Patrick Horvath
Jimmy Carters Mediation in Camp David
Strategien und Ergebnisse
Patrick Horvath, Mat.-Nr.9502353, Studienkennzahl: 300, Seminar Internationale Politik bei Frau Dr.Michal-Misak, Wintersemester 1999 / 2000, Universität Wien
Vorgeschichte
In dieser Arbeit interessieren weniger die historischen Wurzeln des Nahost-Konflikts als vielmehr Ablauf, Strategien und Ergebnisse der erfolgreichen Mediation bei den Verhandlungen von Camp David. Dennoch ist für das Verständnis des zugrundeliegenden Konflikts eine grobe Skizze der Vorgeschichte unabdingbar. Um aber nicht das eigentliche Thema aus den Augen zu verlieren, bin ich gezwungen, sie sehr kurz zu halten.
Das Verhältnis zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn ist seit Gründung des "Judenstaates" problematisch. Bereits im Jahr seiner Ausrufung mußte sich Israel in einem Krieg gegen praktisch alle umliegenden arabischen Staaten zur Wehr setzen, die einen solchen Staat nicht akzeptieren wollten. Sie sahen Israel als ein weiteres kolonialistisches Projekt Europas, in dem den Arabern wie oft zuvor in der Geschichte Land gestohlen werden sollte. Israel konnte sich im Unabhängigkeitskrieg erfolgreich behaupten, aber weitere Kriege folgten. In einem der jüngsten, dem Sechs-Tage-Krieg von 1967, den Israel wieder gewann, besetzten israelische Truppen zahlreiche Gebiete der arabischen Nachbarstaaten. Dazu gehörten der Gaza-Streifen, die Golanhöhen, die Westbank (bzw. das Westjordanland), Ostjerusalem und die Sinai-Halbinsel. Die Idee hinter diesen Besetzungen war, die Sicherheit Israels angesichts der nicht abreißen wollenden Feindseligkeiten der Araber zu vergrößern, indem man es quasi mit Sicherheits- und Pufferzonen umgibt. Man muß ja bedenken, daß Israel ein sehr kleines Land ist; eindringende feindliche Truppen können sehr schnell in sein Zentrum gelangen. Gewinn von Land, das bedeutete nach israelischer Einschätzung daher auch Gewinn von Sicherheit.
Es stellt sich aber die Frage, ob dieser eigentlich gut nachvollziehbare Gedankengang vollkommen richtig ist. Denn durch die Besetzung von Gebieten anderer Staaten entstehen bei diesen möglicherweise Revanche-Gelüste, deren Gefährlichkeit man nicht unterschätzen sollte. Außerdem ist ein solches Verhalten Israels, wenngleich verständlich, so doch eindeutig völkerrechtswidrig. Denn im modernen Völkerrecht gelten Staatsgrenzen als unverletzlich. Und Annexion, also gewaltsame Einverleibung von fremdem Staatsgebiet ist ebenfalls verboten (auch, wenn der annektierende Staat selbst den Krieg nicht begonnen hat). Der gegenseitige Haß ist durch die Besetzung von arabischen Gebieten sicher nicht kleiner geworden.
Der Konflikt mit den übrigen arabischen Ländern um das besetzte Land schwelte lange dahin. Ein neuer Krieg, der Jom-Kippur-Krieg, in dem sich Israel wieder erfolgreich verteidigen konnte (allerdings mit großen Verlusten), war 1973 die Folge, das Problem der Besetzungen blieb ungelöst. Wieder vergingen einige Jahre, geprägt von kleineren Gefechten und Wirtschaftsboykotten, die auch Israel schwere Schäden zufügten. Im Jahre 1977 änderte sich die Lage allerdings maßgeblich; und man kann sagen, daß dann erst so richtig begann, was man heute als den Nahost-Friedensprozeß bezeichnet. Auf der Seite der arabischen Länder äußerte der ägyptische Präsident Sadat nach langen und zermürbenden Jahren der Feindschaft plötzlich Friedenswillen. Und er setzte ein Zeichen: Mit dem von niemandem erwarteten Besuch in Jerusalem, der wichtigsten Stadt seiner Feinde, bekundete er vor der Weltöffentlichkeit die Bereitschaft, im Falle einer Rückgabe der besetzten Gebiete mit Israel Frieden zu schließen und seine Existenz auch anzuerkennen. Seine mutige Initiative rief unterschiedliche Reaktionen hervor. Während das israelische Volk, des langen Kriegs müde, Sadat begeistert empfing und er sich vor der westlichen Welt den Ruhm des Friedensstifters erwarb, wurde Ägypten in der arabischen Welt isoliert. Mehrere arabische Führer riefen sogar zur Ermordung des Präsidenten des damals mächtigsten arabischen Landes auf - diese sollte eines Tages übrigens tatsächlich stattfinden.
Sowohl auf ägyptischer, als auch auf israelischer Seite bestand also Verhandlungsbereitschaft; auch die Rahmenbedingungen der Einigung - die berühmte Formel "Land gegen Friede" - waren zumindest teilweise schon abgesteckt. Trotzdem verliefen aufgrund der vielen persönlichen Differenzen, des lang aufgestauten Hasses und vieler strittiger Fragen, bei denen eine Einigung unmöglich erschien, die bilateralen Gespräche im Sand. Um dem Friedensprozeß eine Chance zu geben, lud der amerikanische Präsident 1978 beide Parteien zu Friedensverhandlungen nach Camp David (USA) ein, wobei er sich selbst als Mediator zu Verfügung stellte. Im Zuge von dreizehn Verhandlungstagen konnten der israelische Ministerpräsident Begin und der ägyptische Präsident Sadat zu Vereinbarungen gelangen, die den Grundstein für Frieden zwischen ihren lang verfeindeten Ländern legte und die ihnen im übrigen auch den Friedensnobelpreis einbrachten. Man kann davon ausgehen, daß ohne Carters Vermittlungstätigkeit diese Chance vergeben worden wäre. Daß ein Mediator in diesem Konflikt unbedingt gebraucht wurde, zeigt einerseits die Erfolglosigkeit bilateraler Verhandlungen, andererseits der gemeinsame Verhandlungserfolg nach Zuziehung eines Mediators. Die Frage nach der Wichtigkeit der Beschäftigung mit Mediation erübrigt sich, wenn man sich dies vor Augen führt.
Jimmy Carters Mediation
Generell besteht Einigkeit darüber, daß die Mediation Jimmy Carters in Camp David nicht nur zu seinen größten außenpolitischen Leistungen gehört, sondern darüber hinaus durch und durch vorbildlich war.
Christian Hacke spricht in diesem Zusammenhang von der "überragenden Vermittlerfunktion des amerikanischen Präsidenten" und schreibt in einer Analyse über Camp David: "Sowohl die Ägypter, als auch die Israelis waren voller Bewunderung für den amerikanischen Präsidenten, der mit starrer Hartnäckigkeit sich mit den winzigsten Details der Probleme beschäftigte, an zahlreichen Diskussionen teilnahm, zuhörte, die Gespräche mit großer Autorität führte und immer wieder neue Vermittlungsvorschläge für beide vorlegte".
Diese harte Arbeit, der eine gute Planung vorausging, machte sich auch letztlich bezahlt: Trotz der Tatsache, daß Carter immer wieder kritisiert wurde, weil nicht restlos alle Probleme des Nahostkonflikts gelöst werden konnten (was realistischerweise auch nicht zu erwarten war), wurde in Camp David ein historischer Durchbruch erzielt. Die Einigungen legten den Grundstein für die Unterzeichnung eines Friedensvertrags zwischen den beiden Erzfeinden Ägypten und Israel - dieser Vertrag hält bis heute. Für das Palästinenserproblem wurden immerhin einige Lösungsansätze gefunden, die freilich nicht restlos befriedigend waren.
Ich möchte mich in diesem Abschnitt bemühen, die Charakteristika der Carterschen Mediation, und insbesonders Carters Vermittlungsstrategien aus seinen eigenen, sehr detaillierten, wenngleich wenig systematischen Aufzeichnungen herauszuarbeiten.
Gute Vorbereitung
Jimmy Carter hat sehr viel Zeit damit verwendet, alle ihm zur Verfügung stehenden Informationsquellen zu nutzen, um ein umfassendes Wissen über möglichst viele Facetten des Nahost-Konflikts zu erlangen. Er beschäftigte sich aber nicht nur mit objektiven Fakten, sondern auch mit der subjektiven, psychologischen Seite des Problems. So ließ er auch Informationen einholen über die beiden Verhandlungspartner, den israelischen Ministerpräsident Begin und den ägyptischen Präsidenten Sadat.
"I was studying a thick volume, written especially for me, about two men - Menachem Begin and Anwar el-Sadat. In a few days, on September 5, I would welcome them to Camp David. (...) I had to understand these men!"
Und weiter: "I was poring over psychological analyses of two of the protagonists which had been prepared by a team of experts within our intelligence community. This team could write definitive biographies of any important world leader, using information derived from a detailed scrunity of events, public statements, writings, known medical histories, and interviews with personal acquaintances of the leaders under study. I wanted to know all about Begin and Sadat. What had made them national leaders? What was the root of their ambition? What were their most important goals in life? What events during past years had helped to shape their character? What were their religious beliefs? Family relations? State of their health? Political beliefs and constraints? Relations with other leaders? Likely reaction to intense pressure in a time of crisis? Strength and weaknesses? Commitments to political constituencies? Attitudes towards me and the United States? Whom did they really trust? What was their attitude towards one another? I was certain they were preparing for our summit conference in a similar manner. (...) During the coming days at Camp David, my studies at the foot of the Grand Tentons were to pay rich dividends".
Auch seine Botschafter wurden als Informationsquelle benutzt. So beorderte er die Botschafter von Ägypten und Israel zu sich, um von ihnen über die neuesten Entwicklungen zu erfahren, aber auch, um ein Verständnis der Mentalitäten der anderen Kulturen zu erlangen. Auch mit den Ansichten der Anführer der jüdischen Gemeinde in den USA befaßte er sich.
Francis Bacons Maxime "Wissen ist Macht" eingedenk, war er bemüht, sich jedes erdenkliche Wissen über den Konflikt zu erwerben, von dem er wußte, daß es reiche Früchte bringen kann. Er nutzte dabei jeden ihm zur Verfügung stehenden Informationskanal.
Selbstverständnis
Man könnte meinen, daß der Präsident der Supermacht USA der Versuchung erliegt, eine "power-mediation" oder "Großmacht-Mediation" zu betreiben.
Eine solche Vermittlung ist autoritär, wird den Verhandelnden aufgezwungen. Auf die Staaten wird Druck, z.B. wirtschaftlicher, militärischer etc. ausgeübt, um sie gefügig zu machen. Eine typische "power-mediation" lag z.B. bei den Verhandlungen in Rambouillet im Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt vor: Die USA drohten Serbien, es im Falle der Nicht-Unterzeichnung des Vertrags zu bombardieren. Die "power-mediation" hat einige Vorteile, so können z.B. extreme Machtungleichgewichte zwischen Verhandlungspartnern ausgeglichen werden. Serbien ist ungleich stärker als die Kosovo-Albaner, hat aufgrund dieser Stärke nicht unmittelbar ein Interesse an Zugeständnissen. Aber die serbische Übermacht wurde relativ, wenn die geballte Macht der NATO sich auf die Seite der Albaner stellt. Auch kann ich mir vorstellen, daß Druck Staaten manchmal zum Nachgeben zwingen kann (aber auch zum Gegenteil führen kann: Zur Verhärtung der Positionen und zum Widerstand).
Man darf aber auch nicht die Nachteile der "power-mediation" vergessen. So ist es durchaus denkbar, daß eine Großmacht nicht ausschließlich im Interesse der Verhandlungspartner wirkt, sondern eine Lösung oktroyiert, die ihr, dem mächtigen Mediator nützt. Es könnte auch sein, wie im Zuge des Kosovo-Konflikts, daß die schwächere Gruppe ihre Unterschrift strategisch einsetzt, mit dem Ziel, ein Bombardement des stärkeren Staates zu erreichen, ohne jedoch an die Erfüllung der Vertragsbestimmungen auch nur zu denken - was die Implementierungschancen der entsprechenden Lösung verringert.
Die Mediation von Camp David war allerdings - trotz der Tatsache, daß der Präsident der USA mediierte - keine "power-mediation". Die USA enthielten sich im wesentlichen des Drucks. Präsident Carter blieb im Rahmen der "klassischen Mediation", weil er sich sichtlich bemühte, keine der beiden Gruppen zu präferieren, sondern Neutralität bzw. Allparteilichkeit zu wahren und die Interessen beider Partner zu berücksichtigen. Man darf nicht vergessen, daß sowohl Ägypten als auch Israel Frieden wollten und auch zu Kompromissen bereit waren.
Jimmy Carter definierte seine Rolle selbst als "mediator and active negotiator". Er war also auch bereit, selbst Verhandlungsvorschläge einzubringen. Dies schien ihm für eine Mediation auch unbedingt nötig zu sein.
Er erklärt dies so: "The United States would reserve the right to put forward its own ideas on equal basis with the other two, because there might be times when either one of them might accept (...) a proposal originating with me which they would be unwilling to accept from one another".
Carter hatte also erkannt, daß neben dem Inhalt auch das Gefühl in Verhandlungen ein Rolle spielt; und daß Israel möglicherweise einen Lösungsvorschlag ablehnen könnte, nicht weil er schlecht oder gegen die Interessen Israels wäre, sondern weil er von Ägypten kommt - und umgekehrt. Allerdings - und dies zeigt auch wiederum, daß keine "power-mediation" vorlag - betonte Carter, daß die Verhandlungsvorschläge der USA auf gleicher Basis mit denen der beiden anderen Verhandler erfolgen würden, was dann meiner Meinung nach auch tatsächlich geschah. Die USA enthielten sich des autoritären Vorgehens und erwarben dadurch meiner Ansicht nach große Verdienste.
Schaffung einer für die Mediation geeigneten Atmosphäre
Carter beschreibt die - von ihm auch so gewünschte - Atmosphäre von Camp David als "an atmosphere of both isolation and intimacy, conducive to easing tensions and encouraging informality".
Es ging also um vier Elemente, die Carter als für die Mediation wichtig erachtete:
1.) Isolation
2.) Intimität
3.) Entschärfung der Spannungen
4.) Informalität
Ich möchte zu jedem dieser Punkte Stellung nehmen und versuchen, Jimmy Carters Strategien und Versuche darzulegen, und so diesen von ihm als wesentlich erachteten Punkte gerecht zu werden.
1.) Isolation
Jimmy Carter bestand auf den Ausschluß der Medien zur Zeit der Verhandlungen. Die drei Führer sollten in Camp David von der Außenwelt isoliert sein; bis zum Abschluß der Verhandlungen, darauf bestand er, sollten keine Informationen nach außen dringen.
"Through their leaders, we urged everyone not to relay to the outside any information about negotiating positions or successes and failures as the talks progressed. On the few occasions when an indiscreet statement was made to someone outside, it became known instantly through the resulting news stories. As we all came to believe that the same restrictions were being observed by everyone, it was easier to enforce the necessary discipline. There is no doubt in my mind that success would have been impossible if we had explained our own opinions and goals to the press each day. It would have been difficult to be flexible, with every necessary change in position being interpreted as a defeat for one or more of the negotiating parties".
Nach Carters Einschätzung wirkt es sich also negativ auf die Verhandlungen aus, wenn die Presse involviert wird. Denn die Medienberichterstattung neigt dazu, das Nachgeben in einem Punkt als Niederlage zu interpretieren; und dies ist nicht unbedingt eine gute Rahmenbedingung für Kompromißbereitschaft. Denn wer will schon gerne vor der Welt als Verlierer dastehen? Wenn eine Diskussion - und sei es auch nur zum Teil - über die Medien geführt wird, kommt es wahrscheinlich zum Einzementieren der Standpunkte.
Es gab aber sicher noch einen anderen Grund, warum diese Isolation gewählt wurde. Ein isolierter Politiker gewinnt eine gewisse Unabhängigkeit von den verschiedenen Akteuren in seiner Heimat, also von seiner Partei, dem tagespolitischen Hader, den lokalen Medien. Er entflieht dadurch vielen Zwängen und kann eigenständiger agieren. Das Problem besteht natürlich darin, daß er im Anschluß daheim das Verhandlungsergebnis "verkaufen" muß. Ein Politiker kann daheim sicher nicht alles verkaufen; ich kann mir z.B. nicht vorstellen, wie Begin es seinem Volk hätte erklären wollen, wenn er einen Vertrag unterschrieben hätte, in dem Israel das Existenzrecht abgesprochen wird (Sadat hat dies übrigens nicht verlangt, das Beispiel ist rein hypothetisch). Aber er konnte, als er das Parlament mit einem fertig ausgehandelten Vertragswerk konfrontierte, das es entweder in seiner Gesamtheit ablehnen oder annehmen konnte, ihm gegenüber mehr Spielraum gewinnen, als wenn er im Laufe der Verhandlungen daheim wegen jedem Detail angefragt hätte.
Ein Beispiel soll dies illustrieren. Im Verlaufe der Verhandlungen kristallisierte sich folgender Streitpunkt heraus: Israel hatte in den besetzten Gebieten Siedlungen gegründet, um die Gebiete dauerhaft für sich zu sichern. Für Sadat war es klar, daß die Siedler gehen mußten; er sah israelische Siedlungen auf ägyptischem Gebiet als eine Bedrohung für die Sicherheit und Souveränität seines Landes. Würde etwa Israel ägyptische Siedlungen auf seinem Gebiet akzeptieren? Außerdem waren die Siedlungen aus seiner Sicht eindeutig illegal. Sadat hielt es wohl auch für möglich, daß Israel bis in alle Ewigkeit die Siedler als Legitimation für aggressive Akte gegen Ägypten verwenden könnte - indem es Ägypten angreift mit der Behauptung, die Siedler schützen zu müssen.
Begin bestand aber darauf, daß die Siedler bleiben mußten. In gewisser Weise könnte man es als unfair ansehen, daß Israel Gebiete besetzt und dann Fakten schafft. Aber die Fakten waren nun einmal da. Und wie sollte Begin tatsächlich seinem Volk, den Siedlern und dem Parlament erklären, daß die Siedler entfernt werden müßten? Dies würde in der Heimat sensible Reaktionen auslösen. Dazu kam: In anderen besetzten Gebieten liefen auch gerade Siedlungsprojekte. Begin fürchtete - das ließen Mitglieder der israelischen Delegation durchblicken - mit dem Abzug der Siedler vom Sinai einen Präzedenzfall für die anderen Gebiete zu schaffen. Außerdem brachte Begin zur Geltung, daß Sadat seine Leute - aufgrund der autoritären Regierungsform Ägyptens - besser in Griff hatte. Er könnte den Menschen in seinem Land besser "verkaufen", daß die Siedler keine Bedrohung darstellten; und auch die Medien würden nicht gegen ihn schreiben. Sadat wies dies zurück. Auch folgendes Argument ließ er nicht gelten: Er wurde gefragt, ob er es einem Juden erlauben würde, in Kairo zu leben. Er antwortete darauf, er würde es selbstverständlich erlauben. Darauf hin hieß es, dann könne er auch nichts gegen israelische Siedler auf ägyptischem Gebiet haben. Sadat meinte aber, planmäßig angelegte Siedlungen seien etwas anderes und wiederholte seine Sicherheitsbedenken.
Nun verhärteten sich die Fronten: Sadat meinte, er würde keinen Friedensvertrag unterschreiben, wenn die Siedler blieben; Begin meinte, er würde keinen Friedensvertrag unterschreiben, wenn die Siedler nicht bleiben könnten. Am Schluß der Verhandlungen zeichnete sich ab, daß dies einer der wenigen Punkte war, an dem ein Friedensvertrag scheitern konnte; und Carter überzeugte Begin mit viel Mühe, ein wenig nachzugeben. Begin sagte zu, dem Parlament die Frage vorzulegen, ob man den fertigen Friedensvertrag an der Siedlungsfrage scheitern lassen sollte; dabei wollte sich Begin selbst in der Diskussion neutral verhalten und den "Klubzwang" aufheben. Es war sehr wahrscheinlich, daß das Parlament nicht gegen den fertigen Friedensvertrag stimmen würde. Begin hatte sein Gesicht wahren können, schob den "Schwarzen Peter" dem Parlament zu und die Verhandlungen waren gerettet.
Man stelle sich aber rein hypothetisch vor, Begin hätte noch während der Verhandlungen, ohne ein anderes Ergebnis vorweisen zu können, daheim angefragt, ob man bereit sei, die Siedler zurückzuziehen. Die Antwort wäre höchstwahrscheinlich negativ ausgefallen. Man sieht also, wie wichtig es sein kann, daß die Politiker im Verlauf der Verhandlungen nicht ständig zum Telefon laufen müssen, um die Heimat zu kontaktieren und dort um Erlaubnis zu fragen. Es ist daher auch sicherlich für den Erfolg der Verhandlungen wichtig, daß die Verhandler mit einem starken Mandat ausgestattet sind und selbstständig entscheiden können. Apropos Telefon: Carter gibt an, daß ein Grund, warum die Verhandlungsparteien das Schweigen nach außen einhielten, war, weil sowohl Israelis und Ägypter natürlicherweise annahmen, die Amerikaner hätten die verfügbaren Telefone angezapft. Was nach Carters Angaben nicht der Fall war.
2.) IntimitätVertrauensbildende Maßnahmen: Sadat - Begin
Carter wollte, daß die beiden Führer einander auch persönlich näherkommen. Durch den Aufbau einer persönlichen Beziehung sollte Vertrauen geschaffen werden. Seine Versuche zielten daher auch darauf ab, die Ehefrauen miteinzubeziehen, was aufgrund von terminlichen Problemen nur teilweise gelang. Er erwartete sich von einer Einbeziehung der Frauen eine Verstärkung der Harmonie und der persönlichen Kontakte. "I had particularly wanted the three wives to be with us, so they could ease some of the tension and create a more congenial atmosphere".
Carters Hauptziel war es, Vertrauen zwischen Sadat und Begin zu schaffen. "It was clear that we had a long way to go before a mutual feeling of trust and respect could be established between the two men". Auch ich bin der Ansicht, daß es eine Illusion wäre, zu glauben, man könnte binnen weniger Tage eine echte Freundschaft herbeiführen zwischen den Führern zweier verfeindeter Nationen, die die letzten Jahrzehnte damit verbracht hatten, einander zu hassen.
So blieben auch viele Erwartungen Carters enttäuscht: "I spelled out to Begin the advantages of a good rapport between him and Sadat during the days ahead. I believed that as they got to know each other, it would be easier for them to exchange ideas without rancor and distrust. Yet in fact, for the last ten days of negotiation leading up to our final agreement, the two men never spoke to one another, although their cottages were only about a few hundred yards apart". Israelis und Ägypter hielten sich auch beim Essen getrennt. Nur Verteidigungsminister Weizmann, Mitglied der israelischen Delegation, setzte sich zu den Ägyptern und scherzte in gebrochenem Arabisch mit ihnen. Doch solche Lichtblicke blieben die Ausnahme. Dabei gab es nach Carter sogar eine für persönliche Beziehungen günstige Voraussetzung: Alle Beteiligten sprachen Englisch, so daß es nicht nötig war, Dolmetscher "zwischenzuschalten".
Typisch für Carters Mediationsstil war auch, daß er immer einen der beiden Politiker gegen den anderen verteidigte. "I was to spend much of my time defending each of the leaders to the other". Als Sadat z.B. einmal sagte, die warmen Gefühle, die er während seines Besuchs in Jerusalem entwickelt hatte und jegliche Vertrauensbasis seien durch die unehrliche Verhandlungstaktik Begins zerstört, nahm Carter Begin in Schutz.
"I replied that this mutual feeling of bad faith was something I would like to correct, that they were both honorable, decent, and courageous men, and that I knew both of them well".
Als Sadat ein wenig später im persönlichen Gespräch mit Carter meinte, er glaube nicht, daß Begin am Frieden wirklich interessiert sei, ergriff Carter trotz Begins Abwesenheit dessen Partei und hielt folgendes Plädoyer:
"Mr.President, Begin is a tough and honest man. In the past he has been quite hawkish. He sees his proposal as a starting point, and he has been quite forthcoming, compared to other leaders of Israel who preceded him. His present control over the Sinai was derived from wars which Israel did not start. That is Begins perspective. Thus he feels that he has been very cooperative with his proposals. On the settlements, Begin sincerely wants them to continue. One of his goals is to isolate Gaza from the Sinai, with the settlements as a buffer. Since you have now promised not to let major military forces go beyond the passes to threaten Israel, there is no longer a legitimate reason for him to maintain the settlements. We do not agree with him and he knows it, but so far he persists. It is extremely painful for him to change his position on these settlements. On the airfields, the Israelis want some arrangement for transitional control, and I believe this should be worked out. I myself will try to devise an acceptable formula for the West Bank".
Man sieht an dieser Passage, daß Carter versuchte, Begins Absichten zu erklären, ihn gleichzeitig vor dem Vorwurf mangelnder persönlicher Integrität zu schützen, bei Sadat Geduld einzumahnen und gleichzeitig Zuversicht zu wecken, daß der Frieden immer näher rückt. Diese Vorgangsweise ist umso lobenswerter, als sich Carter selbst des Eindrucks nicht erwehren konnte, daß Begin die Gespräche blockierte, woran er weder in den persönlichen Gesprächen mit Begin, noch in seiner Autobiographie einen Zweifel ließ. Aber Sadat in diesem Eindruck auch noch zu bestärken, hielt er für nicht zielführend.
Nicht nur verteidigte Carter die beiden gegeneinander, er versuchte auch Verständnis für die Position des jeweils anderen zu erwecken. Er wies Sadat in privaten Gesprächen immer wieder darauf hin, wie wichtig es für sie beide sei, die Haltungen der israelischen Seite zu verstehen. Er versuchte auch, in Sadat ein solches Verständnis zu wecken. Die Autoren des Harvard-Konzepts betonen immer wieder, wie wichtig das Verständnis für die Interessen des Verhandlungspartner ist - man muß seine Meinung ja nicht teilen, aber man soll sie verstehen. Denn nicht nur vergrößert man dadurch seine Verhandlungsmacht, sondern man macht sehr oft eine Einigung wahrscheinlicher. Denn wenn man die Interessen des anderen versteht, kann man nach Wegen suchen, sie mit den seinigen unter einen Hut zu bringen. Im konkreten Fall heißt das: Israels wollte Sicherheit, Sadat wollte die besetzten Gebiete zurück. Israel wollte sie aber nicht zurückgeben, weil es das Land als Garant für seine Sicherheit ansah - als Puffer sozusagen. Nun kann man aber beide scheinbar unterschiedliche Interessen vereinbaren, indem Israels Truppen sich von der besetzten Sinai-Halbinsel zurückziehen, diese im Gegenzug aber demilitarisiert wird. Nun kann der eine sein Land bekommen, der andere seine Sicherheit. Diese Situation erinnert frappant an das berühmte Orangen-Beispiel des Harvard-Konzepts.
Carter sah seine Aufgabe auch darin, Mißverständnisse zwischen den Parteien zu beseitigen. Denn diese waren geeignet, das ganze Verhandlungsklima zu trüben. Ein Beispiel soll dies illustrieren. Sadat hatte bei seinem Auftritt in Jerusalem versprochen, daß keine ägyptischen Truppen eine bestimmte Linie am Sinai überschreiten werden. Israel war aber der Ansicht, daß es solche Truppenbewegungen gab; Begin lastete Sadat diesen wirklichen oder vermeintlichen Wortbruch an. Sadat reagierte auf dieses Mißtrauen beleidigt. Er hätte Wort gehalten, sagte er in den Verhandlungen. Als er von solchen Truppen sprach, meinte er nämlich nicht diejenigen Truppen, die zur Aufrechterhaltung einer minimalen Sicherheit in den jeweiligen Gebieten dienen, sondern natürlich eine Invasionsarmee, die Israel gefährlich werden könnte. Eine solche hätte besagte Linie nicht überschritten; also hätte er Wort gehalten. Carter gab Sadat ein Forum, um solche und ähnliche Mißverständnisse auszuräumen, die dem gegenseitigen Vertrauen im Weg standen.
Carter versuchte auch, die beiden einander näher zu bringen, indem sie alle gemeinsam etwas unternahmen. Es geschah im Laufe der Verhandlungen, daß die Isolation von Camp David mit der Zeit schon bedrückend zu werden drohte; und trotz der Schönheit der Parks und Häuser war die künstliche Umgebung doch ein wenig monoton. Sobald er dies merkte, organisierte er einen gemeinsamen Ausflug ins nahe gelegene Gettysburg, wo die berühmte Schlacht im amerikanischen Bürgerkrieg gekämpft worden war. Bei dem Ausflug wurde die Regel gemeinsam bekräftigt, daß es auch diesmal keine Statements gegenüber der Presse geben sollte. Carter war überrascht festzustellen, daß die militärischen Führer sowohl in der israelischen, als auch der ägyptischen Delegation die Schlacht von der Militärakademie her kannten. Die Politiker, besonders Begin, waren mehr an der berühmten Rede Lincolns interessiert, die er im Anschluß an die Schlacht gehalten hatte. Auf jeden Fall überwand man das Gefühl, daß einem die Decke auf den Kopf fällt, ein Gesprächsthema hatte man auch und man kam einander näher.
Übrigens hatte dieser Ausflug nicht nur einen guten Effekt auf die Beziehung Begin - Sadat, sondern noch mehr auf die Beziehung Sadat - Carter. Darauf deutet hin, daß viel später Sadat Carter auf diesen Ereignis ansprach.
"Sadat made one interesting observation. Since our visit to Gettysburg he had been thinking that I, as a Southener, could understand what it meant to be involved in a terrible war, and also knew how difficult it was to rebuild both the material things and the spirit of the people after a recognized defeat. He had observed how long it had taken the wounds of our war in Vietnam to be finally healed with my election, and his hope was to encourage all people in the Middle East to heal their hurt and hatred and to move confidently toward an era of peace".
Man sieht also, daß Sadat - aufgrund des Ausflugs - mehr Vertrauen zu Carter gefaßt hat, weil er meinte, dieser würde mit dem ägyptischen Volk eine ähnliche historische Erfahrung teilen. Die angeblichen Worte Sadats von den durch Carters Wahl geheilten Wunden von Vietnam kaufe ich Carter übrigens nicht ab. Ich glaube, da wollte er in seiner Autobiographie ein wenig Eigenwerbung betreiben. Oder Sadat hat es tatsächlich so gesagt, dann hat er aber Carter ganz schön "eingeseift" und dem amerikanischen Präsidenten ein Kompliment gemacht, das dieser gerne hörte. Dann hätte Sadat eine vertrauensbildende Maßnahme gesetzt.
Einen positiven Effekt auf die Verhandlungen und eine zeitweise Auflockerung der Fronten - die sich freilich alsbald wieder verhärteten, brachte auch folgendes Ereignis, das mir bemerkenswert erscheint: Zu Beginn der Verhandlungen tauchte die organisatorische Frage nach dem freien Tag auf. Nun verhielt es sich so, daß Carter, Sadat und Begin unterschiedlichen Religionen anhingen, alle drei waren übrigens durchaus gläubige Menschen. Bei den Moslems gibt es neben den fünf täglichen Gebeten am Freitag zusätzliche Gottesdienste, bei den Juden wird der Sabbath heilig gehalten, bei den Christen der Sonntag. Alle drei Tage freizugeben war aber nicht zweckmäßig (man kann sich nicht bei dermaßen wichtigen Verhandlungen die halbe Woche freinehmen). Ohne viel Aufsehen darum zu machen, gaben Carter und Sadat aus freien Stücken nach und einigten sich darauf, daß am Samstag, also am Sabbath, die Arbeit ruhen sollte (wohl auch, weil alle wußten, daß das Judentum diesbezüglich die strengsten Regeln vorsah). Der sonst so steife Begin reagierte auf dieses unerwartete Zugeständnis fast gerührt - er hatte sich eigentlich darauf eingestellt, für seinen geliebten Sabbath kämpfen zu müssen.
"Begin seemed grateful that we would refrain from negotiating on his Sabbath. He said with some emotion that we needed to start a new page and forget disagreements".
Obwohl sich dieses Entgegenkommen zufällig ergeben zu haben scheint, frage ich mich, ob es nicht auch bewußt bei der interkulturellen Mediation umgesetzt werden könnte. Wenn man mit einem Menschen aus einer anderen Kultur verhandelt, könnte man doch, wenn sich die Gelegenheit ergibt, sich in einer bestimmten Frage an die Gebräuche seiner Kultur anpassen, bei den freien Tagen etwa oder beim Essen. Nicht nur kann man auf diese Art eine andere Kultur besser kennen- und verstehen lernen (was faszinierend ist), man setzt auch ein Zeichen des Entgegenkommens, das möglicherweise die Verhandlungen an anderen Punkten erleichtert.
Vertrauensbildende Maßnahmen: Carter - Sadat
Schon bevor die Verhandlungen von Camp David begannen, verband Carter und Sadat ein Gefühl der Freundschaft. In der Zeit der Isolation von Camp David pflegten sie ihre Freundschaft durch gemeinsame Aktivitäten. So sahen sie sich eines Abends gemeinsam einen Boxkampf von Muhammed Ali im Fernsehen an; Sadat war ein großer Fan von diesem. Sie versuchten auch, Ali gemeinsam telephonisch zu gratulieren; Carter bekam ihn aber erst an den Apparat, als Sadat schon im Bett war. Dies alles mag trivial klingen, ist aber in Wahrheit höchst wichtig. Ich selbst habe beobachtet, daß man mit gemeinsamen Aktivitäten und Interessen persönliche Beziehungen sehr verbessern kann. Carter zeigte sich auch sehr einfühlsam, in einer Zeit, als es sehr schlecht um die Verhandlungen stand und Sadat schon fast resignierte. In einem bewegenden Moment fragte er ihn, ob es etwas gäbe, was er persönlich für ihn tun könne, wenn sie jemals in der Lage sein würden, Frieden zu erreichen. Sadat antwortete, Carter müsse ihm versprechen, ihn gemeinsam mit seiner Frau einmal in Ägypten zu besuchen. Carter sagte zu. Ich glaube, daß es sehr geschickt war, diese Frage zu stellen. Denn sie weckte in dem Resignierenden noch einmal Hoffnung auf Frieden und drückte zudem Freundschaft und Zuneigung aus.
Vertrauensbildende Maßnahmen: Carter - Begin
Carter versuchte auch, zu Begin eine freundschaftliche Beziehung herzustellen. Dies gestaltete sich allerdings als sehr schwierig. Carter hatte den Eindruck - und er bringt diesen in mehreren Stellen seiner Autobiographie zum Ausdruck, daß Begin wenig Vertrauen zu ihm hatte. "It was soon to be obvious that Sadat seemed to trust me too much, and Begin not enough".
Nach Carters Einschätzung neigte Begin auch zu Scheinverhandlungen und dazu, mit verdeckten Karten zu spielen. Die ausweichende Antwort Begins auf einige an ihn gerichtete Fragen veranlaßte Carter einmal dazu, ihm einigermaßen wütend die Vertrauensfrage zu stellen.
"What do you actually want for Israel if peace is signed? How many refugees and what kind can come back? I need to know whether you need to monitor the border, what military outposts are necessary to guard your security. What else do you want? If I know the facts, then I can take them to Sadat and try to satisfy both you and him. My problem is with the issues that do not relate to Israelss security. I must have your frank assessment. My greatest strength here is your confidence - but I dont feel that I have your trust. What do you really need for your defense? It is ridiculous to speak of Jordan overrunning Israel! I believe I can get from Sadat what you really need, but I just do not have your confidence", meinte Carter im persönlichen Gespräch mit Begin, übrigens in Sadats Abwesenheit. Er wollte mit diesem eindringlichen Statement sicherlich erreichen, daß Begin einsieht, daß es für ihn selbst besser wäre, Carter seine wahren Absichten zu nennen, weil er sich dann für diese bei Sadat stark machen konnte. Es war ein Versuch Begin von seiner Strategie der verdeckten Karten abzubringen und ihn dazu zu bewegen, Carter seine wahren Ziele und Erwartungen darzulegen - Sadat sprach Carter gegenüber über seine Ziele von Anfang an sehr offen, wohl im Bewußtsein, daß der Mediator dann bewußt auf eine bestimmte Lösungen hinarbeiten kann, merkt, was erreichbar ist und was nicht, und ferner, daß dies allen Beteiligten hilft, Zeit zu sparen.
(Sadat bestand auf einer umfassenden Friedensregelung, wollte alles besetzte Land und die volle Souveränität auf dem Sinai zurück und dazu eine Autonomieregelung für die Palästinenser in möglichst allen besetzten Gebieten, ohne auf bestimmte Details zu bestehen. Zur Souveränität gehörte für ihn auch, daß alle zur Sicherung des besetzten Gebietes ins Land gebrachten israelischen Siedler den Sinai verlassen müssen. Im Gegenzug gab er Carter zu verstehen, daß er bereit war, Israel Sicherheitsgarantien wie demilitarisierte Zonen auf dem Sinai, volle Anerkennung und normale, friedliche Beziehungen, die auch diplomatische Kontakte beinhalten konnten, sowie freie Fahrt auf dem Suezkanal und allen anderen internationalen Wasserwegen, zuzugestehen. Auch die Wirtschaftsboykotte könnten enden. Begin hat Carter nie in dieser offenen Form seine Wünsche und Ziele, seine Einschätzungen, seine Möglichkeiten und Unmöglichkeiten dargelegt).
Wenn man jemandem die Vertrauensfrage stellt, legt man ihm auch nahe, einem das Vertrauen nochmals ausdrücklich auszusprechen und auch durch Taten unter Beweis zu stellen. Man riskiert freilich, unter Umständen das Mißtrauen ausgesprochen zu bekommen. Im vorliegenden Fall war dies aber unwahrscheinlich, denn wer - außer Jörg Haider - beleidigt schon ohne Notwendigkeit ein mächtiges, ausländisches Staatsoberhaupt? Wenn es außerdem tatsächlich keine Vertrauensbasis geben sollte, dann hat eine Mediation sowieso keinen Sinn - und vielleicht ist es dann gleich besser, man bricht sie ab. Auch Nadine Karsch betont als eine wichtigsten Eigenschaften des Mediators, daß er für alle Parteien annehmbar ist. Eine gewisse Vertrauensbasis ist unabdingbar.
Carter hat aber auch versucht, auf der Gefühlsebene zu Begin vorzudringen. Wie einfühlsam und gleichsam geschickt er dabei war, möchte ich an folgendem Beispiel illustrieren: Die Verhandlungen waren gerade in einer sehr schwierigen Phase, man könnte sogar sagen, sie waren vom Scheitern bedroht. Carter hatte Sadat zusagen müssen, ihm als Gegenleistung für manches Zugeständnis einen Brief zu schreiben, in dem die U.S.-Position zu Ost-Jerusalem dargelegt wurde - die der arabischen Position traditionell näher stand als der israelischen. Dieser Brief sollte keine neuen Ansichten enthalten, sondern nur eine Zusammenfassung der seit Jahren geäußerten sein (eigentlich war dieser Brief daher unnötig und kein wirkliches Entgegenkommen, aber Carter hat es in der Verhandlung geschickt als solches präsentiert). Nun erfuhren die Israelis aber davon und ließen verlautbaren, gar kein Abkommen in Camp David zu unterschreiben, wenn auch nur irgendein Brief an Sadat geschickt würde. Es war eine letzte kritische Situation, weil man bereits in den wesentlichsten Punkten Einigkeit erzielt hatte und die Friedensverhandlungen kurz vor dem Ziel an diesem Brief zu scheitern drohten.
Nun tat Carter folgendes: Es waren mehrere Fotographien von den drei Politikern gemacht worden, die sie als Andenken gegenseitig unterschrieben und austauschten. Begin hatte Carter gebeten, ihm für seine Enkel einige dieser Fotos zu unterschreiben, als Autogramm sozusagen. Carter setzte nun den gesamten bürokratischen Apparat der USA in Bewegung, um die Namen dieser Enkelkinder herauszufinden. Dadurch konnte er die Widmung persönlicher gestalten. Er brachte diese Fotos persönlich bei Begin vorbei. Als Begin die Namen seiner Enkel las, brach er in Tränen aus. Man stelle sich diese emotionale Situation vor: Begin verhandelte über Frieden, also über die Zukunft seines Landes, er hatte die Möglichkeit, durch einen Kompromiß einen langandauernden Krieg zu beenden, scheute diesen aber, weil dieser ihm schwer zu fallen schien. Dann wird er mit den Namen seiner geliebten Enkelkinder konfrontiert, über deren Zukunft er hier entscheidet. Diese Enkelkinder werden vielleicht einmal in einem neuen Krieg mit Ägypten sterben, wenn keine Einigung gefunden wird. Dabei steht man dem Durchbruch so nahe, man hat sich auf alle Punkte geeinigt, nur mehr die Ablehnung des amerikanischen Briefs stand noch im Weg. Carter hat nicht nur eine nette, persönliche Geste gesetzt, er zeigte Begin symbolisch auch folgendes: Denk doch an deine Enkelkinder, laß es nicht zu, daß ihre Zukunft zerstört wird, nur weil du den letzten Schritt nicht tust. Wie emotional die Reaktion des ansonsten so steifen und formellen Begin ausfiel, läßt sich am besten durch Carters Worte zeigen.
"I handed him the photographs. He took them and thanked me. Then he happened to look down and saw that his granddaughters name was written in top of it. He spoke it aloud, and then looked at each photograph individually, repeating the name of the grandchild I had written on it. His lips trembled, and tears welled up in his eyes. He told me a little about, and especially about the one who seemed to be his favorite. We were both emotional as we talked quietly for a few minutes about grandchildren and about war".
Man sieht, daß es gelungen ist, diese emotionale Verbindung herzustellen. Ich möchte übrigens nicht behaupten, daß Carter es nur aus Berechnung getan hat. Carter zeichnet sich dadurch aus, daß er zutiefst überzeugt war von moralischen Werten (das wird ihm auch von Historikern attestiert) und wirklich von ganzem Herzen Frieden im Nahen Osten wünschte. Teilweise ging er bei seiner Mediation nach Plan vor, teilweise intuitiv. Wenn er auf der Gefühlsebene ein wenig manipulierte, tat er dies auf "sympathische" Art, ich meine damit, in der Überzeugung, für alle, auch für Begin, damit das Beste zu erreichen. Carter überreichte Begin nach den Fotos übrigens auch noch eine neue Version des Briefes an Sadat mit dem Hinweis, er hätte einige Änderungen vorgenommen, und er wolle fragen, ob dieser Brief für Begin akzeptabel wäre. Begin meinte, er hätte nach den Änderungen nichts mehr dagegen einzuwenden. Carters Vorgangsweise zeigt seine Einsicht, daß bei Verhandlungen immer zwei Ebenen nebeneinander bestehen: Die Sach- und die Gefühlsebene; und daß für eine Einigung in der Sache letztlich oftmals auch das Gefühl entscheidend ist.
3.) Entschärfung der Spannungen
Im Zuge der langen und intensive Gespräche stellten sich oft beträchtliche Spannungen ein. Diese Spannungen zu entschärfen sah Carter als seine Hauptaufgabe. Dabei ging er sehr geschickt vor. Wie geschickt, möchte ich an folgendem Beispiel illustrieren.
Es war die Verhandlungsstrategie Sadats, den Israelis zunächst einen sehr aggressiven Forderungskatalog zu präsentieren. Gegenüber Carter ließ er allerdings durchblicken, daß er im Lauf des Gesprächs zu Kompromissen bereit war. Der starke Beginn war möglicherweise nötig, um die Israelis zu schockieren, damit sie später mit weniger Zugeständnissen zufrieden sind; vielleicht aber auch deshalb, weil mehrere Mitglieder von Sadats Delegation "Falken" waren, die er zumindest verbal zufrieden stellen mußte. (Manche Mitglieder Sadats Delegation waren radikale Moslems, die sich teilweise auch der PLO verschrieben hatten. Carter machte sich aus diesem Grund auch Sorgen um die Sicherheit von Sadat).
Die Gefahr dieser Strategie, und dies erkannte Carter wohl, war aber, daß Begin die Verhandlungen aufgrund dieser offenkundigen Provokation platzen lassen könnte. Also bereitete er Begin systematisch darauf vor, daß ihm Sadat zunächst aggressive Vorschläge präsentieren würde und versicherte ihm, daß dies für die Zukunft noch gar nichts bedeutete. "I told him quickly that Sadat would present him a very aggressive proposal and cautioned him not to overreact". Carter kannte das Papier, das Sadat Begin übergeben würde und wußte genauso wie Sadat, daß die darauf skizzierten Forderungen für Israel unannehmbar waren. Es erklärte, die Schuld aller vorhergehender Kriege läge bei Israel; die Israelis sollten sich aus allen besetzten Gebieten zurückziehen und zwar ohne Gegenleistung; ja, vielmehr sollten sie noch Schadensersatz für die Besetzung bezahlen und auch für das Öl, das sie aus dem Sinai gepumpt hatten; außerdem sollte Israel Ost-Jerusalem aufgeben; dann sollte ein Palästinenserstaat gegründet werden. Sadat übergab Begin auch tatsächlich dieses Papier. Dieser las es mit versteinerter Miene. Trotz der Beruhigungsarbeit, die Carter zuvor verrichtet hatte, bauten sich gewaltige Spannungen auf; es folgte minutenlanges, haßerfülltes Schweigen aller Beteiligten.
In dieser Situation entschloß sich Carter, einen Witz zu machen. So meinte er in Richtung Begin, wenn er dieses Dokument jetzt unterschriebe, würde er allen Verhandlern eine Menge Zeit ersparen. Daraufhin brachen sowohl Begin, aber auch Sadat (der nicht wirklich an die Annahme der vorgelegten Forderungen durch Israel glaubte) in ein herzliches Gelächter aus. Begin meinte, sicher nicht ohne Augenzwinkern, er wisse es zu schätzen, wie hart die Ägypter an diesem Dokument gearbeitet hätten. Und obwohl die durch Sadats Papier geweckten Spannungen später noch einige Male aufzubrechen drohten, hat es Carter mit seiner Schlagfertigkeit geschafft, die ernsthafte Situation ins Lächerliche zu ziehen und damit zu entschärfen.
4.) Informalität
"I had wanted to generate an atmosphere of informality from the beginning", berichtet Carter. Die Informalität der Gespräche war beabsichtigt, wahrscheinlich, damit die Gespräche offener und freier werden. Carter meinte so, eine Einigung besser möglich zu machen. Man darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen, daß die diplomatische Etikette - trotz ihrer zur Schau gestellten Höflichkeit - oft keinen anderen Zweck verfolgt, als die wahren Absichten der Gesprächspartner hinter unpersönlichen Ritualen zu verbergen. Carter versuchte, nicht zuletzt durch seine eigene Kleidung die Informalität auszudrücken. "I dressed informally, and whenever possible I ran, swam, rode bicycles, or played tennis to get some much-needed exercise". Begin freilich, und dies ärgerte Carter maßlos, war an einer solchen Informalität nicht interessiert, sondern hintertrieb Carters Absichten in gewisser Weise. Er trug Anzüge mit Krawatte, während die anderen im Sportgewand herumliefen. Er bestand auf der diplomatischen Etikette. Z.B. steht ja ein Staatsoberhaupt - zumindest formal - über dem Regierungschef. Sadat und Carter waren nun sowohl Staatsoberhäupter, als auch Regierungschefs, Begin war "nur" Regierungschef. Also bestand er darauf, daß Carter nicht zu seinem Haus kam, sondern er zu Carters Haus. Auf den ersten Blick erscheint dies sehr freundlich. Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber, daß nicht nur jeder Versuch, Informalität aufzubauen, empfindlich gestört wird, sondern es eigentlich nichts anderes heißt als: Komm ja nicht bei mir vorbei! Sadat waren solche Formalitäten egal, er war ausschließlich an Inhalten interessiert - natürlich an solchen, die für ihn günstig waren.
Schaffung von Erfolgsdruck
Als Caesar die römischen Truppen gegen die Helvetier in die Schlacht führte, ließ er alle Pferde wegbringen, damit ja keiner auf die Idee käme, er könnte im Falle einer sich abzeichnenden Niederlage einfach so davonreiten. Daß Caesar wie üblich siegte, muß nicht extra festgestellt werden. Philipp August, der französische König, ließ vor der siegreichen Schlacht von Bouvines die Brücken hinter seinen Truppen abbrechen, damit es nur mehr eines gab: Sieg oder Tod. Dies gab den Truppen den Motivationsschub, ihr Bestes zu geben.
Zwar führte Carter keinen Krieg, sondern befleißigte sich der viel ehrenwerteren Kunst, Frieden zu stiften. Dennoch erinnerte er mich in seiner Vorgangsweise ein wenig an die zuvor genannten Feldherren. Denn er wollte alle Beteiligten - einschließlich sich selbst - so weit in den Friedensprozeß verwickeln, daß diese, im Falle eines vorzeitigen Abbruchs der Gespräche, nicht ohne politischen Schaden und Reputationsverlust davongekommen wären.
Carter sorgte nicht nur dafür, daß diese Gespräche von den Medien wahrgenommen wurden, sondern weckte in der Öffentlichkeit auch Erwartungen. Ein Politiker wird sich hüten, solche zu enttäuschen und dann als Verlierer dazustehen. Er brachte Begin und Sadat dazu, gemeinsam mit ihm in Form eines Aufrufs an die Welt, für den Frieden zu beten und somit eindeutig vor der Welt das Ziel des Friedens zu verkünden.
"After four wars, despite vast human efforts, the Holy Land does not yet enjoy the blessings of peace.
Conscious of the grave issues which face us, we place our trust in the God of our fathers, from whom we seek wisdom and guidance.
As we meet here at Camp David we ask people of all faiths to pray with us that peace and justice may result from these deliberations".
Nicht nur wurde so das Ziel öffentlich definiert, es entstand, wie gesagt, ein Erfolgsdruck. Alle wären als Verlierer dagestanden, wenn keine Einigung erzielt wäre. Dadurch wollte Carter zweifelsohne - ob intuitiv oder bewußt - der Möglichkeit entgegenwirken, daß einer der beiden Verhandler die Gespräche absichtlich platzen läßt. Carter beschreibt diesen Erfolgsdruck selbst, wenn er meint: "Our efforts at Camp David were now prominent in the eyes of the world, and we did not want to fail".
Carter hat damit, um mit dem Autoren "Harvard-Konzepts" zu sprechen, die "Best Alternative To Negotiated Agreement", abgekürzt BATNA, verschlechtert. Die Harvard-Verhandlungsforscher meinen, daß jeder Mensch sich überlegt, was passiert, wenn die Verhandlungen kein Ergebnis erzielen. Je besser diese alternative für einen der Beteiligten ist, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, daß er das Scheitern der Verhandlungen herbeiführt. Man muß also, will man die Verhandlungen zu einem guten Ergebnis führen, die BATNA des anderen verschlechtern. Das definieren die Autoren des "Harvard-Konzepts" unter anderem als Verhandlungsmacht.
Ich glaube, daß Carter aber noch etwas anderes bezweckte, auch wenn er das so nicht schreibt. In diesem Gebet wird auf eine Gemeinsamkeit der drei Verhandelnden hingewiesen: Der Eingott-Glaube, der aus derselben historischen Wurzel und demselben geographischen Gebiet entspringt. Ich glaube, daß dies auch ein Versuch war, eine gemeinsame Vertrauensgrundlage zu finden. Durch gemeinsame Beschwörungen und Rituale wurden unter Menschen schon immer Gemeinsamkeiten gestiftet.
Carter erinnerte auch besonders Sadat immer wieder an die negativen Konsequenzen für ihn persönlich, wenn er die Gespräche einfach abbricht.
"I repeated some of the more telling arguments I had previously used at our meeting at the swimming pool. He would be publicly repudiating some of his own commitments, damaging his reputation as the worlds foremost peacemaker, and admitting the fruitlessness of his celebrated visit in Jerusalem. His worst enemies in the Arab world would be proven right in their claims that he had made a foolish mistake".
Dadurch, daß er Sadat immer wieder klar machte, was für einen Schaden dieser hätte, würden die Verhandlungen ohne Ergebnis abgebrochen, rettete Carter wahrscheinlich die Gespräche.
Kreative Lösungen
Die Autoren des Harvard-Konzepts weisen in ihrem Standard-Werk über erfolgreiche Verhandlungen ständig darauf hin, daß man unterschiedliche Interessen oftmals unter einen Hut bringen kann - man benötigt dazu nur viel Kreativität. Carter brachte eine solche in den Verhandlungen auf.
So ergab sich etwa ein Streit in der Sprachregelung: Als Sadat einmal von "Palästinensern" sprach, sprang Begin erbost auf und meinte, die Israelis seien auch Palästinenser, weil dies ihre rechtmäßige Heimat sei, Sadat müsse mit seiner Bezeichnung die palästinensischen Araber meinen. Nun brach ein Streit darüber los, ob man im Friedensvertrag die Palästinenser nun als Palästinenser oder als palästinensische Araber bezeichnen sollte. Carter schuf den rettenden Kompromiß: In der arabischen Fassung der Vereinbarung sollte von "Palästinenser", in der israelischen Fassung von den "palästinensischen Arabern" die Rede sein.
Eine weitere kreative Lösung bestand darin, daß man in Camp David nicht ein Abkommen unterzeichnete, sondern zwei: ein allgemeines über "Frieden im Nahen Osten" und ein zweites über den "Abschluß eines Friedensvertrags zwischen Israel und Ägypten".
Hacke beschreibt dies so: "In der zweiten Phase des Treffens von Camp David legte Carter beiden Seiten einen Verhandlungsvorschlag vor, der vermutlich Camp David vor dem Scheitern bewahrte: Carter erkannt, daß ein einziges Rahmenabkommen für Frieden im Nahen Osten, wie ursprünglich vorgesehen, nicht zum Ziel führen würde. Deshalb schlug er nun zwei Vereinbarungen vor: eine für die Gesamtregelung des Konflikts im Nahen Osten und eine andere über den Frieden zwischen Israel und Ägypten". Kleine Änderungen, die sehr formal anmuten, können in Wahrheit über den positiven Abschluß von Verhandlungen entscheiden.
Divide et impera
"...in Sadats case, the leader was much more forthcoming than his chief advisers, and in Begins case, the advisers were more inclined to work out difficult problems than was their leader". Also verhandelte Carter auf ägyptischer Seite mit Sadat, um die "Falken" in seiner Delegation zu umgehen. Auf israelischer Seite führte Carter auch intensive Gespräche mit Begins Assistenten, um diesen wiederum zu umgehen, oder um die israelischen Delegationsmitglieder dazu zu bringen, Begin, der selbst in vielem ein "Falke" war, umzustimmen. Teile und herrsche.
Neutralität als Partei der Fairneß
Eine klassische Mediation beruht darauf, daß sich der Mediator neutral verhält, und zwar in dem Sinn, daß er keinen der Verhandler auf unfaire Art bevorzugt. Er muß das Vertrauen beider Seiten genießen und auch die Interessen beider Seiten berücksichtigen. Es ist sehr schwer, diese Neutraltät aufrechtzuerhalten. Denn beide Seiten werden natürlich versuchen den Mediator für sich einzunehmen. Auch in Camp David wurden entsprechende Versuche gesetzt. So begehrte Begin Carter privat zu sprechen. In diesem Gespräch drängte er Carter, die USA mögen mit Israel ein Abkommen schließen, in dem festgestellt wird, daß keine wesentlichen Differenzen zwischen den USA und Israel bestehen, also die USA die israelische Position in den wichtigsten Fragen teilt.
"He pointed out that there had to be two agreements at Camp David; the most important was between the United States and Israel, and the other, of secondary importance but obviously also crucial, was between Israel and Egypt. The most important would have to come first. He wanted the world to know that there were no serious differences between Israel and the United States.
It was true that the relationship between our two nations was vital to Israel, but I also knew it was a good negotiating tactic by either Sadat or Begin first to reach an agreement with me and then to have two of us confront the third. Sadat had understood this strategy before he arrived at Camp David. Begin was just now beginning to realize the disadvantage of being odd man out".
Carter hat solche Versuche der Einvernahme zurückgewiesen. Er gab aber auch zu, seinen gesteigerten Einfluß als umworbener Bündnispartner genutzt zu haben, um ein Abkommen zu erreichen.
Jimmy Carter verstand aber Neutralität nicht so, daß man sich niemals einmischt. Der Mediator mischt sich alleine dadurch ein, daß er nach Standpunkten fragt, eigenständige Lösungsvorschläge unterbreitet und gute Rahmenbedingungen für die Verhandlungen schafft. Neutralität bedeutete für ihn auch nicht, daß der Mediator ein offensichtlich unfaires Verhalten eines Teilnehmers akzeptiert. Vielmehr war er auch bereit Partei zu ergreifen, aber nur dann, wenn er der Meinung war, daß Prinzipien der Fairneß verletzt wurden. Die Neutralität war in Carters Interpretation, die er durch sein Verhalten kundtat, eine Art "Partei der Fairneß".
Einige Beispiele: Während der Verhandlungen tobte ein Streit um die Anerkennung der UN-Resolution 242. In dieser Resolution ist der Plan für eine Friedensordung im Nahen Osten skizziert. Israel, heißt es dort, solle sich aus allen besetzten Gebieten zurückziehen, dafür soll ihm mit Sicherheitsgarantien wie demilitarisierten Zonen, Stationierung internationaler Friedenstruppen etc. entgegengekommen werden. Israel solle innerhalb seiner Grenzen anerkannt werden, außerdem wird von einem Recht gesprochen, innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen zu leben. Das Flüchtlingsproblem soll gelöst werden, auf den internationalen Wasserwegen soll freie Fahrt herrschen. Und dann, das ist der Kernpunkt, ist von der Unzulässigkeit des Gebietserwerbs durch Krieg die Rede ("inadmissibility of the acquisition of territory by war"). In einer weiteren Resolution, der Resolution 338 wird die Implementierung der Resolution 242 gefordert, ferner eine Unterlassung der Kampfhandlungen.
In der Diskussion begab es sich, daß sich Begin auf einmal weigerte, in einem Friedensvertrag einen Verweis auf die Resolution 242 zu akzeptieren. Er akzeptierte die Formulierung der Unzulässigkeit des Gebietserwerbs durch Krieg nicht. Er meinte, daß im Falle, daß ein Staat der Angegriffene ist, er das Recht besitzt, seine Grenzen zu verändern - ein Ansicht, die höchstens seine Privatmeinung, völkerrechtlich aber eindeutig falsch ist. Dazu kam noch, daß die israelische Regierung die Resolution zuvor anerkannt hatte - und nun, mitten in den Verhandlungen, nicht mehr dazu bereit war. Carter fand für dieses Vorgehen harte Worte: "Do you reject United Nations Resolution 242? Your definition of its meaning is biased. To delete this phrase would mean that we have no basis for negotiation now or in the future. What you say convinces me that Sadat is right - what you want is land!". Und er fuhr fort: "This is not the time to beat around the bush. If you had openly disavowed United Nations Resolution 242, I would not have invited you to Camp David nor called this meeting...Maybe this is why you havent had peace for eleven years. So far tonight, all your suggestions have been to delete parts of the United Nations Resolution. Israel has repeatedly endorsed 242, but now you are not willing to respect the language. If you dont espouse 242, it is a terrible blow to peace".
Als Sadat in den Verhandlungen den Gaza-Streifen als von Israel "erobertes Gebiet" bezeichnete und meinte, es sei nicht zulässig, wenn Israel Souveränität über dieses Gebiet beanspruchte, konterte Begin mit dem Hinweis, daß der Gaza-Streifen einst von Ägypten erobert wurde. Darauf schaltete sich sich Carter ein und verwies darauf, daß Ägypten auch keine Souveränität über Gaza beanspruchte.
Ein weiterer Streitpunkt waren die Autonomiebestimmungen für Gaza und Westbank. Israel erklärte sich bereit, Truppen zurückzuziehen und auch die Militärregierung abzusetzen. Begin wollte den Einwohnern dieser Gebiete auch "volle Autonomie" gewähren. Was allerdings unter Autonomie zu verstehen sei und wie weit Autonomie geht, darüber brach ein heftiger Streit aus. Im Laufe der Diskussion stellte sich heraus, daß sich Israel ein Vetorecht gegen alle von den Einwohnern getroffenen Entscheidungen sichern wollte. Carter wies darauf hin, daß von einer Autonomie eines Gebietes keine Rede sein kann, wenn die Zentralgewalt ein solch umfassendes Vetorecht besitzt. Denn dann könnten die Bewohner ja erst keine Entscheidung ohne die israelische Regierung treffen; Autonomie bedeutet aber ihrem Wesen nach, daß ein gewisser Entscheidungsspielraum besteht. Carter meinte, der israelische Vorschlag würde nach einem Vorwand klingen und kein stolzer Araber würde ihn akzeptieren.
Es fällt auf, daß Carter öfter Partei für Sadat ergriff als für Begin. Das liegt meiner Meinung aber weniger an einer unfairen Form von Parteilichkeit (obwohl er Sadat zweifellos persönlich sympathischer fand - woran er in seiner Autobiographie keinen Zweifel läßt), sondern eben daran, daß Begin öfter "Verhandlungstricks" anwendete, die man bei erster, oberflächlicher Betrachtung oft als "schikanös" betrachten könnte. Bei näherem Ansehen kommt man allerdings dahinter, daß Begin auch nur das Beste für sein Land wollte - spätestes die oben beschriebene Szene mit den Fotos für die Enkelkinder muß jeden davon überzeugen. Daß er der arabischen Seite mit sicherlich nicht unberechtigtem Mißtrauen entgegentrat, kann man ihm auch nicht verübeln - noch dazu, wenn man in Rechnung stellt, daß es Sadat war, der die arabischen Offensiven des Jom-Kippur-Kriegs plante, die zeitweise erschreckend erfolgreich waren und bei denen tausende israelischen Soldaten ihr Leben lassen mußten. Letztendlich war Israel eigentlich sehr kompromißbereit, wie man an den Ergebnissen der Camp David-Vereinbarungen sehen kann. Man darf in diesem Zusammenhang übrigens nicht vergessen, daß Begin die beste BATNA hatte; während Sadat und Carter sich schon sehr für den Friedensprozeß engagiert hatten und ein Scheitern der Verhandlungen für beide einen großen Ansehensverlust nach sich gezogen hätte, wäre für Begin der Schaden nicht so groß gewesen; er hätte sich nachher immer als beinharter Verfechter der Interessen Israels darstellen können, der eben keine faulen Kompromisse macht. Carter hätte seinen innenpolitischen Gegnern Munition geliefert; Sadat, der sich vor allem durch seine Reise nach Jerusalem im gesamten arabischen Lager isoliert hatte, wäre durch ein Scheitern der Gespräche weiterhin als Verräter in der arabischen Welt dagestanden, hätte aber gleichzeitig nicht die Früchte eines dauerhaften Friedens mit Israel ernten können.
Kampf gegen den einseitigen Abbruch
Nach einem gewaltigen Streit zwischen Begin und Sadat, nach dem eine weitere Einigung unmöglich erschien, warf Carter seine gesamte Autorität in die Waagschale, um den Abbruch der Gespräche zu verhindern. "I urged them not to break off their talks, to give me another chance to use my influence and analysis, to have confidence in me. Begin agreed readily. I looked straight at Sadat; finally, he nodded his head. They left without speaking to each other".
In einem anderen Fall drohte die Situation wieder kritisch zu werden. Am elften Verhandlungstag, zwei Tage vor der Einigung, kamen Carters Berater mit der Nachricht zu ihrem Präsidenten, daß Sadat die Gespräche verlassen will, seine Sachen schon gepackt hat und der Helikopter wartet. Carter reagierte prompt. Er zog sich formell an, ging zu Sadat und bat ihn um ein Gespräch unter vier Augen. Dort redete er ihm ziemlich eindringlich ins Gewissen. "I explained to him the extremely serious consequences of his unilaterally breaking off the negotiations: that his actionwould harm the relationship between Egypt and the United States, he would be violating his personal promise to me, and the onus for failure would be on him. (...) I told him it would damage one of my most precious possessions - his friendship and our mutual trust". Dann führte Carter ihm noch vor Augen, daß seine ärgsten Feinde in der arabischen Welt, die schon seinen Besuch in Jerusalem kritisiert hatten, triumphieren würden. Sadat würde auch seinen Ruf als Friedensstifter verlieren. Carter argumentierte also einerseits mit persönlichen Beziehungen (Freundschaft, Versprechen), andererseits aber mit realpolitischen Argumenten. Er war dabei so überzeugend, daß Sadat bis zum Ende blieb.
Shuttle-Mediation und Ein-Text-Verfahren
Begin und Sadat saßen in diesen dreizehn Tagen nur dreimal zusammen am Verhandlungstisch. Diese direkten Gespräche waren eine Katastrophe: Sie endeten jedesmal in einem unfruchtbaren Streit. Daher blieben schließlich beide getrennt; Carter ging zuerst zum einen, danach zum anderen; er war ein Pendler zwischen den beiden Parteien. Dies nennt man auch eine "Shuttle-Mediation". Sie ist oftmals der einzige Ausweg, wenn die Verhandlungspartner einfach keine Gespräche miteinander führen können.
Aber noch bemerkenswerter ist die von Carter angewandte Methode des "Ein-Text-Verfahrens", das eigentlich im Rahmen des Harvard-Konzepts entwickelt wurde und in Camp David gute Dienste in der hohen Politik leistete.
Die Grundidee lautet folgendermaßen: Wenn zwei Parteien einander gegenüberstehen, miteinander feilschen und die Verhandlungen ziemlich festgefahren sind, nimmt eine dritte, unabhängige Partei zunächst die Anliegen beider auf. Dabei konzentriert sich der Mediator nicht so sehr auf die vordergründigen Positionen, sondern auf die dahinterliegenden Interessen. Als Beispiel wird im Harvard-Konzept der Streit eines Ehepaars um den Bauplan des neuen Hauses angeführt. Die Frau fordert einen Erker, der Mann einen Hobbykeller und eine Garage, die Frau will ein altmodisches Haus mit Kamin, der Mann aber ein modernes Haus. Nun kommt ein unparteiischer Architekt dazu, der in diesem Konflikt mediiert. Er zwingt niemanden zur Aufgabe seiner Positionen, aber er erkundigt sich über die Interessen. Er fragt, warum die Frau einen Erker möchte, ob Morgen- oder Abendsonne hereinfallen soll. Er fragt den Mann, wozu er seine Garage und seinen Hobbyraum denn braucht, ob er dort Besuch empfangen will oder nicht und was er dort wie lange lagern möchte.
Nachdem diese detaillierten Informationen eingesammelt sind, versucht der Mediator, ein Abkommen auszuarbeiten, das noch für niemanden bindend ist und vorläufigen Charakter hat und in dem er versucht, möglichst alle Punkte zu berücksichtigen. Um beim vorher genannten Beispiel zu bleiben: Der Architekt zeichnet einen vorläufigen Plan, der möglichst viele Interessen berücksichtigt. Dann legt der Mediator den Streitparteien den Plan vor und bittet um Rückmeldung und Kritik. Im Falle unseres Ehepaares wird der Mann vielleicht sagen: "Bad und Schlafzimmer liegen zu weit auseinander" und die Ehefrau wird ähnliche Kritikpunkte äußern.
Nach fünf oder sechs Durchgängen wird ein Abkommen vorliegen, das schon sehr viele Kritikpunkte berücksichtigt und viele Interessen zufriedenstellt. Irgendwann wird die Zeit kommen, da der Mediator den beiden Parteien mitteilt, er habe sein Bestes getan, es läge ein konkreter Plan vor, der vielleicht nicht perfekt, aber doch ein guter Kompromiß ist - und empfiehlt ihn zur Annahme. Die Parteien müssen dann nur noch "Ja" sagen.
Diese Methode hat den Vorteil, daß ein konkreter Plan vor den Augen der Parteien Gestalt annimmt. Dieses Abkommen vereint tatsächlich viele gegensätzliche Interessen, bei jedem Durchgang ein wenig mehr. Ein weiterer Vorteil ist, daß sich jeder zumindest vom Mediator verstanden fühlt und niemand in seinem Selbstwertgefühl gekränkt wird. Es muß auch niemand seine Interessen direkt aufgeben. Zuletzt liegt auch ein unterschriftsreifer Vertrag vor; und die Parteien müssen ihm nur noch zustimmen. Das ist einfacher, als wenn sie jede Formulierung der Einigung erst gemeinsam ausarbeiten müssen.
Carter benutzte diese Methode ausgiebig. Er arbeitete Vertragsentwürfe aus, legte sie den beiden Parteien vor und nahm ihre Änderungswünsche auf. Am Schluß nahm der konkrete Entwurf immer mehr Gestalt an und wurde letztlich akzeptiert. Im Falle von Camp David muß man noch hinzufügen, daß nach Carters Angaben Begin auch hier der schwierigere Verhandler war. Carter beschrieb seinen Tagesablauf so: Er arbeitete einen Entwurf ab, ging zu Sadat, dieser nickte den Entwurf ab oder bat um eine kleine Änderung, was einige Minuten in Anspruch nahm. Dann ging er zu Begin und verbrachte viele Stunden damit, unter Verwendung von Wörterbüchern und Büchern mit Synonymen den Entwurf so zu ändern, daß Begin zustimmte. Über allfällige Änderungen informierte er Sadat gar nicht, wohl auch, weil sich dieser für kleinliche Wortklaubereien nicht interessierte.
Das Ergebnis des Ein-Text-Verfahrens kann sich letztlich sehen lassen. Es bringt offenbar Ergebnisse, wenn die Politik bereit ist, Anregungen der Wissenschaft aufzunehmen. Vielleicht liegt auch in dieser Bereitschaft ein Geheimnis für eine gute Mediation.
Ergebnisse von Camp David
Im Anschluß an die Verhandlungen von Camp David wurden am 17. September 1978 zwei Abkommen unterzeichnet, nämlich ein "FRAMEWORK FOR PEACE IN THE MIDDLE EAST" und ein "FRAMEWORK FOR THE CONCLUSION OF A PEACE TREATY BETWEEN EGYPT AND ISRAEL". Auf beide beruft sich schließlich der am 26.März 1979 geschlossene Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel, der die Vereinbarungen von Camp David umsetzt und nochmals niederschreibt.
Mehrmals wird festgestellt, daß die beiden UNO-Resolutionen 242 und 338 die Basis für Frieden im Nahen Osten, der Beilegung von Konflikten zwischen Israel seinen Nachbarn und der künftigen Verhandlungen und Friedensverträge sind. Auch auf den Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten findet die Resolution 242 in all ihren Prinzipien Anwendung. Ägypten und Israel entsagen ferner der Androhung und Anwendung von Gewalt und sind bereit, alle künftigen Konflikte friedlich zu lösen. Ein Friedensvertrag wird binnen drei Monaten nach Unterzeichnung des entsprechenden Frameworks abgeschlossen. Es besteht Einigkeit, daß Ägypten volle Souveränität über den Sinai bis zur international anerkannten Grenze ausübt. Israels Truppen müssen sich hinter diese Grenze zurückziehen. Die von Israel errichteten Flugfelder werden ausschließlich für zivile Zwecke benutzt.
Im Gegenzug wird ein Ende der Wirtschaftsboykotte vereinbart; unter diesen hat besonders Israel sehr gelitten. Die Fahrt auf internationalen Wasserwegen (z.B. Suezkanal) wird israelischen Schiffen gewährt. Außerdem soll es "normal relations" zwischen Ägypten und Israel geben; was diese sind, wird genau definiert. Sie beinhalten neben der vollen Anerkennung auch diplomatische, wirtschaftliche und kulturelle Verbindungen sowie gesetzlichen Schutz der jeweiligen Bürger des anderen Staates. Dem Sicherheitsbedürfnis Israels wird entgegengekommen mit folgenden Regelungen: Auf ägyptischer Seite wird eine demilitarisierte Zone eingerichtet, mit einer Breite von 20 bis 40 Kilometern. In dieser Zone dürfen sich keine militärischen Kräfte aufhalten, nur eine zivile Polizei und internationale Truppen. Hinter dieser vollkommen demilitarisierten Zone befindet sich auf ägyptischer Seite ein weiteres Gebiet, auf dem sich nur eine genau definierte Höchstzahl von Truppen befinden darf. Auf israelischer Seite wird ebenfalls eine drei Kilometer breite Sicherheitszone mit einer Truppen-Obergrenze errichtet. Ferner werden an zwei Stellen UNO-Truppen stationiert: An einer Stelle im Norden, entlang der international anerkannten Grenze, und im Süden um das Gebiet von Sharm el Sheik (im Süden der Sinai-Halbinsel) zur Überwachung der freien Benutzung des Golfes von Eilat.
Was den Frieden zwischen Ägypten und Israel betrifft, können sich die beiden Abkommen von Camp David rühmen, ziemlich endgültige und dauerhafte Lösungen gefunden zu haben. Die Zeit war reif für einen Friedensvertrag zwischen den beiden Ländern; und es ist das Verdienst der Verhandler, diese Chance ergriffen zu haben. Der Friede zwischen Ägypten und Israel hat sich übrigens als dauerhaft erwiesen; er hält bis heute - ein Zeichen dafür, daß nicht nur ein scheinbarer, sondern ein wirklicher Interessensausgleich gefunden wurde. Auch die Garantie des Vertrags durch die USA verleiht ihm Stabilität.
Was das Palästinenserproblem betrifft, konnte keine endgültige Lösung gefunden werden. Mit den Camp David-Verhandlungen wurde aber trotzdem auch ein Schritt zur Lösung dieses Problems getan. Bezüglich der besetzten Gebiete Westbank und dem Gaza-Streifen einigte man sich über den Rückzug israelischer Truppen bzw. die Verlegung verbleibender Truppen "into specified security locations". Diese Gebiete erhalten "full autonomy". Was darunter zu verstehen ist, soll in nachfolgenden Verhandlungen geklärt werden. In Camp David wurde aber festgelegt, daß eine Autonomieregierung eingesetzt wird, deren Kontrolle auch Polizeistreitkräfte unterstehen, die aus Einwohnern der betreffenden Gebiete gebildet werden. Die Autonomieregierung wird demokratisch von den Einwohnern Gebiete gewählt. Nach Einsetzung der Autonomieregierung beginnt eine Übergangszeit von fünf Jahren; innerhalb dieser Zeit sollen Verhandlungen, basierend auf der UNO-Resolution 242, beginnen und auch zu einem Ergebnis geführt werden. Die Verhandlungen sollen den endgültigen Status der Gebiete klären. Das Abkommen stellt an verschiedenen Stellen fest, daß neben den legitimen Rechten der Palästinenser auch die Sicherheitsbedürfnisse Israels berücksichtigt werden müssen. Die Palästinenservertreter werden auf vielfältigste Weise in die Verhandlungen eingebunden (die PLO allerdings nicht). Für das Flüchtlingsproblem soll in Zukunft ebenfalls eine Lösung gefunden werden.
Man sieht hier also, daß viele Facetten des Palästinenserproblems, das ja trotz mancherlei Fortschritte durch die beiden Osloer Abkommen noch heute besteht, in Camp David vertagt wurden. Trotzdem brachte die Schaffung einer Autonomieregierung mit eigenen Polizeistreitkräften, der israelische Truppenabzug, die Einbindung der Palästinenser in künftige Verhandlungen und die Anerkennung der UNO-Resolution 242 auch für Westbank und Gaza gewisse Fortschritte (die nachfolgenden Verhandlungen wurden übrigens vielfach verschleppt). Zusammen mit der Erreichung eines dauerhaften ägyptisch-israelischen Friedensvertrags kann man die Verhandlungen von Camp David dennoch als einen historischen Schritt im Nahost-Friedensprozeß betrachten; ein Schritt, der ohne die engagierte und kompetente Mediation von Präsident Carter vielleicht nie getan worden wäre.
Literatur
Jimmy Carter: Keeping Faith. Memoirs of a President. London 1982
Roger Fisher, William Ury, Bruce Patton: Das Harvard-Konzept. Sachgerecht verhandeln - erfolgreich verhandeln. Frankfurt am Main u.a. (18.Auflage) 1999.
Christian Hacke: Amerikanische Nahost-Politik. Kontinuität und Wandel von Nixon bis Reagan. München 1985.
Nadine Karsch: Mediation in internationalen Konflikten. München 1998.
William B. Quandt: Peace Process. American diplomacy and the Arab-Israeli conflict since 1967. Washington, D.C. u.a. 1993.
Patrick Horvath: "Über Philosophie und Politik"
Kontakt
© 2000 Patrick Horvath