Das Ende der Pressefreiheit?

im 21. Jahrhundert

Über neue Formen der Zensur

Patrick Horvath

Werner Horvath: "Der Golfkrieg", Gemälde im Stil des neuen bildenden Konstruktivismus

Seminararbeit aus "Praxisfeld Journalismus"
Vorarbeit zur geplanten Diplomarbeit aus Publizistik- und Kommunikationswissenschaft
Lehrveranstaltungsleiter: Prof.Gottschlich
Wintersemester 1998/99 Universität Wien

Einleitung: Sind die Medien frei?

In dieser Arbeit soll das Konzept der Pressefreiheit (heute oft auch umfassender "Medien- und Kommunikationsfreiheit" genannt) kritisch hinterfragt werden. Ich möchte nämlich behaupten, daß unsere heutigen Massenmedien keineswegs so frei sind, wie sie es gemeinhin vorgeben zu sein.

Einen "machtfreier Diskurs" nach dem Ideal von Habermas bieten unsere Medien keineswegs. Und zwar nicht etwa, weil eben jedes Ideal letztlich unerreichbar ist, das heutige Mediensystem aber eine Annäherung an besagtes Ideal wäre. Genau das Gegenteil ist der Fall. Es liegt eine bewußte Mißachtung dieses Ideals vor.

Ich behaupte - und im Verlauf meiner Arbeit werde ich diese Behauptung zu begründen versuchen -, daß sich mittlerweile neue Formen der Zensur herausgebildet haben. Die alten Formen der Zensur gibt es nicht mehr. Kein Politiker kann heute z.B. einer Zeitung das Abdrucken eines Artikels unter Androhung staatlicher Zwangsgewalt verbieten, bloß weil ihm aus irgendwelchen Gründen dieser Artikel nicht paßt. Daß es diese "Primitivzensur" nicht mehr gibt, heißt aber nicht, daß es nicht andere Machthaber in unserer Gesellschaft gibt, die unliebsame Medienbeiträge einfach unterdrücken oder gewünschte fördern können.

Der Unterschied zwischen der alten Form der Zensur oder "Primitivzensur", wie ich sie nenne, und den heutigen, neuen Formen der Zensur ist folgendermaßen zu fassen:

Frühere Zensur war politisch, d.h. sie geschah letztlich auf das Betreiben politischer Machthaber hin und wurde mit den Mitteln durchgesetzt, die der Politik zur Verfügung stehen (Polizei, spezielle Behörden, Geheimdienste - kurzum: staatlicher Zwang aller Art). Heute ist die Zensur, die unser freies Denken bedroht, eine wirtschaftliche, d.h. nicht Machthaber der Politik, sondern der Wirtschaft sind ihre Urheber - und ihre Methoden sind auch jene der Wirtschaft (Erwerb oder Entzug von Geld - also wirtschaftlicher Zwang aller Art).

Ich unterteile die Methoden der neuen, wirtschaftlichen Zensur in drei Bereiche. Gemeinsam ermöglichen sie Kontrolle über die an die Massen vermittelten Medieninhalte und damit wohl auch Macht. Über jeden dieser Bereiche werde ich in meiner Arbeit einen eigenen Abschnitt verfassen, d.h. ich werde die einzelnen Punkte, die auf den ersten, flüchtigen Blick nur schwer verständlich sind, gleich näher erklären.

Ich unterscheide Verzerrungen der medialen Inhalte durch...

I.)........Product Placement in Informationssendungen
II.).......Umfeldjournalismus
III.)......Pooling

Diese drei Praktiken, die sich in der heutigen Medienlandschaft immer weiter verbreiten, unterminieren die "Pressefreiheit" im Sinne der Aufklärung und des Liberalismus. Nur in Unkenntnis dieser Praktiken kann man noch von der heutigen angeblich existierenden Freiheit der Presse schwärmen. Mit der Publikation dieser Arbeit soll diese Illusion ein für allemal zertrümmert werden.

Abschnitt I: Product Placement in Informationssendungen

Was ist Product Placement?

Product Placement ist ein schönes Wort für "Schleichwerbung". Es handelt sich dabei um Werbung, d.h. einseitige Information im Interesse eines zahlenden Werbetreibenden. Diese ist aber nicht als Werbung gekennzeichet und auch nicht vom normalen Programm getrennt. Es ist für den Medienkonsumenten also nicht erkennbar, daß die ihm gezeigte Information von einer gewissen Interessensgruppe bezahlt wurde.

Product Placement in Unterhaltungssendungen sind schon weitgehend üblich geworden. Es gibt kaum mehr einen internationalen Kinofilm, der nicht mithilfe von Schleichwerbung Produktionskostenzuschüsse von der Privatwirtschaft lukriert. Damit kann ein Teil der horrenden Produktionskosten schon abgedeckt werden, bevor der Film in den Kinos oder im Fernsehen anläuft. Wir haben uns auch schon längst daran gewöhnt, daß James Bond einen BMW fährt - was betreffende Firma viel Geld gekostet hat. Oder Otto in seinem "Neuen Film" vor Plakaten der Firma "Bauknecht" Schlittschuh läuft. Es ist sicherlich auch kein Zufall, daß Davod Hasselhoff in der Sendung "Knight Rider" mit einem schwarzen TransAm-Pontiac Sportwagen unterwegs ist. Oder die Moderatoren einer RTL-Fernsehshow von gewissen Modefirmen eingekleidet werden.

Das Product Placement in Unterhaltungssendungen interessiert mich in dieser Arbeit aber nur am Rande. Obwohl es lästig erscheint, daß Schleichwerbung im großen Stil im normalen Fernsehprogramm vorkommt, gefährdet es unsere Gedankenfreiheit und unsere Meinungsbildung nicht wirklich. Denn man kann davon ausgehen, daß das Unterhaltungsprogramm von den Menschen zwar gerne konsumiert wird, diese aber klug genug sind, es nicht als Basis ihres Weltbildes in so wichtigen und sensiblen Bereichen wie Politik oder Gesundheit heranzuziehen (zumindest hoffe ich das).

Weitaus gefährlicher für einen unverzerrten Informationsfluß (und durchaus schon als neue Form der Zensur anzusehen) ist aber Product Placement in Informationssendungen. Es gibt viele Indizien dafür, daß es in der heutigen westlichen Welt kaum mehr Informationssendungen gibt, die nicht "gekauft" sind bzw. die nicht "gekaufte" Beiträge, die als objektiv recherchiert präsentiert werden, zeigen.

Der Fall "Bayern Journal"

Engagierte Journalisten des Medienmagazins "Plusminus" (WDR) haben in einer Sendung vom 22.4.1997 aufgedeckt, daß die Firma CAMP TV, eine erfolgreiche Produktionsfirma, ein Zubrot durch Schleichwerbung verdient(1). Diese kommt vor allem im "Bayern Journa"Î vor, einer in besagter Region vielgesehenen Sendung, die samstags und sonntags auf den Frequenzen von SAT1 und RTL gesendet wird.

Als Beispiele für die "gekaufte" Berichterstattung führten die Journalisten des Medienmagazins folgende an:

Einen Beitrag über einen neuen "Tarif für Kostenbewußte" in der Krankenversicherung. Zu Wort kommt nur die "Vereinigte Krankenversicherung", die ihre Leistungen anpreist und dafür nach eigenen Angaben einen "Produktionskostenzuschuß" an CAMP TV bezahlt hat.

Einen Beitrag über "Schutz vor Erkältungen". Empfohlen werden Vitaminpräparate und Knoblauchpillen. Im Studio gibt eine "Ärztin für Naturheilverfahren" Auskunft. Die angebliche unabhängige Ärztin ist aber Angestellte der Firma "Klosterfrau". Und Klosterfrau hat besagte Präparate im Angebot.

Einen Beitrag über ein Neubaugebiet, in dem Eigentumswohnungen verkauft werden. Gleich neunmal dürfen Vertreter der "Baywobau" für den Wohnpark werben und alle Vorzüge aufzählen. Und niemand sonst kommt zu Wort. Unterlagen der "Plusminus"-Redaktion belegen, daß CAMP TV mit Unternehmen hohe Zahlungen derartiger Schleichwerbung vereinbart hat. Die Summen, die dafür kassiert wurden, reichen von 10.000 bis 200.000 Mark.

Der Fall SAT1

Die "Plusminus"-Redakteure recherchierten ebenfalls, daß der bekannte deutsche Privatsender SAT1 über eine eigene Tochterfirma namens TV IIIa verfügt, die nur dazu da ist, "Produktionskostenzuschüsse" der Wirtschaft einzusammeln. Bei SAT1 versichert man, daß dies völlig legal sei, niemals dürfe ein Geldgeber Einfluß auf gezeigte Beiträge nehmen. Fragt sich nur, warum ein Unternehmen zehntausende Mark zahlt, wenn es nicht mitbestimmen darf.

Der Redaktion wurde aber ein internes Dokument zugespielt, ein Brief, in dem der Geschäftsführer von TV IIIa von "sittenwidrigen Geschäften" spricht.

Eigentlich ist Schleichwerbung tatsächlich ein sittenwidriges Geschäft. Ein Vertrag, auf dem ein solches Geschäft festgeschrieben ist, kann sowieso nicht eingeklagt werden. Nur selten sind daher Sender und Unternehmen so dumm, besagtes Geschäft schriftlich zu fixieren. In einem Fall ist es aber doch geschehen; und der "Plusminus"-Redaktion wurde dieser Vertrag zugespielt. In diesem Vertrag geht es um die Bestellung einer ganzen Staffel von Schleichwerbebeiträgen, die "Brillen-König Fielmann" von SAT1 bestellt. Beide Unternehmen behaupten nun, diesen Vertrag nie gesehen zu haben.

Der Fall "Telethek"

Die Journalisten von "Plusminus" gaben sich bei ihrer Recherche als Vertreter von Unternehmen aus, die Schleichwerbebeiträge plazieren wollten. Unter dieser falschen Identität nahmen sie Kontakt auf zur Produktionsfirma Connex-TV. Diese versprach, Schleichwerbung in der "Telethek" (auf MDR - Mitteldeutscher Rundfunk) zu plazieren. Dies ist übrigens ein öffentlich-rechtlicher Sender; man sieht, daß nicht nur Inhalte von Privaten käuflich sind(2). Connex-TV bot Journalisten an, Produkte in dem Verbrauchermagazin zu plazieren - fünf Minuten im Bild kosten lediglich 15.000 Mark. Im Kochstudio der Sendung wird auch dann tatsächlich für andere Produkte schamlos Werbung gemacht - "zufällig" wurde z.B. das Planzenöl der Firma "Biskin" in den höchsten Tönen gelobt.

Regionale Radiosender in der Schweiz

Auch der Schweizer Pressrat beschäftigte sich mit dem Thema der mangelnden Trennung von Werbung und Information(3). Aufgrund einzelner Beobachtungen beschloß der Pressrat im Sommer 1992, die Finanzierung der Lokalradios auf die Vermischung von Werbung und Information stichprobenartig zu untersuchen. Ausgangspunkt der Untersuchung war die Feststellung, daß verschiedene Lokalradios sich Sendungen im redaktionellen Teil fremdfinanzieren lassen, ohne daß die Hörer dabei auf diese Tatsache aufmerksam gemacht wurden.

Der Schweizer Presserat meint:

"Da es in dieser Untersuchung nicht darum ging, einzelne Lokalradios an den Pranger zu stellen, und da ferner nur einzelne Lokalradiostationen stichprobenartig untersucht werden konnten, verzichtet der Presserat darauf, bei der Darstellung der einzelnenn Fälle die Namen der betreffenden Lokalradios zu nennen, da diese sonst exemplarisch für ein Verhalten verurteilt würden, daß bei den Lokalradios weit verbreitet ist.Î

Mir erscheint diese Feststellung insofern bemerkenswert, weil sie die Ansicht widerlegt, es handle sich nur um vereinzelte Anbieter, die Schleichwerbung betreiben. Natürlich fliegen immer nur Einzelfälle auf; bei vielen Programmen ist Product Placement schwer zu beweisen. Wir wissen aber aufgrund zahlloser Fallbeispiele und Indizien, daß Schleichwerbung bei Massenmedien eine allgemeine Praxis ist, die sehr viel Geld einbringt. Bei privaten Medien sowie bei lokalen Anbietern ist Schleichwerbung ganz besonders häufig.

Der Schweizer Pressrat führt ferner eine große Menge Fallbeispiele an. Hier eine kleine Auswahl davon:

Radio X. macht Unternehmen das Angebot, aus ihrem Betrieb ein Wunschkonzert zu senden, wobei das Unternehmen zwischendurch in Gesprächen vorgestellt werden könne. Diese kleine Dienstleistung läßt sich das Lokalradio allerdings von Unternehmen bezahlen. Daß für dieses Wunschkonzert, vor allem aber für Gespräche über den Betrieb, das Unternehmen bezahlt hat, wird dem Hörer nicht mitgeteilt. Die ganze Sendung läuft vielmehr als Unterhaltungsbeitrag des Radios ab.

Radio X. macht mehrstündige Reportagen über Betriebe in seinem Sendegebiet. Diese Reportagen werden dem entsprechenden Unternehmen dann auf einer Kassette für mehrer tausend Franken verkauft. Das Geschäft, der Kassettenverkauf, wird allerdings vor Ausstrahlung der Reportage abgeschlossen. Im Klartext heißt das: Es wird nur über diejenigen Betriebe eine solche Reportage ausgestrahlt, die dafür auch bezahlen, d.h. eine Kassette für mehrere tausend Franken kaufen.

Radio X. belohnt gute werbekunden damit, daß Vertreter dieser Firma in redaktionellen Sendungen ausführlich zu Wort kommen, oder die Belegschaft der Firma ein Wunschkonzert organisieren, d.h. zusammenstellen darf.

Radio X. läßt sich Berichte über Ausstellungen, Messen und Einkaufszentren von den Veranstaltern bezahlen.

Radio X. strahlt Sendungen aus, die von Public Relations-büros produziert werden, ohne dabei klar zu erwähnen, daß es sich um fremdproduzierte Sendungen handelt.

Radio X. bot politischen Parteien vor Wahlen an, von ihnen produzierte Selbstporträts auszustrahlen. Dies unter der Bedingung, daß diese Porträts zu einem recht hohen Preis bei einem dem Lokalradio angegliederten Tonstudio produziert würden.

Radio X. überträgt Auswärtsspiele der lokalen Eishockeyvereine nur, wenn diese dem Radio dafür eine jährliche Pauschale zahlen.

Radio X. strahlt wöchentlich ein Wirtschaftsmagazin aus, Befragt werden dabei Unternehmer und Geschäftsleute zu ihren Betrieben und ihrer Arbeit oder zu den Produkten, die sie herstellen. Was der Hörer dabei nicht erfährt: Es kommen nur solche Geschäftsleute in die Sendung, die dafür auch bezahlt haben und entsprechend für dieses Geld dann auch bei diesen Gesprächen für ihr Geschäft Werbung machen können.

Radio X. strahlte im Vorfeld der EWR-Abstimmung ein von der Gewerkschaft organisiertes Podiumsgespräch aus. Die Gewerkschaft bestimmte dabei sowohl den Gesprächsleiter, als auch die Gesprächsteilnehmer. Damit hatte die Gewerkschaft in der Hand, das Gespräch in die gewünschte Richtung zu steuern. Das Lokalradio ließ sich für die Ausstrahlung des Gesprächs mehrere tausend Mark bezahlen. Der Hörer wurde nicht darauf hingewiesen, daß die Gewerkschaft für die Ausstrahlung bezahlt hatte.

Schlußfolgerungen

Doch genug der Einzelbeispiele (ich könnte noch viele hinzufügen). Was ich in der Arbeit verdeutlichen will, ist im wesentlichen dies: Eine gemeinhin von den Massenmedien praktizierte Methode des Geldverdienens ist die Vermischung von Werbung und Information. Es gibt zahllose Indizien, die darauf hinweisen, daß es kaum mehr eine Informationssendung gibt, die nicht von irgendwelchen mächtigen Geldgebern zensiert ist.

Welcher Information kann man noch vertrauen, wenn die meisten als objektive und seriöse Information getarnten Medieninhalte "gekauft" sind?

Kann man noch von einer freien Presse sprechen, wenn sich mittlerweile diese neuartigen, gemeinhin praktizierten Formen der Zensur herausgebildet haben?

Abschnitt II: Umfeldjournalismus

Was ist Umfeldjournalismus?

Stellen Sie sich vor, werter Leser, Sie wären der Besitzer einer Fabrik, die Süßwaren herstellt. Nun wollen Sie Ihre Schokolade, ihre Zuckerl, ihre Waffeln und ihre Torten an eine möglichst große Zahl von Menschen verkaufen. Sie beschließen nun, in einer Zeitung für Ihre Ware zu werben und schalten dort ein Inserat, in dem Sie ihre süßen Leckerbissen anpreisen. Wenn sie klug sind - und das setzen wir voraus - werden Sie das Inserat aber nicht irgendwo schalten. Bevor Sie eine Menge Geld für Werbung ausgeben, werden Sie auch darauf achten, ob das "Umfeld", das die Zeitung bietet (also der redaktionelle Inhalt) auch "werbefreundlich" ist. Es wäre doch z.B. eine Katastrophe, wenn neben Ihrem Inserat zufällig ein Artikel erscheinen würde, der von Zahnkrankheiten handelt, daneben ein Foto eines Mannes abgebildet wird, dem die Zähne im Mund verfaulen und in Überschrift und Text des Artikels vor dem Konsum von Süßigkeiten gewarnt wird. Ein Inserat neben diesem Artikel wäre für Ihre Produkte vernichtend, denn das Publikum würde ihre Waren vermutlich in schlechter Erinnerung behalten.

An dieser Stelle ließen sich noch hunderte Beispiele anführen. Kein Reisebüro würde in einem Medium werben wollen, das unermüdlich vor Mühsal, Schwierigkeiten und Gefahr einer Reise in fremde Länder warnt, kein Automobilproduzent würde Geld in ein Medium investieren, dessen Hauptanliegen es ist, die Verpestung unserer Luft und unserer Städte durch Autos anzuprangern. Man sieht also, worauf alles hinausläuft:

Wirtschaftsunternehmen sind daran interessiert, daß mediale Inhalte in ihrem Sinne sind, d.h. für den Absatz ihrer Produkte günstig. Was wahr ist, interessiert kaum. Ob Süßigkeiten Zähne wirklich krank machen, Fernreisen wirklich beschwerlich sind oder Autos wirklich die Luft verpesten (oder auch nicht), spielt für sie keine Rolle. Was aber eine Rolle spielt, ist der verstärkte Werbeeffekt.

Und was die Medienunternehmen interessiert, ist, möglichst viele zahlende Inserenten anzulocken. Und darum betreiben sie Umfeldjournalismus, d.h. sie bringen journalistische Inhalte, die den Bedürfnissen der Werbetreibenden entgegenkommen, die Attraktivität des geschalteten Inserats zu steigern oder zumindest nicht zu schmälern. Oder nicht so schön ausgedrückt: Die Medien prostituieren sich. Teils freiwillig, quasi im vorauseilenden Gehorsam oder aus skrupelloser Geldgier (auch Íunternehmerisches DenkenÎ genannt), teils aufgrund des Zwangs einer allgemeinen schwierigen wirtschaftlichen Situation und dem heftigen Konkurrenzkamof am Anzeigenmarkt, auf dem nur die Stärksten überleben.

Ist Umfeldjournalismus legitim?

Man kann nicht leugnen, daß er dies im gewissen Maße ist. Es ist verständlich, daß ein Wirtschaftsunternehmen die medialen Inhalte zu seinen Gunsten beeinflußen will, damit das für Werbung investierte Geld gut angelegt ist. Ich würde es, nebenbei bemerkt, genauso machen. Auch ist es nur natürlich, daß kein Medienunternehmen begehrte Anzeigenkunden vergrämen will.

Ich meine aber, daß Umfeldjournalismus in vielen Fällen auch problematisch ist, nämlich dann, wenn der Einfluß der Inserenten zu groß ist und gewisse Wahrheiten geschickt verschwiegen werden - zum Schaden und Nachteil des Lesers, Hörers oder Sehers (des "Rezipienten").

Ich möchte zunächst auf einen solchen Fall eingehen.

Mochovce und das große Schweigen

Im Jahre 1995 unterschrieben eine Million Österreicher eine Protestnote der Umweltschutzorganisation Global 2000 gegen die Fertigstellung des slowakischen Atomkraftwerkes Mochovce. Die meisten Österreicher sind aus verständlichen Gründen gegen die Inbetriebnahme des Kraftwerks eingestellt, denn es stellt für sie ein unkalkulierbares Risiko dar. Errichtet ist es nämlich unweit der österreichischen Grenze. Sollte es zu einem atomaren Unfall kommen - wie es prinzipiell möglich ist - würden weite Gebiete Österreichs radioaktiv verseucht. Österreich muß also alle Risken eines solchen Projekts tragen - und die sind beachtlich -, ohne jedoch irgendwelche Vorteile davon zu erlangen.

Auch österreichische Medien unterstützten damals die verständlichen Wünsche der Bürger. Vor allem die "Kronen Zeitung", die größte und mächtigste Zeitung des Landes, tat sich mit einer Anti-Mochovce-Kampagne hervor ("Stoppt den Atomwahnsinn!", hieß es da). Der österreichische Druck gegen die Fertigstellung von Mochovce war bald von Erfolg gekrönt: Die westlichen Betreiber, Electricite de France und Bayernwerke AG stiegen aus, und es gab für das Projekt keinen Kredit von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung.

Sehr bald änderte sich diese Situation. Knapp zwei Jahre später fand sich ein neuer Geldgeber für das umstrittene Atomkraftwerk Mochovce, nämlich die Siemens AG. Nach deren Einstieg in das Projekt war die Finanzierung des Kraftwerks weitgehend gesichert.

Nun versuchte die Umweltschutzorganisation Global 2000, die Öffentlichkeit über das Verhalten der Firma Siemens aufzuklären. In diesem Zusammenhang sollte auch zu einem Boykott von Waren der Firma Siemens aufgerufen werden. Angesichts der damaligen wie heutigen öffentlichen Meinung ist anzunehmen, daß, hätte die Öffentlichkeit diese Informationen erhalten, dies ungeheure Wirkungen, vor allem heftige Entrüstung und massive Proteste, hervorgerufen hätte. Die Öffentlichkeit ist nämlich bis heute von Mochovce betroffen und dementsprechend an solchen Informationen interessiert.

Nun ereignete sich aber folgendes: Die österreichischen Medien, allen voran die "Kronen Zeitung", schwiegen zu diesem Thema. Trotz vorhergehender intensiver Medienkampagnen zum Thema Mochovce trotz großen Publikumsinteresses und trotz der Wichtigkeit dieser für Österreich bedeutenden Wendung zum Schlechteren, wurden diese für die Öffentlichkeit so wichtigen Informationen mit keinem Wort erwähnt.

Nach Aussage eines Sprechers der Umweltorganisation Global 2000 vom November 1996, getätigt bei einem Gastvortrag an der Universität Wien(4), ist dieses Schweigen darauf zurückzuführen, daß die "Kronen Zeitung" und mit ihr andere österreichische Medien bestrebt seien, die Firma Siemens als Anzeigenkunden nicht zu verlieren - was aber geschehen würde bei der Veröffentlichung von Informationen, die Siemens unliebsam wären. Im Sinne eines konsequenten Umfeldjournalismus würden so wichtige Informationen unterdrückt(5).

Schlußfolgerungen

Das plötzliche große Schweigen der Medien zum Thema Mochovce: Ein Ausdruck von wirtschaftlicher Zensur?

Auf jeden Fall erscheint es möglich, daß Geldgeber durch den Umfeldjournalismus immensen Einfluß auf die Gestaltung von Medieninhalten nehmen können.

Abschnitt III: Pooling

"Ruling by Pooling"

Dieser Ausspruch, der aus Amerika zu uns kam, beschreibt das erfolgreiche Konzept einer neuen Zensurform. Man nennt sie "Pooling". Die Vorgehensweise dabei ist denkbar einfach:

Man beschränkt den Zugang von Journalisten zu der Information, die man "anzubieten" hat, indem man "Journalisten-Pools" mit nur wenigen Plätzen schafft. Man gewährt den Medien nur Zugang zu diesen Pools, wenn diese als Gegenleistung dafür keine negative oder kritische Berichterstattung leisten.

Sollten sie es doch tun, entzieht man ihnen den Platz im Pool. Damit verliert das jeweilige Medium die Möglichkeit, über das Ereignis zu berichten. Die "willigen" Konkurrenten aber haben einen Informationsvorsprung und eine aktuellere und bessere Berichterstattung. Das wiederum kann, wenn die gebotenen Informationen wichtig sind, dem Aufmüpfigen Quoten kosten. Und das wiederum Einnahmen. Man packt mit dieser Vorgangsweise die allmächtigen Medien bei ihrer einzigen Archillesferse: Dem lieben Geld. Manche Medien können, viele Medien wollen in ihrem Streben nach Gewinnmaximierung nicht einmal kleine Einbußen entbehren. Auch nicht der Wahrheit zuliebe. Pooling funktioniert nebenbei gesagt umso besser, je wichtiger und quotenträchtiger die jeweilige Information ist, deren Zugang man beschränken kann.

Die heutigen Massenmedien, das muß man endlich begreifen, sind kapitalistische Konzerne, deren letzter und höchster Zweck das Erwirtschaften von Geld ist. Auch die vielen Sonntagsreden von Journalisten, in denen die Verpflichtung gegenüber dem Leser oder Seher hervorgehoben wird, oder das angeblich von ihnen erzeugte, für die Demokratie notwendige kritische Bewußtsein gelobt wird, können an dieser Tatsache nichts ändern. Die Praxis spricht eine andere Sprache. Diese zeigt, daß den Medien das Interesse von Lesern, Seher, Hörern am Herzen liegt - sofern es ihnen Gewinn bringt. Wenn nicht, scheut sich keiner der heutigen "freien" Journalisten, auch gegen das Interesse des Rezipienten zu berichten oder es mit Kritik und Wahrheit nicht so genau zu nehmen. Ein kronkretes Beispiel soll dies veranschaulichen.

Die Berichterstattung über den Golfkrieg

Diese allgemeinen Aspekte sollen vor dem Hintergrund der Berichterstattung der Privatsender über den Golfkrieg besprochen werden. Diese ist von anderen bereits gut erforscht. Meine Informationen zu diesem Thema beziehe ich aus der im Literaturverzeichnis angeführten Arbeit von Kurt Luger: "Der zensurierte Krieg", aus dem auch alle angeführten Zitate stammen.

Die amerikanische Regierung war im Golfkrieg von Anfang an bedacht, kein zweites Vietnam zu erleben. Daß der Vietnamkrieg zu einem Desaster für das Selbstverständnis der amerikanischen Nation wurde, wird vielfach den kritischen Berichten angelastet, die in den Fernsehnachrichten gezeigt wurden.

Und zweifellos haben Bilder von kleinen, von amerikanischen Bomben napalmverbrannten vietnamesischen Kindern zum Meinungsumschwung in der Öffentlichkeit beigetragen und den Militärs die moralische Legitimität entzogen. Im Golfkrieg wurde von der amerikanischen Regierung im vornherein verhindert, daß sich Reporter selbständig in das Kriegsgebiet begeben. Die modernen Waffen taten ein übriges, um die Schrecken des Krieges zu kaschieren: Die in der Bombe installierte Fernsehkamera sendet nur Bilder bis zur Explosion der Bombe. Die Toten sieht man dabei nicht; solche und ähnliche Bilder wurden an die Öffentlichkeit gelassen: Abschreckende Bilder, die die sicher grauenhaften Folgen der amerikanische Angriffe zeigten, gab es praktisch nicht.

Die freie Berichterstattung wurde von der amerikanischen Regierung vor allem durch die Schaffung von "Pools" ausgewählter Journalisten behindert. In diesen Pools gab es eine beschränkte Anzahl von Plätzen von Journalisten, die vom Krisengebiet aus berichten durften. Der Eintritt in einen solchen "Pool" wurde zwischen Regierung und Sender ausgehandelt. Die Forderung der amerikanischen Militärs war klar: Kooperation der Presse, die Bevölkerung und der Feind sollten gleichermaßen durch eine einseitige Berichterstattung getäuscht werden, d.h. die Bevölkerung sollte dem Krieg gewogen gestimmt, der Feind mit falschen Informationen über Schlachtplan und Truppenstärke getäuscht werden.

Das Interesse der Regierung und der Militärs war also klar. Daß teils auch öffentlich-rechtliche Sender an der Propaganda mitmachten (z.B. der ORF) soll auch nicht verschwiegen werden. Warum fügten sich aber die Privatsender den Beschränkungen der Regierung? Sie hätten diese doch öffentlich kritisieren oder die Pools boykottieren können. In Amerika herrscht doch Pressefreiheit, der Staat kann Sender nicht zur Mitwirkung an Propaganda direkt, das heißt z.B. durch strafrechtliche Maßnahmen, zwingen. Die indirekte Zensur muß, um funktionieren zu können, von den Sendern bewußt in Kauf genommen werden; sie müssen freiwillig kooperieren und von sich aus mitmachen.

Die Antwort ist wiederum einfach: Das schon genante Streben der Privatsender nach Gewinnmaximierung der Grund. Die Privatsender rissen sich förmlich um die Mitwirkung im staatlichen Propagandasystem. Es stünde ihnen zwar theoretisch frei, nicht mitzumachen, dann könnten sie aber nicht über den Krieg berichten.

Die Berichterstattung darüber ist für die Medien aber ein immenses Geschäft. Um dies zu verdeutlichen, greife ich auf Zahlen nicht nur aus dem Bereich des Fernsehens zurück: Zeitungen auf der ganzen Welt erlebten an manchen Tagen ein Verkaufsplus von bis zu 30% . Radio- und Fernsehzuseher blieben im Durchschnitt länger an den Geräten, v.a. aufgrund der vielen Sondersendungen. Der amerikanische (private) Fernsehsender CNN, der mit Erlaubnis der Regierung live z.B. das "Raketenfeuerwerk" über Bagdad übertrug, erlebte sensationelle Kursanstiege an der Börse. Die Privatsender kooperierten also mit den Militärs unter Vernachlässigung aller Kritik und unter bewußter Präsentation falscher Fakten (z.B. über amerikanische Erfolge und irakischer Teufeleien) um des Geldes willen.

Wie sehr nun die Propaganda wirkte, geht schon aus dem folgenden Bericht hervor.

Am 2.3.1991 berichtete die Nachrichtenagentur TAZ:

"Die Medien wurden während des Golfkriegs ungefragt zur Waffe gegen Iraks Staatschef Saddam Hussein. Wie der Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte im Golf, US-General Schwarzkopf, jetzt zugab, wurde die Presse gezielt manipuliert. (...) Schwarzkopf 'dankte' den Medien, daß sie zu Beginn des Krieges die alliierte Streitmacht sowie deren militärische Erfolge so eindrucksvoll beschrieben hätten, daß der Feind von Gegenangriffen abgesehen habe. Zu diesem Zeitpunkt seien die Alliierten nach seiner Ansicht sehr wohl verwundbar gewesen. Vor allem bei der Vorbereitung der Landoffensive seien die Iraker dank ausgiebiger Presseberichte übertölpelt worden. Die Alliierten hätten mit Hilfe der Medien ein 'gigantisches Täuschungsmanöver' vorbereitet und umgesetzt. Dank falscher Meldungen hätten die irakischen Besatzer mit einem riesigen Landungsunternehmen an der Küste Kuwaits gerechnet."

Der "Feind" konnte also getäuscht werden. Ebenso ist die Manipulation der Bevölkerung gelungen. Zuerst Zahlen über die Situation in Österreich. Es geht aus einer IMAS-Untersuchung hervor, daß sich im Dezember 1990 nur jeder dritte Erwachsene für den militärischen Einsatz im Golf aussprach. Im März 1991 hielten bereits 67% die Anwendung von militärischen Mitteln gerechtfertigt, was u.a. auf die spezifische Berichterstattung zurückzuführen ist. Es waren nachher auch mehr Leute von der Alleinschuld Saddam Husseins überzeugt (44% vorher, 59% nachher).

Welche Wirkung wurde nun in der amerikanischen Öffentlichkeit erzeugt?

Einer Studie des Department of Communication der University of Massachusetts zufolge wußten jene am wenigsten über die Kriegszusammenhänge bescheid, die am längsten die Fernsehsendungen verfolgten. Gleichzeitig waren sie die heftigsten Befürworter des Krieges. Die bei Luger zitierten Autoren der Studie kommen zu dem Schluß: "Our findings suggest, that media have failed, quite dramatically, in their role as information providers. Despite months of coverage, most people do not even know the basic facts about the political situation in Middle East, or about the recent history of US policy towards Iraq. Television, as the 'information' source most people depend up on, is partly responsible. While support for the war was extraordinarily, it was at least built upon a body of knowledge that is either incorrect or incomplete."

Die drei wichtigsten "messages" der Medien waren: "the enemy is pure evil incarnate", "We are winning" und "God is on our side". Die Berichterstattung des ach so hochzivilisierten Landes mit der Errungenschaft der Pressefreiheit war also genauso einseitig wie die Berichterstattung im diktatorischen Irak.

Ich betone nochmals, daß die Regierung ein Interesse an der Zensur hatten und auch öffentlich-rechtliche Sender (in Europa, denn in Amerika gibt es keine solchen) Kriegspropaganda betrieben; dies soll nicht verheimlicht werden. Hier geht es nur um die Widerlegung der Ansicht, die Privatsender seien ein "Gericht" der Regierung oder ein "objektives Gegengewicht" zur Propaganda oder hätten eine ausgewogene Berichterstattung im Interese des Rechtes des Sehers auf Objektivität betrieben. Vielmehr waren sie äußerst einseitig und die Hauptträger der Propaganda v.a. in Amerika (z.B. CNN).

Noch ein paar Worte zur Struktur dieser Propaganda: Die Waffen wurden von den Sendern als "sexy guns" und "smart bombs" präsentiert - im Sinne einer positiven Darstellung für die primitive Masse also sexualisiert. Sie war geprägt von wenig, dafür einseitiger Information, der eine Menge Spektakel, Sensationen, Personalisierungen und Trivialisierungen gegenüberstand. Infotainment läßt eben die Kassen klingeln. Die Pressekonferenzen der Militärs waren wie Quizshows organisiert und vom Militär manipuliert. Die amerikanischen Journalisten spielten bei der Inszenierung in einem erstaunlichen Ausmaß mit, manche spazierten im Pressezentrum sogar in Kampfuniformen herum. Es wurden bewußt Falschmeldungen verbreitet, v.a. über die angeblichen Greueltaten der Irakis im besetzten Kuwait. Medien sprachen von 250.000 Menschen, die angeblich in Kuwait an Cholera erkrankt seien. Nach der "Befreiung" fand man in den größten Krankenhäusern lediglich 70 Cholera-Patienten.

Schlußfolgerungen

Vor allem die amerikanischen Militärs sind Großmeister in der Anwendung des Pooling als Mittel zur Informationsverzerrung, Propaganda und Zensur. Doch eigentlich könnte jeder Anbieter von potentiell quotensteigernder Information zu einem ähnlichen Verfahren greifen.

Die sogenannte freie Presse hat sich im vorliegenden Fall durch Pooling zu einem willenlosen Akteur einer Regierung degradieren lassen, allein aufgrund ihres hemmungslosen Strebens nach Quoten, das offenbar vor der Wahrheitsliebe oder Menschlichkeit kommt.

Pooling ist eine neuartige Form der Zensur, die sich vor allem für politische Zwecke eignet.

Schlußfolgerungen aus dem Gesagten und abschließende Gedanken über die Pressefreiheit

Im Jahre 1791 schrieb Wilhelm Ludwig Wekhrlin, ganz im Sinne des neuzeitlichen Liberalismus, die Pressefreiheit...

"...meint es den Königen so gut, als dem Publikum. Den erstern, indem sie ihnen die Bemühung erleichtert, die Gerechtigkeit zu verwalten: dem zweiten, indem sie einen wohlfeilen, immer offenen und strengen Gerichtsstuhl etablirt hat. (...) Dieses furchtbare Tribunal - unbestechlicher als das Höllengericht und die Hermandad (...) wacht über die Rechte der Menschen, nimmt den Armen, den Hilflosen (...) in Schutz. (...) Sie ists, welche es auf sich nimmt, das schönste Amt der Sterblichen, die Gerechtigkeit über das Verbrechen verlezter Menschheit zu verwalten. Weit und sicher trifft ihr Arm."(6)

Hier wird also behauptet, die "freie", das heißt privatwirtschaftliche Presse sei eine Art Gericht, welches den Staat kontrolliert. Unbestechlich sei sie und gerecht. Mit einer ähnlichen Argumentationsstruktur wurde die Pressefreiheit in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg begründet. Der Verfassungsgerichtshof meinte damals, daß die "freie" Presse für ein demokratisches System konstituierend sei, denn sie "ermöglicht erst die ständige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist" und wirke ferner als "ständiges Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen Vertretern in Parlament und Regierung"(7)

Diese Argumentationsstruktur ist bis heute weit verbreitet. Die Medien werden in Sonntagsreden oft als "Vierte Macht" bezeichnet und somit als Kontrollorgan der drei anderen Gewalten in einer Demokratie (Legislative, Exekutive und Rechtsprechung). Eine freie Presse, heißt es oft in Darstellungen, die nicht zuletzt die Journalisten in die Welt setzen, würde im Interesse des einfachen Volkes als kritische Instanz dienen und ein unbestechlicher Gerichtstuhl sein, der die Gerechtigkeit und Menschlichkeit durchsetzt. Zudem wäre ein von vielfältigen Meinungen geprägter Diskurs die beste Annäherungsmöglichkeit an die Wahrheit.

In dieser Arbeit wollte ich diese Ansicht hinterfragen. Ich glaube, daß wir aufgrund der heutigen Erfahrung sagen können, daß die Pressefreiheit die übertriebenen Erwartungen, die man im 18. und 19.Jahrhundert in sie gesetzt hat, nicht erfüllen konnte. Die damaligen Menschen fühlten sich - übrigens zurecht - geknechtet von der Zensur eines unmenschlichen Polizeistaates und von den damaligen Machthabern geknebelt. Sie meinten daher, würde nur erst die politische Zensur beseitigt, würde nur der Einfluß der Staatsmänner auf die Medien beseitigt, würden die Journalisten ihre Freiheit nutzen, um im Namen der Vernunft Wahrheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit zur Geltung bringen zu können.

Nun zeigt sich aber - und das wollte ich mit dieser Arbeit sagen -, daß die Medien, einmal freigelassen, gar nicht daran denken, diese Freiheit für die Verbreitung von Wahrheit, Gerechtigkeit etc. zu nützen, sondern für die Vergrößerung ihres eigenen Kapitals.

Diese vom Streben nach Gewinnmaximierung geschaffene Bereitschaft (oder die für manche Medien aufgrund des harten Wettbewerbs schwierige Situation) eröffnet aber wiederum die Möglichkeit für neue Formen der Zensur. Wirtschaftlichen Machthabern wird es so leicht, auf die Medien Einfluß zu nehmen und ihre Inhalte in ihrem Interesse zu bestimmen. So wird der freie Informationsfluß verzerrt und die Gedankenfreiheit der heute lebenden Menschen ernsthaft gefährdet.

Durch Product Placement in Informationssendungen, Umfeldjournalismus und Pooling läßt sich die heutige, sogenannte "freie" Presse ziemlich effizient beherrschen.

Aus dieser Arbeit lassen sich viele brauchbare Handlungsanweisungen ziehen. Künftige Machthaber könnten z.B. die von mir vorgestellten, schon längst praktizierten neuen Methoden der Zensur übernehmen und weiter vervollkommnen. Besser wäre es allerdings, wenn aufrechte Demokraten die von mir aufgezeigte Gefährdung durch neue Formen der Zensur erkennen und mit einer entsprechenden Gesetzgebung darauf reagieren würden.

Ich möchte zum Abschluß aber noch das Zitat des Philosophen Oswald Spengler anführen, in dem viele der heutigen Entwicklungen schon vorweggenommen sind und das im Lichte meiner Arbeit eine ganz neue Bedeutung gewinnt. Es mag als eine Art Zusammenfassung meiner "message" dienen.

"Heute leben wir so widerstandslos unter der Wirkung dieser geistigen Artillerie, daß kaum jemand den inneren Abstand gewinnt, um sich das Ungeheuerliche dieses Schauspiels klarzumachen. Der Wille zur Macht in rein demokratischer Verkleidung hat sein Meisterstück darin vollendet, daß dem Freiheitsgefühl der Objekte mit der vollkommensten Knechtung, die es je gegeben hat, sogar noch geschmeichelt wird. Der liberale Bürgersinn ist stolz auf die Abschaffung der Zensur, der letzten Schranke, während der Diktator der Presse die Sklavenschar seiner Leser unter der Peitsche seiner Leitartikel, Telegramme und Illustrationen hält. (...) Was ist Wahrheit? Für die Menge das, was man ständig liest und hört. Mag ein armer Tropf irgendwo sitzen und Gründe sammeln, um 'die Wahrheit' festzustellen - es bleibt seine Wahrheit. Die andere, die öffentliche des Augenblickes, auf die es in der Tatsachenwelt der Wirkungen und Erfolge allein ankommt, ist heute ein Produkt der Presse. Was sie will, ist wahr. Ihre Befehlshaber erzeugen, verwandeln, vertauschen Wahrheit. Drei Wochen Pressearbeit, und alle Welt hat die Wahrheit erkannt. Ihre Gründe sind solange unwiderleglich, solange Geld vorhanden ist, um sie zu wiederholen. (...) Ihre Gründe sind widerlegt, sobald die größere Geldmacht sich bei den Gegengründen befindet und sie noch häufiger vor aller Ohren und Augen bringt. Im demselben Augenblick dreht sich die Magnetnadel der öffentlichen Meinung nach dem stärksten Pol. (...) Man ist plötzlich aus einem Irrtum erwacht. (...) Dem Idealisten der frühen Demokratie erschien sie [die Pressefreiheit, P.H.] als Aufklärung ohne Hintergedanken, und heute gibt es hier und da Schwachköpfe, die sich am Gedanken der Pressefreiheit begeistern, aber gerade damit haben die kommenden Cäsaren der Weltpresse freie Bahn. Wer lesen gelernt hat, verfällt ihrer Macht, und aus der ertäumten Selbstbestimmung wird die späte Demokratie zu einem radikalen Bestimmtwerden der Völker..."

Und weiter:

"Man bekämpft sich heute, indem man sich die Waffen entreißt. In den naiven Anfängen der Zeitungsmacht wurde sie durch Zensurverbote geschädigt, mit denen die Vertreter der Tradition sich wehrten, und das Bürgertum schrie auf, die Freiheit des Geistes sei in Gefahr. Jetzt zieht die Menge ruhig ihres Weges; sie hat diese Freiheit endgültig erobert, aber im Hintergrunde bekämpfen sich ungesehen neue Mächte, indem sie die Presse kaufen. (...) Eine furchtbarere Satire auf die Gedankenfreiheit gibt es nicht. Einst durfte man nicht wagen, frei zu denken; jetzt darf man es, aber man kann es nicht mehr. Man will nur noch denken, was man wollen soll, und eben das empfindet man als seine Freiheit.

Und die andere Seite dieser späten Freiheit: es ist jedem erlaubt, zu sagen, was er will; aber es steht der Presse frei, davon Kenntnis zu nehmen oder nicht. Sie kann jede 'Wahrheit' zu Tode verurteilen, indem sie ihre Vermittlung an die Welt nicht übernimmt, eine furchtbare Zensur des Schweigens, die um so allmächtiger ist, als die Sklavenmasse der Zeitungsleser ihr Vorhandensein gar nicht bemerkt.(...) An Stelle der Scheiterhaufen tritt das große Schweigen. (...) Man sucht durch Geld Leserscharen und ganze Völker der feindlichen Hörigkeit zu entreißen und unter eigene Gedankenzucht zu bringen. (...) Man braucht nicht mehr, wie die Fürsten des Barock, die Untertanen zum Waffendienst zu verpflichten. Man peitscht ihre Gedanken auf, durch Artikel, Telegramme, Bilder bis sie Waffen fordern und ihre Führer zu einem Kampfe zwingen, zu dem sie gezwungen werden wollten. Das ist das Ende der Demokratie."

Fußnoten

(1) Informationen über alle Recherchen der "Plusminus"-Redaktion sind aus dem Internet entnommen, Stand: Mai 1997. Adresse siehe im Literaturverzeichnis.

(2) Zur Verteidigung der Sender muß man allerdings sagen, daß oftmals nicht sie selbst, sondern Produktfirmen ohne ihr Wissen für Schleichwerbung kassieren.

(3) siehe dazu auch im Internet unter www.presserat.ch/9301.htm. Alle Zitate dieses Punktes von dort.

(4) Lehrveranstaltung "Druckmedien", Übung im Wintersemester 1996/97 am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien unter Moderation von Univ.-Prof. Dr. Roman Hummel.

(5) In einer Anlaufnummer der kleinen kaumgelesenen Zeitschrift Simplicissimus (Nr. minus 3, 12.März 1997, S.6) erschien übrigens auch ein Artikel, betitelt mit "Die Freiheit der Medien", der diese Annahme vertritt; er geht wahrscheinlich auf eine Presseaussendung von Global 2000 oder einer anderen Umweltschutzorganisation zurück.

(6) zitiert nach Wilke, S.97

(7) zitiert nach Wilke, S.101

 

Literatur und Quellen

Luger: Der zensurierte Krieg. In: Österreichisches Studienzentrum für Frieden und Konfliktforschung (Hg.): Warum Krieg? Die Zukunft des Krieges - Friedenspolitische Alternativen. Wien 1992, S.50-65.

Simplicissimus, Nr.minus 3, 12.März 1997.

Jürgen Wilke: Leitideen in der Begründung der Pressefreiheit. In: Manfred Bobrowsky u.a. (Hg.): Medien- und Kommunikationsgeschichte. Ein Textbuch zur Einführung. Wien 1992.

Aus dem Internet:

http://www.presserat.ch
http://www.wdr.de/tv/PlusMinus/22.04/schwer/index.html

In einem so veränderlichen Medium wie dem Internet mag es zu raschen Veränderung des Inhalts kommen. Die besagten Inhalte mögen bereits aus ihm entfernt sein, sind aber nichtsdestotrotz zuverlässig. Mir liegen Computer-Ausdrucke der Informationen vor.

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