Naturzustand und Naturgesetz

bei Thomas Hobbes

Patrick Horvath

Werner Horvath: "Thomas Hobbes - HOMO HOMINI LUPUS", Zeichnung im Stil des neuen bildenden Konstruktivismus

Proseminar aus Politischer Theorie und Ideengeschichte:
Thomas Hobbes, Logik der Macht.
Universität Wien, Sommersemester 1997

§1.

Hinweis auf die Wichtigkeit des Themas

Es kann gesagt werden, daß Hobbes' Theorien über Naturzustand und Naturgesetz zu den wichtigsten Gedanken seines Werkes gehören.

Alle philosophischen Systeme können mit Bauwerken verglichen werden (man spricht nicht umsonst von "Gedankengebäuden"). Wie in jedem Haus gibt es auch in ihnen tragende Säulen und Wände, aber auch nebensächliche architektonische Beifügungen, deren Veränderung oder Weglassung niemals das ganze Gebäude in seinem Bestand gefährden könnte.

Führt man dieses Gleichnis weiter, kann man sagen, daß die Ideen über Naturzustand und Naturgesetz praktisch der Grundpfeiler von Hobbes philosophischem Werk sind, welches letztere, nebenbei bemerkt, in der Architektur seiner Argumentation einem barocken, fast manieristisch anmutendem Bau ähnelt. Fast alle von Hobbes Gedanken stützen sich auf die besagte Grundlage und haben ohne sie keinen Bestand.

Mir scheint diese Feststellung nicht zuletzt deshalb wichtig, weil unser Proseminar Hobbes' "Logik der Macht" in den Mittelpunkt seiner Betrachtung rückte.

§2.

Hobbes' negatives Menschenbild

"Homo homini lupus", lautet des Thomas Hobbes berühmtester Ausspruch, der sein negatives Menschenbild in eine einprägsame Formel bringt.

Man könnte heute mit einem Augenzwinkern sagen, daß dieser Ausspruch daher mißglückt ist, weil er den Wolf beleidigt; dieser ist sicher bei weitem nicht so grausam wie ein Mensch.

Doch sieht man von dieser eher zynischen Feststellung ab, können wir jenes, was Hobbes tatsächlich meint, mit anderen Worten etwa so wiedergeben: Der Mensch ist von Natur aus grausam, habgierig, egoistisch etc.; ein Raubtier voller Bosheit.

Hobbes ist für alle, die ihm schlecht gesonnen sind, ein Misanthrop; für alle, die ihm wohlgesonnen sind, ein Realist.

Hobbes' Ausspruch markiert auch seine Distanz zur "Politik" des Aristoteles. Dieser sieht den Menschen als politisches Tier, dessen Fähigkeit zur Staatsbildung eine natürliche Veranlagung darstellt. Aristoteles vergleicht den Menschen in dieser Hinsicht auch mehrmals mit den Bienen und den Ameisen.

Daß aber der Mensch in dieser Hinsicht nicht den Bienen oder Ameisen gleichkommt, stellt Hobbes u.a. im siebzehnten Kapitel seines Hauptwerkes "Leviathan" fest. Für Hobbes ist der menschliche Staat ein aus Verträgen aufgebautes künstliches Gebilde, kein natürliches wie bei manchen Insekten. Fünf Gründe führt Hobbes an besagter Stelle an, warum der Mensch kein staatsbildendes Tier ist; alle laufen sie darauf hinaus, die eigentlich anarchistischen und destruktiven Instinkte des Menschen herauszuarbeiten:

Die Menschen liegen (im Gegensatz zu den Tieren) miteinander im ständigen Wettstreit um Ehre und Würde; auch gibt es unter ihnen häufiger als bei Insekten Neid, Haß oder Krieg.

Das Gut der Insekten ist gemeinsam; und jeder fördert den Gemeinbesitz. Der Mensch aber ist habgierig und egoistisch, auch freut er sich, wenn andere weniger haben als er.

Die Tiere tadeln die Verwaltung und die Obrigkeit nicht; der einzelne Mensch aber ist dermaßen eitel, daß er ständig die Regierung und Verwaltung kritisiert und überhaupt dauernd rässoniert. Dies ist aber eine Quelle der Unruhe.

Die Tiere haben zwar eine Stimme, aber keine ausgefeilte Sprache; und vor allem keine Redekunst. Diese aber verdreht die Wahrheit ständig und stiftet so Unfriede.

Die Tiere sind zufrieden, solange sie genug haben; der Mensch aber wird unausstehlich, wenn er viel besitzt und sorgt dann für Zwietracht.

Auch in "De cive" betont Hobbes ständig die Verworfenheit des Menschen. Von dieser legt auch ein jeder ein beredtes Zeugnis ab, wenn er seine Wohnung verschließt, sobald er weggeht oder seine Wertsachen niemals unbeaufsichtigt läßt. Wären die Menschen von Natur aus gute und soziale Wesen, wäre dies alles nicht nötig etc.

Die Anarchie, das Chaos scheint dem Menschen nach Hobbes' Meinung also eher im Instinkt zu liegen, als die staatliche Ordnung. Letztere entspringt aus anderen Gründen, die noch ausgeführt werden sollen.

Hobbes' negatives Menschenbild wurde u.a. durch die Lektüre von Thukydides vertieft.

Zuletzt möchte ich noch bei dieser Gelegenheit eine Beobachtung niederlegen, die ich gemacht zu haben glaube. Philosophen, denen ein eher positives Menschenbild zueigen ist, treten eher für eine geringe staatliche Autorität, eine egalitäre Gesellschaft, milde Gesetze, Pluralität ein (z.B. Rousseau). Philosophen, die von einem negativen Menschenbild ausgehen, tendieren zur Glorifizierung der Macht (z.B. Machiavelli, Hobbes, Nietzsche, der späte Freud). Das Menschenbild ist für das Endergebnis der Staatstheorie offenbar sehr entscheidend.

§3.

Hobbes' These von der Gleichheit der menschlichen Fähigkeiten

Hobbes ist der Meinung, daß die Menschen hinsichtlich ihrer Fähigkeiten relativ gleich begabt sind. Trotz der Tatsache, daß es stärkere und schwächere Menschen gibt, "wird man gewiß selten einen so schwachen Menschen finden, der nicht durch List und in Verbindung mit anderen, die mit ihm in gleicher Gefahr sind, auch den stärksten töten könnte" (Leviathan, Kap.13). Auch hinsichtlich der geistigen Begabungen sind die Menschen relativ gleich, sieht man vom Gebrauch der Sprache und von der Kenntnis der Wissenschaften ab; hier sind die Begabungen freilich ungleich verteilt. Hobbes hält es für ausgemacht, daß die Fähigkeit zu letzteren nur auf Übung beruht; die prinzipielle Verteilung der Verstandeskräfte, also das potentielle Vermögen dazu, meint Hobbes, sei relativ gleich.

§4.

Der Naturzustand

Hobbes konstruiert einen ursprünglichen Zustand, in dem sich die Menschen dereinst befunden haben soll. Dieser Naturzustand zeichnet sich aus durch das Fehlen einer staatlichen Ordnung.

Wenn staatlicher Zwang den Menschen nicht aufhält, wenn es keine Gesetze gibt, die den Menschen einschüchtern, wird den niederen, destruktiven Trieben des Menschen freier Lauf gelassen. Nun fallen die Menschen übereinander her, um sich gegenseitig auszuplündern, zu unterwerfen, zu töten etc. Davon kann sie auch keine vernünftige Überlegung abhalten, denn der Trieb ist wesentlich stärker (sinngemäß z.B. Leviathan, Kap.17). Eine Garantie für die Ordnung kann es nur geben, wenn es eine starke Macht gibt, die den Einhalt der Gesetze mit Gewalt verteidigen kann und somit Furcht erregt.

In "De cive" meint Hobbes auch, der Beweis dafür, daß der Mensch sich so grausam verhalten würde, sei ein empirischer. Im Bürgerkrieg (den er in einem anderen Werk mit dem biblischen Ungeheuer Behemoth personifiziert) z.B. gelten die Gesetze nicht, es gibt keine Staatsmacht, welche sie verteidigt; sogleich fallen die Menschen übereinander her.

Würden die Gesetze aufgehoben werden, bräche dieser Naturzustand ebenfalls aus.

Nun kann sich aber, aufgrund der oben dargelegten Gleichheit der Kräfte ein jeder berechtigte Hoffnung auf die Erfüllung seiner Triebe machen. Am wichtigsten ist hierbei der Wunsch nach Selbsterhaltung (u.a. Leviathan, Kap.13), das ist aber bei weitem nicht der einzige Antrieb, daneben gibt es andere. Aber selbst, wenn ein Mensch nur nach der Selbsterhaltung strebt, wird er andere angreifen müssen; schon alleine, um ihnren Feindseligkeiten zuvorzukommen. Die häufigsten Anlässe, bei denen Menschen miteinander uneins werden, sind Mitbewerbung (um Macht, Geld etc.), Verteidigung und Ruhm.

Was nun aus der Schlechtigkeit des Menschen einerseits und der Gleichheit der menschlichen Kräfte andererseits im Naturzustand (also bei Fehlen einer staatlichen Zwangsmacht) logisch folgt, ist der sogenannte "bellum omnium contra omnes". Jeder kämpft gegen jeden; dieser Krieg ist ein furchtbares Chaos von Blut und Gewalt. Das schreibt Hobbes u.a. im dreizehnten Kapitel des "Leviathan", wenn er meint:

"Hieraus ergibt sich, daß ohne eine einschränkende Macht der Zustand der Menschen ein solcher sei, wie er zuvor beschrieben wurde, nämlich ein Krieg aller gegen alle."

§5.

Der Krieg aller gegen alle

Da ein jeder in diesem Kriegszustand unter ständiger Bedrohung lebt, können sich die höheren Kräfte nicht entfalten. Wer sollte z.B. den Acker bestellen, wenn er ständig Raub und Plünderung fürchten muß oder um sein Leben zittert? Aber auch andere wichtigen Güter, die nur im Frieden (d.h. in der Abwesenheit des Krieges) gedeihen können, sind nicht möglich.

Hobbes schreibt dazu im dreizehnten Kapitel des "Leviathan":

"Da findet sich kein Fleiß, weil kein Vorteil davon zu erwarten ist; es gibt keinen Ackerbau, keine Schiffahrt, keine bequemen Wohnungen, keine Werkzeuge höherer Art, keine Länderkenntnis, keine Zeitrechnung, keine Künste, keine gesellschaftlichen Verbindungen; stattdessen ein tausendfaches Elend; Furcht, gemordet zu werden, stündliche Gefahr, ein einsames, kümmerliches, rohes und kurz dauerndes Leben."

An dieser Stelle muß betont werden, daß Hobbes zur Zeit des englischen Bürgerkrieges lebte, der mit der Thronbesteigung Jakobs I. (1603-25) begann; dieser Umstand ließ ihn die Aktualität der Frage nach dem richtigen und geordneten Staatswesen brennend spüren.

Nicht nur im Bürgerkrieg fallen die Menschen wieder in den Naturzustand zurück, sondern auch die Staaten leben untereinander im Naturzustand; hier gibt es keine übergeordnete Macht, die stark genug ist, das Recht mit Gewalt durchzusetzen (Hobbes wertet den bewaffneten Frieden und den Vorsatz, bei Gelegenheit Gewalt einzusetzen, auch als eine Art Krieg).

In einem Kriegszustand gibt es keinen gesicherten Besitz; den Besitz behält man nur, solange man ihn sich durch seine Stärke zu sichern versteht.

Der "bellum omnium contra omnes" mündet notwendig ein in die Furcht. Jeder fürchtet sich vor heimlichen Überfallen, Plünderungen, Verlust des Besitzes, aber vor allem vor dem gewaltsamen Tod. Letztere Furcht entspringt sicherlich aus dem oben erwähnten Selbsterhaltungstrieb, der den Menschen zueigen ist. Diese Furcht, insbesondere die Furcht vor dem Tod, ist auch das treibende Motiv, warum der Naturzustand beendet und eine staatliche Macht geschaffen wird.

§.6

Naturrecht und Naturgesetz

Das Naturrecht ist das Recht, welches im Naturzustand herrscht. Es ist "die Freiheit, nach welcher ein jeder zur Erhaltung seiner selbst seine Kräfte beliebig gebrauchen und folglich alles, was dazu etwas beizutragen scheint, tun kann" (Leviathan, Kap.14).

Daraus wird das ursprüngliche Recht aller auf alles abgeleitet, "da es nichts gibt, was er nicht irgendeinmal zur Verteidigung seines Lebens gegen einen Feind mit Erfolg gebrauchen könnte,..." (Leviathan, Kap.14).

Der Unterschied zwischen Recht und Gesetz besteht darin, daß das Recht eine Freiheit beinhaltet (man darf etwas tun), das Gesetz aber eine Verbindlichkeit (man muß etwas tun). Von Natur aus ist der Mensch, meint Hobbes, frei, alles zu tun, was ihm beliebt. Diese Freiheit eben ist das Naturrecht, d.h. das Recht auf alles, welches, wie im obigen Zitat angeführt, aus dem Recht der Selbsterhaltung im Naturzustand hervorgeht.

Solange der Naturzustand gilt, existiert für alle das Naturrecht, alle haben also das Recht auf alles. Wenn aber alle ein Recht auf alles haben, schränken sie sich gegenseitig total ein; der Krieg aller gegen alle ist die logische Folge des Naturrechts. Um denselben Gedanken noch einmal anders auszudrücken: Wenn es keine staatliche Ordnung gibt, ist die Freiheit eines jeden unendlich. Wenn aber alle unendlich viel Freiheit besitzen, sinkt die Freiheit eines jeden auf Null.

Mit den Naturgesetzen hat es etwas anderes auf sich. Es sind Maximen, die unter diesen Voraussetzungen notwendig aus der Vernunft entstehen und dieser auch einsichtig sind. Diese Naturgesetze entspringen schon im Naturzustand aus den Köpfen der Menschen, allerdings haben sie dort noch keine praktische Gültigkeit. Denn der Mensch ist für Hobbes ein Triebwesen; was auch immer seine Vernunft ersinnt, wird hinfällig, sobald sich seine Triebe dagegen stemmen. Diese vernünftigen Gesetze können in der Praxis nur Gültigkeit erlangen, wenn es eine Staatsgewalt gibt, die für ihre Einhaltung sorgt.

Von diesen natürlichen Gesetzen gibt es zwei von primärer Priorität und eine ganze Reihe von sekundärer; das geht schon aus der Kapiteleinteilung des Leviathan hervor.

Hobbes formuliert die zwei wichtigen Naturgesetze und ihre Herleitung - etwas geschraubt - folgendermaßen:

"Also ist folgendes eine Vorschrift oder allgemeine Regel der Vernunft: suche Friede, solange nur Hoffnung darauf besteht; verschwindet diese, so schaffe dir von allen Seiten Hilfe und nutze sie; dies steht dir frei. Der erste Teil dieser Regel enthält das erste natürliche Gesetz: suche Friede und jage ihm nach; der zweite den Inbegriff des Naturrechts: jeder ist befugt, sich durch Mittel und Wege aller Art selbst zu verteidigen. Aus diesem ersten natürlichen Gesetz ergibt sich das zweite: sobald seine Ruhe und Selbsterhaltung gesichert ist, muß auch jeder von seinem Recht auf alles - vorausgesetzt, daß andere auch dazu bereit sind - abgehen und mit der Freiheit zufrieden sein, die er den übrigen eingeräumt wissen will." (Leviathan, Kap.14)

Einfacher ausgedrückt: Jeder muß vernünftigerweise einsehen, daß die Beendigung des Krieges aller gegen alle, also der Friede erstrebenswert ist; dies schon aus Gründen der Selbsterhaltung, die von diesem Krieg gefährdet ist und der Furcht, die aus ihm entspringt. Ein jeder wird also wünschen, daß dieser Zustand aufhört. Wenn keine Hoffnung darauf besteht, wird er alles aufbieten, um sich selbst zu erhalten und zu den "Privilegien" greifen, die ihm das Naturrecht gestattet; primär wird aber jeder das Ende dieses Bürgerkriegs wollen.

Einem jeden muß aber auch einleuchten, daß der bellum omnium contra omnes nur beendet werden kann, wenn er auf sein Naturrecht verzichtet oder es an eine Obrigkeit überträgt - vorausgesetzt, alle anderen tun es auch. Wenn er sich weigert, das Recht auf alles aufzugeben, werden die anderen es auch nicht aufgeben.

Nach Thomas Hobbes ist das zweite Naturgesetz gleichbedeutend mit der allgemein einleuchtenden Erkenntnis des bekannten Sprichwortes: "Was andere dir nicht tun sollen, tue ihnen auch nicht."

Hobbes untersucht als Vorbereitung zu seiner Theorie des Gesellschaftsvertrag die Möglichkeit einer Übertragung von Rechten. Er vertritt die Meinung, daß Übertragungen von Rechten nur freiwillig geschehen können; sonst sind sie ungültig. Die Freiwilligkeit einer solchen Übertragung ist nur gewährleistet, wenn die Übertragung dem des Rechtes Entsagenden einen Vorteil bringt. Es gibt Rechte, deren Übertragung keinerlei Vorteil bringt, daher sie auch nicht gültigerweise übertragen werden können, z.B. das Recht, sich gegen Gewalt zu verteidigen; überhaupt alles Recht, das die nackte Selbsterhaltung gewährleistet. Erzwungene Übertragungen sind nach Hobbes ungültig.

Die Übertragung der Rechte erfolgt durch einen Vertrag. Der Vertrag muß den oben angeführten Kriterien entsprechen. Trotz dem der Vertrag nicht erzwungen sein darf, ist die bloße Furcht, die uns bewegt, einen Vertrag einzugehen, kein Hindernis für seine Gültigkeit. Diese offenbar paradoxe Feststellung (als ob uns gewaltige Furcht nicht de facto zwingen würde!) ist für Hobbes nötig, um sein kompliziertes Gedankengebäude durchhalten zu können. Stoßen wir uns nicht weiter daran; solche Argumentationsmuster sind typisch für Hobbes.

Nun gibt es andere natürliche Gesetzen, die unmittelbar oder mittelbar aus den oberen folgen. Zunächst verlangen diese anderen Naturgesetze, daß vertragliche Abkommen eingehalten werden; denn geschieht das nicht, gibt es keine Chance den Krieg aller gegen alle zu beenden.

Solange es das Recht aller auf alles gibt, existiert keine Ungerechtigkeit. Gerechtigkeit wird also erst durch die Naturgesetze und die Verträge bestimmt. Daß Ungerechtigkeit die Verletzung des geschlossenen vertraglichen Abkommens ist, ist ein weiteres Naturgesetz. Gerechtigkeit aber ist der durch das Naturgesetz festgelegte Entschluß, jedem das Seinige zu geben.

Hobbes distanziert sich in diesem Zusammenhang von Menschen, die aus religiösen Gründen gegen Verträge, insbesonders gegen den Gesellschaftsvertrag verstoßen, den er zu konstruieren versucht. In diesem Zusammenhang muß bemerkt werden, daß Thomas Hobbes die Ermordung des französischen Königs Heinrichs des IV. durch den religiösen Fanatiker Ravaillac miterlebte, dies mag seine politische Auffassung mitbestimmt haben.

Hobbes hielt ein solches Vorgehen für ein Unrecht. Er meint, über das Jenseits würde uns nur unser Glaube künden, niemals das Wissen; der Glaube stützt sich aber auf die Bibel. Letztere, argumentiert Hobbes, würde aber an vielen Stellen betonen, daß man dem Herrscher folgen muß.

Des Thomas Hobbes religiöse Ansichten sind ein eigenes Kapitel für sich. Seine Zeitgenossen warfen ihm Atheismus vor; dies stritt er allerdings ab. Ich denke, niemand hat das Recht, einem anderen Menschen den Glauben abzusprechen, wenn dieser behauptet, ihn zu haben. Fest steht aber doch, daß Thomas Hobbes' Religiosität sehr eigenwillig war. Seine Vorliebe galt dem Alten Testament, sein Gottesbild ist davon sehr geprägt: Der Gott, von dem in seinem Werk die Rede ist, hat mehr das Wesen des zürnenden, strafenden Machthabers, nicht des vergebenden, liebenden Vaters des Neuen Testaments. Die Bibel interpretierte Hobbes aber immer so, wie es ihm gerade in den Kram paßt, d.h. er läßt sich von ihr nicht viel sagen. Die Interpretation der beiden biblischen Ungeheuer Behemoth und Leviathan als Bürgerkrieg und geordneter Machtstaat z.B. ist sehr gewagt und hat wenig Bezug zu den entsprechenden Kapiteln der Bibel (Hiob 40 und 41). Er sucht im "Leviathan" auch ständig zu beweisen, daß die Bibel im Prinzip nur eine Wahrheit mitteilt: Das Gebot, der Obrigkeit zu gehorchen und den Gesellschaftvertrag zu halten. Daß er mit einer solchen Interpretation die Bibel oftmals vergewaltigt, ist offensichtlich; seine Intention ist aber, die Bedeutung der Bibel für die Staatstheorie einzuschränken. In dieser Hinsicht ist er ein typischer Vertreter der neuzeitlichen Philosophie.

Ein weiteres natürliches Gesetz besagt: "wer eine Wohltat unverdient empfängt, muß danach streben, daß der Wohltäter sich nicht genötigt sehe, seine erwiesene Wohltat zu bereuen" (Leviathan, Kap.15). Dies würde nämlich Versöhnung unmöglich machen und damit dem dauerhaften Frieden im Staatsinneren entgegenwirken.

Ferner muß jeder dem anderen nützlich werden, wie es Hobbes ausdrückt. Damit meint er, daß jeder Mensch, der der Gemeinschaft nicht auf irgendeine Art nützt, damit rechnen muß, verstoßen zu werden, denn auch er wirkt dem Aufbau einer funktionierenden Gemeinschaft entgegen.

Ein weiteres natürliches Gesetz lautet nach Hobbes: "ein jeder muß Beleidigungen vergeben, sobald der Beleidiger reuevoll darum bittet und er selbst für die Zukunft sicher ist" (Leviathan, Kap.15).

Auch dies ist nötig, um den dauerhaften Frieden zu sichern.

Ferner ist zu beachten: "bei jeder Rüge muß auf die Größe nicht des vorhergegangenen Übels, sondern des zu erhoffenden Guten Rücksicht genommen werden" (Leviathan, Kap.15).

Ebenfalls aus der Sicherung des Friedens und aus der Berücksichtigung des vorigen Gesetzes soll nach Hobbes die Praxis des Strafvollzuges folgen, nur Strafen zu verhängen, die zur Besserung des Sünders und zur Warnung anderer dienen. Die Verletzung dieses Gesetzes ist nach Hobbes Grausamkeit.

Auch schreiben die Naturgesetze vor, daß niemand durch Tat, Wort, Miene oder Gebärde Verachtung oder Haß gegen jemanden zeigen darf. Auch diese Regel soll den dauerhaften Frieden garantieren.

Ein weiteres Gesetz legt fest, daß alle Menschen von Natur aus gleich seien. Diese Regel folgt für Hobbes aus der oben besprochenen Gleichheit der menschlichen Fähigkeiten. Was die Natur gleich gemacht hat, soll auch im Staat gleich sein. Die Verletzung dieses Gesetzes bezeichnet Hobbes als Stolz.

Ferner soll niemand bei einem Friedensschluß ein Recht für sich verlangen dürfen, daß er dem anderen nicht zugestehen will. Außerdem sollen Streitsachen von einem unparteiischen Richter entschieden werden. Beide Gesetze werden wieder durch den Frieden in der Gemeinschaft gerechtfertigt.

Nach einigen Bestimmungen zur Besitzverteilung (...alles Unteilbare muß gemeinschaftlich genutzt werden) meint Hobbes, die natürlichen Gesetze würden gebieten, daß Friedensmittler sicher kommen und gehen dürfen. Wird gegen dieses Gesetz verstoßen, wird es wohl unmöglich, Frieden zu erreichen.

Den Urteilsspruch eines unparteiischen Richters muß man sich gefallen lassen, sagt ein weiteres natürliches Gesetz. Denn sonst hat der Streit zwischen zwei Parteien im Staat nie ein Ende und der Friede ist nicht gesichert. Der Richter muß natürlich, wie nochmals versichert wird, unparteiisch sein. Zeugenaussagen sollen ferner Streitereien über eine Sache entscheiden.

Fassen wir das bisher über Naturgesetze Gesagte nochmals zusammen. Es gibt zwei "wichtige" Naturgesetze, die unmittelbar vernünftig einleuchten müssen. Diese besagen im wesentlichen, daß man den Zustand des Krieges aller gegen alle beenden will, also nach Frieden streben muß (aus Gründen der Selbsterhaltung); nur, wenn keine Hoffnung darauf besteht, verteidigt man sich selbst mit allen Mitteln. Der Friede kann aber nur erreicht werden, wenn jeder einzelne auf sein Recht auf alles, seine absolute Freiheit sozusagen, verzichtet. Ein jeder soll also mithilfe eines Vertrages die meisten seiner Rechte auf eine Obrigkeit übertragen, unter der Voraussetzung, daß alle anderen es auch tun. Nur, wenn alle dies tun, kann der Krieg aller gegen alle beendet und Frieden erreicht werden. Letztere Einsicht ist gemäß dem Sprichwort: "Was du nicht willst, das dir geschehe, tue andern auch nicht".

Neben diesen zwei wichtigen Naturgesetzen gibt es noch neunzehn weniger wichtige, die allesamt einzig die Aufgabe haben, den Frieden innerhalb des Staates zu sichern.

Die sogenannten Naturgesetze gibt esnach Hobbes theoretisch schon im Naturzustand; dies darum, weil sie aufgrund ihrer Vernünftigkeit jedem Menschen einleuchten. Ihr Gewissen (forum internum) würde sie immer akzeptieren. Allein, im Naturzustand ist keine staatliche Macht vorhanden, die die Einhaltung der Gesetze überwacht; es gibt keinen strafenden Gerichtshof (forum externum). Darum besteht aber keine Garantie, daß die Gesetze eingehalten werden, denn die Vernunft allein ist zu schwach, um dies zu gewährleisten - der Mensch ist für Hobbes ja ein Triebwesen. Der aber würde seiner Selbsterhaltung zuwiderhandeln, der sich dann an die Gesetze hält, wenn es die anderen nicht tun. Nur, wenn die anderen auf ihr Naturrecht verzichten und die vernünftigen, natürlichen Gesetze akzeptieren, kann der Krieg aller gegen alle überwunden werden.

Für Thomas Hobbes ist die Kenntnis der Naturgesetze die "wahre Sittenlehre" (Leviathan, Kap.15). Seine Philosophie sieht er als Garanten für den Frieden im Staat und für die Vermeidung des Bürgerkrieges.

§7.

Der Gesellschaftsvertrag und der Leviathan

Was ist nun der Antrieb dafür, daß der Naturzustand und der Krieg aller gegen alle überwunden wird, die Menschen ihr Recht aller auf alles abgeben und die Gültigkeit der Naturgesetze anerkennen? Was bewegt sie dazu, ihre absolute Freiheit und ihr Machtstreben aufzugeben, welcher Antrieb verhilft der schwachen Vernunft zum Sieg? Oben wurde es schon angedeutet: Die absolute Freiheit eines jeden führt zum Krieg aller gegen alle, dieser ist ein elender Zustand, der ständig drohende, gewaltige Gefahren und daher die Furcht mit sich bringt. Die Menschen erkennen bald, daß es ihrer Selbsterhaltung, die ihnen hauptsächlich am Herzen liegt, förderlicher ist, ihr Recht auf alles aufzugeben (vorausgesetzt, die anderen tun es auch), den Krieg aller gegen alle zu beenden und künftig in Frieden zu leben unter Anerkennung der Naturgesetze. Sie sehen auch ein, daß deren Einhalt nur von einem starken Staat garantiert werden kann, an den sie ihre Rechte gemeinsam übertragen.

Das geht u.a. auch aus folgendem Zitat hervor (Leviathan, Kap.17):

"Die Absicht und Ursache, warum Menschen bei all ihrem natürlichem Hang zu Freiheit und Herrschaft sich dennoch entschließen konnten, sich gewissen Anordnungen, welche die bürgerliche Gemeinschaft trifft, zu unterwerfen, lag in dem Verlangen, sich selbst zu erhalten und ein bequemeres Leben zu führen; oder mit anderen Worten, aus dem elenden Zustand des Krieges aller gegen alle gerettet zu werden. Dieser Zustand ist aber notwendig wegen der menschlichen Leidenschaft mit der natürlichen Freiheit so lange verbunden, als keine Gewalt da ist, welche die Leidenschaften durch Furcht vor Strafe gehörig einschränken kann und auf die Haltung der natürlichen Gesetze und Verträge dringt."

An dieser Stelle in Hobbes' Gedankengebäude schließen die Menschen den Gesellschaftsvertrag. Dieser Gedanke war der wahrscheinlich weitreichendste von Thomas Hobbes; historisch neu ist an der Konzeption des Gesellschaftsvertrages, daß die Legitimation der Macht nicht mehr (wie im Mittelalter) von Gottes Gnaden oder ähnlichem abgeleitet wird, sondern von den Menschen.

Hobbes schreibt über den Gesellschaftsvertrag (Leviathan, Kap.17):

"Um aber eine allgemeine Macht zu gründen, unter deren Schutz gegen auswärtige und innere Feinde die Menschen bei dem ruhigen Genuß ihrer Ruhe und ihres Fleißes und der Erde ihren Unterhalt finden können, ist folgender: jeder muß alle seine Macht oder Kraft einem oder mehreren Menschen übertragen, wodurch der Willen aller gleichsam auf einen Punkt vereinigt wird, so daß dieser eine Mensch oder diese eine Gesellschaft eines jeden einzelnen Stellvertreter werde und ein jeder die Handlungen jener so betrachte, als habe er sie selbst getan, weil sie sich dem Willen und Urteil jener freiwillig unterworfen haben."

Und darauf folgt die berühmte Stelle (Leviathan, Kap.17):

"Dies faßt aber noch etwas mehr in sich als Übereinstimmung und Eintracht; denn es ist eine wahre Vereinigung in einer Person und beruht auf dem Vertrage eines jeden mit einem jeden, wie wenn ein jeder zu einem jeden sagte: 'Ich übergebe mein Recht, mich selbst zu beherrschen, diesem Menschen oder dieser Gesellschaft unter der Bedingung, daß du ebenfalls dein Recht, über dich ihm oder ihr abtrittst' ".

Der Gedankengang ist klar: Im Gesellschaftsvertrag übertragen alle Menschen ihr Recht, sich selbst zu beherrschen auf eine Person oder Gesellschaft. Letztere Feststellung ist sehr interessant. Nach Hobbes' Meinung könnte es - theoretisch - also auch ein Parlament sein, dem die höchste Gewalt im Staat übertragen wird. In der Praxis aber, das geht aus Hobbes' weiterem Werk hervor, ist er mit einem Parlament weniger glücklich; sein Ideal wäre eher ein absolutistischer Monarch, da jener den inneren Frieden besser behaupten könnte als ein Parlament, in dem ja wieder allein aufgrund der Vielheit der Entscheidungsträger der Unfriede weitergepflogen wird. Auch hier ist typisch für Thomas Hobbes' Argumentation, daß er viele theoretische Zugeständisse macht, diese aber im weiteren Verlauf der Argumentation so stark einschränkt und relativiert, daß praktisch nichts davon übrig bleibt.

Hobbes stand der Scholastik sehr ablehnend gegenüber, auch die Lektüre Bacons hatte ihn dabei bestärkt. Von seiner Ablehnung der scholastischen Philosophie zeugt u.a. auch seine beharrliche Aristoteles-Kritik (Anm. Aristoteles war der summus philosophus der Scholastiker). Trotzdem scheint Hobbes eines von seinen ehemaligen Lehrmeistern übernommen zu haben: Die spitzfindige Argumentation und die Haarspaltereien, für welche die Scholastik ja noch bis heute berühmt ist.

Wie dem auch sei, durch die kollektive Übertragung der Macht auf eine Obrigkeit entsteht eine Gewalt, die stark genug ist, die Naturgesetze zu garantieren. Der Friede ist gesichert, Recht und Ordnung werden durch Autorität gewährleistet.

Durch den Gesellschaftsvertrag wird der Staat geboren. Hobbes' Definition des Staates erhellt sich aus dem bisher Gesagten.

"Staat ist eine Person, deren Handlungen eine große Menge Menschenkraft der gegenseitigen Verträge eines jeden mit einem jeden als ihre eigenen ansehen, auf daß diese nach ihrem Gutdünken die Macht aller zum Frieden und zur gemeinschaftlichen Verteidigung anwende" (Leviathan, Kap.17).

Diesen autoritären Machtstaat will Hobbes im Leviathan, einem drachenähnlichen, biblischen Ungeheuer aus dem Buch Hiob wiedererkannt haben. Diesen Leviathan personifiziert das berühmte Titelbild von Hobbes' Werk mit einem gewaltigen, gekrönten Riesen, der aus vielen einzelnen Menschen zusammengesetzt ist. Dieser Staat wurde durch den Gesellschaftsvertrag geboren; er ist somit eine "künstliche Person" (Leviathan, Kap.10). Einem Staat kommt gottähnliche Macht auf Erden zu, so stark ist er; da er aber theoretisch in den Bürgerkrieg zurückfallen kann, nennt Hobbes den Leviathan aber den "sterblichen Gott". Erschaffen aus dem Gemeinschaftswillen um den Frieden und die Gesetze durch seine selbstherrliche Macht zu gewährleisten, thront der Leviathan über den Sterblichen.

"So entsteht der große Leviathan, der sterbliche Gott, dem wir unter dem ewigen Gott allein Frieden und Schutz zu verdanken haben. Dieses von allen und jedem übertragene Recht bringt eine so große Macht hervor, daß durch sie die Gemüter aller zum Frieden unter sich geneigt gemacht und zur Verbindung gegen auswärtige Feinde leicht bewogen werden" (Leviathan, Kap.17).

§8.

Literatur

Thomas Hobbes: Leviathan. Reclam Verlag, Stuttgart 1996.
Thomas Hobbes: Vom Menschen. Vom Bürger. Felix Meiner Verlag, Hamburg 1990.
Thomas Scheider: Hobbes. In: Bernd Lutz (Hg.): Metzler-Philosophen-Lexikon. Dreihundert biographisch-werkgeschichtliche Porträts von den Vorsokratikern bis zu den Neuen Philosophen. Metzler Verlag, Stuttgart 1989.

Werner Horvath: "Thomas Hobbes - Leviathan". Öl auf Leinwand, 2001.

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