Arthur Schopenhauers Abhandlung

Über die vierfache Wurzel vom zureichenden Grunde

unter besonderer Berücksichtigung der dort genannten und daraus abgeleiteten Argumente zur Kritik Hegels

Patrick Horvath

Werner Horvath: "Arthur Schopenhauer". Zeichnung im Stil des neuen bildenden Konstruktivismus

Seminararbeit aus Metaphysik, Ontologie und Wissenschaftstheorie
Rahmenthema: "Arthur Schopenhauer: Der Satz vom Grund"
Wintersemester 1996/97
Universität Wien
Lehrveranstaltungsleiter: Univ.-Prof.Dr.Bahr

Inhalt

Einleitung

Allgemeiner Teil: Grundgedanke des Werkes

Spezialteil: Die Hegel-Kritik Schopenhauers unter besonderer Berücksichtigung der Abhandlung Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde ...mit hie und da notwendigen Exkursen in die Scholastik

Literatur

Ins Innere der Natur
Dringt kein erschaffner Geist.

Albrecht von Haller,
den Standpunkt Kants formulierend

'Ins Innere der Natur' -
O du Philister! -
'Dringt kein erschaffner Geist?'
Mich und Geschwister
mögt ihr an solches Wort
nur nicht erinnern!
Wir denken: Ort für Ort
sind wir im Innern.

Johann Wolfgang von Goethes Antwort,
an Schopenhauers Philosophie angelehnt

Der Satz vom Grund ist die Pforte zu Schopenhauers Philosophie.
Ist diese die gerühmte Pforte ins Innere der Natur?

Einleitung

Arthur Schopenhauers Abhandlung Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde stellt den Schlüssel zum Verständnis seines Hauptwerkes dar (vgl. Welt als Wille und Vorstellung I, §2). Der sechsundzwanzigjährige Schopenhauer erlangte mit besagter Arbeit seine Doktorwürde, als Sechzigjähriger verbesserte er sie da und dort (vgl. Vorrede)

Nebst dem Grundgedanken der Arbeit, nämlich der Erläuterung des Satzes vom zureichenden Grunde und der Herausarbeitung seiner (vier) verschiedenen Ausprägungen, ist der Fluß der Darstellung durch zahlreiche Exkurse unterbrochen, die, an sich faszinierend und wert, ausführlich diskutiert zu werden, oftmals die Gedanken des Lesers vom Hauptthema ablenken (z.B. §7: Kritik des ontologischen Beweises von Cartesius; Ende §13: Polemik gegen Schelling; Mitte §20: Polemik gegen Hegel, seinen liebsten Prügelknaben; und ungezählte andere).

Die hier vorliegende Arbeit besteht daher aus zwei Teilen: Der erstere, allgemeine, sucht den Hauptgedanken des Traktates unter bewußter Vernachlässigung solcher und ähnlicher Exkurse darzulegen; dies ist einerseits notwendig, um den "roten Faden", der sich durch das ganze Werk zieht und in Welt als Wille und Vorstellung weitergeführt wird, nicht aus den Augen zu verlieren; andererseits um ein gewisses Rahmenthema zu wahren, damit "dreistes, vornehmthuendes Schwadronieren" (§7) und "leichtfertiges In-den-Tag-hinein-Schwätzen" (§13) genauso vermieden, wie die richtige Scheidung des Allgemeinen und Besonderen, den Gesetzen der Homogeneität und der Specifikation gemäß (vgl. §1), gewährleistet wird.

Im zweiten Teil, der quasi einen Aspekt dieses "Besonderen" behandelt, wird sodann eine spezielle Fragestellung dieses Themenkomplexes, die mich in diesem Semester besonders beschäftigt hat, herausgegriffen und unter Zuziehung anderer philosophischer Werke Schopenhauers erläutert. Es handelt sich dabei um die Schopenhauersche Kritik an Hegel. Schon bei der Lektüre von Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde fällt die starke Polemik auf, mit der Schopenhauer Hegel bedenkt; noch ärger fallen sie in der Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie ins Auge, wo sich Schopenhauer in seinem schier grenzenlosen Hegel-Haß zu mancherlei Beschimpfung hinreißen läßt. Ich bin nun der Frage nachgegangen, ob hinter dieser Hegel-Kritik auch Argumente stecken und bin zu einem teilweise bejahenden Ergebnis gekommen - ich fand, daß die Abhandlung vom Satz vom Grund die wesentliche Kritik Schopenhauers an Hegel vorbereitet und ausführt.

Allgemeiner Teil: Grundgedanke des Werkes

Der Satz vom zureichenden Grund ist uns nach Schopenhauer a priori gegeben; er ist folglich ein transcendentales Gesetz; man beachte die Bezugnahme auf Kant. Dieser Satz stellt "einen Hauptgrundsatz in aller Erkenntniß" (§ 2) dar. In der von Schopenhauer vorläufig in § 5 angeführten Definition lautet er: "Nichts ist ohne Grund, warum es sey". Diese Definition ist daher vorläufig, weil sie von Schopenhauer weiter differenziert wird; diese Differenzierung ist notwendig, um dem Kantschen Gesetz der Specifikation zu genügen, welches im wesentlichen besagt, daß, um der Vielfalt des Einzelnen gerecht zu werden, die Gattungen und alle höheren und niederen Arten (im Sinne der Abstraktionsebene) wohl zu unterscheiden sind (vgl. §§ 1, 2). Darum ist es wichtig, den Satz vom Grund in allen speziellen Ausprägungen zu untersuchen. Schopenhauer bemerkt, daß dieser Satz die Grundlage aller Wissenschaften ist, weil er nicht nur die Verknüpfung der wissenschaftlichen Einzelerkenntnisse darstellt, sondern auch die Frage nach dem "warum" rechtfertigt (§ 4), die ja nur dann einen Sinn hat, wenn die Existenz eines Grundes für einen Sachverhalt postuliert wird. Die Richtigkeit des Satzes vom zureichenden Grunde (sein Grund sozusagen) kann nicht bewiesen werden, weil dies zwangsläufig in einen unendlichen Rekurs und damit in eine Aporie führen würde (§ 14). Alle bisher erbrachten "Beweise" sind daher hinfällig. Von der objektiven Gültigkeit des Satzes muß aber die für Schopenhauer erwiesene Apriorität unterschieden werden.

Dieser Satz vom zureichenden Grunde ist von vielen bereits mehr oder weniger scharf und klar ausgesprochen worden; entsprechende Stellen sind in den §§ 6 bis 13 mit notwendiger philologischer Penibilität, die Bestandteil jedweder Dissertation ist, angeführt (Bezugnahme auf Platon, die Stoiker, Aristoteles, Sextus Empiricus, Cartesius, Spinoza, Leibniz, Wolf, Baumgarten, Reimarus, Lambert, Plattner, Hume, Kant u.a. incl. einer Besprechung ihrer Standpunkte). All diese Konzepte seien jedoch unzulänglich, weil sie nach Schopenhauer vielfach Fehlgriffe und begriffliche Unklarheiten enthalten und den Satz vom Grunde auch nur unvollständig thematisieren (§ 15).

Um allen Ausprägungen desselben gerecht zu werden, ist es nötig zu beachten, daß besagter Satz die gesetzmäßige, a priori bestimmbare Verknüpfung der Objekte (sie sind ident mit Vorstellungen) darstellt, die in unserem Bewußtsein vorhanden sein können. Je nach Verschiedenartigkeit der Objekte nimmt nun der Satz vom Grunde verschiedene Gestalten an. Da es nun nach Schopenhauer vier Klassen von Objekten für unser Bewußtsein gibt, gibt es vier Formen des Satzes. Die Objekte sind also gleichsam die im Titel genannte "vierfache Wurzel": Allerdings erscheint mir wichtig zu bemerken, daß jeder Objektklasse eine ihr zugeordnete Ausprägung des Satzes entspringt; all diese werden gemeinsam unter dem Oberbegriff "Satz vom zureichenden Grund" zusammengefaßt. Die vom Titel nahegelegte irrige Annahme ist jene, daß aus vier Wurzeln ein Satz entspringt, gleichsam wie der Stamm eines Baumes viele verzweigte Wurzeln besitzt, die ihn nähren; es entspringen aber vielmehr aus den vier Objektklassen vier Sätze, die unter einem Begriff zusammengefaßt werden, der da lautet: Satz vom zureichenden Grunde. Besagte Klassen sind ebenfalls a priori feststehende Grunderkenntnisse des Geistes (§ 5).

Die erste Klasse der Objekte sind: Die anschaulichen, vollständigen und empirischen Vorstellungen (§ 17).

Anschaulich bedeutet: nicht bloß gedacht. Vollständig meint, material, nicht bloß formal. Empirisch sind sie zuletzt, weil sie nicht aus Gedankenverknüpfungen hervorgehen, sondern "in einer Anregung der Empfindung unsers sensitiven Leibes ihren Ursprung haben, auf welchen sie, zur Beglaubigung ihrer Realität, stets zurückweisen;..."

Aus ihrer Form entspringt der SZG des Werdens, anders ausgedrückt: die Kausalität (§ 20). Auf die Unendlichkeit der Kausalitätskette soll unten bei der Besprechung des kosmologischen Gottesbeweises noch eingegangen werden.

Schopenhauer betont (gleich Kant, wenngleich mit anderen Argumenten) die Apriorität des Kausalitätsbegriffs. Es verhält sich nicht so, daß in der Welt außerhalb unseres Subjekts Raum und Zeit existieren, die vom Gesetz der Kausalität durchdrungen sind, die dann von draußen in "unseren Kopf spazieren". Vielmehr liefert die sinnliche Erfahrung den rohen Stoff, der von den unserem Intellekt innewohnenden Gesetzen bearbeitet wird; diese sind a priori - vor aller Erfahrung - vorhanden (vgl.§ 21). Er argumentiert dies - völlig richtig - durch die Ärmlichkeit der sinnlichen Eindrücke, die allein niemals hinreichend wären, einen Raum etc. zu konstruieren, wenn die Gesetze desselben nicht schon a priori in uns verankert wären; aber auch aufgrund empirischen Daten: So gibt es Personen, die trotz fehlender Sinne eine richtige Vorstellung von Raum, Zeit, Kausalität etc. entwickeln. Er führt aber noch zahlreiche andere empirische Ergebnisse an (vgl. § 21).

Das Vorhandensein der zweiten Klasse der Objekte bedingt nach Schopenhauer den wesentlichen Unterschied zwischen Mensch und Tier: nur der Mensch ist nach Schopenhauers Ansicht in der Lage, mit Begriffen zu operieren - diese Operation mit Begriffen ermöglicht erst die Vernunft. Ich möchte an dieser Stelle betonen, daß Schopenhauers Meinung keinerlei Abwertung des Tieres darstellen will. Vielmehr betont er in seiner Schrift (aus § 26):

"Wenn gleich die Handlungen des Menschen mit nicht minder strenger Nothwendigkeit, als die der Thiere erfolgen; so ist doch durch die Art der Motivation, sofern sie hier aus GEDANKEN besteht, welche die WAHLENTSCHEIDUNG (d.i. den bewußten Konflikt der Motive) möglich machen, das Handeln mit Vorsatz, mit Ueberlegung, nach Plänen, Maximen, in Uebereinstimmung mit Anderen u.s.w., an die Stelle des bloßen Impulses durch vorliegende, anschauliche Gegenstände getreten, dadurch aber alles Das herbeigeführt, was des Menschen Leben so reich, so künstlerisch und so schrecklich macht, daß er, in diesem Occident, der ihn weiß gebleicht hat und wohin ihm die alten, wahren, tiefen Ur-Religionen seiner Heimath nicht haben folgen können, seine Brüder nicht mehr kennt, sondern wähnt, die Thiere seien etwas von Grund aus Anderes, als er, und, um sich in dem Wahne zu befestigen, sie Bestien nennt, alle ihre ihm gemeinsamen Lebensverrichtungen an ihnen mit Schimpfnamen belegt und sie für rechtlos ausgiebt, indem er sich gegen die sich aufdrängende Identität des Wesens in ihm und in ihnen gewaltsam verstockt."

Der Mensch besitzt also zweifellos einige Fähigkeiten, die er dem Tier voraus hat; all diese Fähigkeiten stammen aus dem Umgang mit Begriffen, der ihm möglich ist. Vermessen ist es jedoch nach Schopenhauer, ja ein Wahn, zu meinen, deshalb sei der Mensch vom Tiere grundverschieden; vielmehr bezeichnet er die Tiere sogar als "Brüder".

Daß Schopenhauer der Umstand der Betonung der moralischen Relevanz tierischen Leidens sehr am Herz gelegen ist, erkennt man auch an manchen anderen seiner Werke; z.B. betont er dies in seiner trotz mancherlei Polemik aufschlußreichen Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie, die im ersten Band seiner Parerga und Paralipomena zu finden ist. In einer in der Schrift vorhandenen Stelle (Lüdkehaus-Ausgabe Bd.IV, S.190f.) kritisiert er nämlich mit ähnlichen Argumenten wie in §34 vom Satz vom Grund die Idee des "Gottesbewußtseyns", die besagt, daß jeder Mensch von Natur aus Gott in seinem Bewußtsein verankert hat, u.a. mit dem Argument, daß die Buddhisten, die hinsichtlich der Zahl der Bekenner die Christen überwiegen, in ihrem religiösen System keinen Platz für einen Gott haben; denn der Buddhismus ist, wie auch Schopenhauer in fast all seinen Werken nicht müde wird zu betonen, eine atheistische Religion (vgl. auch Schopenhauers Schrift Ueber den Willen in der Natur. Kap. Sinologie).

Es ist daher wohl sehr unwahrscheinlich, daß allen Menschen ein solches Bewußtsein wirklich zueigen ist. Im gleichen Atemzug, und das ist hier entscheidend, betont Schopenhauer in Ueber die Universitäts-Philosophie die moralische Überlegenheit des Buddhismus über die christliche Religion, u.a. mit dem Argument, die Buddhisten berücksichtigen auch die Tiere in ihrer Religion: "..., deren Glaubenslehre jedoch zwar eine höchst lautere, erhabene, liebevolle, ja streng asketische Moral (die nicht, wie die christliche, die Thiere vergessen hat) trägt und stützt,..." (Lüdkehaus-Ausgabe Bd.IV, S.191).

Schopenhauer liegt also nichts ferner, als die Tiere abzuwerten, wenn er die Fähigkeiten des Menschen betont, die er ihnen voraus hat, die aber allesamt seinem Umgang mit dieser zweiten Objektklasse, den Begriffen, erwachsen.

Wie kommen diese Begriffe seiner Meinung nach nun zustande?

Das "voluminöse Gehirn" des Menschen befähigt ihn zu diesen Begriffs-Vorstellungen. Diese Vorstellungen sind abstrakt, d.h. nicht gegenständlich oder bildlich. Ein Begriff umfaßt unzählige Einzeldinge; Begriffe kommen durch einen der Induktion ähnlichen Prozeß zustande. Unser Verstand zerlegt die aus der empirischen Erfahrung gegebene Objekte (die die oben besprochene erste Klasse der Objekte darstellt) in die einzelnen Bestandteile. Bei diesem Prozeß verlieren diese Objekte ihre Anschaulichkeit; aus dem anschaulich Gegebenen wird vieles fallengelassen, das den Gegenständen einer Art Gemeinsame wird nun eigenständig gedacht. Der abstrakte Begriff ist nun genus jeder Species.

"Demnach ist der Begriff eines jeden genus der Begriff einer jeden darunter begriffenen Species, nach Abzug alles Dessen, was nich ALLEN Speciebus zukommt" (§ 26). Ich betone an dieser Stelle, daß dieser "Begriffsbegriff" Schopenhauers sein gewichtigstes Argument gegen die Hegelsche "Windbeutelei und Scharlatanerie" darstellt. An die vorhergehende Erklärung knüpft daher der Spezialteil dieser Arbeit an, der die Schopenhauersche Kritik an Hegel näher untersucht; hier sei auf ihn verwiesen.

§ 27 der Abhandlung gibt noch nähere Auskunft über den Nutzen der Begriffe: Wie bereits gesagt, ermöglichen sie Vernunft, Denken, Besonnenheit. Sie heben den Menschen über das Tier hinaus, ebenso beenden sie das Ausgeliefertsein an die bloße Gegenwart. Der Mensch wird vom bloßen Reiz-Reaktionsautomaten, den das Tier im wesentlichen noch darstellt, entfernt, mit der Sorge um die Zukunft und der Schau der Vergangenheit begabt - eigentlich wird er hiermit zum historischen Tier - ein Gedanke, der übrigens zu Beginn von Nietzsches Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben wieder auftaucht. Hatte Schopenhauers Schüler Nietzsche bei seinem Gleichnis über das an den Pflock des Augenblicks geketteten Schaf diese Stelle in Schopenhauers Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde im Auge? Daran ist kaum zu zweifeln.

Jeder Begriff besitzt nach Schopenhauer zudem einen sogenannten "Repräsentanten". Der Begriff nämlich ist nach Schopenhauer nicht bildlich, sondern abstrakt. Der Begriff "Hund" ist die abstrakte Vorstellung vom Hund schlechthin, er umfaßt also das allen (zumindest von uns empirisch erfaßten) Hunden Gemeinsame. Gleichwohl ist dieser abstrakte Begriff mit einer bildlichen Vorstellung verknüpft, die bei seinem Abruf auftaucht. Vor unserem geistigen Auge sehen wir einen bestimmten Hund bildlich vor uns, der den eigentlich abstrakten Begriff repräsentiert (vgl.§ 28).

Unsere Vernunft geht mit diesen Begriffen um, trennt und verknüpft sie, operiert mit ihnen. Ein deutlich von uns gedachtes Begriffsverhältnis nennt man nun "Urteil". Der Satz vom Grund beansprucht seine Geltung für die Urteile - er tritt für die zweite Klasse der Objekte als Satz des zureichenden Grunde des Erkennens auf, der besagt, daß jede durch das Urteil ausgedrückte Erkenntnis einen Grund besitzen müsse (vgl.§ 29).

In §§ 30 bis 33 unterscheidet Schopenhauer zwischen möglichen Wahrheiten, wobei er zwischen logischen, empirischen, transcendentalen und sogenannten metalogischen Wahrheiten unterscheiden, wobei letztere Katregorie seltsam anmutet, weil sie sich (wie auch Schopenhauer bemerkt) kaum von der transcendentalen Wahrheit unterscheidet. Später, in Welt als Wille und Vorstellung I (§ 18), sollte Schopenhauer noch die Kategorie der - unmittelbar gewissen und nicht beweisbaren - sogenannten "philosophischen" Wahrheit anfügen, die den Ausgangspunkt seiner Willensmetaphysik darstellt.

Logische Wahrheit kommt einem Urteil dann zu, wenn es den formalen logischen Gesetzen genügt (ohne Rücksicht auf den materialen Gehalt der Aussagen). Eine empirische Wahrheit hingegen ist, wie der Name schon sagt, dem Urteil dann gegeben, wenn es auf Erfahrung gründet. Eine transcendentale Wahrheit kommt einer Aussage dann zu, wenn sie - ganz im Sinne Kants - auf a priori gegebene Gesetze fußt. Der Satz vom Grund des Werdens gehört dazu, mathematische Aussagen etc. Die metalogischen Wahrheiten sind nach Schopenhauer nun die Gesetze des Urteilens überhaupt, quasi die Gesetze des Denkens. "...: wir finden alsdann, daß ihnen zuwider zu denken, so wenig angeht, wie unsere Glieder der Richtung ihrer Gelenke entgegen zu bewegen" (aus § 33). Sie heißen metalogisch, weil sie über den einfachen logischen Gesetzen den Rahmen für diese bilden, z.B."Einem Subjekt kann ein Prädikat nicht zugleich beigelegt und abgesprochen werden" etc. Letztere Wahrheiten sind einander äußerst ähnlich, Schopenhauer sollte später für sie einen gemeinschaftlichen Ausdruck entwickeln.

In § 34 arbeitet Schopenhauer den Unterschied seines Vernunftbegriffes zu dem Hegels heraus, worauf unten noch eingegangen wird.

Die dritte Klasse der Objekte sind Raum und Zeit, die formale (a priori gegebene) Grundlage "Formen des äußeren und inneren Sinns" (§ 35).

Jeder Teil des Raumes und der Zeit stehen in einem Verhältnis zueinander; dieses Verhältnis heißt beim Raum Lage, bei der Zeit Folge. Schopenhauer knüpft an Kant an, wenn er meint, daß Vorstellung von Raum und Zeit, nicht empirischen, sondern transcendentalen Ursprungs seien. Aus der Anschauung von Raum und Zeit ergibt sich der "Satz vom zureichenden Grunde des Seyns". Dieser ist eigentlich (wie alle a priori feststehenden Gesetze) leicht einsichtig; in der Zeit folgt ein Augenblick auf den nächsten, der vorhergehende Moment bestimmt den nächsten, der neue wächst daraus. "In der Zeit ist jeder Augenblick bedingt durch den vorigen. So einfach ist hier der Grund des Seyns..." - der vorhergehende Augenblick ist quasi Grund des nächsten. Im Raum hingegen wird durch die Lage jeder Punkt durch die jeweils anderen bestimmt. Jeder Punkt ist (zur gleichen Zeit) der Grund jedes anderen Punktes. Diese Ausprägungen des Satzes vom Grund stehen in Verbindung mit Arithmetik und Geometrie (§§ 38 und 39).

Die vierte Klasse der Objekte ist nun für jeden ein bestimmtes Objekt: das sogenannte "Subjekt des Wollens". Blicken wir in unser Inneres, finden wir unser Subjekt nach Schopenhauer immer als wollend. Dieses wollende Subjekt, das uns unmittelbar gewiß ist, ist "der Weltknoten und daher unerklärlich" (§ 42). Schopenhauer legt hier den Grundstein zu seiner Metaphysik des Willens. Aus dem wollenden Subjekt ergebe sich nun der Satz des zureichenden Grunde des Handelns, den Schopenhauer auch Gesetz der Motivation nennt. Dieser Satz betrifft also den Grund einer Handlung.

Noch einmal zusammenfassend kann der Grundgedanke der Abhandlung folgendermaßen formuliert werden: Unserem Subjekt eröffnen sich - a priori konstituiert - vier verschiedene Klassen von Objekten. Aus diesen Klassen ergibt sich jeweils ein spezielles Ordnungsprinzip. Diese vier verschiedenen Ordnungsprinzipien können zu einem Begriff, einem Gesetz zusammengefaßt werden, das Schopenhauer den Satz vom zureichenden Grunde nennt, der, allgemein gefaßt, besagt: "Nichts ist ohne Grund, warum es sey". Allein, diese Allgemeinheit ist (vgl. auch § 51 Ende) eine aus den einzelnen Ausformungen des Satzes abstrahierte Ausprägung; nicht also entsteht aus vier Wurzeln ein Satz vom Grund, welcher der Satz vom Grund schlechthin ist, sondern vier verschiedene, die der Übersicht halber unter dem Begriff "Satz vom Grund" zusammengefaßt werden. Die Abhandlung über diesen ist einer der Grundsteine von Schopenhauers Werk; kaum ein Paragraph in ihr ist ohne Bezug zur späteren Arbeit des großen Denkers.

Spezialteil: Die Hegel-Kritik Schopenhauers unter besonderer Berücksichtigung der Abhandlung Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde

...mit hie und da notwendigen Exkursen in die Scholastik

Schopenhauer traf auf Hegel persönlich wohl erstmals um 1820; er hatte vor nicht allzulanger Zeit seinen Doktorgrad mit der hier besprochenen Arbeit erworben, sein Hauptwerk war bereits erschienen und nicht beachtet, als er, nach Einreichung des Habilitationsgesuchs an der Universität Berlin, eine Probevorlesung vor der philosophischen Fakultät unter dem Vorsitz Hegels unternahm. Im Sommersemester 1820 hielt er seine erste und einzige Vorlesung "Über die gesamte Philosophie d.i. Die Lehre vom Wesen der Welt und von dem menschlichen Geiste" (vgl. u.a. Beibuch zur Lüdkehaus-Ausgabe Schopenhauers Werke S.223). Schon bald darauf floh der junge Schopenhauer die Universität und lebte fortan als ein Privatgelehrter; diese freie Existenz wurde ihm durch die Früchte des von seinem Vater ererbten Vermögens ermöglicht, das er äußerst geschickt verwaltete. Die Flucht vom Universitätsbetrieb hängt sicherlich mit der zumindest von Schopenhauer erlebten Zurücksetzung Hegel gegenüber zusammen; der junge, geniale, aber nicht minder narzißtisch veranlagte Schopenhauer ärgerte sich zweifellos über das geringe Interesse, welches man ihm, der sein Hauptwerk bereits verfaßt hatte, entgegenbrachte, während Hegels Hörsäle überquollen und dieser mit Ehren überschüttet wurde. Gleichwohl wird man meiner Ansicht nach der Schopenhauerschen Hegelkritk nur zum Teil gerecht, wenn man sie ausschließlich auf persönliche Abneigung zurückführt. Sicherlich sind die persönlichen Motive ein Hauptgrund der oft haltlosen und hart an Beleidigungen grenzenden Beschimpfungen, die Schopenhauer dem armen Hegel angedeihen läßt, dem man nach der Schopenhauer-Lektüre fast schon Mitleid entgegenbringt; doch liegt in beider Philosophie auch ein sachlicher, unüberwindlicher Gegensatz; daß Schopenhauer diesen unter einem Berg haßerfüllter Polemik verdeckt, ist eine andere Sache.

Im fünften Kapitel der hier hauptsächlich besprochenen Abhandlung Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde findet man das auch in späteren Schriften weitergeführte wichtigste Argument gegen die "Hegelei" (Ausdruck entnommen aus: Die beiden Grundprobleme der Ethik, Vorrede zur ersten Auflage, Lüdkehaus-Ausgabe Bd.III, S.338).

Wie oben ausgeführt, ist die Vernunft für Schopenhauer eine Operation mit Begriffen (vgl.§35). Diese Begriffe wiederum entstehen durch einen Prozeß, welcher der Induktion ähnlich ist: Sie werden aus dem "Besonderen" abgeleitet, aus den Einzeldingen, die wir durch die Sinne wahrnehmen. Unser Intellekt besitzt nun das Vermögen, das all diesen Dingen gemeinsame quasi herauszusondern und einen allgemeinen Begriff daraus zu formen, der wiederum unanschaulich ist.

Schopenhauer rührt in Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde auf diese Art an das bereits in der Frühscholastik intensiv debattierte "Universalienproblem". Im Mittelalter war dies wohl das heftigst diskutierte philosophische Problem; damals standen zwei Grundansichten einander gegenüber: Die "Realisten" erachteten in Anknüpfung an die platonischen Ideenlehre die "Universalien" als real existent - daher rührt auch ihr Name, der heute in durchgängig anderer Bedeutung verwendet wird - "universalia ante rem" lautete ihr "Wahlspruch". Die entgegengesetzte und oft als ketzerisch betrachtete Gegenposition war der "Nominalismus" (von lat. "nomen"), dessen Vertreter sich mit Schopenhauer rasch einigen würden; sie meinten, die Universalien seien bloße Namen, die Einzeldinge konkret vorhanden - "universalia post rebus". Erigena und Anselm von Canterbury, die "Väter" der Scholastik, waren Realisten - sie maßen den Begriffen eine immense Bedeutung bei; für Erigena gehen aus Gott, der ungeschaffen und schaffend ist, sie geschaffenen und schaffenden Universalien hervor (der Einfluß des Neuplatonismus ist unverkennbar), aus diesen wiederum die geschaffenen und nicht-schaffenden Dinge, die wiederum Gott entgegenstreben - ein ewiger Kreislauf. Anselm baute auf seiner realistischen Ansicht sogar den berühmten ontologischen Gottesbeweis auf (vgl. auch §7), der später von Kant widerlegt werden sollte. Der Realismus sollte bei Bernhard von Chartres und Wilhelm von Champeux eine radikale Ausprägung finden; letzterer behauptete sogar, es würde die Menschheit-an-sich sogar noch geben, selbst wenn es keinen einzigen Menschen auf Erden geben würde, denn in den Universalien sei die einzige wahre Existenz.

Roscellinus, der bedeutendste Nominalist hingegen, wurde von der Kirche verworfen. Nach dem Kompromiß zwischen beiden Standpunkten durch die Lehren des Abälard, der, als Opfer der feinen Sitten des Mittelalters, nach seiner Kastration durch den Onkel der Geliebten ins Kloster gegangen war (wohl, weil er es nach diesem Unglück leichter als unsereins hatte, das Gebot der Keuschheit zu halten), geriet der Universalienstreit weitgehend in Vergessenheit. Abälard hatte in mit seinem Wahlspruch "universalia in rebus" vorläufig entschieden: Seiner Meinung nach wären sowohl die radikalen Ausprägungen beider Seiten nicht richtig, sondern die Allgemeinheit der Einzeldinge würde in ihnen selbst existieren und von ihnen getragen werden. Arthur Schopenhauer erwähnt in §27 diesen Universalienstreit sogar.

In seinem im ersten Band der Parerga und Paralipomena zu findenden Fragmenten zur Geschichte der Philosophie meint er dazu in § 10:

"Die gegenseitige Berechtigung des REALISMUS und NOMINALISMUS dadurch die Möglichkeit des so lange und hartnäckig geführten Streit darüber läßt sich folgendermaaßen recht faßlich machen.

Die verschiedenartigsten Dinge nenne ich ROTH, wenn sie diese Farbe haben. Offenbar ist ROTH ein bloßer Name, durch den ich diese Erscheinung bezeichne, gleichviel, woran sie vorkomme. Eben so nun sind alle Gemeinbegriffe bloße Namen, Eigenschaften zu bezeichnen, die an verschiedenen Dingen vorkommen: diese Dinge hingegen sind das Wirkliche und Reale. So hat der NOMINALISMUS offenbar Recht.

Hingegen wenn wir beachten, daß alle jene wirklichen Dinge, welchen allein die Realität soeben zugesprochen wurde, zeitlich sind, folglich bald untergehn; während die Eigenschaften wie Roth, Hart, Weich, Lebendig, Pflanze, Pferd, Mensch, welche es sind, die jene Namen bezeichnen, davon unangefochten fortbestehen (...): demnach hat der REALISMUS Recht."

Man beachte wohl, daß auch Schopenhauer bei scheinbarer Ausgewogenheit in seinem Urteil dem Nominalismus weit mehr zugesteht als dem Realismus (vgl. auch Über die vierfache Wurzel..., § 51 Ende). Denn aus dem angeführten Zitat geht ausdrücklich hervor, daß, obwohl die Universalien länger fortbestehen als die Gegenstände, aus denen sie abstrahiert sind, so meint Schopenhauer damit: Nur in unserem Kopf bestehen sie länger fort als die Einzeldinge, nicht tatsächlich. Er räumt den Realisten nur eine Berechtigung ein nach dem Motto: "Na ja, die anderen haben recht, aber wenn wir euer Anliegen gnädig ausdeuten, und zwar so, wie ihr es nicht gemeint habt, hattet ihr auch ein wenig Recht - ihr wart also nicht völlige Versager."

Zurück zur oben von mir grob skizzierten Geschichte des Universalienstreits: Daß mit dem Kompromiß des unfreiwilligen Eunuchen Abälard der Universalienstreit zwar von der Tagesordnung der Streitfragen weitgehend verschwand, aber nicht wirklich entschieden war, zeigt schon, daß er selbst heute noch immer wieder aufflackert und immer wieder an die eine oder andere Position angeknüpft wird. Heidegger zum Beispiel, den Schopenhauer sicherlich mit heftiger Kritik bedacht hätte, knüpft gleich zu Beginn von Sein und Zeit an die Scholastik an, die das Sein als "transcendens" betrachtete - woraus er wohl u.a. die Rechtfertigung schöpfte, das "Sein" vom Seienden loszulösen und die Ableitung des ersteren aus letzterem nicht zuzulassen. Auch wehrte sich Heidegger mit ähnlichen Argumenten gegen die Behauptung, daß das Sein der allgemeinste und leerste Begriff sei - die Allgemeinheit von Sein ist für Heidegger nämlich nicht jene der Gattung, was Schopenhauer aber gemeint hat - denkt man nämlich seine Argumente zur Bildung der Begriffe genau durch, wird man finden, daß, wenn die Begriffe tatsächlich nur aus Einzelbegriffen abgeleitet sind und ihnen keine höhere Realität zukommt, z.B. ein Begriff wie Sein der allgemeinste, zugleich aber leerste Begriff ist.

Ähnliches schreibt Schopenhauer sogar in § 26: "Je höher man nun durch Abstraktion aufsteigt, desto mehr läßt man fallen, also desto weniger denkt man noch. Die höchsten, d.i. die allgemeinsten Begriffe sind die ausgeleertesten und ärmsten, zuletzt nur noch leichte Hülsen, wie z.B. Seyn, Wesen, Ding, Werden u.dgl.m. - Was können, beiläufig gesagt, philosophische Systeme leisten, die bloß aus dergleichen Begriffen herausgesponnen sind und zu ihrem Stoff nur solche leichten Hülsen von Gedanken haben? Sie müssen unendlich leer, arm und daher eben auch suffokirend langweilig ausfallen."

Damit ist wohl im wesentlichen geklärt, was Schopenhauer z.B. von Heideggers Philosophie gehalten haben würde, wenn er sie noch kennengelernt hätte. Ein Heideggerscher Satz wie "Das Spiegel-Spiel der weltenden Welt entringt als das Gering des Ringes die einigen Vier in das eigene Fügsame, das Ringe ihres Werdens. Aus dem Spiegel-Spiel des Gerings des Rings ereignet sich das Dingen des Dinges." (aus dem Vortrag Das Ding). Oder zu seiner Feststellung über die "Kehre", die den Menschen vom "Platzhalter des Nichts" zum Hüter des Seins werden läßt, weil der Mensch durch das Nichts hindurch das Sein erfährt; das Nichts nämlich sei das "Nicht zum Seienden".

Ganz nebenbei sei noch angeführt, daß Heidegger außerdem über die Kehre meint: "Die Kehre west zwischen dem Zuruf (dem zugehörigen) und dem Zugehör (des Angerufenen). Kehre ist Wider-kehre. Der Anruf auf den Zu-sprung in die Ereignung ist die große Stille des verborgensten Sichkennens."

Aha. Nun sind alle Klarheiten beseitigt.

Die Kritik Schopenhauers an Hegel (dessen Satz "Das reine Sein und das reine Nichts ist dasselbe" Heidegger übrigens verteidigt hat mit den Worten "Dieser Satz Hegels besteht zu Recht") ist hauptsächlich mit dem nominalistischen Argument der Begriffsbildung begründet. In die Begriffe fügt man das den jeweiligen Einzeldingen Gemeinsame ein, den Rest läßt man fallen. Je höher man in der Allgemeinheit der Begriffe steigt, umso mehr verschwindet, bis z.B, die Worthülse Sein oder Ding übrigbleibt. Hegel operiere nun hauptsächlich mit solchen Begriffen. Z.B. kritisiert Schopenhauer in Ueber die Universitäts-Philosophie Hegelsche Sätze wie "die Natur ist die Idee in ihrem Andersseyn" (Lüdkehaus-Ausgabe Bd.IV, S.177). Auch für diesen Satz findet er harte Worte: "Das Bewußtseyn ist der Reflex des Unendlichen im Endlichen" - die Reihe ließe sich noch lange fortsetzen. Viele dieser Begriffe sind für Schopenhauer bloßer Wortkram, ebenso wie die ganze "Hegelei", die sich (seiner Meinung nach) bestenfalls dazu eignet, die Köpfe junger Studenten zu verwirren, die vergeblich nach einem Sinn darin suchen und sich danach verzweifelt ihrer (angeblichen) Inkompetenz immer bewußter werden - bis ihr Denken durch solche Sätze, die für Schopenhauer bloße leere Phrasen sind, immer mehr aufgeweicht wird.

Ferner sieht Schopenhauer noch einen Aspekt des Hegelschen Vernunftsbegriff, der sich von dem seinen beträchtlich unterscheidet, als nicht zulässig an. Alle Philosophen vorher hätten die Vernunft zumindestens noch als Fähigkeit zum eigenständigen Schließen bestimmt; Hegel aber erklärte diese Fähigkeit zum "Verstand" und verwendete den Begriff "Vernunft" für ein nach Schopenhauer erlogenes Vermögen der metaphysischen "Schau der Welt der Dinge an sich". Gegen diesen Vernunftbegriff wehrt sich Schopenhauer ausdrücklich, denn seiner Meinung nach entspricht der Begriff Vernunft nicht diesem Vermögen, außerdem gibt es seiner Meinung nach ein solches Vermögen gar nicht (vgl. § 34). Das Hegelsche Absolutum nennt Schopenhauer den "inkognito reisenden kosmologischen Beweis", was er in § 20 seiner Dissertation - meiner Meinung jedoch unzureichend - begründet.

Der kosmologische Gottes"beweis" wird oftmals auch "Beweis der ersten Ursache" genannt. Er ist, wie die meisten Gottes"beweise" ein typisches Produkt der Scholastik, deren "Universalienstreit" oben bereits ausführlich in Hinblick auf die Schrift vom Satz vom Grund thematisiert worden ist. Eine weitere Hauptfrage der Scholastik war zweifellos ihr Versuch, Glaube und Vernunftserkenntnis zu vereinbaren. Anselm von Canterbury prägte in diesem Zusammenhang den Ausspruch "credo ut intelligam".

Ein Grundgedanke der Scholastik lautet etwa folgendermaßen: Die Vernunftserkenntnis wird dem Glauben untergeordnet, die Philosophie zur "ancilla theologiae" - es ist also nach Meinung der Scholastiker nicht mehr Aufgabe des Philosophen, die Wahrheit zu suchen - die hat man ja bereits: sie liegt im katholischen Glauben, in Gott, der Dreieinigkeit, der Jungfrau Maria und den lieben Engelein begründet. Die Wahrheit hat man also bereits, sie ist durch den Glauben gegeben. Durch Vernunft darf man dies natürlich nicht hinterfragen - hier hat man sein Denken unterzuordnen. Doch die bereits feststehenden "Wahrheiten" müsse man vernünftig begründen - wohl kein leichtes Unterfangen. Die Scholastiker distanzierten sich also vehement von Tertullians "credo quia absurdum" - sie vermeinten, der Glaube an Gott könne durch die Vernunft begründet werden.

Zu diesem Zweck schufen sie Vernunftsbeweise, die angeblich den Glauben begründen sollten. Der bereits erwähnte ontologische Beweis besagten Anselms wurde aber schon, wie ebenfalls erwähnt, von Kant zerschmettert, der sich dagegen verwehrte, aus dem Vorhandensein eines Begriffes von Gott auf dessen tatsächliche Existenz zu schließen. In seiner Abhandlung Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde kritisiert Schopenhauer nun den zuerst von Thomas von Aquin in seiner Summe der Theologie ausgesprochenen kosmologischen "Beweis".

Dieser Beweis lautet folgendermaßen: "Wir finden in dieser sinnenfälligen Welt eine Ordnung der wirkenden Ursachen vor. Aber es findet sich nicht und ist auch nicht möglich, daß etwas die wirkenden Ursache seiner selbst sei, weil es dann früher als es selbst wäre, was unmöglich ist. Es ist aber nicht möglich, daß man in der Reihe der wirkenden Ursachen ins Unendliche fortschreite...Mithin ist es notwendig, eine erste Ursache anzunehmen, die alle Gott nennen."

Mit anderen Worten: Alles hat eine kausale Ursache, warum es existiert. Wenn man den Gedanken aber konsequent durchdenkt, müßte man unendlich fortschreiten in der Abfolge der Kausalität, was man aber aus einem unerfindlichen Grund nicht könne. Darum müßte es eine erste Ursache geben und diese sei zufälligerweise Gott.

Der Schwachpunkt des Beweises liegt natürlich auf der Hand. Wenn man davon ausgeht, daß alles eine Ursache hat, muß man logischerweise in der Kausalitätskette unendlich zurückgehen. Thomas nützt die Feststellung nichts, daß man es nicht könne - diese reicht Schopenhauer nicht aus! Wenn man der Vernunft folgt, ist es notwendig; alles andere wäre ein Widerspruch in sich. Denn die Annahme, daß alles eine Ursache hat, läßt sich nicht vernünftig mit der Annahme einer ersten Ursache in Einklang bringen; denn diese "erste" Ursache müßte doch wohl auch eine Ursache haben, wenn die Annahme, daß alles eine Ursache hat, stimmt.

Daß die Kette der Kausalität sich in infinitum fortsetzt, führt Schopenhauer ebenfalls aus. Wie oben näher beschrieben, entspringt das Gesetz der Kausalität (auch: Satz des zureichenden Grunde des Werdens) aus der ersten Klasse der Objekte, den empirischen, vollständigen, anschaulichen; Kausalität steht a priori in uns fest. Kausalität ist die Abfolge von Ursache und Wirkung; wobei jede Ursache, die eine Wirkung auslöst, wiederum eine Wirkung einer vorhergehenden Ursache sein muß und zwar, wie auch Thomas meint, jede. Damit wird die Kausalitätskette notwendig anfangslos. Sie läßt sich also nicht für theologische Zwecke gebrauchen: "Das Gesetz der Kausalität ist also nicht so gefällig, sich brauchen zu lassen, wie ein Fiaker, den man, angekommen, wo man hingewollt, nach Hause schickt. Vielmehr gleicht es dem von Göthe's Zauberlehrling belebten Besen, der, ein Mal in Aktivität gesetzt, gar nicht wieder aufhört zu laufen und zu schöpfen;..." (aus § 20)

Zur Verdeutlichung der Hinfälligkeit des Beweises sei die Argumentation von Bertrand Russell angeführt. Russell meint ebenfalls, daß die Beweiskette: Alles hat eine Ursache und die erste Ursache der Welt ist Gott sofort die Frage naheliegt, welche Ursache denn Gott hätte; denn wenn die erste Annahme stimmt und alles eine Ursache hat (was auch Thomas meint), dann muß dies wohl auch Gott betreffen - sofern es ihn gibt. Den von den Theologen daraufhin immer vorgebrachten Einwand, daß eben Gott keine Ursache benötigt (auf diese ungeheuerliche Behauptung sind wir von Kindesbeinen an schon so dressiert, daß uns der Widerspruch zum gesunden Kausalitätsdenken gar nicht mehr auffällt), vergleicht Russell sehr treffend mit der Ansicht der Inder, die Welt werde von vier Elefanten getragen. Fragt man die Inder, wer denn die vier Elefanten trägt, antworten sie, daß dies eine große Schildkröte täte. Wenn man sie weiterhin fragt, worauf dann die Schildkröte steht, werden sie zornig und wollen nicht mehr darüber reden (vgl.Russell: Warum ich kein Christ bin).

Zurück zu Hegel: Schopenhauer vertritt nun im selben § 20 die Ansicht, sehr polemisch und überspitzt formuliert, derselbe kosmologische Beweis sei nun in der Form des Hegelschen "Absolutums" wiederauferstanden. Denn nun verzichte man auf das Zurückverfolgen der Kausalitätskette und behaupte einfach dreist und frech eine causa prima, die man mit dem leeren Begriff Absolutum belegen würde; die Frage, was denn dies sei, beantworte man durch lange Exkurse und das Aneinanderreihen ebenso leerer, allgemeiner Begriffe, wie oben bereits ausgeführt. Mir sei die Bemerkung gestattet, daß Schopenhauers Argumentation (der Behauptung, Hegels Absolutum sei eine Form des kosmologischen Gottesbeweises, nicht, daß derselbige unzureichend sei) hierbei sehr holprig erscheint.

Es sei noch der Aspekt angeführt, den Schopenhauer nicht müde wird zu betonen: daß die Widerlegung der einzelnen Vernunftsbeweise Gottes keine Widerlegung Gottes sei (womit ja schon der gute Kant uns verzweifelte Christen tröstete), wohl aber eine Widerlegung der scholastischen Annahme, man könne den Glauben vernünftig beweisen. Wir sind also heute wieder beim "credo quia absurdum" des Tertullian angelangt - wenn man also glaubt, tut man es also gegen die Vernunft.

Offen gesagt, ist die Idee der Scholastik, den Glauben an Gott und die lieben Engelein vernünftig begründen zu wollen, von Haus aus ein wenig seltsam gewesen. Schon die Genesis drückt symbolisch aus, daß der Mensch durch die Erkenntnis seine erste Sünde beging, die zu seiner Vertreibung aus dem Paradies führte. Das eigenständige Denken ist für die Bibel die erste und wesentlichste Sünde des Menschen - wie könnte man da glauben, daß eigenständiges, vernunftorientiertes Denken dem Glauben förderlich wäre. Vielmehr meint auch Jesus schon in der Bergpredigt: "Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich." (Matth.5,3). Wenn die Scholastiker im Recht wären, müßte der Kluge, der sich auf die Anwendung der Vernunft blendend versteht, seliger sein, weil er dann doch die göttlichen Wahrheiten besser erkennt. Glaubt man aber der Bibel, dann ist es aber nicht so - die Kirchenväter waren in ihren Ansichten viel mehr auf die Bibel bezogen, wenn sie das eigenständige, vernünftige Denken als durchaus abträglich für die künftige Seligkeit betrachteten. Tertullian rief einmal aus, was Jerusalem mit Athen zu tun haben sollte; er betonte den prinzipiellen Unterschied zwischen dem Glauben, der den "geistig Armen" vorbehalten ist, und den Athener Philosophenschulen, die auf die Vernunft bauten. Daß man diesen Gegensatz als nicht überbrückbar betrachtet, entspricht der inneren Logik der Bibel viel eher als die scholastischen Ansichten.

Aber Schopenhauer betont in seiner im ersten Band seiner Parerga und Paralipomena zu findenden Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie ein anderes Argument gegen die Idee des scholastischen Unterfangens (und gleichzeitig die Unsinnigkeit einer "Religionsphilosophie" oder "Christlichen Philosophie"). Dieses Argument, indirekt auch gegen Hegel gerichtet, lautet im wesentlichen, daß, wenn man einen vernünftigen Beweis für die Existenz Gottes tatsächlich besäße, man an ihn nicht mehr glauben müßte. Der Glaube würde durch einen Gottesbeweis allein völlig überflüssig werden. Denn wäre es nicht unsinnig, z.B. an eine Sache zu glauben, die bereits bewiesen ist - die man also wissen kann? Wäre es nicht z.B. völlig widersinnig, eine Glaubenslehre über einen physikalischen oder chemischen oder mathematischen Sachverhalt aufzustellen, für den es Beweise gibt? Quasi eine christliche Physik oder gar Mathematik, "die fünf gerade seyn läßt"? So etwas wäre doch reiner Blödsinn. (vgl. Ueber die Universitäts-Philosophie, Lüdkehaus-Ausgabe Bd.IV, S.144f, zum Verhältnis von Glauben und Wissen auch Parerga und Paralipomena II, § 175).

Daher ist nach Schopenhauers Ansicht auch besagte Religionsphilosophie nicht möglich, ja ein Widerspruch in sich. Vielmehr gibt es Philosophie, die auf der Vernunft basiert, und Religion, die auf dem Glauben basiert. Dies sind zwei getrennte Welten. Zerschmettert man die Gottesbeweiese, die auf Vernunft beruhen, hat man den Glauben nicht widerlegt - der Glaube aber würde durch einen Gottesbeweis uuml;berflüssig.

Auf jeden Fall schleiche sich in der Universitäts-Philosophie regelmäßig die Theologie durchs Hintertürchen ein (Lütkehaus-Ausgabe Bd.IV, S.191): "Zwar athmen also die Schriften unserer Universitäts-Philosophen den lebendigsten Eifer für Theologie; dagegen aber sehr geringen für die Wahrheit. Denn ohne Scheu vor dieser werden Sophismen, Erschleichungen, Verdrehungen, falsche Assertionen, mit unerhörter Dreistigkeit, angewandt, ja angehäuft (...); Alles einzig und allein, um Theologie herauszubringen: nur Theologie! nur Theologie! um jeden Preis, Theologie! - Ich möchte den Herren unmaaßgeblich zu bedenken geben, daß immerhin Theologie viel werth seyn mag; ich aber doch etwas kenne, das jedenfalls noch mehr werth ist, nämlich die Redlichkeit. Redlichkeit, wie im Handel und Wandel, so auch im Denken und Lehren: die soll mir um keine Theologie feil seyn."

Dieser Absatz kritisert indirekt natürlich ebenfalls Hegel, dessen Vorliebe für Religionsphilosophie bekannt ist.

Die wesentlichen Kritikpunkte der Hegelschen Philosophie, der in Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde ausgeführt wird, laufen, wie wir etwas weiter oben gesehen haben, letztlich aber doch auf Schopenhauers Sicht der Vernunft und der Begriffe hinaus, die ebenfalls in demselben Traktat vorbereitet wird. Der Schopenhauersche Vernunftsbegriff scheint der "springende Punkt" der Angelegenheit zu sein. In der schon einige Male zitierten Schrift Ueber die Universitäts-Philosophie tritt dies auch noch einmal deutlich zutage. So schreibt Schopenhauer (Lütkehaus-Ausgabe Bd.IV, S.167):"Will man hiezu specielle Belege (Anm. für die Niederreißung guter Köpfe durch Unberufene), so bringe man sich das scheußliche Beispiel der Hegelei vor Augen, jener frechen Afterweisheit, welche, an Stelle des eigenen, besonnenen und redlichen Denkens und Forschens, als philosophische Methode die dialektische Selbstbewegung der Begriffe setzte, also ein objektives GEDANKENAUTOMATON, welches frei in der Luft, oder im Empyreum, seine Gambolen auf eigene Hand mache, deren Spuren, Fährten, oder Ichnolithen die Hegel'schen oder Hegelianischen Skripturen wären, welche doch vielmehr nur etwas unter sehr flachen und dickschaligen Stirnen Ausgehecktes und, weit entfernt, ein absolut Objektives zu seyn, etwas höchst Subjektives, noch dazu von sehr mittelmäßigen Subjekten Erdachtes sind."

Zum Hegelschen Begriff des "Geistes" schreibt er (Lütkehaus Ausgabe Bd.IV, S.174): "Hierher gehört die plumpe Unverschämtheit, mit der die Hegelianer, in allen ihren Schriften, ohne Umstände und Einführung, ein Langes und Breites über den sogenannten 'GEIST' reden, sich darauf verlassend , daß man durch ihren Gallimathias viel zu sehr verblüfft sei, als daß es, wie es Recht wäre, Einer dem Herrn Professor zu Leibe ginge mit der Frage: 'Geist? wer ist denn der Bursche? und woher kennt ihr ihn? ist er nicht etwan bloß eine beliebige und bequeme Hypostase, die ihr nicht ein Mal definiert, geschweige deduciert, oder beweist? Glaubt ihr ein Publikum von alten Weibern vor euch zu haben?' - Das wäre die geeignete Sprache gegen einen solchen Philosophaster."

Aus solchen und ähnlichen Zitaten geht wohl u.a. hervor, daß Schopenhauer die Hegelsche Sprache als zu unbestimmt, verschwommen und zu wenig klar und exakt befindet (vgl. auch Parerga und Paralipomena II, § 283).

* * *


Ich möchte nun, um den Überblick nicht zu verlieren, jenes, was im Spezialteil der vorliegenden Arbeit ausgeführt wurde, nochmals zusammenfassen und einen Schluß aus dem Gesagten ziehen.

Es gibt kaum ein Werk Schopenhauers, in welchem dieser Hegel nicht mit Polemiken, Angriffen, teils sogar hemmunglosen Beschimpfungen überhäuft - letzteres ist einem großen Philosophen wie Schopenhauer eigentlich unwürdig. Die Schopenhauersche Hegelkritik ist aber, wiewohl sie zu einem Teil durch persönliche Abneigung Schopenhauers gegen seinen Antagonisten zu erklären ist, nicht vollständig auf diese zurückzuführen.

Das hinter einem Wulst von Polemiken versteckte Hauptargument gegen Hegel fand ich in der hier hauptsächlich besprochenen Abhandlung Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde vorbereitet. Es handelt sich um die spezifische Sicht der Vernunft Schopenhauers, der dieselbe als das - gewissen Gesetzen folgende - Denken in abstrakten Begriffen begreift, dieselben als aus den empirischen, anschaulichen, vollständigen Objekten abgeleitet sieht. Bei der Bildung der Begriffe wird das den zusammengefaßten Objekte nicht Gemeinsame fallengelassen, das Allgemeine verbleibt im Begriff. Je höher man in der Abstraktion steigt, umso mehr läßt man weg; folglich sind für Schopenhauer die höchsten Begriffe auch die ausgeleertesten und nichtigsten. Da nun Hegel mit solchen höheren Begriffen operiert und diese den Kern seiner Philosophie darstellen, betrachtet Schopenhauer sie als irriges Spiel mit Worten. Da der Schopenhauersche "Begriffsbegriff" mit dem der Nominalisten des Mittelalters übereinstimmt, ließ ich mich ferner auf einen ersten Exkurs in die Scholastik ein.

Daß Hegel die Vernunft als Tor zum Absolutum betrachtet, läßt Schopenhauer noch viel weniger durchgehen, zumal er erstens in Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde den Hegelschen Vernunftsbegriff als der bisherigen Philosophie fremd betrachtet (vgl.§ 34). Ferner ist für ihn das Absolutum nur der inkognito reisende kosmologische Gottesbeweis (der ebenfalls in der Scholastik entstand), was er ebenfalls, wie oben genauer dargelegt, in Über die vierfache Wurzel etc. ausführt (§ 20). Dieser Vorwurf brachte mich zu einem zweiten Exkurs in die Scholastik, die Erläuterung der Argumentation dieses Gottesbeweises und die Ausführung der Schopenhauerschen Widerlegung; ferner drängt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Gottesbeweisen überhaupt auf, wobei die Schopenhauersche Antwort (ebenfalls dargelegt in Über die vierfache... etc.) berücksichtigt wurde.

Daß ferner Hegel eine zu unbestimmte Sprache verwendet, ist ebenfalls Schopenhauers Vorwurf (vgl. Parerga und Paralipomena II, § 283), worin er sich übrigens vorzüglich mit anderen späteren Philosophen, namentlich Popper, trifft.

Obwohl Schopenhauer mit Hegel oft ungerecht, weil polemisch verfährt, er ferner auch viele positive Seiten der Hegelschen Philosophie nicht berücksichtigt (z.B. die Harmonie des menschlichen Geistes mit dem Sein), ist seine Hegel-Kritik auch argumentativ gestützt, wenngleich mit persönlichem Haß vermengt. Manche der Schopenhauerschen Argumente gegen Hegel sind aber sicher nicht haltbar, etwa die schwach argumentierte Feststellung, das Absolutum Hegels sei der getarnt reisende kosmologische Gottesbeweis. Es sei noch erwähnt, daß Schopenhauer in der Vorrede zu den beiden Preisschriften zur Ethik die naturwissenschaftlichen Theorien Hegels kritisiert hat - diese wirklich vernichtende Kritik, bei der Schopenhauer sein größerer naturwissenschaftlicher Hintergrund zugute kommt, glaubte ich aber vernachlässigen zu dürfen - aufgrund ihrer mangelnden Relevanz für die Philosophie.

Bei Bewertung der Hegel-Kritik Schopenhauers muß man nach eingehender Betrachtung folgendes Urteil fällen.

1.) Schopenhauers Hegel-Kritik ist zu einem großen Teil durch persönliche Motive zu erklären, nur zum kleineren durch Argumente.
2.) Manche Argumente (Stichwort: Vernunftsbegriff, unklare Sprache, Schwächen der Hegelschen Naturwissenschaft, versteckte Theologie, Unsinnigkeit der Religionsphilosophie etc) sind berechtigt, wenngleich hinter einem Berg Beschimpfungen versteckt.
3.) Einige Argumente sind unhaltbar (Stichwort: Gleichsetzung des Absolutums mit dem kosmologischen Gottesbeweis).

Wir werden also, in Anerkennung der berechtigten Argumente Schopenhauers, mit Nietzsche einschränken (KSA 5, 349 unten):

"Unterschätzen wir namentlich nicht, dass Schopenhauer, (...), Feinde nöthig hatte, um guter Dinge zu bleiben; dass er die grimmigen galligen schwarz-grünen Worte liebte; dass er zürnte, um zu zürnen, aus Passion; dass er krank geworden wäre, Pessimist geworden wäre (- denn er war es nicht, so sehr er es auch wünschte) ohne seine Feinde, ohne Hegel, das Weib, die Sinnlichkeit und den ganzen Willen zum Dasein, Dableiben. Schopenhauer wäre sonst nicht dageblieben, darauf darf man wetten, er wäre davongelaufen: seine Feinde aber hielten ihn fest, seine Feinde verführten ihn immer wieder zum Dasein, sein Zorn war, ganz wie bei alten Cynikern, sein Labsal, seine Erholung, sein Entgelt, sein remidium gegen den Ekel, sein Glück."

Daß die hauptsächlichen Argumente der Schopenhauer-Kritik Hegels in der Abhandlung Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde vorbereitet sind, halte ich trotz alledem für ein bemerkenswertes Ergebnis; ebenso, daß ein längst vergangener und vergessener Streit der Scholastik wieder in der modernen Philosophie an Bedeutung gewinnen kann.

Literatur

Friedrich Nietzsche: Zur Genealogie der Moral. In: Colli, Moniniari (Hg.): Kritische Studienausgabe Bd.5.

Bertrand Russell : Denker des Abendlands. Eine Geschichte der Philosophie. Berlin 1996.

Bertrand Russell : Warum ich kein Christ bin. Über die Unfreiheit des Christenmenschen. Reinbek bei Hamburg 1982.

Arthur Schopenhauer : Werke in fünf Bänden, nach den Ausgaben letzter Hand herausgegeben von Ludger Lütkehaus. Zürich 1988.

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