Patrick Horvath

1988

Ein österreichischer Kulturkampf im Gedenkjahr von "Anschluß" und "Reichskristallnacht"

 

Proseminar aus Österreichischer Regimelehre und Politik bei Herrn Dr.Manoschek, Sommersemester 1999, Universität Wien

 

1.Das Gedenkjahr

1988 sollte in Österreich eigentlich das Jahr des Gedenkens der nationalsozialistischen Verbrechen von einst werden. Fünfzig Jahre zuvor verzeichnen die Geschichtsbücher nämlich zwei für das Landes schicksalshafte und prägende Ereignisse.

1938 wurde Österreich vom Deutschen Reich besetzt, dabei von der übrigen Welt im Zuge der "appeasement policy" im Stich gelassen. Sieht man von ein paar südamerikanischen Staaten ab, protestierte kein Land gegen diesen völkerrechtswidrigen Vorgang. Freilich gab es auch in Österreich viele Sympathisanten der neuen Machthaber, wie z.B. beim triumphalen Empfang Hitlers in Linz oder dem heftigen Jubel bei seiner Rede am Wiener Heldenplatz zutage kam, wo hunderttausende Verblendete den "Anschluß" begrüßten.

Noch im selben Jahr wurde das ganze Reich, darunter auch die vormals österreichischen Gebiete, von der sogenannten "Reichskristallnacht" heimgesucht. Letzterer Begriff ist eigentlich Nazi-Jargon, man sollte ihn daher nur unter Anführungszeichen verwenden. In dieser Nacht fanden von der Obrigkeit geplante Pogrome gegen Juden statt, die allerdings auch viele uneingeweihte, fanatische Mitläufer und Mittäter aus dem einfachen Volk fanden. Jüdische Geschäfte wurden gestürmt und geplündert, Bethäuser und Synagogen angezündet, viele tausend Juden wurden mißhandelt, verhaftet oder gar getötet. Der Name "Reichskristallnacht" erklärt sich aus den zahllosen zersplitternden Fensterscheiben jüdischer Geschäfte und Häuser, die so mancher perverse Geist offenbar mit wunderschön glitzernden Kristallen assoziierte. Die sogenannte "Reichskristallnacht" gilt als ein Markstein der Geschichte des Holocaust. Massenvernichtungslager wie Auschwitz begannen sich dabei schon anzukündigen.

Vieles deutet darauf hin, daß im Gedenkjahr 1988 die Voraussetzungen für einen objektiven Diskurs über diese Ereignisse noch nicht gegeben waren. Es mangelte vielfach an der Bereitschaft, die Mitschuld vieler Österreicher an den damaligen Nazi-Greueln einzugestehen. Zu lange hatte man diese Frage ruhen lassen und verdrängt. Die offizielle Geschichtsschreibung der Zweiten Republik verfuhr nach der sogenannten "Opferthese". In der Moskauer Deklaration wurde Österreich verbürgt, das "erste Opfer" Nazi-Deutschlands gewesen zu sein, es wurde dort aber auch eine gewisse Mitschuld betont. Die Politik der Zweiten Republik zur Vergangenheitsbewältigung bestand bis vor kurzem noch hauptsächlich darin, ersteres zu betonen und zweiteres nach Möglichkeit zu verdecken.

Erst als man 1986 den österreichischen Bundespräsidentschaftskandidaten Dr.Kurt Waldheim mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit und seiner damaligen Rolle in der Deutschen Wehrmacht konfrontierte, wurde die Frage nach der Mitschuld Österreichs an den Verbrechen der damaligen Zeit zum öffentlichem Diskussionsthema. Bis dahin war eine offene Aufarbeitung der Vergangenheit nur schwer möglich gewesen. Lang Verdrängtes und Unterdrücktes begann in Österreich hervorzubrechen.

1988 wurde die damals aufgeflammte Diskussion um Waldheim heftigst wiederbelebt; in diesem Jahr legte nämlich eine Internationale Historikerkommission einen Bericht über die Vergangenheit des mittlerweile zum Bundespräsidenten gewählten Waldheim vor. Dieser Bericht sprach Waldheim zwar wohl von eigenhändig begangenen Kriegsverbrechen, keineswegs aber von einer gewissen moralischen Mitschuld frei. Und nun kam vieles zusammen: Das doppelte Gedenkjahr, die Aufregung um Waldheim und den Historikerbericht, dazu die bisher in Österreich mangelnde Aufarbeitung der eigenen NS-Vergangenheit. Diese Auseinandersetzung hätte man auch lieber weiterhin unterlassen zugunsten der nur einseitigen Feststellung, wir seien doch alle arme Opfer gewesen, was über die Beteiligung vieler Österreicher an den damaligen Kriegsverbrechen hinwegtäuscht.

In dieser gereizten Atmosphäre fanden zwei öffentliche Diskussionen statt, beide Male über ein kulturelles Thema. Sie zogen große mediale Aufmerksamkeit auf sich und wurden mit einer ungewohnten Heftigkeit geführt.

Es handelte sich dabei um die öffentlichen Debatten über Alfred Hrdlickas geplantes Mahnmal für den Albertinaplatz und Thomas Bernhards vor der Premier stehendes Theaterstück "Heldenplatz". Diese beiden Diskussionen zeigen nicht nur das damals angespannte gesellschaftliche Klima, sondern auch die in Österreich bestehenden Schwierigkeiten, mit dem Thema "NS-Vergangenheit" unvoreingenommen umzugehen. Ich glaube, es ist durchaus berechtigt, die beiden Diskussionen als "Kulturkampf" zu bezeichnen.

 

2.Alfred Hrdlickas "Mahnmal gegen Krieg und Faschismus"

Der Auftrag

1978 begann die Stadt Wien erstmals mit dem bekannten österreichischen Bildhauer Alfred Hrdlicka über die Anfertigung eines "Antifaschismus"-Denkmals zu verhandeln. Ursprünglich sollte es vor der Ruprechtskirche stehen, wo man allerdings eine Tiefgarage baute, weshalb Hrdlicka den Auftrag zurückgab. Hrdlicka erzählt, daß danach er und der damalige Wiener Kulturstadtrat Helmut Zilk nach einem anderen Platz für das Mahnmal suchten; gemeinsam gingen sie auf Stadtbesichtigung und entschieden sich schließlich für den Albertinaplatz als Ort für ein solches Denkmal.

Am 30.September 1983 beschloß der Wiener Gemeinderat mit den Stimmen aller Parteien die Errichtung eines Denkmals gegen Krieg und Faschismus durch Alfred Hrdlicka. Umstritten war später, ob im Gemeinderat damals auch die Entscheidung für den betreffenden Platz gefallen war, was einige bejahten, andere verneinten. Im Vertrag aber, den Hrdlicka kurz darauf mit Stadt Wien schloß, war der Albertinaplatz als Standort des Denkmals ausdrücklich erwähnt.

Dort, am Albertinaplatz, stand übrigens der Philipphof, der von einer Bombe zerstört wurde, wobei ca. hundert dort lebende Menschen ums Leben kamen.

Die Grundidee des Werkes

Alfred Hrdlicka beschreibt in einem ORF-Mittagsjournal vom 26.7.1988 die Grundidee seines Denkmals folgendermaßen (Grammatikfehler, die sich aus dem Wiener Dialekt oder aufgrund der mündlichen Präsentation ergaben, sind korrigiert):

"Die Stätte wird betreten durch das Tor der Gewalt. Das sind zwei Granitblöcke, 1 Meter 50 hoch jeweils. Auf diesen zwei Blöcken steht jeweils ein großer Block Carraramarmor asymmetrisch. 4 Meter 20 und 3 Meter 40. Die Blöcke stehen nur 90 cm auseinander. Wenn Sie’s betreten hat das etwas Beängstigendes, Zusammenstürzendes. Wenn Sie durch dieses Tor gehen, treffen Sie auf den straßenwaschenden Juden, der aus Bronze gegossen ist. Der ist nicht höher als 80 cm. Aus diesem unheimlichen Gefälle können Sie ermessen: Was ist der Einzelne gegen die Gewalt? Dann kommen Sie zu einem Stein, dem Kalkstein, 1 Meter 20 hoch. Dort verschwindet eine Figur in den Stein hinein, um zu zeigen, daß die Leute, die den Keller betraten, in Wahrheit in einer Art Hölle verschwanden. Wie wir wissen, hat es von unten tagelang Klopfzeichen gegeben. Doch die dort verschütteten Leute erstickten und verhungerten. (...) Und danach kommt noch ein großer Abschlußstein. Das ist ein aufgeschliffener Granit, in den die Unabhängigkeitserklärung vom 27.April 1945 hineingemeißelt ist. Österreich erklärte sich bereits für unabhängig, als das Deutsche Reich noch gar nicht kapituliert hatte. Ich empfinde es als entscheidenden Punkt, daß das Denkmal kein Negativ-Denkmal ist, ein schreckliches Denkmal, sondern daß der positive Ausblick auf die Zweite Republik auch gegeben ist."

Die politische und mediale Diskussion

Trotz des Jahre zuvor erfolgten einstimmigen Beschluß des Wiener Gemeinderates wurden Hrdlicka und sein Denkmal zum Mittelpunkt einer heftigen politischen und medialen Diskussion, die sehr emotional und kontroversiell geführt wurde. Dabei zeichnete sich auch eine parteipolitische Auseinandersetzung ab: Während SPÖ und Grüne bei ihrer Zustimmung blieben, schwenkten ÖVP und FPÖ um und traten plötzlich gegen das Mahnmal am Albertinaplatz ein.

Wie sehr der Streit um das Denkmal die Berichterstattung der österreichischen Medien dominierte, läßt sich anhand folgender Zahlen verdeutlichen: In den Monaten Juni bis Anfang August, am Höhepunkt der Diskussion also, meldeten sich in den wichtigsten Zeitungen zu diesem Thema insgesamt 49 verschiedene Politiker zweiundneunzigmal öffentlich zu Wort!

Einige Facetten der Diskussion:

Der Wiener ÖVP-Gemeinderat Robert Kauer trat gegen die Errichtung des Denkmals auf dem Albertinaplatz ein. Er begründete dies v.a. durch die Störung der Totenruhe der Bombenopfer. Er trat dafür ein, daß das Denkmal stattdessen am Morzinplatz errichtet werden sollte.

Am 10.2. bestritt der Kultursprecher der ÖVP und damalige Vizebürgermeister Erhard Busek, jemals seine Zustimmung für das Denkmal gegeben zu haben. Diese Aussage ist unwahr, denn der Wiener Gemeinderat entschied damals einstimmig für den Bau, u.a. auch mit seiner Stimme. Er schlug vor, das Denkmal anstatt auf dem Albertinaplatz auf dem Morzin- oder Schwarzenbergplatz aufzustellen.

Am 5.7. nahm ein Rechtsgutachten, das im Auftrag des damaligen Wissenschaftsministers Tuppy (ÖVP) erstellt wurde, negativ zum Denkmalbau Stellung. Von namhaften SPÖ-Politikern gingen daraufhin heftige Polemiken bzw. sogar Rücktrittsaufforderungen gegen Tuppy ein.

Jörg Haider, Obmann der FPÖ, unterstellte Hrdlicka, faschistische Ideen zu unterstützen. Das ist nur insoferne richtig, wenn man Kommunismus und Faschismus gleichsetzt (diese Gleichsetzung ist aber historisch fragwürdig). Hrdlicka ist Kommunist, Haider sprach ihm daher das moralische Recht ab, ein Mahnmal für die Opfer des Holocaust zu schaffen.

Die Politiker der ÖVP und FPÖ blieben der Einweihung des Denkmals (am 24.11.1988) aus Protest fern.

Kritik an Hrdlickas Denkmal - ohne rechtsextreme Motivation

In der damaligen Diskussion wurden vielfach alle Gegner von Hrdlickas Denkmal ins "rechte Eck" gestellt. Ihnen wurde häufig unterstellt, mit faschistischen oder antisemitischen Ideen zu sympathisieren oder diese - wissentlich oder unwissentlich - zu fördern. Und es ist durchaus nicht ausgeschlossen, daß der Vorwurf damals auf manchen Kritiker und Gegner Hrdlickas zutraf. Es muß aber aus heutiger Perspektive auch möglich sein, Kritik zu üben, ohne diesem Vorwurf automatisch ausgesetzt zu werden.

Zunächst einmal stellt sich die Frage, warum es damals keine Ausschreibung und keinen Wettbewerb für diesen doch gewichtigen öffentlichen Auftrag gab. Wäre dies nicht das eigentlich korrekte Verfahren?

Viel wichtiger sind aber mögliche Kritikpunkte an der künstlerischen Umsetzung des Themas durch Hrdlickal. Im Mahnmal wird z.B. der gequälten und getöteten Juden und der Bombenopfer des Philipphofes gleichermaßen gedacht. Können sich mit dieser Gleichsetzung nicht alle (Angegriffene und Angreifer) als bloßes Opfer sehen? Ist Hrdlickas Denkmal nicht eine Hymne auf die oben besprochene österreichische Opferthese?

Die Diskussion - ein Stellvertreterkrieg?

Wie dem auch sei, die damalige Diskussion war von diesen berechtigten Fragen eigentlich nicht berührt. Sie drehte sich vielmehr um die Frage, ob das Denkmal auf dem Albertina- oder einem anderen Platz aufgestellt werden sollte. Nur manchmal gab es Kritik an der Person des Künstlers. Argumente, die Ästhetik oder künstlerische Umsetzung der Problematik behandelten, wurden praktisch überhaupt nicht erwähnt. Obwohl nur über eigentlich bedeutungslose Inhalte debattiert wurde (Ist es nicht im Grunde egal, auf welchem Platz das Denkmal steht?), zeichnete sich die Debatte durch eine erstaunliche emotionale Heftigkeit aus.

Und genau dieses Mißverhältnis zwischen der Bedeutungslosigkeit der diskutierten Inhalte und der Emotionalität der Debatte wirft die Frage auf:

Könnte es nicht sein, daß der wahre Grund für die heftige Diskussion war, daß viele Zeitgenossen das sie an eine unangenehme Vergangenheit erinnernde Denkmal eigentlich gar nicht wollten, es sich aber nicht zu sagen trauten, um nicht als Nazis abgestempelt zu werden? Und aus diesem Grund eine Diskussion führten, die eine Art "Stellvertreterkrieg" war?

 

3.Thomas Bernhards Stück "Heldenplatz"

Die Medienkampagne

Das Stück "Heldenplatz" war eine Auftragsarbeit des Burgtheaters an den berühmten österreichischen Dichter Thomas Bernhard, mit dem das hundertjährige Bestehen der Bühne befeiert werden sollte. Es war im Gedenkjahr 1988 naheliegend, daß dieses Stück das Thema Nationalsozialismus in irgendeiner Form thematisieren würde.

Der Text wurde bis zur Premier streng geheimgehalten. Dennoch veröffentlichte das Nachrichtenmagazin profil einige Stellen aus dem Stück. Diese veröffentlichten Stellen enthielten sicherlich ganz besonders provokante und österreichkritische Passagen; es muß aber betont werden, daß sie aus dem Zusammenhang des Stückes gerissen waren, was möglicherweise auch gewisse Mißverständnisse provozierte. Dort hieß es zum Beispiel:

"Die Zustände sind ja wirklich so / wie sie achtunddreißig gewesen sind / es gibt jetzt mehr Nazis in Wien / als achtunddreißig / jetzt kommen sie wieder / aus allen Löcher heraus / die über vierzig Jahre zugestopft gewesen sind / du brauchst dich ja nur mit irgendeinem zu unterhalten / schon nach kurzer Zeit stellt sich heraus / es ist ein Nazi..."

Sehr bald entwickelte sich aus dieser Veröffentlichung ein Skandal und eine heftige Medienkampagne, die ganz besonders von der Neuen Kronenzeitung und der Wochenpresse entfacht wurden, die sich dieses Themas angenommen hatten. Es wurden weiter aus dem Zusammenhang gerissene Zitate veröffentlicht; der große Kontext war aber nach wie vor unbekannt - das Stück als Ganzes wurde noch immer geheimgehalten.

In der Kronenzeitung war es neben vielen anderen der Starkolumnist Richard Nimmerrichter ("Staberl"), der heftigst gegen die Aufführung des Stücks protestierte. Vom 8.Oktober bis zum 4.November (dem Tag der Premiere) schrieb er nicht weniger als sechs Kolumnen gegen das Stück; auch andere Kolumnisten äußerten sich in ähnlicher Weise. Darüberhinaus wurden ganze drei Titelseiten mit balkendicken Schlagzeilen dem wirklichen oder angeblichen Skandal gewidmet.

Die Kampagne der Neuen Kronenzeitung ging dabei sehr weit, vielen sogar zu weit. Nicht nur äußerte sich das Blatt einseitig und emotional, auch gab es eine in mancherlei Hinsicht bedenkliche Werbekampagne der Zeitung. So ließ man in ganz Wien Werbeplakate affichieren, die eine Fotomontage des brennenden Burgtheaters zeigten. Darunter stand unter anderem der Slogan: "...uns ist nichts zu heiß!" Das Bedenkliche an dieser Kampagne war vor allem, daß diese Plakate ein paar Tage vor dem 50.Gedenktag der sogenannten "Reichskristallnacht" erstmals auftauchten. In dieser Nacht standen jüdische Bethäuser und Synagogen in Flammen; das Feuer wurde im Zuge des als Volkszorn getarnten "Nazi-Pogroms" gelegt. Nun wurde das brennende Burgtheater gezeigt, kurz vor diesem Tag, und zwar, weil sich ein dort gespieltes Theaterstück kritisch zum österreichischen Antisemitismus geäußert hatte.

Die Äußerungen der Politiker

Sehr bald äußerten sich auch schon die wichtigsten Politiker des Landes zu der Affäre. Hier einige ausgewählte Beispiele:

Der SPÖ-Zentralsekretär Heinrich Keller meinte z.B. am 8.Oktober - einen Tag nach der ersten "Krone"-Meldung - über das Stück, er lehne es als "absichtliche Provokation" ab.

Alois Mock, damals Vizekanzler, Außenminister und Obmann der ÖVP forderte die Absetzung des Stücks.

Hans Mayr, Obmann der SPÖ Wien, fand es "falsch, dieses Stück zum 100.Geburtstag des Burgtheaters aufzuführen".

Bundespräsident Dr.Kurt Waldheim nannte das Stück eine "Beleidigung des österreichischen Volkes". Er lehte es ab, weil es seiner Meinung nach die Freiheit von Kunst und Literatur mißbrauchen würde.

Der Obmann der FPÖ, Jörg Haider, münzte ein Zitat von Karl Kraus auf Claus Peymann und sagte über ihn: "Hinaus aus Wien mit dem Schuft!"

Erhard Busek, damals Kultursprecher der ÖVP, lehnte das Stück ebenfalls ab und rief zu einem Zuschauerboykott auf.

Es muß in diesem Zusammenhang nochmals darauf hingewiesen werden, daß, bei allem Respekt vor den einzelnen Politikern, keiner von ihnen die Möglichkeit hatte, das Stück in seiner Gesamtheit zu kennen, weil der vollständige Text damals noch geheimgehalten wurde. Das wirft ein sehr negatives Bild auf diese Äußerungen, die man aus diesem Grund voreilig nennen darf. Es entsteht auch der für die Politiker unvorteilhafte Eindruck, daß sie sofort widerspruchlos einstimmen, sobald das auflagenstärkste Boulevardblatt des Landes eine Kampagne startet.

Der Inhalt, den niemand kannte

Das Stück besteht aus drei Akten, die Inszenierung dauert über vier Stunden.

Den Inhalt kann man folgendermaßen beschreiben: Eine Familie versammelt sich beim Begräbnis des Professor Josef Schuster. Dann wird dessen Biographie erzählt. Er war ein jüdischer Wissenschaftler, der aus Wien vor den Nazis nach England fliehen mußte. Nach dem Krieg kehrte er wieder in seine Heimatstadt zurück, aus Liebe zur Musik. Er zieht in eine Wohnung am Heldenplatz, wo Hitler seine berühmt-berüchtigte Rede zum Anschluß hielt. Seine Frau leidet unter Gehörshalluzinationen; immer wieder meint sie, die Stimme Hitlers und die jubelnde Masse zu hören, weswegen sie zeitweise in eine Irrenanstalt eingeliefert wird. Aufgrund des zunehmenden Wiederaufbrechens der Intoleranz in Österreich beschließt der Professor, Selbstmord zu begehen. In den späteren Akten versuchen die Familienmitglieder den Selbstmord zu erklären und finden ihn im zunehmenden Antisemitismus und dem Wiedererwachen von NS-Ideen in Österreich. Am Schluß des Stücks halluziniert die Witwe wieder die Jubelrufe der Masse, doch niemand der anderen Anwesenden hört sie. Danach fällt sie "mit dem Gesicht voraus auf die Tischplatte. Alle reagieren erschrocken." Danach folgt Dunkel, der Vorhang fällt.

Bei der Premiere gab es 43 Minuten lang Jubel und Buh-Rufe zur selben Zeit. Typisch in Berhardschen Stück sind seine oft heftigen Ausbrüche gegen Österreich und die von ihm dort georteten Mißstände.

Die Botschaft ist aber klar: Jahrzehnte nach dem "Anschluß" und der "Reichskristallnacht", meint der Dichter, beginnt der eigentlich längst totgeglaubte Ungeist von einst wieder zu erwachen. Es ist wieder möglich in Österreich, gegen Minderheiten zu hetzen, das Leben für diese wird wieder schwieriger.

Hatte Thomas Bernhard recht?

Thomas Bernhard ist ein Autor, der provokante Formulierungen liebt, die sich oft in Schimpftiraden gegen Österreich steigern. Dies ist ihm von vielen übel genommen worden - vielleicht auch zu Recht. Umgekehrt muß man aber sagen, daß es durchaus legitim und von der demokratischen Freiheit gedeckt ist, Provokation als Mittel der Kunst einzusetzen.

Sieht man von den einen oder anderen Formulierungen ab, die möglicherweise die Gemüter zu sehr erhitzen, als daß eine rationale Besinnung auf ihren Inhalt erfolgen könnte, lautet die Grundthese des Stückes in etwa: Das Österreich des Jahres 1988 und der Zukunft ist wieder, wie einst 1938, fremden- und minderheitenfeindlich, das gesellschaftliche Klima intoleranter geworden. Aus dem Abstand einiger Jahre kann man heute (1999) durchaus plausibel argumentieren, daß diese Einschätzung richtig gewesen ist.

Bereits 1993 wurde z.B. ein Volksbegehren veranstaltet, das ausländerfeindliche Forderungen enthielt und sich einer großen Beliebtheit erfreute. Der Initiator, ein rechtsextremer Politiker, schaffte in den folgenden Wahlen sensationelle Zugewinne mit ausländerfeindlichen Parolen.

Mittlerweile ist die Ausländerfeindlichkeit in Österreich salonfähig geworden, wahrscheinlich viel mehr als früher. Vor kurzer Zeit starb der nigerianische Schubhäftling Marcus Omofuma während seiner Abschiebung ins Ausland aufgrund der brutalen Behandlung durch österreichische Sicherheitskräfte, die ihm den Mund mit Klebebändern derart fest verschlossen, daß er daran erstickte. Die Abschiebung erfolgte eigentlich widerrechtlich, d.h. einige Tage vor dem Ablauf der Aufenthaltsgenehmigung Omofumas. Die darauffolgende Medienkampagne der Neuen Kronenzeitung verknüpfte die Berichterstattung über den Verstorbenen mit Artikeln über angeblich immer häufiger auftretende böse nigerianische Drogenhändler, die unser Land wirklich oder angeblich unsicher machen. Der Innenminister, der diesen Vorfall zu verantworten hatte, mußte nicht nur nicht zurücktreten, sondern wurde zu einem der populärsten Politiker Österreichs. Nun, im Vorfeld des Nationalratswahlkampfs 1999, wird in Wien mit Plakaten geworben, die die Aufschrift tragen "Stop der Überfremdung!".

Kann man angesichts solcher Entwicklungen nicht feststellen, daß Österreich seit 1988 tatsächlich fremden- und minderheitenfeindlicher geworden ist?

Man kann Thomas Bernhard für viele einzelne, möglicherweise auch zu scharfer Formulierungen tadeln. Aber besteht, angesichts der Entwicklungen des gesellschaftlichen Klimas nicht doch die Möglichkeit, daß die öffentliche Kritik an Thomas Bernhard eben dashalb so heftig ausfiel, weil er recht hatte?

 

4.Zusammenfassung

Das Gedenkjahr 1988 war geprägt von den damaligen Schwierigkeiten der Österreicher, mit der eigenen NS-Vergangenheit umzugehen. Die teilweise von den großen Boulevardblättern mit Ressentiments aufgeladene Stimmung führte neben anderen Ereignissen zu zwei öffentlichen Diskussionen, die ich rückblickend als "Kulturkampf" bezeichne.

Es handelte sich dabei zunächst um die heftige Debatte um das Mahnmal von Alfred Hrdlicka auf dem Albertinaplatz, die wichtige Medien und Politiker zu einer aufsehenerregenden Kontroverse veranlaßte. Diese wurde mit erstaunlicher Emotionalität geführt, im Mittelpunkt dieses Streits stand allerdings lediglich die Frage, ob Hrdlickas Mahnmal gegen Krieg und Faschismus auf dem Albertinaplatz oder anderswo aufgestellt werden sollte. In der vorliegenden Arbeit wird neben anderen Aspekten der Frage nachgegangen, ob diese Debatte nicht eine Art "Stellvertreterkrieg" gewesen sein könnte - eine Auseinandersetzung über einen relativ unbedeutenden Sachverhalt, in der möglicherweise eine Ablehnung einer Aufarbeitung von Geschichte verborgen war.

Die Diskussion um Thomas Bernhards Stück "Heldenplatz" war von ähnlicher Intensität. Bernhard hatte Österreich und die seiner Meinung nach in diesem Land zunehmende Intoleranz kritisiert. Fast wie zur Bestätigung führten große Boulevardblätter und die Politiker aller Parteien gegen ihn eine Medienkampagne, die teilweise antisemitische Töne aufwies. Es wird auch besprochen, inwieweit Bernhards Einschätzung zu Österreich richtig sein könnte oder nicht.

Diese beiden Diskussion und das damalige gesellschaftliche Klima zeigen, wie schwer es in Österreich war und ist, NS-Vergangenheit aufzuarbeiten. Der Nachholbedarf Österreichs ist dabei bedingt durch die sogenannte "Opferthese". In der offiziellen Geschichtsschreibung der Zweiten Republik wurde Österreich als erstes Opfer des Dritten Reiches gesehen, alle Mittäterschaft wurde geleugnet. 1988 brach erstmals, auch angesichts der Waldheim-Affäre, diese Interpretation von Geschichte zusammen, wohl weil man sah, daß sie nur einen Teil der Wahrheit abdeckte.

 

5.Literatur

Ruth Wodak u.a.: Die Sprachen der Vergangenheit. Öffentliches Gedenken in österreichischen und deutschen Medien. Frankfurt am Main 1994.

(Alle Zitate aus diesem Buch)

 Patrick Horvath: "Über Philosophie und Politik"
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