Patrick Horvath

Der TV-Gladiator

Ein Dialog über die Einführung moderner Gladiatorenkämpfe

Kastellós (Kreta), Juli 1999

Kapitel I

 

A: Kennst du die Sendung "American Gladiators"?

B: Nein, noch nie gehört.

A: Diese Fernsehsendung gibt es schon seit einigen Jahren in Amerika, manchmal wird sie in einer meist schlecht synchronisierten Form auf europäischen Sendern gezeigt. Der Inhalt ist schnell beschrieben: Verschiedene Teams kämpfen gegeneinander in verschiedenen Spielen um den Sieg.

Diese Spiele sind den Gladiatorenkämpfen des alten Rom nicht unähnlich. In manchen schlagen die Kämpfer, die auf einer wackeligen Säule stehen, wie wild aufeinander ein; zwar nicht mit Keulen oder Schwertern, sondern mit schaumgummiüberzogenen Stäben, aber immerhin. Manchmal müssen sie auf einem rotierenden Rad laufen und einer mit Spitzen bewehrten Kugel ausweichen; natürlich sind die Spitzen nicht aus blanken Stahl, sondern ebenfalls aus harmlosem Gummi oder Schaumstoff; immerhin ist es aber doch äußerst schwierig, der Kugel auszuweichen. Einmal sah ich, wie die Wucht der Kugel einen Spieler sehr schmerzvoll niedergeworfen hat.

Es gibt auch andere Herausforderungen, die z.B. darin bestehen, daß die Spieler von einer erhöhten Stellung aus beschossen werden - freilich nicht mit Maschinengewehrsalven, aber immerhin mit Tennisbällen, die eine ernsthafte Wucht entwickeln können. Die Aufgabe der Spieler ist es, den Bällen auszuweichen; sie können dabei teilweise in Deckung gehen hinter Säulen, niedrigen Wänden und ähnlichem, die in der Halle verteilt sind. Verstreut in der Halle liegen für sie auch diverse Armbrüste, Pistolen, Katapulte und andere Wurfgeräte bereit. Die Aufgabe der Spieler ist es, die verstreuten Gegenstände einzusammeln und das Feuer zu erwidern. Treffen sie ihren Peiniger, was sehr schwierig ist, haben sie gewonnen und werden mit Punkten belohnt, ansonsten ist es eine Niederlage.

B: Das hört sich spannend und brutal zugleich an.

A: Es ist auf jeden Fall bereits Realität, echte Kämpfe zwischen Menschen zu veranstalten, allerdings mit stumpfen Waffen. Aber immerhin mit Waffen. Man sieht aber niemanden sterben.

B: Das ist ja beruhigend.

A: In anderen Fernsehsendungen sterben aber Menschen. Zumindest scheinbar.

B: Du spielst sicher auf die zahlreichen Gewaltfilme an, die so im Fernsehen laufen.

A: Du weißt sicherlich, daß ein heute 12-jähriger durchschnittlich bereits 250.000 Gewalttaten in seinem Leben und ca. 14.000 Morde gesehen hat. Im Fernsehen nämlich.

B: Eigentlich paradox, wo es doch seit etwa einem halben Jahrhundert keinen Krieg mehr gab, der sich spürbar auf unser Leben ausgewirkt hätte. Natürlich haben z.B. die USA und ihre Alliierten Kriege gekämpft, wie etwa jüngst im Irak oder im Kosovo. Im Kosovo haben sich auch deutsche Streitkräfte beteiligt.

Aber sei ganz ehrlich: Wüßten wir es nicht aus dem Fernsehen, würden wir gar nicht merken, daß Krieg ist. Es gibt keine Not mehr, keine Lebensmittelrationierungen, seit der zunehmenden Einführung von Berufsheeren auch keine zwangsweise Einberufungen praktisch aller jungen Männer an die Front, wie noch im ersten oder zweiten Weltkrieg.

Westeuropa und Nordamerika sind zu einer Zone des Wohlstands und der Sicherheit geworden. Früheren Generationen würde unsere Gesellschaft wie ein unerreichbares Paradies erscheinen, spätere werden ihr vielleicht als "Goldenes Zeitalter" nachtrauern. Wir hungern nicht, vielmehr versenken wir sogenannte "Butterberge" im Meer, weil wir nicht wissen, wohin damit. Wir dürsten nicht, vielmehr haben wir ein Problem mit den sogenannten "Milchseen" aufgrund der landwirtschaftlichen Überproduktion. Breite Schichten unserer heutigen Bevölkerung haben nicht etwa wie noch vor einigen hundert Jahren das Problem, zuwenig Essen zu haben, sondern eher des Problem , daß sie infolge von zuviel Essen übergewichtig sind.

Unsere Gesellschaften sind durchwegs pazifistisch gesinnt. Überall hört man, daß man ausnahmslos alle Probleme friedlich lösen müsse. Soldaten, sogar unsere eigenen, werden von weiten Kreisen der Gesellschaft als Mörder betrachtet. Es gibt heute auch viele, die für Abrüstung plädieren und sogar so manch einen, der sich dogmatisch auf den Standpunkt stellt, ein Staat dürfe nicht einmal zu Verteidigungszwecken Streitkräfte einsetzen, weil alle Gewalt prinzipiell verwerflich sei. Wie ein Staat unter diesen Bedingungen überleben sollte, wissen diese radikalen Pazifisten, die, wenn schon keine Eroberungen, nicht einmal die Verteidigung des Staates akzeptieren, freilich selber nicht.

Weite Teile der Gesellschaft sind empört über die Anwendung von Gewalt in der Politik. Es fällt z.B. den USA schon schwer, überhaupt einen Krieg zu führen, weil gewaltige Proteste und Unruhen drohen, wenn auch nur ein einziger Soldat auf der eigenen Seite oder ein einziger Zivilist auf der anderen Seite stirbt (wie man am jüngsten Beispiel des Kosovo-Krieges sieht).

Die allgemeine Meinung lehnt wirklich jede Form von Gewalt vehement ab, nicht nur in der Politik, auch in der Familie. Wenn du deiner Ehefrau oder deinen Kindern eine Ohrfeige gibst, verklagen sie dich vor Gericht, und alle geben ihnen recht. Auch die Gesetze sind dementsprechend. Ein Mann, gegen den der bloße Verdacht besteht, seine Frau geschlagen zu haben, kann z.B. in Österreich für Monate aus der eigenen Wohnung ausgewiesen werden. Ist eine solche Handlung bewiesen, ist er der gesellschaftlichen Verachtung preisgegeben und kann unter Umständen für lange Zeit ins Gefängnis kommen.

Und trotzdem hat unsere Gesellschaft keine Probleme damit, die breite Masse mit Gewalt zu unterhalten. Und es sind weitgehehend dieselben Leute, die zwar einerseits pazifistisch gesinnt sind und für Demonstrationen gegen Krieg, Gewalt in der Familie oder Gewalt als Mittel der Problemlösung in der Gesellschaft jederzeit auf die Straße gehen würden oder zumindest Sympathie dafür hegen, andererseits am Abend Filme wie "Rambo" im Fernsehen sehen, in denen Massen von Menschen auf brutalste Art und Weise niedergemetzelt werden.

Dieselben Leute, die so engagiert für den Frieden eintreten, amüsieren sich also, wenn im Fernsehen andere Menschen durch Handgranaten zerfetzt, gefoltert, niedergestochen, zusammengeschlagen und verbrannt werden. Und sie haben auch keine Probleme damit, wenn ihre eigenen Kinder solche Dinge zu Unterhaltungszwecken konsumieren. Ist das nicht seltsam, widersprüchlich, oder wie ich vorher meinte: paradox?

A: Nun, man könnte einwenden, die Gewalt im Fernsehen sei ja nicht echt, nur gespielt; darum sei es erlaubt, sich daran zu amüsieren.

B: Das mag ja alles sein. Aber die Intention ist doch, mit Gewalt zu unterhalten. Und das Fernsehen zeigt aufgrund der modernen Illusionstechniken, wie etwa der Computersimulationen, die Gewalt auf eine täuschend echte Weise. Ich weiß sehr wohl, daß ein objektiver Unterschied besteht zwischen wirklichem Töten und nur scheinbarem, das nur täuschend echt aussieht. Aber subjektiv macht es doch kaum einen Unterschied.

Ob ich mich daran begeile, daß jemand wirklich stirbt, oder ich mich daran begeile, daß jemand nur scheinbar stirbt, aber dieses Sterben für mich so täuschend echt wirkt, daß für meine Sinne nicht mehr echtes Sterben und scheinbares Sterben unterscheidbar sind, ist das nicht letztlich egal?

A: Na ja, für die Sinne ist es tatsächlich nicht erkennbar, daß das Opfer im Fernsehen nur scheinbar stirbt, so echt wirkt die Gewalt bereits. Aber der Fernsehzuschauer weiß doch, daß alles nur Show ist.

B: Das mag so sein; und ich will den Unterschied zwischen echter Gewalt zur Unterhaltung und nicht echter, aber täuschend echt gespielter Gewalt auch nicht leugnen.

Ich möchte aber festhalten, daß der Unterschied nicht so groß ist, wie manche gerne hätten.

Denn erstens ist es doch so, daß man heute danach strebt, die Gewalt immer noch perfekter und noch realistischer darzustellen. Es hat sich mittlerweile eine ganze Filmindustrie entwickelt, die an immer täuschender echt wirkenden Inszenierungen von Gewalt arbeitet. Dieses Streben nach einer immer perfekteren Kopie von Gewalt, die vom Vorbild der Realität praktisch immer weniger unterscheidbar ist, geht doch in die Richtung, sich in der Darstellung der echten Gewalt immer weiter anzunähern - so ähnlich, wenn du diese unvollkommene Analogie akzeptierst, wie sich gewisse mathematische Kurven immer weiter an eine Diagramm-Achse annähern, sie rein rechnerisch niemals wirklich erreichen, aber doch danach streben, es zu tun.

Und zweitens zeigt es doch das Bedürfnis der Masse, sich mit Gewalt unterhalten zu lassen, sehr deutlich. Man hat sich bis jetzt gescheut, dieses Bedürfnis vollkommen zu erfüllen, aber man würde es irgendwo gerne tun, liebäugelt damit und kommt ihm auch mehr und mehr entgegen; und es ist weniger das mangelnde Verlangen nach Unterhaltung durch echte Gewalt, das die Verwirklichung dieser Sache abhält, als gewisse, tendentiell immer kleiner werdende ethische Skrupel - und diese sind erfahrungsgemäß in der heutigen Welt nur ein sehr unzureichender Schutz und ein brüchiger Damm, der wohl bald hinweggespült werden wird.

A: Auch ich bin vollkommen deiner Meinung und habe dir nur widersprochen, damit sich dein Geist umso besser entfalten kann.

Auch scheint es mir noch so zu sein, und das will ich deinen Argumenten noch hinzufügen, daß das Wissen der Fernsehzuseher, es sei ohnehin nur gespielt, was sie sehen, auf sie auch eher störend wirkt. Das beweist doch, daß die Einschaltquoten wachsen, wenn das Fernsehen echte Gewalt zeigt.

Ich meine damit z.B. Aufnahmen von Kriegsgreueln, die in irgendwelchen Ländern Afrikas oder Asiens stattgefunden haben. Die Journalisten bringen sie unter dem Deckmantel der engagierten und kritischen Berichterstattung, die nichts verheimlicht, und manche von ihnen glauben selbst daran, es nur aus besagten Beweggründen zu tun. Auch die Fernsehzuseher legen ein gewisses Mitleid an den Tag, doch man kann sich bei der Beobachtung mancher Fernsehzuseher des Eindrucks nicht erwehren, daß sie eine gewisse innere Lust bei der Betrachtung der Leichen nur schwer unterdrücken können. Sie kommen mir dabei so vor, wie die weiblichen Zuseher am Prozeß gegen Z, die Ödon von Horváth in "Jugend ohne Gott" folgendermaßen charkterisiert: "Sie begeilen sich an einem künstlichen Mitleid und freuen sich über Sensationen, von denen man nicht schwanger werden kann." Daß so ein Verhalten schon damals nicht nur auf die Damen beschränkt ist, setze ich voraus.

In Amerika gibt es, so habe ich zumindest in der Zeitung gelesen, schon Pay-TV-Sender, in denen live die Vollstreckungen der Todesurteile an den Häftlingen übertragen wird. Sie sollen sich schon großer Beliebtheit erfreuen, und das glaube ich aufs Wort.

Das Wissen um das Gespielte ist also eher noch ein letzter Wermutstropfen für die vergnügungssüchtigen Massen.

B: Dazu kommt auch noch, daß es vielen Menschen ja nicht wirklich gelingt, zwischen Realität und Fernsehen zu unterscheiden. Darauf deutet vieles hin. Es ist allgemein bekannt, daß wenn ein Bösewicht der populären Sendung "Lindenstraße" etwa einkaufen geht, ihn viele Passanten beschimpfen und mit Tomaten bewerfen. Kaum einer sagt: Der ist ja nur ein Schauspieler, der ist in Wirklichkeit ja gar nicht böse.

Oder nimm Klaus-Jürgen Wussow, der einmal in der prominenten Arzt-Serie "Schwarzwaldklinik" den Professor Brinkmann spielte. Er sagte einmal in einem Interview, er bekomme tagtäglich Briefe, in denen ihn Menschen um gesundheitliche Ratschläge fragen. Seine Entgegnungen, er würde den kompetenten Arzt ja nur vor der Kamera spielen, in Wirklichkeit wäre er aber nur ein Schauspieler, der überhaupt nichts von Medizin wüßte, helfen nichts. Ja noch viel mehr, sie leuchten vielen Menschen gar nicht ein. Darum hat er es sich auch angewöhnt, wie er es sagt, doch medizinische Ratschläge zu geben, weil seine, wie es die Leute nennen, "Ausreden" nicht akzeptiert werden.

Und ich selbst bemerke bei mir, daß die Grenzen zwischen Fernsehrealität und der anderen Wirklichkeit verschwimmen. Und ich bin offenbar nicht der einzige, auf den das zutrifft.

So wird uns zum Beispiel in gewissen Fernsehsendungen vorgegaukelt, es gäbe nur schöne Menschen. Denk etwa an die Sendung "Beverly Hils 90210". Die Hauptdarsteller spielen Schüler einer amerikanischen High-School. Alle sind Darsteller sind ungeheuer schön (außer Donna alias Tori Spelling, die aber die Tochter des Produzenten ist. Sie stellt die Ausnahme dar).

Wenn ich mich an meine Schulzeit zurückerinnere, fällt mir bei genauerer Betrachtung auf, daß in meiner ehemaligen Klasse niemand wirklich perfekt war. Manche Burschen waren extrem klein, andere wiederum extrem dick. Einer hatte fast Schuhgröße 50, was sehr witzig aussah; ein anderer war zwar groß, hatte aber einen Rundrücken. Was die Mädchen betrifft, so gab es eigentlich nur zwei, die man als "hübsch" bezeichnen kann, wenngleich sie auch nicht makellos waren. Die anderen hatten entweder zu viel Speck um Bauch und Hüften, eine hatte riesige Fischaugen. Brillen trugen übrigens fast die Hälfte aller Schüler.

Nicht so in "Beverly Hills 90210". Alle sind, wie gesagt, schön. Alle haben ein völlig perfektes Aussehen, sind schlank, besitzen eine tolle Frisur, dazu die richtige Körpergröße, eine Brille trägt praktisch niemand. Dazu sind sie immer "cool" und "lässig"; sie sind bewundernswert schlagfertig, jeder hat zu jeder Zeit die richtigen Antworten parat. In den einzelen Folgen der Serie werden nun ihre Probleme erzählt. Als ob solche Übermenschen noch Probleme hätten!

Diese Probleme möchte ich auch haben. Dann wüßte ich nämlich auch nicht, ob ich mich für die eine ungeheuer hübsche Blondine mit ihrer makellosen Schönheit oder doch lieber für die rassige Dunkelhaarige entscheiden sollte, die mich beide ständig umschwärmen. Soll ich mir lieber einen Porsche oder einen Mercedes kaufen? Oder doch lieber einen Rolls Royce? Ja, diese Sorgen möchte ich wirklich haben.

Nun ist es so: Natürlich weiß irgendwo jeder, wenn er seine Vernunft anstrengt, daß die im Fernsehen gezeigte Welt nicht der Alltagsrealität entspricht.

Trotzdem: Der Mensch ist ein sinnliches Wesen. Ein starker, unmerklicher Drang treibt ihn dazu, zu glauben, was er sieht. Und so messen wir uns dann doch, wider besseres Wissen, an diesen Schönlingen im Fernsehen, die in Wahrheit nach dem Kriterium ihrer Schönheit unter tausenden Bewerbern fü diese Rolle ausgewählt, dazu stundenlang geschminkt, im richtigen Licht gefilmt und deren Aufnahmen womöglich noch mit dem Computer nachbearbeitet wurden. Man kann heute Bilder durch den Computer perfekt manipulieren und so Falten verschwinden, Beine verlängern oder Brüste vergrößern lassen.

Wenn wir uns nun selbst an diesen unendlich perfekten Schönheitsidealen messen, die zudem als normale und durchschnittliche Gymnasiasten dargestellt werden, schneiden selbst junge und gut aussehende Menschen recht kläglich ab.

Und so kommt es, daß heutzutage sogar die hübschesten Mädchen Schlange beim Schönheitschirurgen stehen, weil sie sich selbst häßlich finden. Sie wollen sich ihre Brüst vergrößern, ihre Nase verkleinern, Fett vom Bauch absaugen, ihren Po straffen lassen, dabei sind sie die liebreizendsten Wesen der Welt, von denen man meinen könnten, sie hätten Schönheitsoperationen nicht im geringsten nötig. Doch sie selbst fühlen sich als häßliche Entlein. Ich finde, der verantwortliche Arzt sollte keine Schönheitsoperationen an ihnen durchführen, sondern den jungen Fräuleins einfach Fernsehentzug anordnen; und siehe da, bald wären sie geheilt.

Du siehst also anhand der von mir angeführten Beispiele, daß die Unterscheidung zwischen Fernsehrealität und übriger Wirklichkeit zunehmend problematisch ist und vielen Menschen schwer fällt. Darum trifft auch das von dir angeführte Argument, das Publikum wisse doch, daß Gewalt nur Show ist und könne diese Show doch von der Realität unterscheiden, einfach nicht in dem Maß zu, wie manche das gern hätten.

A: Was du sagst, ist sehr wichtig und interessant, doch laß uns alle Exkurse beenden und zu unserem Hauptthema zurückkehren.

Würdest du als die wichtigsten Ergebnisse unserer Diskussion folgende Punkte akzeptieren?

1.) Echte Gladiatorenkämpfe werden im Fernsehen bereits gezeigt, allerdings mit stumpfen Waffen - siehe die "American Gladiators".

2.) Gewaltdarstellungen und Blutvergießen werden ebenfalls bereits in großem Ausmaß gezeigt. Diese sind zwar nur gestellt, wirken allerdings aufgrund der modernen Illusionstechnik so täuschend echt, daß zwar unser Denken sie nicht, unsere übermächtigen Sinne sie aber doch für echt halten.

Und daß 3a.) außerdem all dies auf das Streben der Filmemacher nach immer perfekterer Kopie von Gewalttaten hinweist, also auf eine immer größere Annäherung an die Gewalttat selbst.

Außerdem zeigt es 3b.) das Bedürfnis unserer (dabei paradoxerweise so pazifistischen und gewaltfeindlichen) Gesellschaft, die Massen mit Gewalt zu unterhalten.

4.) Echte Gladiatorenkämpfe mit echtem Blutvergießen würden diesem Bedürfnis noch weiter entgegenkommen. Es scheint außerdem, daß das Bewußtsein, die Darstellungen der Gewaltfilme seien nicht "echt" (wenn es den Menschen überhaupt gelingt, ein solches Bewußtsein angesichts der zunehmenden Verschmelzung von Alltags- und Medienrealität zu entwickeln, wogegen vieles spricht), wahrscheinlich eher störend auf die Schaulust der Menge wirkt.

5.) Daß es diese blutigen Schauspiele noch nicht gibt, ist mehr auf gewisse, tendentiell immer kleiner werdende ethische Skrupel zurückzuführen als auf das Fehlen eines Verlangens danach. Da traditionelle Werte und ethische Skrupel heutzutage eher dem Verfall ausgesetzt sind, kann man daher doch mit einiger Plausibilität, wenngleich nicht mit absoluter Sicherheit, annehmen, daß es in Zukunft echte Gladiatorenkämpfe mit echten Waffen und echtem Blutvergießen geben wird, die sich im Fernsehen zu wahrhaften Quotenrennern entwickeln dürften.

B: Ich akzeptiere mit Freuden deine hervorragende Zusammenfassung unseres bisherigen Gesprächs, aus dem du bisher unausgesprochene Schlußfolgerungen ziehst, die auch ich teile.

 

Kapitel II

 

A: Es ist ein interessantes Detail am Rande, daß es bereits einen populären Fernsehfilm gibt, in dem eine ähnliche Illusion entwickelt wurde, wie wir es soeben tun.

B: Worauf spielst du an?

A: Auf den Film "Running Man" mit dem berühmtesten Auslandsösterreicher aller Zeiten...

B: Meinst du Adolf Hitler?

A: Mach keine blöden Witze, ich meine natürlich den Schauspieler Arnold Schwarzenegger. Der besagte Film, in dem er die Hauptrolle spielt, handelt von der kranken Gesellschaft im Amerika der Zukunft.

B: Ach, in der Gegenwart ist Amerika gesund?

A: Keine zynischen Bemerkungen mehr, bitte. In dem Film wird Schwarzenegger fälschlicherweise des Mordes angeklagt. Da er durchtrainiert und kräftig ist, wird ihm die Möglichkeit gegeben, an einer sadistischen Fernsehshow namens "Running Man" teilzunehmen. Sollte er diese Fernsehshow überleben, winken ihm im besten Fall Straffreiheit und sogar schöne Preise. Die Kandidaten werden auf einem großen Spielareal von sogenannten "Jägern" gehetzt, die versuchen, sie umzubringen. Die Masse des Saalpublikums und der Fernsehzuseher ist begeistert, wenn ein solches Blutvergießen erfolgt.

B: Das ist eine interessante Zukunftsvision, die, wie wir soeben feststellten, durchaus im Bereich des Möglichen liegt.

A: Sehr lustig habe ich gefunden, als in einer Szene der Showmaster von "Running Man", der Kilian hieß oder so ähnlich, den Telefonhörer abhob und meinte: "Verbinden Sie mich mit dem Justizministerium, Unterhaltungsabteilung".

B: In Zukunft gibt es also nach Meinung der Filmemacher eine Unterhaltungsabteilung im Justizministerium! Das ist ja drollig.

A: Und weißt du, was dabei besonders interessant ist? Zur selben Zeit, als ich diesen Film sah, fand in den USA der berühmte Prozeß gegen den mutmaßlichen Mörder O.J. Simpson statt. Dort wurde dieser Prozeß live im Fernsehen übertragen und mit überwältigendem Publikumsinteresse verfolgt. Zu dieser Zeit las ich in einer Zeitschrift ein Kommentar, in dem eine ziemlich fundierte und intelligente Analyse dieses Prozesses stand. Und dort wurde unter anderem auch gesagt, daß Übertragungen von Prozessen im Fernsehen in den USA immer häufiger und auch beliebter werden. Eine solche Übertragung ist nämlich relativ billig, bringt aber hohe Einschaltquoten. Denn die Ereignisse sind nicht erfunden, sondern aus dem Leben gegriffen, dazu gibt es die aufregende Spannung der Ungewißheit, wie der Prozeß endet, außerdem werden die brutalsten Gewalttaten ausführlich beschrieben, Verbrechen sind außerdem immer interessant.

Daß also Prozesse, die eigentlich der Feststellung von Gerechtigkeit dienen sollten, immer mehr zur bloßen Unterhaltung der Masse verkommen, ist ohnehin schon Realität. Und daß die Massenmedien allein durch ihre Präsenz und Berichterstattung die Gerechtigkeit immer mehr aushöhlen, ist auch ein Faktum. Durch eine Vorverurteilung durch das Fernsehen wurden z.B. sicher schon oft Prozeßergebnisse verfälscht. Moderne Anwälte haben auch die Logik des Fernsehens erkannt und verkommen immer mehr zu billigen Entertainern.

Wenn du als Staatsanwalt, Verteidiger oder Angeklagter in einem im Fernsehen übertragenen Prozeß bestehen willst, ist es ratsam, daß du schauspielerische Fähigkeiten entwickelst. Z.B. Weinen, Klagen, übertriebenste Appelle an Mitleid, offenkundiges Vortäuschen von Zerknirschung (so zerknirscht und reumütig wie diese Typen im Fernsehen kann man ja gar nicht wirklich sein) kommen gut an. Anwälte spielen geschickt mit den Gefühlen des Publikums, Vernunftsargumente spielen in der Medienjustiz eine immer geringere Rolle.

Ich werde dabei oft erinnert an einen berühmtesten Prozeß der Weltgeschichte, den des Sokrates. Du kennst vielleicht die hübsche, kleine Schrift Platons, die "Apologie". Dort wird die Verteidigungsrede des Sokrates und der Gang des Gerichtsverfahrens überliefert. Sokrates glaubt an die Vernunft. Er billigt dieser allein die Kraft zu, die Gerechtigkeit aufzufinden. Daher versucht er, seinen Standpunkt mit Vernunftargumenten durchzusetzen. Er entschuldigt sich bei den Geschworenen, daß er keine hochtrabende, dafür trügerische Rhetorik einsetzt, sondern ganz einfach, dafür aber vernünftig mit ihnen spricht. Er erklärt, darauf verzichtet zu haben, seine kleinen, weinenden Kinder vor Gericht aufmarschieren zu lassen. Ferner wolle er die Geschworenen nicht mit billigen Schmeicheleien auf seine Seite ziehen, sondern nur ihre Einsicht ansprechen.

Seine Verteidigungsrede ist das Muster an intellektueller Redlichkeit. Er wendet keine billigen Tricks an, kein hohles Spiel mit den Gefühlen der Menge, Sokrates ist weder Schauspieler noch Demagoge. Er ist ein Denker, der sich nur auf vernünftige Argumente stützen will und kann. Und es gelingt ihm, auf vernünftiger, objektiver Ebene alle Anschuldigungen zu widerlegen.

Doch auf der Ebene der leichter manipulierbaren Gefühle begeht er einige grobe Schnitzer. Er weckt unbeabsichtigt die Wut der Geschworenen, weil er ihnen nicht schmeichelt und mehrmals gegen die Etikette verstößt. Die Geschworenen bemühen sich auch wahrscheinlich gar nicht, seinen Argumenten zu folgen. Man kann nur spekulieren, was sie dachten, aber es werden in etwa folgende Gedanken gewesen sein: "Bei den Göttern, ist dieser Sokrates aber häßlich! Die Ankläger sind mir viel sympathischer. Der eine sieht noch sehr jung aus, gepflegt ist er auch. Sokrates hat einen sehr struppigen Bart und einen alten, durchlöcherten Mantel. Es ist mühsam seinen komplizierten Ausführungen zu folgen. Er ist auch so langweilig. Eigentlich eine Frechheit, daß einer mit so einer einschläfernden Rede daherkommt. Er hat sich auch gar nicht überlegt, wie er seinen Standpunkt unterhaltsam 'hinüberbringt'. Was will der Kerl eigentlich?"

Und dann sprachen sie ihn schuldig, obwohl - objektiv betrachtet - überhaupt nichts gegen Sokrates sprach. Sokrates wurde nicht verurteilt, weil er ein Verbrechen begangen hatte. Er wurde verurteilt, weil er nicht gut reden konnte, weil er häßlich war, weil er nicht auf die niedrigsten Instinkte der Zuhörer spekulierte, weil er nicht versuchte, ihre Gefühle zu manipulieren. Er wurde verurteilt, weil er an die Wahrheit glaubte, an die Vernunft, weil er versuchte, so etwas wie Einsicht im Publikum zu erwecken, nicht bloß Gefallen. Er wurde verurteilt, weil er Philosoph war und kein Showmaster.

B: Sokrates würde heute sicher auch verurteilt werden. Angesichts der Medienjustiz, die nicht mehr nach der Gerechtigkeit fragt, sondern nur mehr danach, ob es dem Angeklagten gelingt, Publikumsgunst zu erheischen, hätte er keine Chance. Die heutigen Prozesse verlangen von allen Protagonisten eine Show, es sind im wahrsten Sinne des Wortes Showprozesse. Und dieses Wort klingt für mich verdammt ähnlich wie das Wort "Schauprozesse".

A: Es geht in ihnen auch um die öffentliche Schau, nämlich um die der Masse der Fernsehzuseher.

B: Es wäre keine schlechte Neuerung, wenn man den Geschworenen und Richtern für die Dauer eines Prozesses mit Medieninteresse das Fernsehen kategorisch verbieten würde. Man müßte sie außerdem von allen Menschen isolieren, die bereits vom Fernsehen manipuliert sind und daher verderblichen Einfluß ausüben können. Dann würden manche Urteile viel gerechter ausfallen. Außerdem sollte man den Medien überhaupt verbieten, über große Prozesse zu berichten.

A: Was du forderst, wäre vom Standpunkt der Gerechtigkeit aus sicher wünschenswert, ist aber unrealistisch. Du vergißt, daß unser Staat die Pressefreiheit garantiert. Daher denke ich nicht, daß Deine Idee durchsetzbar wäre. Daher denke ich, wir müssen uns zu folgendem Ergebnis durchringen.

In der heutigen westlichen Welt verkommt durch den Einfluß der Medien die Justiz zunehmend zur Unterhaltungsshow. Die Praxis unser Justiz besteht in der heutigen Zeit tendentiell immer weniger darin, zur Gerechtigkeit vorzudringen, sondern darin, die Massen zu unterhalten. (Schauprozesse sind ja bereits Realität). Konsequent fortgesetzt kann dieser Trend bedeuten, daß sogar Gladiatorenkämpfe auch ein Teil der heutigen Justiz werden könnten - wie in "Running Man", wo der Gladiatorenkampf eine Art Ersatzstrafe wird.

B: Ich glaube, dieser Analyse kann ich zustimmen.

 

Kapitel III

 

A: Wir sind also beide ziemlich einig darüber, daß in naher Zukunft bei uns Gladiatorenkämpfe eingeführt werden.

B: Es scheint so.

A: Und wir stellen uns das beide wohl so ungefähr vor wie im alten Rom. Dort hat man auch zur öffentlichen Belustigung Menschen gegeneinander antreten lassen; sie vergossen im Kampf Mann gegen Mann ihr Blut - und die Menge johlte dabei. Manche wurden zu einer Art "Star". Die meisten aber verloren ihr Leben. Sie wurden Opfer der Gewalt, die der Belustigung der vergnügungssüchtigen Masse diente. In Rom tat man einfach alles für die Schaulust der Menge. Fast wie bei uns.

B: Die Paralellen zwischen der heutigen Zeit und dem alten Rom sind übrigens verblüffend. Im damaligen Circus Maximus fanden zum Beispiel Wagenrennen statt. Die von einem Pferdegespann gezogenen Wagen fuhren mit atemberaubender Geschwindigkeit auf der gefährlichen Strecke im Kreis. Die Spannung zog die Massen in den Bann, die am Ende den Sieger bejubelten und fast als Gott verehrten. Wenn einmal ein spektakulärer Unfall passierte, war das Tagesgespräch in Rom.

Und nun vergleich das mit der heutigen Formel 1. Sicher, die Technik hat sich verbessert. Heutige Wagen werden nicht mehr von Pferden gezogen, sondern von starken Motoren angetrieben. Aber das Prinzip ist das gleiche. Mit atemberaubender Geschwindigkeit werden Runden gefahren zur Unterhaltung der Masse, die erfolgreichen Fahrer werden vergöttert, sie verdienen unglaubliche Summen, wie damals. Heute heißen die Teams zwar "Ferrari" und "Mercedes-McLaren" und nicht die "Weißen", "Blauen", "Roten" und "Grünen" wie im alten Rom. Gleich ist aber der unglaubliche Rummel um die Rennen und die Intention, die dahinter steht: Unterhaltung der Masse durch aufregende Spektakel.

A: Zurück zum Thema. Irgendwie kündigen sich die Gladiatorenkämpfe ja auf tausenderlei Arten an. Denk zum Beispiel an das "Wrestling". Muskelbepackte Männer ringen vor fanatisch jubelnden Massen mit ihren Gegnern. Dabei schlagen sie aufeinander ein, würgen den jeweils anderen in den Seilen des Ringes, springen mit voller Wucht aufeinander und fügen sich gegenseitig alle erdenklichen Schmerzen zu. Das ist bitte schon Realität! Es ist nur ein kleiner Schritt, daß man ihnen noch Waffen in die Hand gibt.

B: Die Zukunft gehört also dem TV-Gladiator und den blutigen Fernsehspielen?

A: Vieles spricht dafür. Aber weißt du, einen Aspekt haben wir in unserem Gespräch noch nicht behandelt.

B: Und der wäre?

A: Wir haben nun mehrmals festgestellt, daß sich die zukünftige Einführung dieser Spektakel abzeichnet. Wir haben aber noch nicht explizit festgestellt, ob diese genannten Entwicklungen als positiv oder negativ zu beurteilen sind.

B: Was für eine Frage! Wie kannst du so eine Frage überhaupt nur stellen! Was soll daran positiv sein? Wer könnte diese Entwicklungen gutheißen oder auch nur rechtfertigen?

A: Komm, jetzt bleiben wir objektiv. Man darf absolut jede Frage stellen, sei es auch nur, damit die Antwort umso entschiedener ausfällt.

Auch setzt Philosophie immer dort ein, wo der oberflächlichen Betrachtung alles selbstverständlich erscheint. Nimm etwa die berühmte Frage: "Warum ist überhaupt irgendetwas, warum ist nicht Nichts?" Es ist so selbstverständlich, daß etwas ist, daß die Welt existiert. Ein Alltagskopf würde nie auf die Idee kommen zu fragen, warum das so sei. Aber gerade diese Selbstverständlichkeiten sind bei näherer Betrachtung gar nicht so selbstverständlich. Man könnte hier noch viele und bessere Beispiele anführen.

Aber fest steht: Wenn man immer alles als selbstverständlich hinnimmt, wird man keinen brauchbaren Gedanken hervorbringen - und verstehen wird man überhaupt nichts. Es ist auch nicht umsonst so, daß Philosophie eine Krisenwissenschaft ist, große Denker also immer in einer Zeit der Krise auftreten, wo alte Selbstverständlichkeiten aufhören, selbstverständlich zu sein.

B: Haha, wenn das stimmt, müßte ja das nächste Jahrhundert das goldene Zeitalter der Philosophie werden, bei so vielen Krisen, die sich abzuzeichnen beginnen. Aber du hast recht. Laß uns über alles diskutieren und jede nötige Frage stellen.

A: Ich habe aus deinen vorherigen Andeutungen verstanden, daß du die Gladiatorenkämpfe ablehnst. Was spricht deiner Meinung nach dagegen?

B: Aus meiner Perspektive: Alles. Gladiatorenkämpfe sind sinnlose Gewalt; es liegt kein objektiver Grund vor, das Blut unschuldiger Menschen zu vergießen; nur ein subjektiver, nämlich der, daß die Menge an der Sache Spaß hat und sich an der Gewalt begeilt. Dies ist erbärmlich, weil dabei nur an die niedrigsten Instinkte der Menge appelliert wird, also nur an Trieb und Schaulust, nicht an Einsicht oder Vernunft. Die Vorbildwirkung der Kämpfe könnte die Gewaltbereitschaft der Menschen erhöhen. Ich betrachte daher Gladiatorenkämpfe als Höhepunkt einer Degeneration einer Gesellschaft, als verdorbenes, nichtswürdiges Spektakel für verdorbene, nichtswürdige Menschen.

A: Was würdest du sagen, wenn ich jetzt gegen dich argumentieren würde?

B: Ich würde sagen, daß du ein alter Sophist bist, der nur die "schwächere Seite zur stärkeren" machen will; außerdem, daß du ganz genau weißt, daß ich recht habe und du in Wirklichkeit genauso denkst wie ich.

A: Das mag ja stimmen. Trotzdem kann man viel gegen deine Argumente einwenden.

B: Jetzt bin ich aber gespannt.

A: Stell dir einmal vor, wir würden über Boxkämpfe oder Autorennen diskutieren. Du könntest einen Teil deiner bisherigen Argumente sicher auch hier anwenden. Du könntest in etwa sagen: "Das ist eine Konzession an die niedrigsten Instinkte der Masse. Erbärmlich. Es können dabei Menschen umkommen, wie bei Boxkampf und Autorennen schon oft geschehen ist. Und das eigentlich völlig sinnlos, nur zur Unterhaltung der Menge."

B: Völlig richtig.

A: Und trotzdem würdest du dich mit den Argumenten heute nicht durchsetzen. Denn Autorennen und Boxkämpfe zur Unterhaltung der Masse sind ein fixer Bestandteil des öffentlichen Lebens geworden. Für viele Menschen sind sie unverzichtbar. Wolltest du ihnen diese Vergnügungen nehmen, du würdest dir ihren unversöhnlichen Haß zuziehen.

Ich glaube, ein heutiger Politiker könnte, wenn er es geschickt anstellt, der großen Masse durchaus ihre Freiheit, ihre politische Mitbestimmung und dergleichen nehmen, ohne größere Folgen fürchten zu müssen. Den Menschen bedeutet ihr Wahlrecht zum Beispiel sowieso nichts mehr, sie sind meistens politisch desinteressiert und üben es ohnehin nicht mehr aus.

Aber wehe, er würde versuchen, Boxkämpfe, Autorennen oder gar die "heiligen" Fußballspiele zu verbieten! Chaos würde die Straßen regieren, die fanatischen Fans würden Fensterscheiben zerschießen, Häuser anzünden, Städte verwüsten, vielleicht gäbe es sogar einen Bürgerkrieg.

B: Du übertreibst maßlos.

A: Hast du schon einmal eine Masse fanatischer Fußballfans gesehen? Dann würdest du nicht mehr daran zweifeln!

B: Nun gut, worauf willst du hinaus?

A: Würdest du mit denselben Argumenten, die du gegen den Gladiatorenkampf ziehst, gegen gladiatorenkampfähnliche Spektakel aussprechen, du stießest auf taube Ohren. Und wo nicht, würdest du dir den unversöhnlichen Haß der fanatischen Menge auf dich ziehen. Es könnte sein, daß in 50 Jahren es so ähnlich sein wird bei Gladiatorenkämpfen.

B: Das kann durchaus sein.

A: Alle wären wahrscheinlich einer Meinung, daß du ein Moralapostel und ein Spielverderber zur gleichen Zeit bist. Und das ärgste Verbrechen, das du in den Augen der Leute begehen kannst, ist doch, ihnen ihren Spaß zu verderben oder sie zu langweilen. Wenn du heute jemanden umbringst, kannst du durchaus noch Gnade finden. Aber wehe...

B: Ich verstehe, worauf du hinaus willst. Aber selbst, wenn es so wäre, wie du prophezeist, sagt das doch nichts aus über die Wahrheit und Falschheit meiner Thesen. Daß die Mehrheit ohnehin unrecht hat, ist doch allgemein bekannt. Oder du glaubst doch nicht hoffentlich den Rousseauschen Schwachsinn, wenn er behauptet, die Mehrheit der Menschen hätte immer recht, die Stimme des Volkes sei die Stimme Gottes und dergleichen.

A: Nein, aber den von dir geäußerten Standpunkt Ibsens teile ich auch nicht, daß nämlich die Mehrheit immer unrecht hat. Es muß doch Gründe geben, wenn sich ein Standpunkt so sehr im Volk verbreitet.

B: Darüber kann man streiten. Aber wie gesagt, mit der Gegnerschaft der Masse kann ich leben, ich will nicht um ihre Gunst buhlen. Du glaubst doch auch nicht ernsthaft, du könntest meine Argumente mit dem von dir Vorgebrachten widerlegen?

A: Nein, aber vielleicht kann ich deinen Geist auflockern, wie der Gärtner die harte Erde, indem ich dir zeige, daß deine Argumente nicht so wirken, wie du es gerne hättest. Ich glaube nämlich nicht, daß du ein Moralapostel bist und auch nicht, daß du dafür gehalten werden willst. Sonst argumentierst du nämlich gar nicht so moralisch streng, sondern bist eher nachsichtig. Und vielleicht kann ich dich unter dieser Voraussetzung doch dazu bringen, deinen Standpunkt zu relativieren.

B: Da bin ich aber gespannt.

A: Du sagtest vorher in deiner sehr kompakten Argumentation, daß du keinen Sinn darin siehst, "das Blut unschuldiger Menschen zu vergießen". Leugne es nicht, du hast es gesagt.

B: Das ist richtig, das habe ich gesagt.

A: Vor einiger Zeit hörte ich aber etwas sehr Bemerkenswertes von dir. Da erzählte ich dir von dem schrecklichen Unfall, dem der Rennfahrer Michael Schuhmacher nur knapp entronnen war; und von der Katastrophe, die dem armen Mann fast das Leben gekostet hätte.

Und da sagtest du in etwa dies: "Ich hätte, selbst wenn er gegen eine Wand geknallt und gestorben wäre, keinerlei Mitleid mit diesem Typen gehabt. Denn wer sich, ohne dazu gezwungen zu werden, in einen Rennwagen setzt und mit wahnwitzigen 300 bis 400 km/h durch die Gegend rast, wohl wissend, daß er dabei sein Leben riskiert, und dann bei einem sinnlosen Wettrennen stirbt, ist wirklich selber schuld, wenn ihm so etwas passiert. Und wenn ich dazu in Rechnung stelle, daß man ihm sein Risiko mit unvorstellbaren mehreren hundert Millionen Mark, die er im Jahr nur fürs Im-Kreis-Fahren verdient, versüßt, schwindet der Rest meines verbliebenen Mitleids nur noch mehr dahin. Ich weiß nicht, ob ihn seine Dummheit, sein Fanatismus für schnelle Autos oder die Geldgier zu seiner Handlung treibt. Aber was er tut, tut er aus freiem Willen und er kennt die Gefahr. Er hat den Tod also herausgefordert und sein Schicksal selbst gewählt. Ich hebe mir meine Anteilnahme lieber für Menschen auf, die unverschuldet sterben; und derer gibt es heutzutage genug."

B: Völlig richtig, so in etwa habe ich das ausgedrückt. Und ich bin auch jetzt noch immer der Überzeugung, daß es richtig ist, was ich sagte. Und die heuchlerische Anteilnahme der Medien am Tod oder knapp vermiedenen Tod eines Mannes, der sein Leben so leichtfertig riskiert wie ein Rennfahrer, finde ich einfach zum Kotzen.

A: Wenn Michael Schuhmacher aber gegen seinen Willen, also gezwungenermaßen an diesen Rennfahrten teilnehmen müßte, hättest du dann Mitleid, wenn er dabei stirbt?

B: Natürlich! Ich würde meinen, daß die Schuld an seinem möglichen Tode dann ein Fremder tragen würde; diesen müßte man dann wegen Mordes oder ähnlichem bestrafen. Und dann hätte ich Mitleid mit Michael Schuhmacher und würde ihn als armes, bedauernswertes Opfer sehen.

A: In deinen Ansichten zu dem toten Rennfahrer hält sich die Grundanschauung versteckt, daß der freie Wille, der zu einer Entscheidung oder Tat führt, auch die Verantwortung und das Risiko für dieselbe Entscheidung oder Tat unentrinnbar nach sich zieht. Denn wer eine Sache aus freien Willen tut, ist auch dafür ethisch verantwortlich und muß auch die Konsequenzen tragen, und nicht irgendein anderer. Denn wen sollte man sonst für etwas verantwortlich machen? Etwa einen, der die entsprechende Handlung gar nicht gesetzt hat oder den, der, wenn er es auch tat, nicht aus freien Stücken handelte? Das wäre doch schwer ungerecht. So ist es auch ungerecht, wenn man die Schuld für eigene Handlungen auf andere abschiebt, die dann zu sogenannten "Sündenböcken" oder "Prügelknaben" werden läßt. Diese Armen behandelt man doch im äußersten Maße unfair. Vielmehr ist es doch so, daß wenn einer aus freiem Willen eine Entscheidung trifft oder eine Handlung setzt, und dabei alle nach menschlichem Ermessen voraussehbaren mögliche Konsequenzen kennt, die Verantwortung sowie das Risiko zu tragen hat.

B: Das ist völlig meine Meinung.

A: Die einzige Verantwortung, die die Mitwelt gegenüber dem Rennfahrer hat, ist also höchstens, ihn über die Risken seines Verhaltens zu informieren, damit er nicht unter falschen Voraussetzungen und unzureichendem Vorwissen seine Entscheidung für diesen Beruf trifft. Tut er es trotzdem ohne Zwang, ist er selber schuld.

B: Man könnte aber sagen, wenngleich es nicht meine Meinung ist, die Mitwelt wäre verantwortlich, ihn von dem Verhalten abzubringen, es ihm also zu verbieten; denn ein Mann, der diese Entscheidung trifft, ist geistig nicht zurechnungsfähig - daher nicht in der Lage, Verantwortung zu tragen.

A: Gesetzt, du hast recht, dann müßte man aber konsequent handeln und jedem Menschen das Rauchen und das Trinken von Alkohol verbieten (beides ruiniert nämlich die Gesundheit), außerdem müßte man jedem vorschreiben, wie lange er in die Sonne zu gehen hat, damit er sich keinen Sonnenstich holt, und, wenn er sich weigert, den Anordnungen zu folgen, müßte man ihn mit Gewalt in den Schatten ziehen. Außerdem müßte man dann allen Menschen vorschreiben, was sie essen und ihren Speiseplan von Staats wegen her regeln, damit sich keiner ungesund ernährt. Und du müßtest noch tausende ähnliche Gesetze beschließen, dazu tausende Beamte anstellen, die die Einhaltung dieser Anordnungen sicherstellen. Nein, mein Freund, wir sind freie Europäer, die in einem freien Staat leben; und wir sind keine kleinen Kinder mehr. Jeder ist für das, was er tut, verantwortlich, wenn er es aus freien Stücken tut. Und wenn ein Rennfahrer die Risken kennt und aufgrund seines freien Willens in Kauf nimmt, dann hat er allein die Verantwortung und das Risiko. Und auch, wenn Geld ihn lockt, dann ist es doch sein freier Wille, diesem entgegenzueifern oder nicht.

B: Klingt überzeugend.

A: Übertragen auf Gladiatorenkämpfe bedeutet das Gesagte also: Solange ein Gladiator seinen Beruf aus freien Stücken wählt und unter Kenntnis der vorhersehbaren Risken, er außerdem ein Alter erreicht hat, in dem man eigenständige Entscheidungen treffen kann, ist das um nichts verwerflicher als die Tätigkeit eines Berufssoldaten, der das Risiko auf sich nimmt, in der Schlacht zu sterben, oder der Beruf eines Bauarbeiters, der riskiert, vom Gerüst zu fallen. Das Risiko des Gladiators mag größer oder kleiner sein als das der anderen Berufsgruppen, aber das sind rein quantitative Unterschiede. Qualitative Unterschiede sehe ich nicht.

B: Nun ja, aber die Tätigkeit des Gladiators ist verächtlich.

A: Der des Nacktmodels etwa nicht? Oder der des Marktschreiers? Und doch sind sie nicht verboten. Außerdem: Was heißt schon verächtlich? Ein erfolgreicher Gladiator wird in Zukunft vielleicht ein vielbejubelter Star mit einem großen Haufen Geld, mit schönen Frauen und einer riesigen Villa, ein gerngesehener Society-Löwe, den die Fans umkreischen und der mit Ehrungen, Verdienstkreuzen und Werbeverträgen überhäuft wird. Der wird arme, unbekannte Schlucker wie uns für verächtlich halten.

B: Aber es bleibt dabei, daß er ein schlechtes Vorbild für die Jugend abgibt.

A: Das tun die meisten der heutigen Politiker auch, trotzdem sperrt man sie nicht ein.

B: Das ist leider wahr. Aber du rechtfertigst einen Mißstand mit einem anderen. Das wäre genauso, wie wenn ich sagen würde: Taschendiebstahl ist ab jetzt erlaubt, weil Pornofilme drehen ist auch erlaubt und nicht viel verwerflicher.

A: Zugegeben. Aber es bleibt dabei: Deine Gegenargumente von Verächtlichkeit und mangelndem Vorbild sind nicht stark genug, um Verbotsgesetze zu bewirken, sonst müßte man heute noch ganz andere Sachen verbieten.

B: Na gut, aber ein vorher genanntes Argument bleibt noch immer: Es gibt keinen objektiven Grund, Gladiatorenkämpfe einzuführen, höchstens subjektive Gründe, zum Beispiel das Vergnügen der Masse. Sie wären also sinnlos.

A: Was nennst du objektiv?

B: Bitte jetzt keine erkenntnistheoretische Debatte über die Objektivität nach dem Motto "Was ist Wahrheit und kann man diese erkennen?" Das ist nämlich in Diskussionen meist nichts als ein heutzutage häufig angewandter rhetorischer Trick, mit dem man vom eigentlichen Thema ablenkt.

Aus Arthur Schopenhauers Nachlaß ist ein kleines Büchlein auf uns gekommen, die "Eristische Dialektik". Dort werden Kunstgriffe angegeben, wie man den Gegner in der Diskussion "aufs Kreuz legt", wie der Herausgeber am Klappentext schreibt. Und in Kunstgriff 19 heißt es:

"Fordert der Gegner uns ausdrücklich auf, gegen irgendeinen Punkt seiner Behauptung etwas vorzubringen; wir haben aber nichts rechtes; so müssen wir die Sache recht ins Allgemeine spielen und dann gegen dieses reden. Wir sollen sagen, warum einer bestimmten physikalischen Hypothese nicht zu trauen ist: so reden wir über die Trüglichkeit des menschlichen Wissens und erläutern sie an allerhand."

Das ist also von all jenen zu halten, die mitten in der Diskussion über eine konkrete Sache auf einmal anfangen, die Zweifelhaftigkeit der Wahrheitserkenntnis oder der Objektivität zu betonen.

A: Ich werde dergleichen nicht versuchen, versprochen. Aber trotzdem mußt du dich präzisieren.

B: Ich möchte mit meiner Argumentationslinie sagen, daß die Gesellschaft z.B. Bauarbeiter braucht; denn es müssen Häuser gebaut werden (das nenne ich z.B. einen objektiven Grund). Und so muß es eben Leute geben, die - leider - riskieren müssen, ihr Leben zu verlieren, weil sie vom Gerüst fallen können. Wenn ein Staat von außen angriffen wird, dann benötigt er wohl auch Leute, die ihn verteidigen, wenn nötig, unter Einsatz ihres Lebens. Es gibt also einen gewissen äußeren, objektiven Grund dafür, warum es dieses Berufrisiko geben muß.

Demgegenüber existiert das bloße Vergnügen der Masse nur in den Köpfen der Leute, ist also wesentlich subjektiv - und daher verzichtbar. Es ist nicht im gleichen Maße für das Leben notwendig wie z.B. ein Haus, das man zum Wohnen braucht. Ohne ein Haus kann man nicht oder nur unter größten Schwierigkeiten leben, ohne einen blutüberströmten Gladiator zu sehen, kann man aber erstens sehr wohl leben und zweitens, vorausgesetzt, man besitzt ein gewisses Maß an Verstand und ist nicht gänzlich verdorben, auch sehr gut.

Aber auf einen Toten mehr, der starb, weil er z.B. mit einem Kanu einen reißenden Wildbach hinunterfuhr, wie es seit neuestem in gewissen vergnügungssüchtigen Kreisen Mode geworden ist, kann die Gesellschaft sehr gut verzichten. Verliert er sein Leben, ist sein Tod ohne irgendeinen Sinn. Jetzt könnte man natürlich einwenden, tot ist tot, ob nun sinnvoll gestorben wurde oder nicht; und irgendwo stimmt das. Ich glaube aber trotzdem, daß es die verdammte ethische Pflicht der Gesellschaft ist, wenn sie schon nicht Sterben und das Risiko des Sterbens schlechthin komplett verhindern kann, dieses doch zumindest nach Kräften zu minimieren. Und der beste Anfang dafür wäre, das komplett sinnlose Sterben und das komplett sinnlose Risiko des Sterbens zum Verschwinden zu bringen.

A: Ich verstehe ungefähr, worauf du hinauswillst. Du siehst keinen anderen Sinn im Gladiatorenkampf als das blinde und niedrige Vergnügen der Masse und du findest diesen Sinn nicht ausreichend, um das Töten zu rechtfertigen, selbst dann nicht, wenn es auf freiwilliger Basis passiert?

B: Du sagst es!

A: Und wenn ich dir einen überzeugenden, wenn du es so ausdrücken willst, "objektiven" Grund für die gesellschaftliche Notwendigkeit der Kämpfe nennen könnte? Was wäre dann?

B: Dann wäre ich baff. Denn ich sehe nicht ab, was das sein sollte.

A: Wir haben ein anderes Mal diskutiert über die Globalisierung und ihre Folgen. Und wir haben festgestellt, daß das Leben in unserer Gesellschaft immer härter und kälter wird. Wir sind heute konfrontiert mit steigender Arbeitslosigkeit und einer sich immer mehr vergrößerndne Kluft zwischen Arm und Reich.

In den großen Städten Europas und Amerikas sind bereits gewaltige Slums entstanden, unbarmherzige Elendviertel, aus denen es kein Entrinnen mehr gibt. Die öffentliche Ordnung ist in manchen Teilen dieser Mega-Cities schon zusammengebrochen, etwa in der New Yorker Bronx oder im Stadteil Harlem, der nur mehr von rivalisierenden Straßenbanden beherrscht wird. Massenentlassungen, die heute an der Tagesordnung stehen, verschlimmern die Lage noch, und dabei geht die Wirtschaft noch relativ gut! Stell dir vor, was passiert, wenn die nächste Wirtschaftskrise ausbricht, und diese kommt bestimmt, auch wenn es jetzt weit weg erscheint!

Die sozialen Probleme häufen sich schon jetzt. In Berlin gibt es z.B. schon jetzt zehntausende Straßenkinder, in jeder U-Bahn-Station jeder größeren deutschen Stadt einen sogenannten "Kinderstrich", auf dem du dir Kinderprostituierte mieten kannst. Drogensucht, Verelendung, alles was du dir an Schlechtem vorstellen kannst, nehmen zu.

Die Zukunft gehört dem Ghetto, darauf deutet alles hin, nämlich dem Ghetto der Armen und dem Ghetto der Reichen; in dem einen herrscht Not; um jedes Stück Brot wird gekämpft; der Kampf aller gegen aller des Naturzustands bricht wieder auf; in den anderen Ghettos regiert die gähnende Langeweile; man kauft seinem Fifi eine elfenbeinerne Hundehütte und seiner Gattin rubinbesetzte Pantoffeln; und trotzdem findet man keine Befriedigung, keinen Sinn im Leben, außer vielleicht das gelegentliche Studium der Aktienkurse.

B: Du machst mir Angst.

A: Alle Trends der heutigen Zeit deuten auf diese von mir entworfene Horror-Zukunftsvision hin. Wir können es ein anderes Mal näher begründen. Vorübergehend mag es reichen, wenn du die "Globalisierungsfalle" von Hans-Peter Martin liest.

B: Ein Leben in einer solchen Welt wäre doch unerträglich!

A: Das ist es auch. Und doch gibt es für die leidenden Massen, die in den dunklen Straßenschluchten dahinvegetieren ein Licht in ihrem Leben, eine kleine Freude, die ihnen hilft, alles zu ertragen.

B: Und was soll das sein?

A: Das Ausweichen in die banale Phantasie der TV-Filme, die Scheinwelt des des Showbusiness, die eskapistische Flucht in die eine andere Welt vorgaukelnden Bilder, die primitive Ablenkung, die es ermöglicht, in den einfachsten Gefühlen zu schwelgen und alles Leid für ein paar Augenblicke zu vergessen. Das Fernsehen mit seinen Shows ist die Religion der Gegenwart und damit wie diese das Opium für das Volk. Es macht das immer unerträglich gewordene Leben für die breiten Masse halbwegs erträglich. Es ist der süße Vorgeschmack auf die Erlösung, den die Masse der Geknechteten und Getretenen niemals sonst erfahren wird.

B: Und du meinst...

A: Jawohl, ich meine, daß die Unterhaltung, und sei sie auch noch so blutig, nötig sein wird, um den sozialen Frieden aufrecht zu erhalten.

Was hält die Masse der Leidenden davon ab, die Regierungen zu stürzen, die Geschäfte zu plündern, einen Aufstand anzuzetteln, gewaltsam zu demonstrieren? Doch nur das Zuckerbrot der Illusion, mit der man sie zerstreut, mit der man die Sorgen von ihr vertreibt und sie die drückenden Bürden und Ketten wenigstens für einen Augenblick vergessen läßt.

Unterhaltung ist gelebte Mildtätigkeit. Und das Fernsehen die Erlösung der Welt. Und du willst der Masse das einzige nehmen, das ihrem Dasein noch Sinn verleiht, das einzige, für das es sich für sie noch auszahlt, zu leben, nämlich das gespannte Warten darauf, wer in der Formel 1 gewinnt, wer der nächste Fußballweltmeister wird oder welcher der bewunderten und vergötterten Gladiatoren in der Arena den Sieg davonträgt. Natürlich ist all dies nichtig, von einem höheren Standpunkt aus betrachtet. Doch in den Niederungen, in die der brutale Kapitalismus die Massen gedrückt hat, ist es das höchste erreichbare Glück.

Der Masse die Spiele nicht zu gönnen, das wäre wirklich grausam. Neue, unterhaltsamere Spiele einzuführen hingegen ein Segen für die Menschen.

B: Ich bin sprachlos; von dieser Perspektive habe ich das noch gar nicht gesehen. Ich muß über alles nachdenken.

A: Tu dies; und tu es gut. Würdest du aber als weiteres Hauptergebnis unserer Diskussion akzeptieren, daß viele Argumente sogar für die Einführung von TV-Gladiatorenkämpfen sprechen?

B: Ja, ich denke, das kann ich tun.

 

 Patrick Horvath: "Über Philosophie und Politik"
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© 1999 Patrick Horvath