÖ-ÖVP-Koalition erfüllt. Denn einer SP-Minderheitsregierung würde die solide Mehrheit im Parlament genauso mangeln, wie einer ÖVP-FPÖ-Koalition das Ansehen im Ausland (daß dies so ist, wird spätestens durch die gegenwärtigen Sanktionen der internationalen Welt gegen die neue Regierung bewiesen). Man kann also den Auftrag den Bundespräsidenten als einen Auftrag zur Bildung einer Regierung SPÖ-ÖVP werten.

Der ÖVP-Vorstand beschloß am 13.12.99, nach langem Hinhalten der Öffentlichkeit, doch die Telnahme an Regierungsverhandlungen.

Die Verhandlungen und ihr Scheitern

Die Verhandlungen von SPÖ und ÖVP zur Regierungsbildung standen von Anfang an unter keinem guten Stern. Bereits am 21.12.99 konnte eine große österreichische Tageszeitung titeln: "Zeitdruck und Mißtrauen prägen die Regierungsverhandlungen". Gleich zu Beginn der Verhandlungen brach ein über die Medien geführter Streit über die Frage los, ob es "Unter-", "Arbeits-" oder "Arbeits-Untergruppen" zu den einzelnen Verhandlungspunkten gibt oder ob überhaupt alles im Plenum verhandelt wird (ersteres behauptete die SPÖ, letzteres die ÖVP). Der SPÖ-Wissenschaftsminister Caspar Einem äußerte schon früh die Kritik, daß es die ÖVP "nicht so ernst meint mit den Regierungsverhandlungen". Die Opposition hatte nur Hohn für die Verhandler übrig. FPÖ-Generalsekretär Peter Westenthaler sprach von einem "puren Chaos"; er fände es absurd, bereits über die Frage, ob und welche Arbeitsgruppen es gibt, einen Streit in den Medien zu führen. Und die grüne Bundesgeschäftsführerin Martina Sburny bezeichnete die Gespräche wörtlich als "Frotzelei".

Bundespräsident Klestil setzte Ende Dezember SPÖ und ÖVP eine Frist bis Mitte Jänner; bis dahin, meinte er, müsse klar sein, ob es zu einer erneuten SPÖ-ÖVP-Koalition komme. Klestil sah sich ferner genötigt, "ehrliche Verhandlungen" einzumahnen, "um den Eindruck parteitaktischer Gespräche nicht aufkommen zu lassen". Zur selben Zeit wurden von der ÖVP heftige Vorwürfe gegen SPÖ-Finanzminister Edlinger laut. Er habe die Regierung nicht zeitgerecht und nicht vollständig über Probleme beim Budget informiert. Aus SPÖ-Verhandlerkreisen drang zur selben Zeit durch, daß die Verhandlungen schlecht stünden. Entsprechen titeln auch die Zeitungen: "Erbittertes Schweigen" oder "Hickhack statt Annäherung".

Dies alles hinderte SPÖ-Vorsitzenden und "provisorischen" Bundeskanzler Viktor Klima nicht daran, in seiner Neujahrsansprache folgendes mitzuteilen:

"In den letzten Wochen haben mir hunderte Bürgerinnen und Bürger geschrieben und ihre Ungeduld über den Mangel an spürbaren Fortschriten bei den Regierungsverhandlungen zum Ausdruck gebracht. Ich verstehe diese Ungeduld, weil auch ich immer der Überzeugung war und bin, daß es auf der Basis des gemeinsam Erreichten keine unüberwindlichen Hindernisse zur Bildung einer neuen Reformpartnerschaft gibt."

Der Wunsch ist tatsächlich der Vater des Gedankens.

Bundespräsident Klestil kritisierte in seiner Neujahrsansprache in Bezug auf die Regierungsverhandlungen - weitaus realisitscher - den "Parteien-Egoismus" und das Stellen von "persönlichen Interessen vor das Wohl des Staatsganzen". Er setzte sich für zügige Verhandlungen ein, meinte aber, entscheidend sei weniger die Dauer, sondern die Tragfähigkeit der Lösungen.

Die Verhandlungen nahmen noch ca. einen Monat in Anspruch, es gab Höhen und Tiefen. Aus Platzgründen sollen diese übersprungen werden.

Letztlich einigten sich SPÖ und ÖVP auf ein gemeinsames Regierungsprogramm; am 18.1.2000 konnte die "Wiener Zeitung" euphorisch titeln: "SPÖ und ÖVP in der Zielgeraden". Dieses gemeinsame Regierungsprogramm wurde auch von den obersten Parteigremien von SPÖ und ÖVP akzeptiert. Aufgrund der großen Zugeständnisse Klimas waren dabei vor allem große Widerstände im SPÖ-Präsidium zu überwinden, Klima mußte sogar mit seinem Rücktritt drohen. Trotz Annahme durch das SPÖ-Präsidium kündigte die Gewerkschaft Widerstände zum Koalitionsabkommen an - vor allem die geplante Erhöhung des Pensionsantritts weckte große Widerstände. Schließlich scheiterten die Verhandlungen trotz eines ausverhandelten und von den obersten Parteigremien akzeptierten Koalitionspakts Ende Jänner.

Die beiden Anlässe des Scheiterns der Verhandlungen waren:

Das Beharren der ÖVP auf der Unterschrift von Gewerkschaftsfunktionär Rudolf Nürnberger bzw. seine Verweigerung der Unterschrift unter den Koalitionspakt. Nürnberger nahm an den Verhandlungen in der SPÖ-Delegation teil. Ihm war allerdings von der Fraktion sozialdemokratischer Gewerkschafter untersagt worden, den ausverhandelten Koalitionspakt zu unterschreiben, der für die Gewerkschaft untragbare Regelungen zur Pensionsreform enthielt.

Das Beharren der ÖVP auf ein weiteres Schlüsselressort bzw. die Weigerung der SPÖ, dieses zuzugestehen. Gefordert wurde von der ÖVP insbesonders das Finanzminsterium.

Nach dem Scheitern der Verhandlungen warfen sich beide Parteien gegenseitig vor, die Schuld am Scheitern zu tragen. So unterstellten SPÖ-Funktionäre der ÖVP nur zum Schein Verhandlungen geführt zu haben, die sie dann absichtlich platzen ließ. Die ÖVP wiederum bestritt, Scheinverhandlungen geführt zu haben und meinte, die Neuauflage der Koalition sei nur an der Unterschrift des Gewerkschaftsfunktionärs Nürnberger und der mangelnden SP-Bereitschaft zu personellen Neuerungen nicht zustande gekommen. Begründet wurde die Wichtigkeit der Unterschrift Nürnbergers einerseits damit, daß es fair sei, daß jemand, der mitverhandelt, auch zum Ergebnis steht, zweitens damit, daß viele SPÖ-Mandatare im Nationalrat Gewerkschafter sind. Würden diese die Gefolgschaft verweigern, wäre die Umsetzung des Regierungsprogramms gefährdet.

Ich will nicht endgültig entscheiden, wer die Schuld am Scheitern der Verhandlungen trägt; und einen endgültigen Beweis zu führen, ist schwer, noch dazu als Außenstehender. Es gibt allerdings einige plausible Argumente, die mich veranlassen, die Meinung zu vertreten, daß die Hauptverantwortung für das Scheitern doch bei der ÖVP liegt.

1.) Die SPÖ konnte kein Interesse daran haben, die Verhandlungen scheitern zu lassen. Die Alternative zu einer Koalition mit der ÖVP war für die jede Zusammenarbeit mit der FPÖ ausschließende Sozialdemokratie (sieht man von der kaum zu realisiernden Variante einer Minderheitsregierung ab) der Gang in die Opposition und damit immenser Machtverlust. Das Interesse der ÖVP an einem Scheitern der Verhandlungen und einer Koalition mit der FPÖ kann als durchwegs größer angesehen werden. So konnte die ÖVP durch die Koalition mit der FPÖ immerhin den Kanzlersessel und einige andere reizvolle Ressorts (z.B. das Innenministerium) gewinnen. Und wenn man unterstellt, daß Interessen - und nicht edlere Motive - die normale Triebfeder der Politik sind, ist dies durchaus ein plausibler Beweggrund, eine andere Koalition zu suchen.

2.) Die SPÖ zeigte ihre enorme Kompromißbereitschaft schon alleine dadurch, daß sie den Forderungen der ÖVP in zahlreichen Punkten nachgegeben hatte. Wie stark dieses Nachgeben war, kann man z.B. aus den Kommentaren wichtiger Oppositionspolitiker ersehen. Um nur eines zu nennen: Der Bundessprecher der Grünen Van der Bellen, die ÖVP hätte "ihren Polit-Poker total überzogen", die SPÖ stünde "nackt" da. Weiters meinte er: "So nackt ist noch kein SP-Kanzler herumspaziert". Auch die Parteibasis der SPÖ reagierte auf die Zugeständnisse ihrer Partei empört. Als die Zugeständnisse Klimas bekannt wurden, trafen hunderte emails in der SPÖ-Parteizentrale und beim Online-Dienst der Gewerkschaft ein, dazu klingelten die Telefone den ganzen Tag. Die Zuschriften und Anrufe waren durchwegs negativ: Parteiaustritte wurden angedroht, es ergingen Rücktrittsaufforderungen an Klima, die Rede war von Verrat an sozialdemokratischen Grundsätzen.

Diese Indizien mögen reichen, um die Argumentation zu untermauern, daß SPÖ-Parteivorsitzender Klima maximale Zugeständnisse an die ÖVP zu machen bereit war - zur Not auch gegen den Willen der Parteibasis, der SPÖ-Jugendorganisationen und der Gewerkschaft. Man kann also sagen: Er gab, soviel er konnte, nur um die ÖVP in der Regierung mit der SPÖ zu halten. Kann man angesichts dieser Ereignisse also der SPÖ unterstellen, es hätte an Willen gefehlt, die Verhandlungen zu einem erfolgreichen Ende zu bringen? Und wer den Protest der Gewerkschaft gegen die Regierungsvereinbarungen anführt, darf nicht vergessen, daß diese Proteste nicht unbedingt als Zeichen mangelnden Willens der SPÖ zu interpretieren sind, Kompromisse zu schließen, sondern höchstens logische Reaktionen auf eine (nach Meinung zahlreicher politischer Kommentatoren) fast völlige Kapitulation der SP-Parteispitze vor ÖVP-Forderungen.

3.) Auch die Einschätzung der Österreicher ist ähnlich wie meine: Laut einer Umfrage der Zeitschrift NEWS meinte ca. die Hälfte der Österreicher, beide Partner wären im gleichen Umfang Schuld am Scheitern der Verhandlungen. Die übrige Hälfte der Österreicher sah die Schuld des Scheiterns aber zum überwiegenden Teil bei Wolfgang Schüssel. An die Alleinschuld Klimas am Scheitern der Verhandlungen glaubten nur 8% der Österreicher. Der kritikwürdige Verhandlungsstil der ÖVP (für den übrigens auch Bundespräsident Klestil harte Worte fand - siehe später) führte auch u.a. dazu, daß deren Popularitätswerte massiv nachließen. 66% der Österreicher meinten nach dem Scheitern der Verhandlungen, das politische Klima sei nicht für die ÖVP nicht günstig. Wären zu dieser Zeit Neuwahlen gewesen, wäre die ÖVP auf 21% der Stimmen abgestürzt; es gab mehr Menschen, die Van der Bellen, den Chef der kleinsten Oppositionspartei, zum Kanzler wollten als Wolfgang Schüssel.

Es spricht also einiges dafür, daß die ÖVP für das Scheitern der Verhandlungen mit der SPÖ die Hauptverantwortung trägt.

Bundespräsident Klestil vergibt den Regierungsauftrag zur Bildung einer SPÖ-geführten Minderheitsregierung

Am 21.1.2000, nach dem Scheitern der SPÖ-ÖVP-Koalitionsverhandlungen, erteilte Bundespräsident Klestil dem SPÖ-Vorsitzenden Klima den Auftrag zur Bildung einer SPÖ-Minderheitsregierung. Ihr sollten nach dem Willen des Bundespräsidenten auch "unabhängige Experten" angehören. ÖVP und FPÖ protestierten gegen diesen Auftrag.

Der Wortlaut des Auftrages lautete: "Der Bundespräsident nimmt den Bericht des Bundeskanzlers zur Kenntnis, wonach die Gespräche mit der ÖVP erfolglos beendet wurden. Der Bundespräsident bekräftigt den Auftrag zur Regierungsbildung und ersucht den Bundeskanzler, mit den Vorsitzenden aller im Parlament vertretenen Parteien Gespräche über eine SP-geführte Regierung zu führen, die über keine Mehrheit im Parlament verfügt und in die auch unabhängige Experten aufgenommen werden sollen".

In Österreich wird die Regierung - wie bereits festgestellt - vom Bundespräsident eingesetzt, der dabei - juristisch gesehen - völlig ungebunden ist. Eine Wahl der Regierung durch den Nationalrat ist nicht vorgesehen. Die Regierung ist aber auch diesem verantwortlich und kann von ihm abgesetzt werden. Wenn über die Hälfte der Nationalratsabgeordneten einem Mißtrauensantrag gegen die Regierung zustimmen, muß sie vom Bundespräsidenten entlassen werden. Ein solcher Mißtrauensantrag kann jederzeit eingebracht werden. Das heißt, es gilt bei Ein- und Absetzung der Regierung ein "negativer" Parlamentarismus; eine Regierung muß nicht unbedingt eine Mehrheit der Nationalratsabgeordneten hinter sich, darf aber keine Mehrheit gegen sich haben. Wird eine Minderheitsregierung abgesetzt, gibt es keinen Automatismus, der Neuwahlen herbeiführt.

(Der Bundespräsident könnte - theoretisch - natürlich eine abgesetzte Regierung sofort wieder unverändert vereidigen. Aber eine Regierung, die jeden Tag abgesetzt und wieder eingesetzt wird, kann man kaum als handlungsfähig bezeichnen. Außerdem wäre keine Akzeptanz der Bevölkerung für eine solche Vorgangsweise vorhanden; und ich kann mir nicht vorstellen, daß sich eine Partei dafür hergeben würde, eine Regierung anzuführen, bei der schon zuvor klar ist, daß zum Tode geweiht ist.)

Eine Mehrheit im Nationalrat, die die Regierung nicht nur duldet, sondern aktiv unterstützt, ist, wie oben festgestellt, nicht unbedingt notwendig. Sie wäre allerdings wünschenswert, da sie sonst für jedes einzelne Gesetzesvorhaben erneut Mehrheiten finden müßte; es gäbe also keine "sichere" Mehrheit. Wenn diese aber nicht vorhanden ist, wird Regierungsarbeit ungleich mühsamer und schwieriger. In der Geschichte der Zweiten Republik gab es bisher nur eine einzige Minderheits-Regierung, nämlich das Kabinett Kreisky I 1970 / 71. Diese SPÖ-Regierung wurde einst von der FPÖ geduldet "im Tausch" gegen eine Wahlrechtsreform, die kleinere Parteien stärker begünstigt (die alte Wahlordnung bevorzugte die ÖVP). Die Lebensdauer einer Minderheitsregierungen ist begrenzt, da sie von der Duldung einer anderen Parlamentsfraktion abhängig ist.

Unter den gegebenen Umständen konnte man sich bereits vor Beginn der Gespräche ausrechnen, daß nur ein einziges Szenario möglich war, eine SPÖ-geführte Minderheitsregierung sinnvollerweise durchführen zu können: Die SPÖ hätte eine Duldung ihrer Regierung durch die FPÖ erreichen müssen. Denn eine Duldung durch die Grünen wäre nicht ausreichend gewesen, um eine mögliche Mehrheit eines Mißtrauensantrages zu verhindern; eine Duldung durch die ÖVP war ziemlich unwahrscheinlich. Denn wenn nach monatelangen Gesprächen eine Zusammenarbeit der SPÖ mit der ÖVP auf Basis einer Koalition scheitert, wird man doch wohl kaum annehmen können, die ÖVP würde dann eine SPÖ-Minderheitsregierung dulden. Der Politikwissenschaftler Peter Ulram meinte dazu, ihm verschließe sich der Sinn einer Minderheitsregierung, denn warum sollte diese durch die ÖVP unterstützt werden, wenn diese schon in den Verhandlungen der SPÖ nicht vertraut habe?

Wenn also Klima wirklich ernsthaft vorhatte, eine SPÖ-geführte Minderheitsregierung zu bilden (und davon kann man ausgehen, denn sonst hätte er kaum den Regierungsauftrag Klestils angenommen und seinen Ruf durch einen Mißerfolg aufs Spiel gesetzt) und wenn ferner Klima mit dem politischen System vertraut war (und auch davon kann man bei einem SPÖ-Vorsitzenden und Bundeskanzler ausgehen), muß sein primäres Ziel gewesen sein, die FPÖ für die Duldung einer SPÖ-Regierung zu gewinnen; ansonsten hätten seine Handlungen kaum Sinn gemacht.

Schon im Vorfeld der Diskussionen um eine mögliche SPÖ-Minderheitsregierung wurde allerdings deutlich, daß die FPÖ diese nicht unterstützen würde. "Der Standard" berichtete am Samstag, dem 22.1.2000, Haider lehne eine solche Unterstützung ab. Er begründete dies so: "Ich wüßte nicht, warum wir so etwas tun sollen, wo es so viele Möglichkeiten einer breiten Mehrheitsbildung gibt."

In der folgenden Woche begann Klima trotzdem Gespräche über die Bildung einer solchen SPÖ-Minderheitsregierung mit allen Parteien zu führen.

Schon zuvor war klar, daß die Grünen bereit wären, eine solche Regierung punktuell zu unterstützen, dies erklärte Bundessprecher Van der Bellen bereits nach Bekanntwerden des neuen Regierungsauftrages. In einer solchen Regierung würde es keinen Vertreter der Grünen geben. Van der Bellen knüpfte aber selbst diese Unterstützung an Bedingungen, z.B. sollte die von SPÖ und ÖVP ausgehandelte Pensionsreform fallengelassen werden. Aber grüne Unterstützung war ohnehin nicht ausreichend für das Funktionieren dieser Regierung.

Erwartungsgemäß stieß ein solches Projekt auch auf den massiven Widerstand der ÖVP. Und auch die FPÖ blieb bei den Ankündigungen Haiders, eine SPÖ-geführte Minderheitsregierung nicht zu tolerieren. Bereits am Montag, dem 24.1.2000 konnte der Kurier titeln: "VP/FP-Mehrheit lehnt Minderheitskabinett von Klima ab". Einige Zeit später mußte Noch-Kanzler Klima Bundespräsident Klestil eingstehen, was alle bereits wußten: Er war bei der Bildung eines Minderheitskabinetts gescheitert und mußte den Regierungsauftrag zurücklegen.

Alles in allem kann man den Versuch zur Bildung einer SPÖ-Minderheitsregierung nur als eine sehr kurze Episode im Regierungsbildungsprozeß 1999 / 2000 bezeichnen. Diese Idee einer "Regierung der besten Köpfe" (wer immer das sein soll) wurde von der SPÖ bereits vor den Wahlen propagiert und geisterte monatelang als scheinbar realistische Variante durch die Medienberichterstattung mehrerer Monate.

Ex post betrachtet wird klar, daß diese Idee nicht viel mehr war als der verzweifelte Versuch der SPÖ, eine Alternative für die gescheiterte Große Koalition zu finden, ohne eine Koalition mit der rechtsextremen FPÖ eingehen zu müssen. Die Annäherung zwischen ÖVP und FPÖ konnte aber, so zeigten die weiteren Ereignisse, durch dieses Konzept nicht aufgehalten werden.

Die Koalition ÖVP-FPÖ zeichnet sich ab

Spätestens nach dem Scheitern der Bemühungen einer SPÖ-Minderheitsregierung traten ÖVP und FPÖ in gemeinsame Gespräche ein (Kritiker behaupten freilich angesichts der erstaunlich schnellen Einigung beider Parteien, es hätte zuvor schon geheime Gespräche gegeben - was beide Parteien heftigst bestritten).

Die Gespräche, die letztlich in erstaunlich kurzer Zeit zu einem Koalitonsabkommen führten, wurden ohne Auftrag, wohl aber mit Wissen Klestils geführt. Von ihm folgte auch keinerlei Auftrag zu einer Regierungsbildung; er sollte die Regierung später angeloben, ohne jemals einen solchen Auftrag erteilt zu haben. Auf das Koalitionsabkommen und die Pläne der neuen Regierung kann im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen werden.

Bundespräsident Thomas Klestil studierte vor der Angelobung aufmerksam das ausgehandelte Regierungsprogramm. Er nahm auf die neue Regierung auch personell Einfluß: So lehnte er die beiden von Jörg Haider vorgeschlagenen Kandidaten für ein Ministeramt, Thomas Prinzhorn und Hilmar Kabas, schlichtweg ab. Thomas Prinzhorn war im Wahlkampf 1999 verantwortlich für die von vielen als rassistisch eingestufte, in meinen Augen von einem sehr seltsamen Geisteszustand zeugende Aussage, Ausländern in Österreich würden vom Staat gratis Hormone verabreicht, die sie fruchtbarer und gebärtüchtiger als Österreicher machen sollten. Außerdem hatte er Bundespräsident Klestil kurz zuvor einen "blutigen Kopf" angedroht, sollte dieser seine FP-kritische Politik fortsetzen. Hilmar Kabas war als Chef der Wiener FPÖ verantwortlich für die Plakate mit der Aufschrift "Stop der Überfremdung", über die oben schon gesprochen wurde. Klestil verfaßte eine Präambel zum Regierungsprogramm, die von Jörg Haider und Wolfgang Schüssel unterzeichnet wurde. Darin wird u.a. ein Bekenntnis zu Demokratie, Menschenrechten, kritischem Umgang mit der NS-Vergangenheit und gegen Ausländerfeindlichkeit ausgesprochen. Klestil kündigte an, persönlich über die Einhaltung dieses Bekenntnisses zu wachen.

Klestils Resignation im NEWS-Interview

Sehr offen, leider mit einem etwas resignierenden Unterton, nahm Bundespräsident Klestil in einem Interview mit der Zeitschrift NEWS kurz vor der Angelobung der ÖVP-FPÖ-Regierung zu seinen Bemühungen der vergangenen Monate Stellung. Dieses Interview ist aufgrund der ehrlichen, direkten und oft auch harten Worte, die der Präsident fand, sehr aufschlußreich.

Der Interviewer (Alfred Worm) stellte fest, daß Klestil in den letzten Monaten sichtlich eine Neuauflage der SPÖ-ÖVP-Koalition favorisiert hatte und fragte, ob dies aufgrund der befürchteten internationalen Proteste geschehen sei. Darauf antwortete Klestil:

"Sie haben recht, dies war einer der Hauptgründe, den ich bisher nicht in dieser Deutlichkeit ausgesprochen habe. Ich wollte Österreich die Gefahr einer neuerlichen internationalen Isolation ersparen. Es wäre besser, wenn die FPÖ noch (...) beweisen würde, daß sie eine normale demokratische Partei ist, und dadurch auch international akzeptiert wird."

Über die derbe Sprache mancher FPÖ-Politiker (auch bezogen auf die kurz zuvor erfolgten Attacken Haiders auf den französischen Präsidenten Jacques Chirac und die belgische Regierung) meinte er:

"Jüngste verbale Entgleisungen, auch von anderen Politikern der FPÖ, sind jedoch ein Beweis dafür, daß die FPÖ noch eine Zeit der Bewährungsprobe gebraucht hätte. (...) Aber leider bedienen sich höchste Funktionäre dieser Partei nach wie vor einer Sprache, die sie für jedes politische Amt disqualifiziert."

Entsetzt zeigte sich Klestil in diesem Zusammenhang auch darüber, daß ihm der FPÖ-Spitzenkandidat und 2.Nationalratspräsident Thomas Prinzhorn einen "blutigen Kopf" angedroht hatte, sollte er seine FP-kritische Politik fortsetzen.

Kritik übte Klestil auch am Verhalten der ÖVP. Er meinte dazu:

"Ich habe wiederholt gesagt, daß ich den Kurs der ÖVP mißbilligt habe: Oppositionsdrohung im Wahlkampf; Weichenstellung in die Opposition nach der Wahl; trotz Mandats- und Stimmengleichstand mit der FPÖ Beharren auf den 3.Platz - und dann die Forderung des Dritten, den Bundeskanzler stellen zu wollen. Das ist ein in der 2.Republik noch nie dagewesener Zick-Zack-Kurs, der einem geradlinigen Politiker wie mir, für den nur das Wohl des Landes zählt, die Gänsehaut aufsteigen läßt. Hier vermisse ich Verläßlichkeit und Berechenbarkeit."

Zur möglichen Angelobung einer ÖVP-FPÖ-Regierung meinte Klestil:

"Beide Parteien zusammen haben eine Mandatsmehrheit im Parlament. (...) In einer Demokratie ist eine parlamentarische Mehrheit zu respektieren. (...) Wenn ich diese Regierung angeloben sollte, tue ich dies nicht aus persönlicher Überzeugung, denn ich fürchte, daß Österreich international Schaden zugefügt wird."

Eine Angelobung der neuen Bundesregierung geschah einen Tag nach Erscheinen des Interviews. Klestil äußerte klar, daß er die Angelobung gegen seine persönliche Überzeugung vornehme. Interessant ist, daß jemand öffentlich zugibt, etwas gegen seine Überzeugung, also letztlich gegen sein Gewissen zu tun. Ich bin der Meinung, daß man doch eigentlich im Einklang mit diesem handeln sollte.

Die Angelobung

Am 4.2. 2000 erfolgte die Angelobung der neuen schwarz-blauen Regierung - in kühler Atmosphäre.

Kurz nach Mittag marschierten die sechzehn Mitglieder der neuen Regierung in den Maria-Theresien-Saal der Hofburg und nahmen Aufstellung. Der Bundespräsident ließ zunächst auf sich warten. Dutzende Journalisten säumten den Raum.

Dann betrat Bundespräsident Klestil mit eisiger Miene den Saal, entließ zunächst die alte Regierung und gelobte Wolfgang Schüssel als neuen Bundeskanzler an. Auch bei der Angelobung der Vizekanzlerin Riess-Passer und der übrigen Minister und Staatssekretäre zeigte der Bundespräsident kein Lächeln oder sonstiges Anzeichen von Gefühlsregung.

Die neue Regierung war durch einen unterirdischen Gang in die Hofburg gelangt, was denkbar unüblich ist für ein friedliches Land wie Österreich. Rund um die Hofburg hatten sich tausende Demonstranten versammelt, die gegen die Angelobung des neuen Kabinetts protestierten. Kein gutes Omen für die Zukunft, scheint es.

Klestils Rede nach der Angelobung

Am Tag der Angelobung hielt Bundespräsident Klestil eine Ansprache im Fernsehen, in der er zur neuen Regierung Stellung nahm. Klestil betonte, daß jetzt besonders viel Überzeugungsarbeit Österreichs im Ausland nötig sei. Er wies darauf hin, daß er sich monatelang um eine Neuauflage der SPÖ-ÖVP-Koalition bemüht hatte. Gescheitert sei sie letztlich an der Abnützung einer seit dreizehn Jahren bestehenden Partnerschaft. Die angelobte Regierung sei aber, so Klestil, demokratisch legitimiert.

"ÖVP und FPÖ haben eine Mandatsmehrheit im Parlament, die in einer Demokratie zu respektieren ist. Der Wille der beiden Parteien, eine Koalition zu bilden, ist in einem demokratischen Rechtstaat zu akzeptieren."

Dann wies er auf die Präambel hin, die Jörg Haider und Wolfgang Schüssel am 3.Februar unterzeichnet hatten. Er kündigte an, diese Präambel an die Staatsoberhäupter in aller Welt zu verschicken. Danach forderte er, im Gegenzug für die Achtung des dort festgehaltenen Bekenntnisses zu Demokratie und Menschenrechten, eine Art Vertrauensvorschuß für die neue Regierung. Man müsse ihr eine Chance geben und sie nach ihren Taten messen.

Internationale Proteste

Bereits nach dem spektakulären Wahlerfolg der FPÖ stellten sich internationale Proteste ein. Ein zweiter internationaler Aufschrei erfolgte, als schließlich bekannt wurde, daß die FPÖ sich auch an der Regierung beteiligen wird. Mittlerweile ist klar, daß noch nie in der österreichischen Geschichte - selbst nicht zur Zeit der Waldheim-Affäre - eine derart heftige Politik oder eine derart starke politische Isolation Österreichs erfolgte.

Internationale Reaktionen auf das Wahlergebnis

Sowohl die britische als auch die US-amerikanische Presse, der die österreichischen Wahlergebnisse normalerweise relativ gleichgültig ist, beschäftigten sich ausführlich mit dem spektakulären Wahlerfolg der FPÖ. Die britische konservative Tageszeitung "Times" sprach von einer "Blamage für Österreich". Weitsichtig wurde auch prophezeit, welch katastrophale Folgen eine Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen für das Image Österreichs hätte. Es wurde auch gesprochen vom "Schatten der Nazi-Herrschaft über Hitlers Geburtsland".

Die US-amerikanische Zeitung "Wall Street Journal" kritisierte die FPÖ-Wahlkampagne als die "häßlichste" in der jüngsten Geschichte Europas, sie sei "rassistisch" gewesen. Auch die "Washington Post" kritisierte Haider, den sie als "telegenen Sohn eines früheren Nazi" bezeichnete. Haiders problematischsten Aussagen (z.B. "ordentliche Beschäftigungspolitik im Dritten Reich") wurden wiederholt.

Auch in zahlreichen osteuropäischen Ländern löste der Wahlerfolg Haiders Unbehagen aus. Hier sah man vor allen eine Gefahr für die EU-Osterweiterung. Der tschechische Fernsehsender "Nova" meinte in diesem Sinne: "Der Wahlausgang in Österreich kann für die Tschechische Republik eine Gefahr bedeuten". Auch zahlreiche tschechische, ungarische und polnische Zeitungen äußerten sich in diesem Sinne.

In Brüssel stieß der Wahlerfolg der FPÖ ebenfalls auf wenig Verständnis. Auch in Frankreich wurde von Medien wie Politikern heftigste Kritik an der FPÖ geübt. Die Bezeichnung von Jörg Haider in den französischen Medien reichten von "Neofaschist" bis "rassistischer Playboy". In Italien fragte die linke Zeitung "Repubblica" rhetorisch: "Ein neuer Hitler in Österreich?" Dieser Tenor zog sich durch die ganz italienische Presse. Ganz besonders schockiert zeigte sich Israel. Die größte Zeitung des Landes, "Yediot Aharonot" schrieb: "Jeder vierte Österreicher hat für den rechtsradikalen Neonazi Jörg Haider gestimmt". Die "Jerusalem Post" fragte, was mit Österreich los sei: "Zuerst hat es einen früheren Nazi, Kurt Waldheim, zum Bundespräsidenten gemacht, und jetzt hat es Haider an den Rand der Kanzlerschaft gebracht". Dieser Grundtenor des Entsetzens und der Bestürzung zog sich durch die gesamte israelische Presse. Und die Politiker schlossen sich dieser Einschätzung an: Der israelische Minsterpräsident Ehud Barak warnte in einer Erklärung angesichts des FP-Wahlerfolgs vor einer "Ausbreitung der Pest des Neonazismus und des Faschismus". Von anderen israelischen Politikern gab es ähnliche Reaktionen.

Es soll nicht verschwiegen werden, daß der FPÖ auch Unterstützung zuteil wurde. So meinte der Führer der französischen rechtsradikalen "Front National" Jean-Marie Le Pen: "Ich gratuliere den deutschen, pardon, österreichischen Patrioten". Mittlerweile hat auch das Milosevic-Regime in Belgrad seine Solidarität zur neuen Regierung bekundet. Es stellt sich nur die Frage, ob dieses Lob nicht bedenklicher ist, als alle internationale Kritik.

Internationale Reaktionen auf die Regierungsbeteiligung der FPÖ

Ab Ende Jänner begann sich eine Koalition zwischen FPÖ und ÖVP abzuzeichen. Entsprechend nahmen ab diesem Zeitpunkt die internationalen Proteste zu.

Zu dieser Zeit setzte auch öffentlich geäußerte Kritik mehrerer hochrangiger Poltiker an einer möglichen Regierungsbeteiligung der FPÖ ein. Neben anderen äußerten sich vor allem der französische Präsident Jacques Chirac und der belgische Außenminister Louis Michel in diesem Sinne. Jörg Haider reagierte gewohnt unsensibel und mit fast schon brutal anmutenden Worten. In einem Interview in der "Zeit im Bild" vom 29.1.2000 bezeichnete er die belgische Regierung als korrupt und den französischen Präsidenten sinngemäß als unfähig. Haiders Aussagen wurden im französischen und belgischen Fernsehen gesendet und riefen noch heftigere Reaktionen hervor. Bundespräsident Thomas Klestil versuchte noch einiges zu retten: In einer Aussendung sprach er von "verbalen Entgleisungen" Haiders und forderte ihn auf, sich "künftig einer anderen Sprache zu bedienen". Doch der Schaden war schon passiert; und daß Haiders Replik auf internationale Kritik nicht unbedingt zur Entschärfung der Situation beitrug, kann man sich denken.

Am 31.1.2000 erging eine Stellungnahme der vierzehn anderen EU-Mitglieder an Österreich, in dem Sanktionen angedroht werden für den Fall, daß die FPÖ an einer Regierung teilnehmen werde. Diese Sanktionen sind:

Alle bilateralen Kontakte zwischen Österreich und den anderen vierzehn EU-Staaten sollen eingefroren werden

Österreichische Kandidaten, die sich bei internationalen Organisationen bewerben, sollen keine Unterstützung mehr finden

Österreichische Botschafter in allen EU-Hauptstädte sollen nur mehr auf technischer Ebene empfangen werden

Diese Sanktionen sind mittlerweile in Kraft getreten.

Am 1.2. 2000 nahm das Europaparlament eine Resolution an, in der "alle beleidigenden, ausländerfeindlichen und rassistischen Äußerungen von FPÖ-Obmann Haider" verurteilt wurden. Gewarnt wurde auch vor einer Legitimierung der extremen Rechten.

Am selben Tag verfügte das Innenministerium in Jerusalem ein Einreiseverbot für Jörg Haider in Israel (dieser hatte ja eine PR-Reise nach Israel geplant).

Der belgische Außenminister Louis Michel meinte in einem Radio-Interview, Europa sei in Gefahr. Er könne weder einen Neo-Faschisten im österreichischen Finanz- noch im Verteidigungsministerium akzeptieren. Er meinte ferner, Europa könne gut ohne Österreich auskommen. Ergänzend fügte er hinzu, die Vorgangsweise Belgiens stünde auch Österreich zu, wenn dort eine extremistische Partei in die Regierung käme. Die belgische Regierung erwog gleichzeitig den Abzug des Botschafters aus Österreich.

Auch aus den USA folgten Proteste. In einem Brief der First Lady Hillary Cinton an den World Jewish Congress äußerte sie sich wie folgt: "Haider hat sich positiv über Hitlers Beschäftigungspolitik geäußert. Weder er noch seine Partei sollten als seriöser Partner in einer österreichischen Regierung angesehen werden. Haiders Intoleranz, sein Extremismus und Antisemitismus sollten uns alle eine Warnung sein". Auch andere Stimmen in den USA haben sich zu Wort gemeldet: Die USA wollen im Falle einer FPÖ-Regierungsbeteiligung ihre Beziehungen zu Österreich einer "Überprüfung unterziehen", sagte David Leavy, der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, und "ähnliche Schritte setzen wie die EU".

Am 10.2.2000 wurde schließlich bekannt, daß die EVP (Europäische Volkpartei) im Europaparlament (wie bereits erwartet) ein Ausschlußverfahren gegen die ÖVP eingeleitet hat. Grund dafür ist die Koalition mit der als problematisch eingestuften FPÖ. Ein tatsächlicher Ausschluß erscheint allerdings unwahrscheinlich. Trotzdem ist es ein deutliches Zeichen, das auch von christdemokratischen Parteien in ganz Europa gesetzt wird. Die EU-Sanktionen pauschal als Verschwörung von Sozialdemokraten darzustellen ist schon alleine aus diesem Grund nicht haltbar, sieht man davon ab, daß auch z.B. Präsident Chirac kein Sozialdemokrat ist. Von einer solchen Verschwörung wußte allerdings die neue Außenminsterin Benita Ferrero-Waldner (ÖVP) zu berichten.

Zusammenfassend kann man sagen, daß die FPÖ-Regierungsbeteiligung die größte außenpolitische Krise unseres Landes seit 1945 ausgelöst hat. Vom heutigen Standpunkt aus ist noch kein Ende dieser Krise in Sicht, die Österreichs Image in der Welt empfindlich geschädigt hat.

Wirtschaftlicher Schaden

Die internationalen Proteste bleiben nicht ohne Wirkung auf die wirtschaftliche Situation Österreich. Am Tag der Angelobung der neuen Regierung sank der ATX um fast 4% auf 1.064 Punkte. Zur selben Zeit gab es aber überall in Eurpa Kursgewinne, z.B. auch in Frankfurt. Auch auf den Tourismus gab es bereits Auswirkungen: So wurde Anfang Februar bekannt, daß ein großer internationaler Ärztekongreß, der im Juni 2000 in Innbruck stattgefunden hätte, wegen der neuen Regierung abgesagt wurde, was einen Verlust von ca.40 Mio.Schilling für die Stadt bedeutete. Man kann davon ausgehen, daß auch von anderen ähnliche Schritte gesetzt werden. Der belgische Außenminister rief seine Landsleute dazu auf, keinen Urlaub mehr in Österreich zu machen. Österreichische Tourismus-Experten befürchten aus diesen Gründen langfristige Schäden für die heimische Wirtschaft. Es kann noch nicht gesagt werden, wie groß diese Schäden sein werden. Daß die gegenwärtige Situation der österreichischen Wirtschaft aber nicht unbedingt entgegenkommt, kann mit Fug und Recht festgestellt werden.

Verschwörungstheorien

Manche FPÖ-Kreise können offenbar nicht verstehen, daß Aussagen wie das Lob einer "ordentlichen Beschäftigungspolitik im Dritten Reich" oder ein rassistisch anmutender Wahlkampf von selbst internationale Kritik auslösen können. Daß diese noch stärker wird, wenn man auf sie mit Beleidigungen und Unterstellungen von Unfähigkeit und Korruption antwortet, entzieht sich ebenfalls ihrem Verständnis. Vielmehr, so meinen sie, sei dazu die tatkräftige Mithilfe von österreichischen sogenannten Verschwörern, Hochverrätern und Nestbeschmutzern nötig. Vor allem Bundespräsident Thomas Klestil und SPÖ-Vorsitzendem Viktor Klima wurde unterstellt, die Proteste aus dem sogenannten "Ausland" (seit dem EU-Beitritt dachte ich eigentlich, Europa wäre für uns kein Ausland mehr) quasi "bestellt" zu haben. Haider brachte sogar die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses ins Spiel, der eventuellen "Hochverrat" von Seiten Klestils und Klimas feststellen sollte.

Sieht man davon ab, daß die Vorwürfe von allen Beschuldigten energisch dementiert wurden und außerdem jeglicher Grundlage entbehren, halte ich es für bedauerlich, wenngleich für bezeichnend für die FPÖ, wenn sie wieder einmal Verschwörungstheorien und unbewiesene Unterstellungen aller Art in Umlauf bringt. Diese Aktion hat übrigens nicht dazu beigetragen, daß vernünftige Menschen verstärkt Vertrauen in die "neue Seriosität" der FPÖ und ihre proklamierte Abkehr von paranoiden ausländerfeindlichen Vorstellungen setzen werden.

Abschließende Bemerkungen: Zur Bedeutung der Institution Bundespräsident

Zu Beginn der Regierungsbildung 1999 / 2000 vertraten die meisten politischen Kommentatoren die Meinung, dem Bundespräsidenten werde eine Schlüsselrolle bei der Einsetzung der neuen Regierung zuteil. Man begründete dies allgemein damit, daß der Bundespräsident den Regierungsauftrag vergeben könnte, an wen es ihn beliebt, daß er einzig die Mehrheitsverhältnisse im Nationalrat zu berücksichtigen hätte; und da es keine absoluten Mehrheiten gäbe, sondern mehrere Kombinationsmöglichkeiten für Koalitionen, könnte er aktiv auf eine bestimmte Koalition drängen, bestimmte Varianten verweigern etc. Katharina Krawagna-Pfeifer, die Leiterin des Innenpolitk-Ressorts bei der österreichischen Tageszeitung "Der Standard" nannte in diesem Sinne die auf die Wahl folgende Zeit die "Wochen des Präsidenten".

Der Prozeß der Regierungsbildung 1999 / 2000 hat hingegen genau das Gegenteil gezeigt; nämlich, daß die Macht des Bundespräsidenten äußerst beschränkt ist. Wir hatten einen Präsidenten, Thomas Klestil, der mit seinem "aktiven Amtsverständnis" bereit war, von all seinen Kompetenzen ausgiebig Gebrauch zu machen. Es gab keine absoluten Mehrheiten im Nationalrat und damit unterschiedliche Kombinationsmöglichkeiten für eine Regierungskoalition, was seinen Spielraum zunächst auch vergrößerte.

Klestil favorisierte eine Koalition SPÖ-ÖVP und wollte eine solche zustandebringen. Die Gründe sind klar: Die "alte" Große Koalition würde über eine solide Mehrheit im Parlament verfügen und die internationale Welt würde sie akzeptieren. Klestils Bemühungen scheiterten am Hader der Parteien.

Danach, um die von ihm abgelehnte ÖVP-FPÖ-Koalition zu verhindern, vergab er den Auftrag für eine SPÖ-Minderheitsregierung. Diese scheiterte an mangelnder Unterstützung im Parlament.

ÖVP und FPÖ verhandelten daraufhin ohne seinen Auftrag und legten ihm ein im Prinzip fertiges Koalitionsabkommen vor. Klestil gab nach und vereidigte die Regierung, mit der er nach eigener Aussage nicht einverstanden war. Er mußte sich dieser Abmachung der Parteien beugen, denn ihm bleib kaum eine Handhabe.

Welche Möglichkeiten hätte es aus der Sicht des Bundespräsidenten noch gegeben, die von ihm ungewünschte Regierung zu verhindern?

Als erste Möglichkeit sehe ich die prinzipielle, kategorische Verweigerung der Angelobung von FPÖ-Ministern. Für diesen Weg hätte der Bundespräsident allerdings starke Nerven benötigt. Denn er hätte riskiert, daß für Österreich dann gar keine neue Regierung zustandekommt. Möglicherweise hätte seine Popularität bei den Österreichern auch sehr gelitten (aber das könnte ihm eigentlich egal sein, da er ohnehin nicht ein weiteres Mal zur Wahl antreten kann). Eine Absetzung des Bundespräsidenten ist theoretisch möglich, aber sehr schwierig. Wenn SPÖ und Grüne ihn gestützt hätten, wäre nicht einmal eine 2/3-Mehrheit für seine Absetzung im Nationalrat zustandegekommen. Neuwahlen wären dann allerdings vielleicht unausweichlich gewesen; laut Meinungsumfragen hätten diese SPÖ und ÖVP geschwächt (vor allem letztere), FPÖ und Grüne wären weiter gestärkt worden. Doch egal, wie Neuwahlen ausgegangen wären: Der Bundespräsident hätte weiterhin eine FPÖ-Regierungsbeteiligung verweigern können. Ein solcher beinharter Kurs hätte möglicherweise ein Einlenken der ÖVP und eine erneute Koalition mit der SPÖ bewirken können.

Eine Möglichkeit, die ÖVP in eine Regierung mit der SPÖ zu zwingen, hätte vielleicht auch darin bestanden, Kanzler Klima (noch während der Verhandlungen mit der ÖVP) zu einem Antrag auf Auflösung des Nationalrates zu überreden. Dies wäre denkbar schwer gewesen, denn die SPÖ konnte laut den Meinungsumfragen Neuwahlen nicht wünschen. Sie hätte möglicherweise, wenn diese zustandegekommen wären, ihren ersten Platz an die FPÖ abgeben müssen. Aber mit diesem Antrag in der Hand hätte der Bundespräsident die ÖVP erpressen können, wieder eine Koalition mit der SPÖ zu schließen und nicht zu hohe Forderungen zu stellen. Er hätte glaubhaft drohen können, widrigenfalls Neuwahlen auszuschreiben; und die ÖVP hätte gewußt, daß das Volk sie für die ungewohnte Länge und das Scheitern der Regierungsgespräche mit der SPÖ verantwortlich macht. Umfragen besagten, daß die ÖVP bei Neuwahlen aus diesem Grund eine herbe Niederlage einstecken hätte müssen, Schüssels Karriere wäre sicherlich beendet gewesen. Neuwahlen wären zu manchen Zeitpunkten in der Verhandlung ein Druckmittel auf die ÖVP gewesen, das man nicht unterschätzen sollte. Das Problem dieser Variante: Klima hätte aus Angst vor Neuwahlen diesen Antrag wahrscheinlich nicht gestellt, Klestil hätte diesen Antrag auch nicht wirklich umsetzen wollen, weil dies Haider gestärkt hätte. Und jeder, auch Schüssel, wußte dies.

Eine weitere Handlung, die der Bundespräsident meiner Meinung nach verabsäumt hat, war die Entlassung Wolfgang Schüssels als Außenminister der Provisorischen Regierung, und zwar sofort nach Ausbruch der internationalen Proteste. Dies wäre auf Antrag des Bundeskanzlers möglich gewesen.

Jetzt könnte man entgegnen: Was macht es für einen Sinn, jemanden als Außenminister offiziell zu entlassen und vielleicht zwei oder drei Wochen später als Kanzler einer neuen Regierung wieder anzugeloben? Machtpolitisch hätte dies wohl kaum einen Sinn gehabt. Aber die Entlassung (verbunden mit einer scharfen Rüge) wäre, gerade in einer Zeit der heftigen Auslandskritik, ein wichtiges und medienwirksames Zeichen an die internationale Welt gewesen - und nicht zuletzt das persönliche Bekenntnis, daß es nicht akzeptabel ist, wenn ein Außenminister sehenden Auges die größte außenpolitische Krise Österreichs seit 1945 verursacht, weil er mit der Hilfe einer rechtsextremen Partei zum Kanzler befördert werden will. Es wäre auch eine Demütigung Schüssels gewesen, ein Ansehensverlust und ein Makel an seiner Karriere, über den künftige Oppositionsparteien noch lange lästern hätten können ("Der damals als Außenminister gescheiterte und vom Präsidenten in Schande entlassene Wolfgang Schüssel etc.")

Dies alles unterließ der Bundespräsident. Stattdessen setzte er Zeichen, die auf mich beinahe kindisch und trotzig wirkten: Er lächelte nicht bei der Angelobung der neuen Regierung und er verweigerte das Gruppenfoto. Er tat also, was man von ihm verlangte, zog aber, salopp ausgedrückt, ein Gesicht dabei. Ich kann nicht umhin, ein solches Verhalten als lächerlich zu empfinden.

Daß Klestil die schwarz-blaue Regierung zwar angelobte, ihr allerdings keinen offiziellen Regierungsauftrag gab, wird diese auch nicht sonderlich bekümmern.

Auch die Unterzeichnung einer von Klestil verfaßten "Präambel" zur Regierungserklärung ist aus mehreren Gründen höchstens ein Zeichen an das Ausland, aber meiner Meinung nach ein sehr zweifelhaftes.

Zunächst degradiert es den Bundespräsidenten, von dem manche zuvor meinten, er könnte einer neuen Koalition sogar Inhalte vorgeben, zum Verfasser feierlicher Vorworte. Außerdem ist es meiner Meinung nach sehr bedenklich, wenn sich eine Regierung in einer Präambel zu ihrer eigenen Regierungserklärung zu Demokratie, Menschenrechten und ähnlichem bekennen muß. Sollte dies denn nicht vollkommen selbstverständlich sein - so selbstverständlich, daß ein solches Bekenntnis überflüssig ist? Ist es nicht schlimm, wenn es überhaupt nötig ist? Man muß allerdings auch sagen, daß diese Präambel z.B. von der amerikanischen Außenministerin Madeleine Albright und ihrem englischen Amtkollegen Robert Cook ausdrücklich gelobt wurden. Bedenken bleiben trotzdem bestehen.

Der einzig nennenswerte "Protest" des Präsidenten war die Verweigerung der Angelobung von zwei FPÖ-Ministern (Thomas Prinzhorn und Hilmar Kabas) weil diese deftige ausländerfeindliche Aussagen im Wahlkampf 1999 zu verantworten hatten. Ich habe allerdings das Gefühl, daß beide in gewisser Weise "Bauernopfer" waren. Nun kenne ich Jörg Haiders Gedanken nicht; und ich weiß daher auch nicht, was ihn zum Vorschlag dieser beiden Herren als Minister bewog. Wenn ich aber Parteiobmann der FPÖ gewesen wäre, hätte ich dem Bundespräsidenten ähnlich verfemte Handlanger als Minister vorgeschlagen, wohlwissend, daß er sie ablehnen wird. Ich hätte ihm so die Möglichkeit gegeben, sein Gesicht zu wahren und seine Ohnmacht zumindest nach außen zu verbergen, damit er dann umso widerstandloser tut, was ich von ihm will. Für die Vermutung, daß Haider genauso gehandelt hat, spricht, daß er doch vorher hätte wissen müssen, daß der Bundespräsident diese beiden umstrittenen Verbal-Rowdies selbst beim besten Willen nicht akzeptieren konnte.

Man darf übrigens in diesem Zusammenhang nicht vergessen: auch in der Ablehnung der Minister ist der Bundespräsident beschränkt (zwar nicht juristisch, aber politisch): Hätten FPÖ und ÖVP die Koalition von der Angelobung bestimmter Minister abhängig gemacht, was hätte der Bundespräsident schon dagegen tun können? Dem Volk erklären, daß durch seine Ablehnung einiger Minister nun gar keine Regierung zustandekommt? Oder sollte er tatsächlich auf Antrag des Bundeskanzlers Neuwahlen ausschreiben und somit die FPÖ stärken, die er doch eben nicht in der Regierung will?

Wie aber auch immer die Möglichkeiten des Präsidenten ausgesehen haben, eines kann man aus heutiger Sicht feststellen: Klestil ist im großen und ganzen gescheitert, eine Regierung nach seinen Vorstellungen einzusetzen. Er beugte sich dem Willen der Parteien, die ohne seinen Auftrag und ohne sein Zutun Zusammensetzung und Inhalte der Regierung festlegten. Und seine halbherzigen, aus seiner Ohnmacht fast verzweifelt-trotzig wirkenden Proteste und Widerstände gegen diese Regierung können nicht darüber hinwegtäuschen, daß sein schon früh geäußertes Ziel, ein "aktiver Präsident" sein zu wollen, der dieses Land wesentlich mitgestaltet, gescheitert ist - er mußte sich dem Willen anderer fügen.

Thomas Klestil wollte immer mehr sein als jemand, der bloß repräsentative Aufgaben erfüllt. Er wollte die Mächtigen kontrollieren, wollte Österreich mitgestalten, wollte nicht nur der epikureische Gott in der Hofburg sein, der alles geschehen läßt und niemals eingreift. Und in diesem Sinne soll er einmal in Bezug auf seine künftige Rolle in diesem Staat gesagt haben: "Ich bin ja kein Bandldurchschneider".

Im Lichte seiner Rolle bei der gegenwärtigen Regierungsbildung kann man darauf mit Fug und Recht entgegnen: Offenbar doch.

 

Literatur und Quellen

Christian DICKINGER: Der Bundespräsident im politischen System Österreichs. Innsbruck, Wien 1999.

Wolfgang MÜLLER: Der Bundespräsident. In: Dachs u.a.: Handbuch des politischen Systems Österreichs. Die Zweite Republik. Wien (3.Auflage) 1997.

Peter PITTLER: Bruno Kreisky. Reinbek bei Hamburg 1996.

Hans-Henning SCHARSACH: Haiders Kampf. Himberg bei Wien (12.Auflage) 1993.

Karl UCAKAR: Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte für Politikwissenschafter. Skriptum zur Vorlesung. Wien 1999.

Manfried WELAN: Der Bundespräsident. Kein Kaiser in der Republik. Wien, Köln, Graz 1992.

Ruth WODAK: "Wir sind alle unschuldige Täter". Diskurshistorische Studien zum Nachkriegsantisemitismus. Frankfurt am Main 1990.

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Die Darstellung des speziellen Teils meiner Arbeit erfolgte auf der Basis von Medienberichten. Andere Quellen (Bücher etc.), die dieses Thema aufarbeiten, gibt es aufgrund der großen Aktualität der beschriebenen Ereignisse noch nicht.

Folgende Materialsammlung liegen mir vor:

1.) Eine lückenlose Dokumentation der Artikel zur Regierungsbildung aller Ausgaben der Zeitschriften "Format" und "News" seit September 1999.

2.) Aufzeichnungen der Ö1-Mittags- und Abendjournale seit 15.Jänner 2000.

3.) Hunderte Artikel maßgeblicher österreichischer Tageszeitungen, die mir von der Sozialwissenschaftlichen Dokumentationstelle der Arbeiterkammer Wien (SOWIDOK) zugänglich gemacht wurden.

Patrick Horvath: "FPÖ und Wahlen"

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