Dieter Schrage

EINE BEEINDRUCKENDE IKONOSTASE UNSERER ZEIT:

DIE BILDERWELT VON WERNER HORVATH

I

Zunächst lernte ich die Arbeiten von Werner Horvath durch den üppigen Bildband „Freud und Leid", den mir mein Freund und Maler-Chirurg Heber Ferraz-Leite geschenkt hatte, kennen. Und ich war sofort irgendwie interessiert, durchaus von der Art der Malerei beeindruckt. Vor allem fand ich es bemerkenswert, wie Werner Horvath sich von der überfrachteten, post-phantastischen Bilderwelt seiner „Frühen Werke" der 70er Jahre zur malerischen Klarheit seiner „konstruktivistischen" Bildserien der 90er Jahre entwickelt hat. Beispielsweise seiner Neigung zu einer plakativen Farbigkeit entspricht viel eher seine Pop-Porträt-Welt als seine von der „Wiener Schule des Phantastischen Realismus" bestimmte einstige Symbolwelt. Wäre in dem Buch „Freud und Leid" nur Malerei dieser Art abgebildet gewesen, hätte ich diesen Bildband sicher in die hinterste Ecke meiner Bücherregale gestellt oder bei einer passenden Gelegenheit weitergeschenkt. So wie ich es immer auch mit geschenkten Likören tue. Und für die post-phantastische Malerei dieser österreichischen Spätform eines Post-Surrealismus gibt es ja immer noch viele LiebhaberInnen. Unübersehbar hat aber die Kunst des emsigen Malers Horvath eine äußerst interessante Entwicklung genommen. Gut fand ich hierbei auch, welche gesellschaftliche bzw. politische Wachheit er sehr häufig in seine Malerei einfließen läßt. Diese reicht z.B. von den Ölbildern „Der Golfkrieg" oder dem neo-nazistische Tendenzen in Deutschland drastisch aufzeigendem „Solingen" (beide aus 1993) bis zu „Diana, Princess of Wales" aus 1998. Und interessiert hatte mich neben diesem Inhaltlichen vor allem seine Form des „Neuen bildenden Konstruktivismus".

II

Selbstverständlich hatte ich diesen neuen, bildnerischen „Konstruktivismus" auf die bedeutende Kunstbewegung von Malewitsch, Mondrian, van Doesburg & Co aus der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts bezogen. Anstelle der mathematisch geometrischen Grundordnung, die den historischen „Konstruktivismus" mit seinen durchaus utopischen, ideellen Dimensionen bestimmt hatte, versucht Horvath für mich, eine neue, vom Virtuellen kommende Bildstruktur zu erarbeiten. Heber Ferraz-Leite, der kürzlich das ambitionierte, materialreiche Buch über „Malende Ärzte Österreichs" herausgegeben hat, weist in seinem Horvath-Beitrag darauf hin, dass der malende Radiologe, der in seinem Ärzte-Alltag der Aufgabe nachgeht, die Realität von Krankheit und Gesundheit anhand von Bildern (Röntgen-, Ultraschall- und Magnetresonanzaufnahmen) zu erfassen, in seinem künstlerischen Bildschaffen diese in der Radiologie wesentliche Methode des Codierens bzw. Entcodierens „isodenser Flächen" (Flächen gleicher Helligkeit) malerisch umsetzt. Und die Gegenständlichkeit seines „Konstruktivismus" erinnerte mich an den politisch engagierten gegenständlichen „Konstruktivismus" der „Rheinischen Gruppe progressiver Künstler" (Gerd Arntz, Augustin Tschinkel, Franz W. Seiwert u.a.) aus der Zwischenkriegszeit. Übrigens irrt Horvaths Bühnenfigur, der Kunstkritiker, aus seinem Lesestück „Jahrtausendwende oder Die Theorie des neuen bildenden Konstruktivismus", wenn dieser sagt:

Kunstkritiker: Und wie wollen Sie die neue Stilrichtung nennen?

Stadtstreicher: Natürlich Konstruktivismus. Wie sonst?

Kunstkritiker: Aber diese Richtung gibt es in der Malerei bereits. Der Ausdruck stand in den frühen zwanziger Jahren für eine kurzlebige Bewegung in der bildenden Kunst und Architektur in der Sowjetunion.

Der „Konstruktivismus" war und ist keineswegs kurzlebig und bezog sich nicht nur auf die Sowjetunion, wo er bereits ab etwa 1913 und dann besonders in den 20er Jahren zu einem bedeutenden Höhepunkt in der internationalen Kunst des 20. Jahrhunderts gelangte. Hervorragende konstruktivistische Bewegungen gab es mit „de Stijl" auch in Holland und mit dem „Bauhaus" in Deutschland sowie in Polen oder in Ungarn. Und auch in der Gegenwart hat diese abstrakt-konkrete Kunst, die sich durch eine strenge Formgesetzlichkeit auszeichnet, manche bedeutende Exponenten (so z.B. den Portugiesen Pedro Cabrita Reis oder den Iren Sean Scully).

III

Aus Horvaths Bühnenstück über die „Theorie des neuen bildenden Konstruktivismus" konnte ich aber auch erfahren, dass er seinen „Konstruktivismus" nicht auf die historische Kunst-Avantgarde der 20er Jahre bezieht, sondern dass er diesen von der neuen philosophischen, erkenntnistheoretischen Richtung „Konstruktivismus" herleitet. (In diesem Zusammenhang möchte ich aber anmerken, dass mir hier die Verbindung „Konstruktivismus" mit den Adjektiven „neuer bildender" zumindest als irreführend erscheint, denn „neu" setzt einen alten „bildenden Konstruktivismus" voraus und dieser ist eindeutig bildkünstlerisch, nicht philosophisch, nicht Heinz von Foerster, Humberto Maturana oder Paul Watzlawick, sondern Malewitsch, Tatlin, Mondrian uva.)

Wie dem auch sei. In seiner dialogisierten „Konstruktivismus"-Theorie lässt Horvath seinen „Stadtstreicher" (Horvath selbst?) sagen:

Kunstkritiker: ...wie wollen Sie malen?

Stadtstreicher: So wie ich denke. Also im Sinne des Konstruktivismus.

...wenn aber nun unsere Welt von uns konstruiert ist, so ist ein Bild, das diese Welt in unserem Sinne wiedergibt, nennen Sie es realistisch, wiederum ein Konstrukt eines Konstrukts.

Zur Erläuterung eingeblendet: „Das vermeintlich Gefundene ist ein Erfundenes, dessen Erfinder sich des Aktes seiner Erfindung nicht bewußt ist, sondern sie als etwas von ihm Unabhängiges zu entdecken vermeint." (P. Watzlawick, Die erfundene Wirklichkeit, München – Zürich 1995)

Stadtstreicher: Ich möchte vielmehr Bilder malen, die den Konstruktivismus nicht verschleiern und verstecken, sondern erkennen lassen. Die verschiedene Konstrukte ermöglichen, wenn man sie verschieden betrachtet.

Werner Horvath also ein malender Paul Watzlawick? Er versucht eine Kunst des „Radikalen Konstruktivismus" – und das ist sicher bemerkenswert - zu formulieren und mit seinen Bildern konkret zu veranschaulichen.

IV

Mich reizte es aber sogleich, wie schon längst gewollt, einen kritischen Diskurs mit dieser Art von „Konstruktivismus", der sich ein „radikaler" nennt, aufzunehmen. Diesen zeitgeistig postmodernen Positionen, die für mich in ihrem Ursprung eine unverschämt gekonnte Form von Leichenfledderei sind, stehe ich schon immer sehr skeptisch gegenüber, kann aber ihrem geistigen (konstruktivistischen) Kartenhaus keine fundamentale Gewissheit gegenüberstellen. Dadurch bin ich zwar immer in der zweiten Position, ich bin mir aber wenigstens meines Handicaps bewußt und mache kein ungerechtfertigtes Hurrageheul daraus.

Ich nehme mir mein 864 Seiten umfassendes Duden-Fremdwörterbuch und noch einen 3 Kilo-Nachschlage-Wälzer zur Hand und beginne, mich wieder einmal in die „Radikalität" des „Konstruktivismus" einzulesen. Die „epistemologische" (erkenntnistheoretische) Begrifflichkeit ist mir ja noch geläufig, doch bei der Anhäufung der neurophysiologischen und neurobiologischen Fremdwörter muß ich bald passen. Und schon stellt sich mir die Frage, was mir eigentlich das ganze „radikal-konstruktivistische" Konstrukt für eine Auseinandersetzung mit der eindrucksvollen Bilderwelt von Werner Horvath wirklich bringen kann, zumal ich ja nicht die Absicht habe, Ansätze einer konstruktivistischen Ästhetik zu formulieren. Und auch meine Freude an einer kritischen Positionierung zu von Foerster, Maturana, Watzlawick & Co erlahmt ob der Zeitknappheit sehr bald. Vor allem habe ich die dringliche Vermutung, dass das ganze Kartenhaus des „Konstruktivismus" – nimmt man diesen ernst und führt ihn auf seinen eigenen erkenntnistheoretischen Ansatz zurück – sehr bald in sich zusammenfallen muß. Eigentlich dürfte ein konsequenter „Konstruktivismus" sein ganzes philosophisches Gedankengebäude gar nicht errichten und müßte sich – wenn schon „radikal" – auf eine agnostische Position zurückziehen. Denn bereits die grundlegende Annahme, dass Wirklichkeitskonstruktion rein subjektiv sei, immer subjektiv sein muß, setzt einen „Super-Beobachter" (Clemens Diesberger) voraus, welcher die Möglichkeit hat, die subjektive Erkenntnisperspektive und die externe Beobachterperspektive gleichzeitig einzunehmen und diese miteinander zu verschränken. Und solch ein „Super-Beobachter" will und kann ich nicht sein. Da müßte schon ein Meta-Super-Watzlawick her!

V

Ich wende mich wieder der Bilderwelt von Werner Horvath zu. „Mao, Marx und Marilyn" heißt sein neues Buchprojekt.

Und „Mao, Marx und Marilyn" sind Hits aus Horvaths Pop-Porträt-Welt. Vor allem seine Marilyn Monroe, die von Andy Warhol in der Gegenwartskunst bekannt gemacht wurde und die jetzt auf dem Titel des neuen Buches posieren soll, zählt zu Horvaths beliebtesten Motiven. Das Gesicht, die Pose, den Ausdruck entnimmt er in bester Pop-Manier allgemein bekannten und weit verbreiteten Medien-Images. Bei seinen historischen Köpfen wie Machiavelli, Hegel, Marx oder Nietzsche sind es populäre Graphik- oder Photovorlagen. Diese setzt er dann – obwohl seine Bilder an Computer-Auflösungen erinnern – rein malerisch um. Bemerkenswert – und für Horvaths Malerei typisch – ist das Zusammenspiel zwischen den großen, meist schon wahrgenommenen Porträt-Umrißlinien und den gekonnt gemalten Binnenstrukturen. Diese meist aus den sog. „isodensen Flächen" (Flächen gleicher Helligkeit) zusammengesetzten Binnenstrukturen sind sehr häufig symbolisch eingesetzt. Beispielsweise Karl Marx’s Bildfond ist durchaus positiv floral angelegt, während er bei dem „Marxisten" Josef Stalin wurmig, wie von Millionen Opfer-Leichen durchfressen wird. Häufig fügt der Maler in seine Porträts dann noch kleine, realistische Symbolszenen ein. So hat er z.B. in seinem Clinton-Porträt mit dem Titel „Lewinsky-War (Smart Bombs and Sexy Guns)" in den Kopf des zwar lächelnden, aber düsteren Bomber-Präsidenten, der, nicht zuletzt um von innenpolitischen Problemen abzulenken, mutwillig Serbien bombardieren ließ, ein kleines Monica Lewinsky-Porträt hineingemalt. Auffallend ist auch, wie fix der Maler Horvath auf weltpolitische Ereignisse, ob Belgrad, Golfkrieg oder Tschetschenien, reagiert. Und auffallend auch die Häufigkeit und Qualität seiner Marx, Mao & Co-Darstellungen. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass – was Horvaths Pop-Affinität entgegenkommt – die ehemaligen real-sozialistischen Länder eine besondere öffentliche Bild- und Porträt-Kultur entwickelt hatten, die von Marx über Lenin und Stalin bis Mao oder Castro reichte. Und beispielsweise das Che Guevara-Porträt ist eines der populärsten Images der Welt, das sich in millionenhafter, vielleicht milliardenhafter Verbreitung auf Poster, T-Shirts, Sticker, Tatoos uva. als eine Ikone unserer Zeit schon längst von seiner historischen Person entfernt hat. Und so passt die Ikone Che Guevara hervorragend in Werner Horvaths Poppanoptikum .

VI

Hervorragend würden auch all die Horvath-Porträts zwischen Laokoon und Marilyn auf eine riesige Bildwand (Ikonostase) passen. Der Künstler selbst hat soetwas konzipiert und auch in seinem Bildband „Freud und Leid" publiziert. Und es ist zu hoffen, dass Horvaths großes Porträtmosaik – in dieser oder in einer noch ausgeweiteten Form – einmal als Ikonostase unserer Zeit ausgestellt und einem breiten Publikumskreis zugänglich gemacht wird.

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