Große Denker:
Friedrich Nietzsche
Philosoph mit dem Hammer
Werner Horvath: "Friedrich Nietzsche und Arthur Schopenhauer". Öl auf Leinwand, 40 x 60 cm, 2000.
Nietzsche
gehört ohne Zweifel zu den schillerndsten Denkern der
abendländischen Geistesgeschichte. Die von ihm ausgehende
Faszination beruht
zum Teil auf dem mehr oder weniger spektakulären Verlauf
seiner Biographie:
1844 in einem steng protestantischen Elternhaus geboren, absolvierte er
zunächst
ein Eliteinternat mit rigider Disziplin und danach sein
Universitätsstudium der
Klassischen Philologie mit so hervorragendem Erfolg, dass er bereits
mit 24
Jahren Universitätsprofessor in Basel wurde - eine auch
für die damalige Zeit,
als eine Karriere an der Universität noch nicht so
formalisiert und bürokratisiert
war wie heute, mehr als erstaunliche Leistung. Doch periodisch
auftretende
Krankheitsanfälle, die sich in Erbrechen, Übelkeit,
zeitweiliger Erblindung
und heftigen Schmerzen äußerten und ihn sein Leben
lang nicht verlassen
sollten, zwangen ihn bereits Anfang dreißig zur Aufgabe
seines Berufs. Er führte
seit dieser Zeit ein unstetes Wanderleben durch ganz Europa,
entfremdete sich
(wie sich schon während seiner Studienzeit abzuzeichnen
begann) nach und nach völlig
vom christlichen Glauben seines Elternhauses, schrieb philosophische
Bücher von
ungeheurer Sprachgewalt und Kreativität, befreundete und
zerstritt sich mit dem
Komponisten Richard Wagner, erlebte 1889 in Turin einen geistigen
Zusammenbruch,
lebte noch 11 Jahre unter Pflege seiner Mutter und danach seiner
Schwester in
einem seltsamen Dämmerzustand vor sich hin, bevor er im Jahre
1900 starb.
Ein
weiterer Grund für die von Nietzsche ausgehende Faszination
ist der provokante Inhalt seiner Schriften. Eines seiner
Bücher, die
“Götzendämmerung”,
trägt den Untertitel: “Wie man mit dem Hammer
philosophiert”. Nicht zuletzt
deswegen nennt man Nietzsche oft den “Philosoph mit dem
Hammer”; diese
Bezeichnung ist für die Art seines Denkens sehr zutreffend,
pflegt er in seinem
Werk doch mit großer Vorliebe herkömmliche Ansichten
zu zerschmettern.
Sein
philosophisches Programm ist die, wie er es selbst nannte,
“Umwertung aller Werte”. Alle alten Werte, die
längst unglaubwürdig
geworden sind, sollen rücksichtslos beseitigt werden, um Platz
zu schaffen für
Neues. Der wahrscheinlich berühmteste Satz, den Nietzsche in
diesem
Zusammenhang einst als eine Art philosophischen
“Slogan” formulierte,
lautet: “Gott ist tot”. Es soll mit ihm nach
Nietzsches eigener Erklärung
gesagt werden, dass der Glaube an einen christlichen Gott (ein Wesen,
das es
nach Nietzsche auch niemals gegeben hat) nunmehr endgültig
unglaubwürdig
geworden ist. Nietzsche verkündet den Tod Gottes u.a. im
berühmten Aphorismus
125 der “Fröhlichen Wissenschaft”, der
betitelt ist mit der Überschrift:
“Der tolle Mensch”.
“Habt
ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen
Vormittage eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und
unaufhörlich schrie:
‘Ich suche Gott! Ich suche Gott!’ - Da dort gerade
viele von denen
zusammenstanden, welche nicht an Gott glaubten, so erregte er ein
großes Gelächter.
Ist er denn verlorengegangen? sagte der eine. Hat er sich verlaufen wie
ein
Kind? sagte der andere. Oder hält er sich versteckt?
Fürchtet er sich vor uns?
Ist er zu Schiff gegangen? ausgewandert? - so schrieen und lachten sie
durcheinander. Der tolle Mensch sprang mitten unter sie und durchbohrte
sie mit
seinen Blicken. ‘Wohin ist Gott? rief er, ich will es euch
sagen! Wir haben
ihn getötet - ihr und ich! Wir alle sind seine
Mörder! Aber wie haben wir
das gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Was taten wir,
als wir
die Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin
bewegen
wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht
fortwährend? Und rückwärts,
seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Gibt es noch
ein Oben und ein Unten?
Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der
leere
Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort
die Nacht und mehr
Nacht? Müssen nicht Laternen am Vormittage angezündet
werden? Hören wir noch
nichts von dem Lärm der Totengräber, welche Gott
begraben? Riechen wir noch
nichts von der Verwesung? - auch Götter verwesen! Gott ist
tot! Gott bleibt
tot!”
Was
Nietzsche dem Christentum vor allem vorwirft, ist seine von ihm
behauptete Lebensfeindlichkeit. Den Schwerpunkt des Lebens nicht ins
Diesseits,
sondern ins Jenseits, also ins “Nichts” zu
verlegen, lässt unsere
diesseitigen Probleme ungelöst zugunsten einer unbeweisbaren
Verheißung,
zugunsten eines Versprechens, das mit höchster
Wahrscheinlichkeit nicht hält.
Den Leib mit all seinen Äußerungen als
sündhaft zu betrachten ist grausam
gegen sich selbst, aber auch philosophisch dumm. “Was nur
immer von dem Magen,
den Eingeweiden, dem Herzschlage, den Nerven, der Galle, dem Samen
herkomme -
alle jene Verstimmungen, Entkräftungen,
Überreizungen, die ganze Zufälligkeit
der uns so unbekannten Maschine! - alles das muss so ein Christ wie
Pascal als
ein moralisches und religiöses Phänomen nehmen, mit
der Frage, ob Gott oder
Teufel, ob Gut oder Böse, ob Heil oder Verdammnis darin
beruhen!”, heißt es
z.B. im Aphorismus 86 der “Morgenröte”.
Und in der “Genealogie der
Moral” führt Nietzsche den Begriff
“Sklavenmoral” ein, den er für das
Christentum passend hält; werden doch vom Christentum Werte
wie Demut,
Bescheidenheit und das sprichwörtliche “zu Kreuze
Kriechen” vertreten;
Werte, die geborenen Sklaven am angemessensten sind, aber nicht dem
stolzen,
freien Menschen der Zukunft, den Nietzsche
herbeiwünscht. Werner
Horvath: "Friedrich Nietzsche - von den drei Verwandlungen".
Öl auf Leinwand,
50
x 40 cm, 2005.
Hinsichtlich
der Erkenntnis der Wahrheit empfiehlt der ansonsten so
selbstbewusste Nietzsche große Bescheidenheit. Vielleicht ist
uns Erkenntnis in
die höchsten, absoluten Wahrheiten gar nicht möglich.
Trotz dieser Tatsache
verbietet uns aber dennoch unsere Wahrhaftigkeit, Scheinwahrheiten zu
akzeptieren und uns engen Weltanschauungen zu verschreiben, die ihre
vorgeblich
absoluten Wahrheiten ohne Beweis dogmatisch behaupten - nur um sich in
der
vorgeblichen Sicherheit einer “absolut” geltenden
Weltanschauung geborgen zu
fühlen. Der Ablehnung solcher ideologischer Systeme kann man
aber auch positive
Seiten abgewinnen, denn der Verlust an Sicherheit wird unter
Umständen zu einen
Gewinn an intellektueller Freiheit. Entsprechend heißt es im
berühmten
Aphorismus 40 seines “Antichristen”:
“Man
lasse sich nicht irreführen: große Geister sind
Skeptiker.
(...) Menschen von Überzeugung kommen für alles
Grundsätzliche von Wert und
Unwert gar nicht in Betracht. Überzeugungen sind
Gefängnisse.”
Nietzsche
war ein Meister der Sprache. Seiner eigenen Einschätzung
nach steht das Deutsch seines Werkes “Also sprach
Zarathustra” auf einer
Stufe mit dem Deutsch Goethes oder Luthers. Dies klingt arrogant aus
dem Mund
des Dichters selbst, ist aber eine durchaus vertretbare Ansicht. Vor
allem
besagtes, in biblischer Sprache abgefasste Werk, das er selbst einmal
als “fünftes
Evangelium” bezeichnete, kann tatsächlich als Beweis
für Nietzsches
sprachliche Meisterschaft herhalten. Sehr berühmt ist z.B. der
Beginn seines
“Nachtliedes”:
“Nacht
ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und
auch meine Seele ist ein springender Brunnen.
Nacht
ist es: nun erst erwachen alle Lieder der Liebenden. Und auch
meine Seele ist das Lied eines Liebenden.
Ein
Ungestilltes, Unstillbares ist in mir; das will laut werden.
Eine Begierde nach Liebe ist in mir, die redet selber die Sprache der
Liebe.
Licht
bin ich: ach, dass ich Nacht wäre! Aber dies ist meine
Einsamkeit, dass ich von Licht umgürtet
bin.”
Durch
den Mund seines Dichter-Propheten Zarathustra, der gemeinsam
mit seinen beiden Tieren, Adler und Schlange, als eine Art neuer
Messias des
Atheismus durch die Welt zieht, verkündet Nietzsche seine
Lehre von der Überkommenheit
der bisherigen Unterscheidungen von Gut und Böse und einen
ungewöhnlich
starken Individualismus. Was aus den Menschen werden sollte,
verkündet er in
seiner Lehre vom Übermenschen - es ist eine Lehre, die von den
Nazis platt
rassistisch verstanden und auf schlimme Art missbraucht worden ist, die
aber in
Wahrheit nichts anderes beinhaltet als ein von Nietzsche erstrebtes
philosophisches Lebensideal, das nichts mit Rasse oder Deutschtum zu
tun hat.
Der
neue Mensch wird sich nach dem “Tod Gottes” seiner
selbst
bewusst und besinnt sich auf seine eigene Kraft und Stärke. Er
ist frei und
stolz, aber auch einsam; er findet seinen Lebensbezug
natürlich im Diesseits,
anstatt sich - wie in früheren Zeiten üblich - auf
ein nach Nietzsches Meinung
imaginäres Jenseits zu konzentrieren. Er ist zudem die
Antithese zu den
Menschen der in Nietzsches Gegenwart entstehenden und heute zur vollen
Blüte
entfalteten Massengesellschaft. Der Massenmensch, in Zarathustras
Diktion der
“letzte Mensch”, strebt nach
Glücksgefühlen, die er im Rausch der Drogen
oder in der Herde zu finden hofft. Er erstrebt nichts Großes;
der Inhalt seines
Lebens ist das “Brot und Spiele” der
großen politischen
Massenveranstaltungen, und ferner z.B. das Bier beim Oktoberfest oder
der
Ecstacyrausch bei der Loveparade (letztere Veranstaltung hätte
Nietzsche aber
aufgrund ihrer Ähnlichkeit zu den von ihm bewunderten
rauschhaften Festen im
alten Griechenland zu Ehren des Gottes Dionysos vielleicht auch wieder
sehr
geschätzt).
Nietzsche
fordert aber vom neuen Menschen, mehr vom Leben zu wollen
als bloß dem kleinen Glück der Herde nachzujagen; er
soll vielmehr große
Werke schaffen und sich dabei im ständigen Kampf selbst zu
überwinden trachten
- und damit stärker und vollkommener zu werden.
“Trachte ich denn nach Glücke?
Ich trachte nach meinem Werke!”,
lässt er in diesem Zusammenhang
seinen Zarathustra sagen. Die tiefe Sinn- und Orientierungslosigkeit,
die der
“Tod Gottes” in unserer Welt hinterlassen hat, kann
man bekämpfen, indem
man vor ihr in das Streben nach dem kleinen Glück bzw. die
vorübergehende Betäubung
flieht - oder, indem man versucht, seinem an sich sinnlosen Dasein
durch das
Schaffen eines großen Werk selbst einen neuen Sinn zu geben.
Dabei fordert er
Mut selbst zu “radikaler” Kreativität:
“Ich sage euch: man muss noch
Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu
können”, heißt es
z.B. im “Zarathustra”.
Die
Nationalsozialisten haben sich - wie oben angedeutet - bemüht,
Nietzsches Werk für ihre Zwecke auf vielfältige Art
und Weise zu
instrumentalisieren; sie bemühten sich, den Philosophen
fälschlicherweise zu
einem Vorläufer ihrer Bewegung zu stilisieren. Wie wenig
dieser selbst aber mit
ihrer verhängnisvollen Ideologie übereingestimmt
hätte, zeigen deutlich zwei
Passagen aus seinen nachgelassenen Fragmenten, die den Kernpunkten des
Nationalsozialismus (nämlich Deutschland-Chauvinismus sowie
Antisemitismus)
eine klare Absage erteilen. So schreibt er:
“Für
das Prinzip ‘Deutschland, Deutschland über
alles’ oder
für das deutsche Reich sich zu begeistern, sind wir nicht dumm
genug.”
(Fragment 25 [251], Frühjahr 1884)
Und
weiter:
“Auf
die Gefahr hin, den Herren Antisemiten einen
‘gutbemessenen’ Tritt zu versetzen, bekenne ich,
dass die Kunst zu lügen
(...), das Verschlucken fremden Eigentums mir an jedem Antisemiten
bisher
handgreiflicher erschienen als an irgendeinem Juden. Ein Antisemit
stiehlt
immer, lügt immer - er kann gar nicht anders (...) Man sollte
die Antisemiten
beklagen, man sollte für sie sammeln.” (Fragment 23
[9], Oktober 1888)
Und
ebenfalls völlig anders als der von den Nazis gepredigte
“Gemeinnutz”, dem alle persönliche
Freiheit zu opfern ist, klingt folgende
Äußerung Nietzsches, die gut zum in seinem Werk
vertretenen Individualismus
passt:
“Der
Zweck des Staates soll nie der Staat, sondern immer der
Einzelne sein.” (Fragment 17 [7], Sommer 1876)
Der
“politische Nietzsche” war sicherlich kein
Deutschtümler,
sondern, so kann man ihn durchaus interpretieren, der weitblickende
Visionär
eines vereinten Europas. Gerade die folgende Passage aus seinen
nachgelassenen
Fragmenten illustriert dies deutlich, vertritt er doch in diesen
bereits im Jahr
1885 (!) niedergelegten Zeilen eine Meinung, zu der sich die meisten
Menschen
des beginnenden 21.Jahrhunderts - trotz des fortschreitenden
Europäischen
Integrationsprozesses und der immer offenkundigeren Richtigkeit seiner
Analyse -
noch immer nicht oder nur sehr langsam durchringen
können:
“Über
alle diese nationalen Kriege, neuen ‘Reiche’ und
was
sonst im Vordergrunde steht, sehe ich hinweg: was mich angeht - denn
ich sehe es
langsam und zögernd sich vorbereiten - das ist das Eine
Europa. Bei allen umfänglicheren
und tieferen Menschen dieses Jahrhunderts war es die eigentliche
Gesamtarbeit
ihrer Seele, jene neue Synthesis vorzubereiten und versuchsweise
‘den Europäer’
der Zukunft vorwegzunehmen: nur in ihren schwächeren Stunden,
oder wenn sie alt
wurden, fielen sie in die nationale Beschränktheit der
‘Vaterländer’ zurück
-, dann waren sie ‘Patrioten’. Ich denke an
Menschen wie Napoleon, Goethe,
Beethoven, Stendhal, Heinrich Heine, Schopenhauer; vielleicht
gehört auch
Richard Wagner hierher (...) Dem aber, was in solchen Geistern als
Bedürfnis
nach einer neuen Einheit oder bereits als eine neue Einheit mit neuen
Bedürfnissen
sich regt und gestaltet, steht eine große wirtschaftliche
Tatsache erklärend
zur Seite: die Kleinstaaten Europas, ich meine alle unsere jetzigen
Staaten und
‘Reiche’, müssen, bei dem unbedingten
Drange des großen Verkehrs und
Handels nach einer letzten Grenze, in kurzer Zeit wirtschaftlich
unhaltbar
werden. (Das Geld allein schon zwingt Europa, irgendwann sich zu einer
Macht
zusammenzuballen.)” (Fragment 37 [9], Juni-Juli
1885)
Friedrich
Nietzsche war trotz solcher weitblickender Aussagen
dennoch nicht frei von den Vorurteilen seiner Zeit, des
19.Jahrhunderts. Es
finden sich in seinem Werk z.B. viele einseitig negative Bemerkungen
über
Demokratie und Parlamentarismus (die u.a. von mangelnder Reflexion und
Unkenntnis zeugen); und auch sein Verhältnis zu den Frauen war
mit gewissen
Spannungen belastet. Gerade ihnen trat Nietzsche, wie man in seiner
Biographie
nachvollziehen kann, verklemmt und mit schweren Komplexen beladen
gegenüber,
was vielleicht auch auf die strenge christliche Erziehung seiner Jugend
zurückzuführen
ist. Er war sicherlich auch insoferne ein Kind seiner Zeit, weil er der
weiblichen Emanzipation wenig bis gar keine positiven Aspekte
abgewinnen konnte;
sein Ideal, mit dem die Allgemeinheit heute immer weniger einverstanden
ist,
blieb Zeit seines Lebens die hingebungsvolle, nicht unbedingt die
emanzipierte
Frau. Eine Einschränkung muss aber auch hier zu Nietzsches
Gunsten gemacht
werden. Die aus seinem Hauptwerk “Also sprach
Zarathustra” oft missverständlich
zitierte Aussage “Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche
nicht!” stammt,
wie im Originaltext ersichtlich, nicht aus dem Munde des persischen
Propheten
selbst, den Nietzsche zu seinem literarischen Sprachrohr auserkoren
hat, sondern
aus dem eines seiner weniger vertrauenswürdigen
Gesprächspartner; man sollte
das Zitat daher, obwohl es sehr bekannt ist, in der
Nietzsche-Interpretation
nicht überbewerten.
Dennoch:
Feminist war Nietzsche sicherlich keiner; und in einer der
dümmsten Passagen aus dem oben zitierten Buch lässt
er seinen Propheten verkünden,
dass der Mann ein Krieger sein muss, die Frau hingegen zur Erholung des
Kriegers
dienen soll. Dass diese Ansicht antifeministisch ist, liegt auf der
Hand; dass
sie sich in einer Fehldeutung militaristisch interpretieren
ließe, wohl ebenso.
Die militaristischen Vorurteile seiner Zeit konnte der Philosoph aber
letztlich
überwinden; und zu seinen späteren philosophischen
Äußerungen gehört ein
bemerkenswerter Aufruf zum Frieden, der als Handlungsanweisung
für Politiker
auch heute nichts an Aktualität eingebüßt
hat und der ihn, zusammen mit
anderen seiner revolutionären Ansichten und trotz all seiner
Schwächen und
Irrtümer, zu einem großen Denker macht. So schreibt
er ein Vierteljahrhundert
vor dem Ausbruch des 1.Weltkrieges und in einem von Militarismus und
Imperialismus fast völlig durchdrungenen Europa als eine Art
philosophisches
Testament für die Zukunft folgende - wie er es nennt -
“letzte Erwägung”:
“Könnten wir der Kriege entraten, umso besser. Ich wüsste einen nützlicheren Gebrauch von den zwölf Milliarden zu machen, welche jährlich der bewaffnete Friede Europa kostet; es gibt noch andere Mittel, die Physiologie zu Ehren zu bringen, als durch Lazarette...” (Fragment 25 [19], Dezember 1888 - Anfang Januar 1889)
© dieses Textes: Patrick Horvath, Wien, 2002.
Werner Horvath: "Friedrich Nietzsche". Buntstifte auf Papier, 32 x 24 cm, 1996.