Richard Saller nennt drei Aspekte, die das Verhältnis von Patron und Klient kennzeichnen (in: Wallace-Hadrill 1989, S.49):
Es handelt sich um eine persönliche, zwischenmenschliche Beziehung.
Es erfolgt ein gegenseitiger Austausch von Leistungen und Gütern.
Die am Verhältnis teilhabenden Personen sind von unterschiedlichem Rang.
Diese Charakteristika stecken den breiten Rahmen dieses komplexen Verhältnisses ab.
Das Patronat beruht auf einem in der römischen Kultur seit jeher verankerten Gedanken: dem "do ut des". Nach römischer Auffassung zog eine Wohltat, die man empfing, die ethische und mitunter auch rechtliche Pflicht nach sich, diese zu erwidern. Es ist die rechtsphilosophische Grundlage des Verhältnisses von Patron und Klient.
Auch die römische Religion beruhte auf dieser Idee: Der Mensch folgt den Geboten des Gottes, opfert ihm, baut ihm Tempel. Dafür muß der Gott aber den Menschen und seinen Angehörigen auch beschützen, für gute Ernte und Gesundheit sorgen. Der Mensch wiederum wird durch die empfangenen Wohltaten erneut zu Gehorsam verpflichtet etc. Der "do ut des"-Gedanke ist, nebenbei gemerkt, dem Christentum nicht unbedingt wesentlich; das Buch Hiob, in dem Gott zuläßt, daß der Gerechte und Fromme gequält und geschunden wird, und sich dieser nicht einmal darüber beklagen darf, wäre dem echten Römer nicht verständlich und vielleicht sogar als orientalischer Despotismus verächtlich.
Sogar in einem sehr fortgeschrittenen Stadium der Geschichte ist den Römern das "do ut des" nicht wirklich abhanden gekommen. Davon zeugt etwa, daß Seneca die Undankbarkeit als schlimmere Untat betrachtet als Tyrannei oder sogar Mord. (Ben.1.10.4) Für unsere Kultur z.B. wäre diese radikale Ansicht ungewöhnlich; den Römern war sie zueigen. Circa ein Jahrhundert zuvor hat Cicero in seiner Pflichtenlehre die prinzipielle Idee sehr treffend ausformuliert (Off.1.47 f. gekürzt):
"(...) Es gibt nämlich keine dringlichere Pflicht als die Dankbarkeit. Wenn man, wie Hesiod es vorschreibt, dasjenige, was man zur Nutzung empfangen hat, nach Möglichkeit in reichlicherem Maße zurückerstatten soll, was müssen wir da erst tun, wenn wir durch eine Wohltat herausgefordert sind? Sollen wir es nicht fruchtbaren Äckern gleichtun, die weit mehr hervorbringen, als sie erhalten haben? Denn wenn wir nicht zögern, denen Dienste zu erweisen, von denen wir uns Vorteile erhoffen, wie müssen wir uns dann erst denjenigen gegenüber verhalten, die uns schon gefällig waren? Es gibt nämlich zwei Arten von Freigiebigkeit. Die eine besteht darin, eine Wohltat zu erweisen, die andere darin, sie zu erwidern. (...)"
Patron und Klient erweisen einander im Sinne von "do ut des" gegenseitig Wohltaten; der Patron übt eine Art Schutz- und Hilfsfunktion aus, der Klient leistet dafür gewisse Dienste. Es liegt ein gegenseitiges Geben und Nehmen vor; die Rechte des einen sind die Pflichten des anderen.
Der Klient hat einige Leistungen zu erbringen:
Er übt Gehorsam gegenüber dem Patron.
Er begleitet den Patron auf seinem Morgenspaziergang. Dieser Dienst heißt "meritoria salutatio". In der römischen Gesellschaft war derjenige am meisten geachtet, der mit einem großen Anhang auf öffentlichen Plätzen erschien. Die Klienten übten die Funktion eines Gefolges aus.
Er zollt den öffentlichen Reden seines Patrons Aufmerksamkeit und heftigen Beifall.
Er ist, um es drastisch auszudrücken, das "Stimmvieh" des Patrons. Wenn dieser sich für öffentliche Ämter bewirbt, ist es klar, daß der Klient ihm seine Stimme gibt.
Da das Verhältnis im Idealfall auf Gegenseitigkeit beruht, muß auch der Patron etwas für den Klienten tun. Im wesentlichen wird der Patron "lobbying" für seinen Schützling betreiben; er wird also seine Macht und seine Beziehungen einsetzen, um für den Klienten Vorteile zu erwirken. Dies könnte z.B. sein:
Die Erlangung des Dreikinderrechts. In der römischen Kaiserzeit wurde dieses Recht ursprünglich als geburtenhebende Maßnahme eingeführt. Ein Vater von mindestens drei Kindern erhielt Steuervergünstigungen und Bevorzugungen bei Bewerbungen. Leider konnte man langfristig dem Bevölkerungsrückgang im Imperium nicht durch Verwaltungsmaßnahmen Herr werden. Das hängt auch damit zusammen, daß das Dreikinderrecht im Laufe der Kaiserzeit immer zweckentfremdeter verwendet wurde; so erhielten das Recht bald auch Kinderlose für gewisse Verdienste. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der jüngere Plinius, dem, selbst kinderlos, von Kaiser Trajan (98 bis 117 n.Chr.) das Dreikinderrecht verlieh. Ein Patron konnte nun unter gewissen Umständen die Verleihung des Dreikinderrechts an einen seiner Klienten erwirken oder beschleunigen.
Die Befreiung von lästigen Pflichten. Von diesen gab es genug; der Patron konnte für seinen Klienten Erleichterungen erwirken.
Für die Klienten konnte der Patron auch Rechtsbeistand erwirken, etwa in Erbschaftsangelegenheiten.
Der Patron bezahlte oftmals an die Klienten kleinere Beiträge (sportulae), mit denen sie Teile ihres Lebensunterhaltes finanzieren konnten. Patrone konnten, wenn der Klient in Not war, auch größere Geldzuwendungen gewähren.
Diese Aufzählung ist bei weitem nicht vollständig und kann es auch gar nicht sein; denn was der Patron für seinen Schützling tat, hing auch vom individuellen Fall ab: Allgemein konnte sich der Klient mit seinen großen und kleinen Problemen an den Patron um Hilfe wenden. Es muß nicht ausdrücklich betont werden, daß es für den Klienten sehr günstig war, einen möglichst mächtigen, wohlhabenden und einflußreichen Patron zu besitzen.
Die Tätigkeit des Patrons ist eine hauptsächlich inoffizielle. Sie ist aufgrund ihres Wesens nicht durch Gesetze geregelt. Das Patronat blühte in Rom und in der Provinz, aber es blühte weitgehend außerhalb der rechtlichen Ordnung. Leonard Churchin bemerkt treffend: "If patronage flourished, it apparently did so under the table" (Churchin 1990, S.79).
Wenn es Gesetze über das Patronat gibt, dann werden nur Rand- und Spezialfragen desselben behandelt; das römische Recht entbehrt hinsichtlich dieser Frage sowohl der Systematik als auch der Vollständigkeit.
Quellen zur Tätigkeit eines Patrons sind aufgrund dieser Tatsachen eher rar. Auch Inschriften lassen uns eher im Stich. Churchin sagt z.B. in seinem Buch über das römische Spanien: "Our other source of information, epigraphy, is strangely tacit on this phenomenon. There are no commemorations of governors or other senators erected by grateful magistrates" (Churchin, 1990, S.79). Auch aus dem wenigen Material, das es gibt, ist über die genaue Tätigkeit eines Patrons fast nichts zu erfahren. Aber es gibt eine einzigartige Quelle, die uns einen schönen Einblick dazu liefern könnte; und dies ist wie so oft die Briefe des jüngeren Plinius.
Plinius der Jüngere (61 od. 62 bis ca.113 n.Chr.), der in seinem Leben hohe Funktionen bekleidete (z.B. Senator, Konsul als Kollege des Kaisers, Regulator des Tiber-Flusses, Statthalter von Bithynien) war selbst Patron. Aus seinen Briefen ist seine Tätigkeit als solcher teilweise rekonstruierbar.
Plinius, Ep.1,19
C. Plinius an Romatius Firmus
Du bist mein Landsmann, mein Mitschüler und seit meinem Eintritt ins bürgerliche Leben mein täglicher Umgang gewesen; Dein Vater lebte mit meiner Mutter, meinem Oheim und auch, so weit es die Verschiedenheit des Alters zuließ, mit mir im herzlichen Verkehr. Darin liegt für mich eine gewichtige und ernste Aufforderung, mich Deiner Standesverhältnisse anzunehmen und sie zu heben. Daß Du 100.000 Sesterzen besitzest, geht hinlänglich daraus hervor, daß Du bei uns Decurio bist. Um mir also die Freude zu machen, Dich nicht nur als Decurio, sondern auch als römischer Ritter zu sehen, biete ich Dir zur Ergänzung des ritterlichen Vermögens 300.000 Sesterzen an. Für Deine Dankbarkeit bürgt mir die lange Dauer unserer Freundschaft. Ich deute nicht einmal an, was ich andeuten müßte, wenn ich nicht überzeugt wäre, Du würdest es von selbst tun, nämlich Du mögest Dich in der von mir verliehenen Würde, eben weil sie von mir verliehen ist, mit weiser Mäßigung zu finden wissen. Denn eine Würde, bei der man auch die Wohltat eines Freundes in Ehren zu halten hat, will mit verdoppelter Sorgfalt gewahrt sein. Leb wohl!
* * *
Plinius schenkt seinem Klienten 300.000 Sesterzen, eine große Summe, um ihn zum römischen Ritter zu machen. Dies ist eine ungewöhnliche und äußerst großzügige Geste; wer wollte nicht so einen Patron? Gegen Ende des Briefes deutet Plinius meiner Ansicht nach "durch die Blume" an, daß er sich dafür Dank erwartet, was sicher auch legitim ist.
Plinius, Ep.6,8
C. Plinius an Ariscus
Den Attilius Crescens kennst Du und liebst ihn auch. Den welcher Mann von auch nur einiger Bedeutung kennt und liebt ihn nicht? Ich aber liebe ihn nicht nur so, wie viele es tun, sondern mit aller Innigkeit. Unsere Vaterstädte sind nur eine einzige Tagesreise voneinander entfernt, und wir selbst - und dies ist die feurigste Liebe - fingen schon als Jünglinge an, einander zu lieben. Sie dauert auch in der Folge fort und erkaltete nicht bei reiferem Urteile, sondern wurde nur noch stärker. Dies wissen diejenigen, welche mit dem einen oder anderen von uns genauer bekannt sind. Denn er spricht sich über meine Freunde allenthalben in den wärmsten Ausdrücken aus, und auch ich sage es ohne allen Rückhalt, wie sehr mir seine Bescheidenheit, seine Ruhe und seine Zufriedenheit am Herzen liegt. Ja, als er einst vor dem Übermut eines Gewissen, welcher eben im Begriff war, das Volkstribunat anzutreten, in Furcht schwebte und mich davon in Kenntnis setzte, antwortete ich ihm:
"Keiner, solang' ich leb' und das Licht auf Erden noch schaue, Soll bei den räumigen Schiffen mit frevelnder Hand dich berühren!"
(Homer, Ilias 1,88f.)
Wozu nun dies? Damit du wissest, dem Attilius dürfe, solange ich lebe, keine Beleidigung zugefügt werden. Du wirst wiederholt fragen: "Wozu dies?" Valerius Varus war ihm Geld schuldig; diesen beerbt unser Maximus, den ich selbst liebe, du aber noch viel inniger. Ich bitte dich daher und verlange es nach dem Recht unserer Freundschaft von dir, daß mein Attilius nicht nur sein Kapital, sondern auch den mehrjährigen Zins ungeschmälert zurückbekommt. Er ist ein Mann, der nach fremdem Eigentum nicht im entferntesten trachtet, das Seinige aber zu Rate hält; er lebt nicht vom Erwerb, außer seinem Ersparten hat er keine Einkünfte. Die Wissenschaften, worin er sehr viel leistet, treibt er bloß zu seinem Vergnügen und als Ehrensache. Schwer fällt ihm selbst der geringste Verlust, weil es ihm auch schwerer fällt, das Verlorenen wieder zu ersetzen. Benimm doch ihm, benimm auch mir diese Unruhe, erhalte mir den Genuß seines anmutigen Umganges, seiner witzigen Unterhaltung; denn ich kann den nicht traurig sehen, dessen Heiterkeit mich nicht traurig sein läßt. Kurz und gut, du kennst die fröhliche Laune des Mannes; gib also wohl acht, daß sie nicht durch Unrecht in Galle und Bitterkeit verwandelt werde! Welch starken Eindruck eine Kränkung auf ihn machen müßte, kannst du aus der Innigkeit seiner Liebe abnehmen. Ein großer und freidenkender Geist erträgt nicht auch noch Schimpf zum Schaden hin. Gesetzt aber, er ertrüge ihn auch, so werde ich ihn als meinen Schimpf, als meinen Schaden betrachten, aber ihn nicht nur wie meinen eigenen, nein - um so empfindlicher rächen. Doch wozu diese Verkündigungen und sogar Drohungen? Lieber will ich, wie ich begonnen habe, bitten, du möchtest dir alle Mühe geben, daß nicht er - was ich am meisten fürchte - sich vor mir, ich mich von dir vernachlässigt halte. Du wirst es aber gewiß tun, wenn dieses letztere dir ebenso am Herzen liegt, wie mir das erstere. Leb wohl!
* * *
Plinius unterstützt seinen Klienten in einer Erbschaftsangelegenheit und fordert in seinem Namen Schulden und Zinsen zurück. Ebenfalls ist das eine verantwortungsvolle Geste von Plinius. Zu beachten ist der geschickte Aufbau des Briefes: er ist geistvoll, höflich gehalten, enthält aber eine ziemlich starke, versteckte Drohung. Der Patron tut hier alles, um seinem Klienten zu seinem Recht zu verhelfen. Die Briefe des jüngeren Plinius sind auf ihre Art einzigartig, weil sie wie keine andere Quelle das "lobbying" eines Patrons demonstrieren; wir können annehmen, daß dieses häufig auf ähnliche Weise stattgefunden hat.
Freilich waren die Patrone nicht immer so nett und umsichtig wie unser Plinius. Vielmehr taucht vor allem in der Literatur der Kaiserzeit oftmals das Bild des "bösen" Patrons auf, der seine Pflichten vernachlässigt und seine Klienten schlecht behandelt. Dieses häufig wiederkehrende Bild ist für eine Beurteilung des Patronats sehr wichtig und soll exemplarisch anhand einer Textstelle von Juvenal dargelegt werden.
Juvenal (ca.60 bis 140 n.Chr.), ein ungefährer Zeitgenosse des Plinius, prangerte in meisterhaften Satiren die Mißstände des zu seiner Zeit schon dekadenten Roms an. In seiner fünften Satire kritisiert er die systematische Erniedrigung der Klienten durch ihren Patron bei einem gemeinsamen Mahl.
Juvenal, Satiren V, 30ff. (gekürzt)
Er (der Patron) zecht, was zu der Zeit der behaarten Konsuln gefüllt ward,
Und hat Trauben, im Krieg mit den Bundesgenossen gekeltert,
Während er nimmer dem Freund ein Becherchen schickt für den Leibkrampf.
Morgen erwählt er zum Trunk ein Gewächs von albanischen Bergen
Oder setinischen sich (...)
Daß nicht den nämlichen Wein man euch schenkt, klagt ich nur?
Ihr habt anderes Wasser zum Trunk. Dir reicht ein gätulischer Läufer
Oder die knochige Hand des schwarzen Mauren die Becher,
Dem um die Mitte der Nacht nicht gern du möchtest begegnen,
Wenn durch die Gräber du kommst der latinischen, hügeligen Straße.
Asiens Blüte, sie steht vor ihm selbst, die größeren Preis galt, (...)
Ein Tausende kostender Knabe
Weiß nicht, wie für die Armen man mischt; doch Jugend, doch Schönheit
Sind auch des Hochmuts wert. Wann kommt dieser je zu dir hin?
Wann folgt dieser dem Ruf und bringt dir Warmes und Kaltes?
Freilich verletzt es ihn, zu gehorchen alten Klienten
Und daß du forderst von ihm und liegest, während er stehet.
Immer, je größer ein Haus, umso hochmütiger die Sklaven.
Siehe, mit welchem Gemurr ein anderer Brot dir gereicht hat
Kaum gemahlenen Mehls und klumpige, schimmlige Brocken,
Welche den Backenzahn müh'n und nicht das Zerbeißen gestatten,
Aber das schneeig und zart aus dem feinsten Mehl gemachte
Wird für den Herrn bewahrt. (...)
* * *
Zuerst einige Anmerkungen zum Verständnis des Texts:
Die Römer datierten ihre Weine nicht wie wir nach Jahrgängen, sondern nach Konsuln. In ganz alten Zeiten trugen ferner die Römer Bärte, später ließen sie sich glattrasieren. Ein Wein, der aus der Zeit der "behaarten Konsuln" stammt, ist also ein sehr alter, daher sehr guter Wein; ebenso einer, dessen Trauben im Bundesgenossenkrieg (90 bis 88 v.Chr.) gekeltert sind.
Nach Plinius dem Älteren hilft alter Wein gegen Magenkrämpfe, daher die Bemerkung über den Freund mit dem Bauchweh.
Setia war eine Stadt in Latium, in deren Umgebung hochrangiger Wein angebaut wurde; es war sozusagen die Champagne der Antike.
Gätulien, aus dem der Sklave stammt, der den Klienten manchmal Wein reicht, nannten die Römer eine Landschaft in Afrika. Im alten Rom erzielten hellhäutige Sklaven, vor allem wenn sie jung und schön waren oder besondere Talente hatten, sehr hohe Preise, manchmal über hunderttausend Sesterzen. Negersklaven aus Gätulien galten eher als Ausschußware; Juvenal will also ausdrücken, daß die Klienten so verachtet werden, daß, um es salopp auszudrücken, höchstens der alte Hausneger ihnen etwas gereicht hat; ein teurer Sklave, der übrigens auch besser von seinem Herrn behandelt wurde, fühlte sich aber zu gut, um alte Klienten zu bedienen.
Man kann die fünfte Satire etwa folgendermaßen zusammenfassen: Beim gemeinsamen Mahl schlürft der Patron vor den Augen seiner Klienten den besten Wein, ißt das Brot aus feinstem Mehl und wird dabei von den teuersten Sklaven bedient wird. Die Klienten hingegen müssen den schlechteren Wein trinken, schimmliges, altes Brot essen und sich zudem gefallenlassen, daß sogar die Sklaven auf sie hinabblicken. Es war also nicht immer schön, einen Patron zu haben.
An der oben zitierten Stelle könnte man nun Quellenkritik üben und feststellen, daß Juvenal in seiner Funktion als Satiriker vielleicht hie und da übertrieben hat. Dies mag sein und klingt plausibel. Juvenal hat aber den seine Klienten schlecht behandelnden Patron mit ziemlicher Sicherheit nicht schlechterdings erfunden. Dafür spricht folgendes:
Juvenals Intention war neben der Unterhaltung seines Publikums durch Satiren ohne Zweifel eine fundamentale Gesellschaftskritik, um die es ihm sehr ernst war. So ernst, daß er in der Fachliteratur oft als "tragischer Satiriker" bezeichnet wird, weil seine Satiren bei der Beschreibung der ärgsten Mißstände der römischen Gesellschaft gar nicht mehr komisch sind. Er ist in dieser Hinsicht durchaus ernst zu nehmen und es besteht ein breiter Konsens unter Historikern, seine Satiren als Hauptquelle zur Sittengeschichte zu verwenden.
Auch bei vielen anderen Dichtern taucht das Bild des schlechten Patrons auf. Es wäre doch sehr unwahrscheinlich, daß mehrere Leute unabhängig voneinander den "bösen" Patron einfach erfunden hätten.
Es ist also sicherlich nicht berechtigt, die Kritik der Juvenal mit einer verächtlichen Handbewegung vom Tisch zu wischen und als bloße literarische Erfindung abzutun. Eine gewisse "gesunde Skepsis" gegen mancherlei seiner wahrscheinlich vorhandenen Übertreibungen scheint aber sicher angebracht.
Peter Garnsey und Richard Saller meinen in ihrem Buch "Das römische Kaiserreich. Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur", daß die Kaiser im allgemeinen und vor allem Augustus und Trajan den Patronatsgedanken zur Legitimation ihrer Macht verwendeten, wovon insbesonders AugustusÌ "Res gestae" und Plinus' Lobrede auf Trajan zeugen würden (Garnsey, Saller 1990, S.213 ff.) Ungewöhnlich wäre dies nicht; denn auch die Stoa wurde zu diesem machtpolitischen Zweck mit dem "optimus princeps"-Gedanken strapaziert.
Die Kaiser liebten es, sich als väterliche Wohltäter darzustellen, die, von einer vornehmen Sorge um ihre Untertanen erfüllt, diese schützten und ihnen halfen. Dafür wurde der Gehorsam der Bürger im Sinne von "do ut des" legitimiert. Ob die Kaiser in der Regel wirklich in der Lage waren, diese Ansprüche einzulösen, soll dahingestellt bleiben.
Die Kaiser behinderten aber das Patronat von adeligen Familien nicht, vielmehr wurde letzteres oft gefördert (z.B. von Trajan, der Plinius' Ansuchen für seine Klienten oft unterstützte).
Eine spezielle Form des Patronats ist das Gemeindepatronat (Churchin 1990, S.89f.) Ganze Gemeinden konnten sich einem Patron unterstellen, der ihr genauso helfen konnte wie einem seiner Klienten. Statt einer Einzelperson stand also eine ganze Gemeinde unter dem Schutz eines Patrons. Ein solcher Patron mußte erst recht ein einflußreicher Mann sein, meist erfüllten Senatoren und Statthalter diese Funktion. Ein Patron konnte für "seine" Gemeinde viel erreichen:
Er übernahm etwa oftmals die Kosten für Bankette oder öffentliche Gebäude.
Der Patron betrieb auch "lobbying" für seine Gemeinde in Rom; so setzte er sich z.B. für die Verleihung von Rechten an die Gemeinde ein.
Oftmals vertrat der Patron "seine" Gemeinde vor Gericht und verhalf ihr so zu Rechtsbeistand.
Der Patron konnte die Gemeinde etwa auch vor der Willkür skrupelloser Statthalter beschützen.
Es sei nochmals darauf hingewiesen, daß das Patronat als weitgehend informelle Beziehung weitgehend außerhalb der rechtlichen Regelungen stand; wenn rechtliche Regelungen zum Patronat vorhanden sind, entbehren sie der Vollständigkeit und Systematik. Wie wenig rechtliche Regelung auf diesem Gebiet existiert, wird deutlich ersichtlich, wenn man bedenkt, daß z.B. das Wort "cliens" nur fünfmal in den ganzen Digesten vorkommt! (Wallace-Hadrill, 1989, S.51)
Dig. 47.2.90
Si libertus patrono vel cliens, vel mercennarius ei qui eum conduxit, furtum fecerit, furti actio non nascitur.
Wenn ein Freigelassener an dem Patron oder der Klient oder der Tagelöhner an diesem, welcher ihn angeworben hat, einen Diebstahl verübt hat, entsteht keine Diebstahls-Klage.
* * *
Verübt ein Klient also einen Diebstahl, ergeht die Diebstahls-Klage (furti actio) nicht; denn diese Klage kann nicht gegen ein Mitglied des eigenen Haushalts ergehen.
Dig.7.8.2.1 ff. (De usu et habitatione - Über das Gebrauchsrecht und das Wohnrecht)
(...) Ein Gebrauchsrecht an einem Haus wird entweder dem Ehemann oder der Ehefrau
hinterlassen. Wenn dem Ehemann, dann darf er nicht nur allein darin wohnen, sondern auch
mit seinen Sklaven. Ob auch mit seinen Freigelasenen, war eine Streitfrage. Celsus hat
geschrieben, auch mit den Freigelassenen. Auch einen Gast dürfe er aufnehmen; so hat er
nämlich im 18.Buch seiner Digesten geschrieben, und diese Ansicht billigt auch Tubero. Ob
er auch einen Mieter aufnehmen dürfe, das wird, wie ich mich erinnere, von Labeo in einem
Buch seiner nachgelassenen Schriften erörtert; und Labeo sagt, wer selbst im Haus wohne,
dürfe auch einen Mieter aufnehmnen und ebenso auch Gäste und seine Freigelassenen
3. PAULUS im 3.Buch zu Vitellius und Klienten;
4. ULPIANUS im 17.Buch zu Sabinus ohne ihn dürften auch diese nicht darin
wohnen.
* * *
Wer das Gewohnheitsrecht an einem Haus besitzt, darf also nicht nur allein darin wohnen, sondern auch mit seinen Sklaven, Freigelassenen und Klienten. Erneut demonstriert diese Stelle, wie eng gebunden der Klient an den Patron gebunden gedacht wurde.
Dig.49.15.7.1.
Übersetzung von Saller:
A free people is one that is subject to the potestas of no other people: likewise, a people is allied, wheter it has come into friendship by an equal treaty, or has been united by a treaty to the effect that that people courteously maintain the maiestas of the other people (i.e. the Romans). Further, we add this point, that is understood that the first is not free: indeed, just as we understand our clientes to be free, even though they are not equal to us in auctorias, dignitas or vires, so also it is to be understood that those people are free who are obligated courteously to maintain our maiestas.
* * *
Die Stellung der Verbündeten Roms wird hier mit jener der Klienten verglichen: Die Klienten sind frei, sind dem Patron an dignitas, auctoritas und vires aber nicht ebenbürtig. Für das römische Recht sind die Klienten (wie diese Stelle beweist) freie Bürger, nicht etwa "halbfreie", wie es in der Fachliteratur oftmals unreflektiert heißt. Ob sie in der Praxis wirklich so frei waren, ist eine andere Sache, rein rechtlich waren sie es.
Lex Malac. 61
LXI Die Kooptation eines Patrons
Niemand soll einen Patron von Staats wegen für die Gemeindebürger des Municipiums Flavium Malacitanum kooptieren oder den Patronat einem verleihen, es sei denn auf Beschluß einer Mehrheit der Dekurionen; dieser Beschluß ist zustandegebracht, wenn nicht weniger als zwei Drittel anwesend waren und unter Eid mittels Stimmtafel die Stimme abgaben. Wer hiergegen ansonsten einen Patronus von Staats wegen für die Munizipalbürger des Municipiums Flavium Malacitanum kooptiert oder einem anderen den Patronat verleiht, der soll verpflichtet sein, zehntausend Sesterzen den Munizipalbürgern des Municipiums Flavium Malacitanum in die Gemeindkasse zu zahlen; und der, der gegen dieses Gesetz zum Patronus kooptiert oder dem der Patronat verliehen wird, soll deswegen nicht mehr Patron des Municipiums Flavium Malacitanum sein.
* * *
Im Zusammenhang mit dieser Stelle ist folgende Bestimmung aus der Lex Irnitani zu sehen:
Lex Irn. 61
Rubric. Concerning the co-opting of a patron.
No one is publicly to co-opt a patron for the municipes of the Municipium Flavium Irnitanum or to confer the power of patronage to anyone, except by a degree of the majority of the decuriones, which has been passed when not less than two thirds of the decuriones are present and they have cast their votes by ballot on oath. Whoever publicy co-opts otherwise or contrary to these rules a patron for the municipes of the Municipium Flavium Irnitanum as much money as the case is worth, and the right of action, suit and claim of that money and concerning that money is to belong to any municipes of that municipium who wishes and who is entitled under this statue.
* * *
Beide Stellen sagen im Prinzip dasselbe und sollen auch gemeinsam behandelt werden. Es geht in beiden um die Wahl des Gemeindepatrons; es werden vom Recht Anwesenheits- und Zustimmungsquoren des Gemeinderates festgelegt. Sehr interessant erscheint, daß die Wahl per tabellam erfolgt, also durch Stimmtäfelchen. Die Wahl erfolgte also schriftlich und somit höchstwahrscheinlich geheim. Es gab offenbar einen Eid abzulegen; dieser beinhaltete wahrscheinlich die Verpflichtugn, nach bestem Wissen und Gewissen das Beste für die Gemeinde zu unternehmen. Sollte die Wahl anders erfolgen als durch das Gesetz festgelegt, ist in der Lex Malacitani eine Strafsumme in der Höhe von 10.000 Sesterzen vorgesehen, im anderen Gesetz fehlt eine genaue Strafsumme.
Lex Malac. 68
LXVIII Die Bestellung von Sachwaltern (lat. patronis) für den Prozeß, wenn Rechnung abgelegt wird.
Wenn auf diese Weise Rechnung abgelegt wird, soll der Duumvir, der die Dekurionen einberuft, den Dekurionen vorschlagen, welche man für geeignet befinde, einen öffentlichen Prozeß zu führen, und die Dekurionen sollen dann mittels Stimmtafel unter Eid, wenn von ihnen nicht weniger als zwei Drittel anwesend sind, auf die Weise über die Angelegenheit beschließen, daß drei, die die meisten mit der Stimmtafel gewählt haben, einen öffentlichen Prozeß führen sollen, und die auf diese Weise Gewählten sollen einen Zeitspanne von den Dekurionen fordern, in der sie die Angelegenheiten untersuchen und ihre Klage abfassen können, und nachdem der ihnen gewährte Zeitraum abgelaufen ist, sollen sie diesen Prozeß so, wie es in gehöriger Weise getan sein will, führen.
* * *
Es geht in dieser Stelle um die Bestimmung eines "patronus", der die Gemeinde vor Gericht vertreten soll. Mit diesem Wort könnte rein theoretisch auch ein Anwalt oder Sachwalter gemeint sein. Es ist aber sehr plausibel, daß tatsächlich ein Patron im Sinne der vorliegenden Arbeit gemeint ist, weil es, wie oben dargelegt, durchaus zu den Aufgaben eines Gemeindepatrons gehörte, die Gemeinde vor Gericht zu vertreten. Erneut werden sowohl Anwesenheits- als auch Zustimmungsquoren im Gemeinderat festgelegt.
Leonard A. Churchin: The local magistrates of Roman Spain. Toronto, Buffalo, New York 1990.
Peter Garnsey, Richard Saller: Das römische Kaiserreich. Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur. Chicago 1990.
Theodor Mommsen: Die Stadtrechte der latinischen Gemeinden Salpensa und Malaca in der Provinz Baetica. In: Ders.: Gesammelte Schriften (Erste Abteilung: Juristische Schriften, erster Band). Berlin 1905.
Theodor Mommsen: Römisches Staatsrecht (Dritter Band, erster Teil). In: Theodor Mommsen, Joachim Marquart: Handbuch der römischen Altertümer. Graz 1952.
Andrew Wallace-Hadrill (Hg.): Patronage in ancient society. London, New York 1989.
Patrick Horvath: "Über Philosophie und Politik"
Kontakt
© 1997 Patrick Horvath
Seminararbeit aus "Römisches Stadtrecht", Prof. Weber
Universität Wien, Wintersemester 1997/98