Politisches Buch: Erst Businessman, dann Sozialist

27.09.2007 | 18:12 |  OLIVER PINK (Die Presse)

Franz Vranitzky wird 70. Nicht nur Gerhard Schröder würdigt sein Vorbild.

 

Wien. „Jugendliche aus bürgerlichem Milieu tendieren, wenn sie sich zur Sozialdemokratie bekennen, eher zu linken Positionen. Jugendliche aus dem Arbeiter-Milieu eher zu rechten“, meint Ewald Nowotny. Der Bawag-Boss zählt zur ersten Kategorie. Franz Vranitzky zur zweiten. Was dem Nadelstreif-Kanzler von seinen Genossen mitunter als Arroganz ausgelegt wurde. „Diese Ausstrahlung, die auch ein geborener Henckel-Donnersmarck nicht besser hinkriegen könnte – darf sie der Sohn eines Eisenbiegers nicht haben?“, fragt Hans Schmied die Kritiker. Der Ex-Werber und Neo-Winzer hat das persönlichste, berührendste Kapitel („Weißt Du noch“) verfasst.

45 Weggefährten – von Heinz Fischer über Erhard Busek bis Frank Stronach – haben am Buch „Ein großer Europäer“ mitgeschrieben. Es erscheint am 4. Oktober, an diesem Tag wird der Alt-Kanzler 70.

Franz Vranitzky, der Pragmatiker, der die SPÖ auf Entstaatlichungskurs gebracht, Österreich in die EU geführt und Haider widerstanden hat, der als „erster anti-nationalsozialistischer Bundeskanzler“ (Hans Rauscher) aktive Vergangenheitsbewältigung betrieb – all das wird von den Autoren ausführlich gewürdigt. Gerhard Schröder, deutscher Ex-Kanzler, sieht Vranitzky gar als Vorbild: „Im Grunde genommen hat er Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre die Reformpolitik umgesetzt, die in Deutschland erst rund ein Jahrzehnt später begonnen wurde und Länder wie Frankreich erst vor sich haben.“

Am besten ist das Buch, das freilich mehr eine hagiographisch gestimmte Festschrift ist, wenn es Einblicke abseits des Tagespolitischen bietet. „Zu jedem USA-Besuch gehörte wie das Amen im Gebet der Besuch eines Basketball-Spiels der NBA. Das war in der Regel der erste Programmpunkt nach der Anreise“, erinnert sich Vranitzkys rechte Hand Karl Krammer. Innenminister a. D. Caspar Einem schildert recht humorvoll das Innenleben im Kabinett Vranitzky: „Die Spannungen zwischen Jolly Hesoun und Johanna Dohnal, die Hesoun konsequent Donald genannt hat, waren Legende.“

 

Entdecker Sinowatz überrascht

Vranitzkys Entdecker Fred Sinowatz überrascht mit dem Bekenntnis: Der Entschluss, Vranitzky zum Nachfolger zu machen, „stand bereits fest, als ich Kanzler wurde“.

Franz Vranitzky – der Banker und Bundeskanzler: Dass das für einen Sozialdemokraten (vor Vranitzky hieß es noch Sozialist) kein Widerspruch sein muss, erläutert der Ökonom Dieter Stiefel, indem er seinen niederländischen Kollegen Albert Winsemius zitiert: „If you want to be a socialist, you have to be a businessman first.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2007)

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