Patrick Horvath, Mat.-Nr. 9502353

Übung zu David Humes Untersuchung über die Prinzipien der Moral

Lehrveranstaltungsleiter: Prof.Zeidler

Sommersemester 1999

Werner Horvath: "David Hume". Öl auf Leinwand, 50 x 40 cm, 2001.

Schriftliche Ausarbeitung eines Referats

zum Thema

David Humes Abhandlung

"Über die staatliche Gesellschaft"

 

(in: Eine Untersuchung über die Prinzipien der Moral, Vierter Abschnitt; alle genannten Zitate stammen, wo nicht anders angegeben, von dort)

 

Meine Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

 

Nach David Hume liegt Ursprung und Grund für eine Regierung oder staatliche Gesellschaft wesentlich in Ungerechtigkeit und Egoismus der Menschen.

Hätte jeder Mensch genügend Klugheit, um Gerechtigkeit und Fairness in seinen Handlungen walten zu lassen und würde er sich aufgrund einer ausreichenden Willensstärke in seinen Taten nur nach dem Allgemeininteresse anstatt an seinem eigenen Egoismus orientieren, so wäre eine staatliche Gesellschaft ohne Sinn und es hätte sie auch nie gegeben.

Denn, so fragt Hume, wozu...

"...bedarf es eines positiven Rechts, wenn die natürliche Gerechtigkeit schon von sich aus eine ausreichende Schranke bildet? Warum Behörden schaffen, wenn niemals irgendeine Unordnung oder Ungerechtigkeit geschieht? Warum unsere angeborene Freiheit einschränken, wenn die äußerste Verwirklichung derselben sich in jedem Fall als unschädlich und förderlich erweist? Es ist offensichtlich, daß wenn die Regierung gänzlich nutzlos wäre, sie niemals hätte bestehen können und daß die einzige Rechtfertigung für Untertanentreue der Vorteil ist, den sie der Gesellschaft bringt, indem Frieden und Ordnung unter den Menschen erhalten bleiben."

Grund und Rechtfertigung für die Regierung ist also der von ihr gestiftete gesellschaftlicher Friede und die durch die begründete Ordnung, also der Vorteil für die Menschen. Es erscheint mir bemerkenswert, daß eine Einrichtung der Gesellschaft durch den bloßen Vorteil für die Menschen gerechtfertigt wird, also sehr diesseitig, nicht etwa durch ein Gottesgnadentum oder ähnliche Argumentationsmuster.

Man merkt, daß Hume, als Philosoph der Neuzeit, sich schon weit von mittelalterlichen Denkstrukturen und Legitimationen entfernt hat. Doch nicht nur die staatliche Macht, auch das Völkerrecht hat nach Hume seine Grundlage in der Nützlichkeit.

So schreibt Hume:

"Wenn eine Anzahl staatlicher Gesellschaften gegründet wird, die enge Beziehungen unterhalten, dann wird in dieser speziellen Situation sogleich eine neue Gruppe von Regeln als nützlich erkannt; und dementsprechend treten sie unter der Bezeichnung des Völkerrechts in Kraft. Dazu gehören Unverletzlichkeit von Botschaftsangehörigen, Nichtgebrauch vergifteter Waffen, Schonung im Krieg und andere Gesetze dieser Art, die deutlich auf den Vorteil der Staaten und Königreiche in ihrem Umgang miteinander abgestimmt sind."

Neben Regierung und Völkerrecht führt David Hume auch moralische Verpflichtungen und Regeln aller Art auf die Nützlichkeit für die Menschen zurück; "...; und die moralische Verpflichtung steht im direkten Verhältnis zum Nutzen", meint er.

Mich erinnert diese Ansicht an den Utilitarismus, ein im 19.Jahrhundert in England einflußreiches ethisches System, dessen Hauptvertreter u.a. Jeremy Bentham und John Stuart Mill sind. Für den Utilitaristen hat v.a. die Moral die Grundlage im Nutzen, und somit im Glück, der Menschen (wenn nicht im einzelnen, so doch in der Gesamtheit). Für den Utilitaristen gilt, daß "nützlich" auch gleichbedeutend mit "moralisch" ist. Hume kann durchaus als Vorläufer der utilitaristischen Philosophie betrachtet werden. Und so ist es z.B. kein Wunder, daß Bentham in seinem Fragment on Government schreibt, daß es ihm "wie Schuppen von den Augen fiel", als er zum ersten Mal jene Passagen bei Hume las, wo dargelegt wird, daß "die Grundlage aller Tugend in der Nützlichkeit liege" (zit. nach Gerhard Stremingers Einleitung zur Reclam-Ausgabe der Untersuchung, 2.Auflage 1996, S.12).

Daraus folgt für Hume u.a., daß die Verpflichtungen der Individuen untereinander verbindlicher sind als jene zwischen Staaten. Denn Individuen bedürfen eines Zusammenschlusses staatlicher Art notwendigerweise, um zu überleben; Staaten brauchen einander gegenseitig viel weniger.

"Aber hier zeigt sich ein Unterschied zwischen Königreichen und Individuen. Die menschliche Natur kann in keiner Weise ohne die Vereinigung der Individuen existieren; und diese Vereinigung könnte nie stattfinden, wenn nicht die Gesetze der Fairneß und Gerechtigkeit beachtet würden. Unordnung, Verwirrung, der Krieg aller gegen alle, sind die notwendigen Konsequenzen eines so zügellosen Verhaltens. Aber Nationen zueinander können ohne Beziehung miteinander weiterbestehen: bis zu einem gewissen Grad können sie es sogar im allgemeinen Kriegszustand."

Und wo die Nützlichkeit größer ist, ist es nach Hume auch die moralische Verbindlichkeit. Daher, weil die Nützlichkeit des geordneten Zustandes für Staaten geringer ist als z.B. für Individuen, darf die Staatsräson "in besonderen Notfällen die Regeln der Gerechtigkeit aufheben und jeden Vertrag und jedes Bündnis außer Kraft setzen", wenn "dessen strikte Einhaltung für einen der beiden Vertragspartner einen erheblichen Nachteil mit sich brächte. Aber nur die äußerste Notlage kann bei Individuen, wie allgemein anerkannt wird, den Bruch eines Versprechens oder einen Eingriff in fremdes Eingentum rechtfertigen". Innerhalb einer engen Föderation und Staatenbünden, die den Einzelstaaten sehr nutzen - Hume nennt namentlich die Vereinigten Niederlande und die Schweizer Eidgenossenschaft, heute könnte man sich darunter vielleicht NATO oder EU vorstellen - wiegt ein Treuebruch auch zwischen Staaten sehr schwer. Dies ist meiner Ansicht nach eine sehr fortschrittliche Ansicht, die Hume über den plumpen Nationalismus erhaben macht.

Auch die Tugend der ehelichen Treue und Keuschheit sind auf den Nutzen zurückzuführen, denn die "lange und hilflose Kindheit des Menschen verlangt die Verbindung der Eltern zum Unterhalt der Kinder". Und für diese elterliche Verbindung sind Treue und Keuschheit nach Humes Meinung förderlich. Diese Ansicht würde heute von vielen Anhängern der "freien Liebe", dem durchschnittlichen Talkshow-Gast der gegenwärtigen Privatfernsehprogramme und den Besuchern diverser "Swinger-Clubs" nicht geteilt werden. Die Genannten würden wohl sagen, daß man lang und glücklich zusammenleben könne trotz ehelicher Untreue und Unkeuschheit. Diese pseudo-fortschrittliche Haltung wird aber meiner Meinung nach schon durch die heutige gesellschaftliche Realität widerlegt, die zeigt, daß heute, wo eheliche Treue und Keuschheit weitgehend abhanden gekommen sind, auch die Ehen häufiger auseinanderbrechen, sowie die Anzahl der alleinerziehenden Eltern und der Scheidungswaisen immer mehr zunimmt.

Daß Hume die weibliche Untreue als unmoralischer ansieht als die männliche (weil sie seiner Meinung nach für die Beziehung schädlicher ist) würde heutzutage auch sogleich protestierende Feministinnen auf den Plan rufen, die den "Zeitgeist" hinter sich wissen. Inwieweit diese recht oder unrecht haben, will ich nicht beurteilen.

Doch wie dem auch sei, daß auch die Regeln des gesellschaftlichen Umgangs sich aufgrund des gegenseitigen Nutzens entwickelt haben, steht für Hume fest, darum gilt seiner Meinung nach z.B. die Verletzung des Briefgeheimnisses oder das Verraten von vertraulichen Gesprächsinhalten zurecht als schändlich.

Solche und ähnliche Regeln entwickeln sich nach David Hume, da sie die Nützlichkeit gebieten, mit eherner Notwendigkeit. Und sogar in verbrecherischen Gesellschaften, "die auf äußerst unmoralische und für die Interessen der Allgemeinheit äußerst zerstörerische Prinzipien gegründet sind". Ich meine, daß er auch mit dieser Analyse recht hat. So beschäftigte ich mich im Rahmen einer anderen Lehrveranstaltung mit der sizilianischen Mafia, die doch wirklich eine Verbrecherorganisation ist. Aber man wird es nicht glauben: ein Mafioso muß einen strengen Ehrenkodex befolgen, der u.a. vorbildliches Familienleben etc. vorschreibt! Da sich die Moral aus der Nützlichkeit für den gesellschaftlichen Zusammenhalt entwickelt, ist dies nicht verwunderlich. Soziale Verbindungen aller Art kann es nur mit einer ihnen zugrundeliegenden, spezifischen Moral geben - verbrecherische Verbindungen bilden keine Ausnahme von dieser Regel!

Regeln sind nach Hume für jede Gesellschaft notwendig - aufgrund ihrer Nützlichkeit.

"Ohne Regeln kann man nicht einmal auf der Straße aneinander vorbei. Fuhrleute, Kutscher und Postillione haben Grundsätze, nach denen sie ausweichen; und diese beruhen hauptsächlich auf gegenseitiger Erleichterung und Bequemlichkeit. (...) Krieg hat ebenso seine Gesetze wie Frieden; und selbst jene sprotliche Art des Krieges, die unter Ringern, Boxen, Knittelfechtern und Gladiatoren ausgetragen wird, ist durch bestimmte Prinzipien geregelt."

Da kann man nur hoffen, daß diese Prinzipien der Nützlichkeit der gesamten Menschheit Segen bringen.

 Patrick Horvath: "Über Philosophie und Politik"
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