Große Denker:

Karl Marx

Sozialer Denker im Abseits ?

Werner Horvath: "Karl Marx". Öl auf Leinwand, 105 x 85 cm, 1997.

Nicht zufällig im Jahr 1848, dem Jahr der großen Revolutionen, wurde ein Buch publiziert, das die Revolution anpries und tatsächlich die Welt verändern sollte: Die Rede ist vom “Kommunistischen Manifest”, verfasst von Karl Marx und seinem Freund, finanziellen Förderer und Mitautor Friedrich Engels. Die Schrift beginnt mit dem berühmten Satz: “Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Kommunismus”. Dieses zunächst so unwirkliche und geheimnisvolle “Gespenst” hat später über einen gewissen Zeitraum hinweg die halbe Welt ideologisch beherrscht und erscheint uns heute Lebenden, die seinen Fall miterlebt haben, rückblickend betrachtet tatsächlich als kaum mehr als ein längst vergangener böser Spuk. Aber sind die sozialen Probleme, an die der Kommunismus rührte und als deren Antwort und Lösung er fälschlicherweise auftrat, wirklich nunmehr für immer erledigt und abgetan? 

Die Geschichte ist nach der Sichtweise des “Kommunistischen Manifests” eine Geschichte der Klassenkämpfe. Klassen sind Gruppen von Menschen, die von gewissen sozialen, ökonomischen und technischen Rahmenbedingungen hervorgebracht werden, im marxistischen Jargon heißen diese “Produktionsverhältnisse”. Der Mensch ist aus marxistischer Sicht ein Wesen, das von gesellschaftlichen Bedingungen fast restlos geprägt ist. Das gesellschaftliche Sein bestimmt, heißt es bei Marx, das Bewusstsein. Bis zu einem gewissen Grad ist diese Sichtweise plausibel: Ohne Zweifel würden wir alle andere Überzeugungen, Denkweisen oder Persönlichkeitsstrukturen besitzen als dies gegenwärtig der Fall ist, wenn wir in einem völlig anderen sozialen Umfeld aufgewachsen wären (z.B. als brasilianisches Straßenkind, römischer Adeliger oder Angehöriger der indischen Priesterkaste). Problematisch ist nur die Verabsolutierung des “Ausgeliefertseins” unseres Denkens an das soziale Umfeld. Ist es nicht möglich, sich von diesem Umfeld auch zu emanzipieren? Der aus großbürgerlichen Verhältnissen stammende Karl Marx oder der Fabrikantensohn Friedrich Engels müssen dies z.B. getan haben, bevor sie sich entschlossen, ausgerechnet Arbeiterführer zu werden. 

Wie dem auch sei: Ideologien sind für Marx nichts weiter als geistiger “Überbau” einer sozialen Realität. Seine Geschichtsphilosophie nennt sich entsprechend “historischer Materialismus” - dieser Name ist Programm und will in etwa sagen: nur die “materiellen” Entwicklungen, nicht die geistigen, sind real und Triebfeder der Geschichte. 

Der “historische Materialismus” ist stark beeinflusst von der Geschichtsphilosophie des preußischen Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel, eines “deutschen Idealisten”. Seine Ideen waren im damaligen Preußen - zu der Zeit, da Marx studierte - vorherrschend und wurden als eine Art “Staatsphilosophie” an allen relevanten Universitäten gelehrt. Im Zentrum dieser etwas seltsamen Sichtweise von Geschichte steht - stark vereinfacht gesagt - der “Geist”, eine Art alles durchwaltende Weltvernunft, die sich in einem denkerischen Prozess der Selbsterkenntnis und -entfaltung befindet. In diesem Denkprozess durchschreitet der “Geist” bestimmte Stufen, die sich dann angeblich in der materiellen Welt der Geschichte - z.B. in Schlachten, Reichsgründungen oder -niedergängen - manifestieren sollen. Die Weltgeschichte verläuft dann entsprechend - analog zur Entfaltung des “Geistes” - ebenfalls in bestimmten Stufen. Irgendwann ist die volle Entfaltung des “Geistes” erreicht und damit zugleich eine unendlich positive Endstufe der Geschichte. In einer heute seltsam anmutenden Fehleinschätzung legt Hegel vielfach nahe, dass dieser glorreiche Endpunkt der Geschichte ausgerechnet im militaristischen preußischen Staat liege - “grobe nationalistische Propaganda” nach Bertrand Russel. Marx hat von Hegel viel in seinen “historischen Materialismus” übernommen. Der Hauptunterschied ist der, dass Marx in der treibenden Kraft der Weltgeschichte keinen ominösen Weltgeist annimmt, sondern wirtschaftliche Faktoren. Die kommunistische Ideologie nahm daher für sich in Anspruch, Hegel vom “Kopf auf die Füße” gestellt zu haben. 

Die menschliche Gesellschaft entwickelte sich nach Marx von der Sklavenhaltergesellschaft der Antike über die Feudalgesellschaft des Mittelalters bis zur Gesellschaft seiner Gegenwart, der bürgerlichen. Diese ist geprägt vom Gegensatz zweier Klassen: Die Bourgeoisie (das Bürgertum) steht dem Proletariat (den Arbeitern) gegenüber, beutet dieses in den Fabriken aus und zahlt ihm dafür Hungerlöhne. Um die arbeitenden Massen zu unterdrücken scheut die bürgerliche Klasse, die alle Produktionsmittel (also Fabriken, Maschinen etc.) in ihren Händen hält, kein Mittel. In der Religion sah Marx ein Mittel der Unterdrückung; aufgrund der Vertröstung auf ein imaginäres Jenseits ist sie seiner Ansicht nach “Opium für das Volk”, welches das Leid im Diesseits nur verlängert, indem davon abgelenkt wird. Der Staat mit seinen Armeen, Polizeistreitkräften und Bürokratien ist auch ein Instrument der Unterdrückung der beherrschten durch die herrschende Klasse. Marx dachte in diesem Zusammenhang u.a. an die preußische Armee, welche die sozialen Bewegungen ihrer Zeit mit Gewalt niederzuhalten versuchte. Im Gegensatz zu Hegel hatte er für Preußen nicht allzu viel übrig. 

Die kapitalistische Wirtschaftsordnung bewegt sich nach Marx auf ihr natürliches Ende hin zu. Ihre Schwächen sind groß genug. Nicht nur, dass sie den Grundstein für die Unterdrückung der Proletarier legt, sie produziert wegen der in ihr vorhandenen Überproduktionen und den natürlichen Grenzen des Wachstums in regelmäßigen Abständen gewaltige Wirtschaftskrisen, die Millionen ins Verderben reißen. Auch Kriege entspringen nach Marx aus dem unersättlichen Wunsch nach Wachstum - so müssen z.B. ständig neue Märkte erobert werden. Nach Lenin, der diese Anklage später weiterentwickelte, sind kapitalistische Staaten immer auch imperialistisch. 

Der freie Markt hat aber, so meint die kommunistische Kritik, auch eine weitere unangenehme Eigenschaft, die letztendlich den Untergang des Kapitalismus bedeutet, nämlich die “Akkumulation des Kapitals”. Aufgrund der Eigengesetzlichkeiten des freien Marktes ballt sich immer mehr Besitz in den Händen von immer weniger Menschen zusammen; die Kluft zwischen Armen und Reichen vergrößert sich unaufhörlich, während der Mittelstand zerrieben wird. Eines Tages, so ist Marx gewiss, würden die sich in der Überzahl befindlichen Proletarier ihre Chance nützen und den letzten Überresten der Bourgeoisie die Macht entreißen. Mit einer solchen von Marx geforderten Revolution wäre der Weg geebnet zu einem Endzustand der Geschichte, der aber nicht wie bei Hegel das “germanische Reich”, sondern die sogenannte “klassenlose Gesellschaft” ist, in der sich alle Menschen der sozialen Gleichheit in einer vergesellschafteten Wirtschaft erfreuen könnten und in der jeglicher, die Menschheit in Arme und Reiche spaltende Privatbesitz abgeschafft würde. In diesem Paradies auf Erden wird der Staat, so verheißt der Kommunismus, nicht mehr nötig sein - braucht dann doch niemand mehr ein Instrument zur Unterdrückung einer anderen Klasse; er wird daher gewissermaßen “absterben”. Auf die bevorstehende Revolution zur Erreichung dieses quasi-religiösen Zieles soll durch politische Tätigkeit aktiv hingearbeitet werden.  

“Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären es offen, dass ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung. Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. PROLETARIER ALLER LÄNDER VEREINIGT EUCH!” - mit diesen berühmt-berüchtigten Kampfesworten beendet Marx sein Manifest. 

Aus heutiger Sichtweise wird man nicht anders können als Marx kritisch bis ablehnend gegenüberzustehen. Diese Ablehnung ist zweifellos geprägt durch die historischen Erfahrungen, die man mit tyrannischen Politikern wie Stalin gemacht hat, die sich auf den Marxismus beriefen, schauerliche Verbrechen begingen und eher dazu beitrugen, eine Hölle als ein Paradies auf Erden zu errichten. Die wirtschaftlichen Probleme der kommunistischen Planwirtschaft, die das Sowjetimperium und die meisten osteuropäischen Staaten letztlich zugrunde gerichtet haben, legen aber auch ein beredtes Zeugnis gegen die marxistischen Lösungsansätze ab. In gewisser Weise kann man sagen, dass Marx nach seinem physischen Tod (im Jahre 1883) noch ein zweites Mal (nämlich im Jahre 1989, dem Jahr des Falls der Berliner Mauer) gestorben ist. 

Gegen die marxistischen Lösungsansätze spricht auch, dass sie tatsächlich ein Produkt der sozialen Umstände seiner Zeit waren (so wie Marx dies von allen geistigen Ideen dachte). Zu seiner Zeit waren die Arbeiter, die Proletarier, eine neuentstandene und aufstrebende Klasse. Aber die Zeit verging; und heute leben wir in einer Dienstleistungsgesellschaft, in der es immer weniger Arbeiter gibt. Die Arbeit in den Fabriken wird immer mehr von Maschinen übernommen, man braucht immer weniger Leute, die sie bedienen, aber dafür immer mehr Menschen, die an anderen Menschen Dienstleistungen üben, etwa in den Bereichen Unterhaltung oder Kommunikation. Der moderne Arbeitnehmer gleicht heute oft weniger den Gruben- oder Bergarbeiter des 19.Jahrhunderts, sondern z.B. einem Datenmanager, der Informationen bearbeitet, weitergibt und verkauft. Der “Österreichische Gewerkschaftsbund” verzeichnet heute schon mehr Angestellte als Arbeiter als seine Mitglieder. Wohin schwindet die Masse der Arbeiter, die angeblich dereinst die Weltherrschaft gewaltsam übernehmen sollte? 

Nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Systeme Osteuropas gab es viele, welche die Überlegenheit der kapitalistischen Wirtschaftsordnung nunmehr für endgültig erwiesen hielten - teilweise mit Recht, hat sich doch der in ihr vorhandene Wettbewerb und der höhere persönliche Einsatz der Menschen belebender ausgewirkt als bürokratische Erstarrung und Abtötung von Eigeninitiative im kommunistischen Osten. Mittlerweile hat sich aber in breiten Teilen der Gesellschaft zu dieser rein positiven Sichtweise auch Skepsis beigemengt. Vor allem die lose und in sich vielfältige gesellschaftliche Bewegung der sogenannten “Globalisierungsgegner” beklagt weiterhin die Mängel des kapitalistischen Systems, die nunmehr, nachdem der große Gegenpol des Westens fortgefallen ist, möglicherweise immer extremer hervortreten. 

Die von Marx kritisierte Konzentration des Kapitals in immer weniger Hände scheint z.B. tatsächlich stattzufinden, hört man doch fast jede Woche von neuen Fusionen ohnehin schon bemerkenswert großer Betriebe in den USA, Europa und Japan; anlässlich dieser Ereignisse entsteht in immer kürzeren Intervallen z.B. die größte Bank, die größte Fluglinie oder der größte Automobilkonzern der Welt. Bei diesen Gelegenheiten werden meist tausende Menschen im Zuge betrieblicher Einsparungen gekündigt und stehen auf der Straße. Aber auch nicht-fusionierende Betriebe entlassen häufiger als früher - oft zur selben Zeit, da sie Milliardengewinne schreiben, was in der Öffentlichkeit zunehmend mit Empörung zur Kenntnis genommen wird. Auch fällt auf, dass Arbeitsverträge für Arbeitnehmer tendenziell immer ungünstiger werden. Die Angst vor Arbeitslosigkeit geht allgemein um und die “sicheren Posten” sind allgemein im Verschwinden begriffen. Natürlich wächst dadurch auch Freiheit und Eigenverantwortung; es schwindet auch die oft unsympathische Mentalität pragmatisierter Verwaltungsbeamter. Aber es wächst zugleich das Risiko und die Geschwindigkeit der Veränderungen; manche Menschen kommen in dieser neuen Zeit unter die Räder - verschuldet und unverschuldet. 

Es wachsen riesige Konzerne heran, die oft über mehr wirtschaftliche Ressourcen verfügen als kleine Staaten und entsprechend mächtig sind. Ihr Kapital ist - im Gegensatz zur Arbeitskraft - sehr mobil und kann rasch von einem Land in das nächste transferiert werden. Man kann Industriestandorte auch relativ schnell woandershin verlagern, alte Fabriken auflassen und ihre Mitarbeiter “freisetzen”. In Traiskirchen, Niederösterreich, wurden jüngst durch eine solche Vorgangsweise viele Menschen arbeitslos - der Fall ging durch die österreichischen Medien. Für einen großen, global agierenden Konzern ist die Verlagerung einer Fabrik in ein Billiglohnland ein kleines Problem; es ist kaum mehr als das Umplatzieren einer Stecknadel auf einer großen Landkarte. Für eine bestimmte Region bedeutet dies aber oft eine existentielle Katastrophe. 

In wahrlich nicht kommunistischen Zeitungen erscheinen die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien, die sich mit dem Phänomen der sich immer weiter ausbreitenden “neuen Armut” auseinandersetzen. Diesen Massen neuer Sozialfälle stehen immer größere - unverschämt größere - Privatvermögen Einzelner gegenüber. Hier drängt sich jedem, auch dem Nicht-Kommunisten, manchmal die kommunistische Grundidee auf, die ja eigentlich, wenngleich polemisch, doch sehr einfach und auf ihre Art bestechend ist. Sie besagt: Gegenwärtig leben einige Wenige im Luxus und haben viel mehr, als sie brauchen; viele Arme haben aber gar nichts; das Vermögen sollte in Zukunft gleich verteilt werden, zur Not auch mit Gewalt; am Schluss soll niemand in üppigem Reichtum leben und seinem Schoßhund eine elfenbeinerne Hundehütte kaufen können, aber es soll auch niemand im Ghetto leben und aus der Mülltonne essen müssen. Obwohl eine solche Lösung natürlich dem Faktor unterschiedlicher Leistung nicht gerecht würde und auch andere Defizite mit sich brächte - z.B. Gewaltbereitschaft -, rührt sie doch an ein tatsächlich bestehendes Gerechtigkeitsproblem. 

Gerechtigkeitsprobleme bestehen auch in der gegenwärtigen internationalen Ordnung. Warum stehen 80% der materiellen Ressourcen dem reichen “Norden” (Europa, Nordamerika, Japan etc.) zur Verfügung, der nur 20% der Weltbevölkerung aufweist, während für den “Süden” (Afrika, Asien, Südamerika etc.) genau umgekehrte Zahlen gelten: dort müssen sich 80% der Weltbevölkerung mit 20% des Vermögens begnügen. Am jüngsten UN-Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg bezeichnete der südafrikanische Präsident diese Situation als “globale Apartheid”. Und wie kann es sein, fragt man in diesem Zusammenhang, dass in Europa und den USA “Butterberge” und “Milchseen” anfallen, die verbrannt oder ins Meer gekippt werden müssen, während in anderen Teilen der Welt Hungerkatastrophen wüten? Nicht nur der Schweizer Globalisierungsgegner Jean Ziegler, der besagte Situation in seinem Buch “Wie kommt der Hunger in die Welt?” anklagt, findet dies alles pervers; vielmehr bewegen solche und ähnliche Fragen zurecht viele Menschen. 

Erst jüngst ist z.B. eine Massenorganisation namens “ATTAQUE” entstanden, deren realistische oder unrealistische Hauptforderung in der Besteuerung internationaler Finanztransaktionen besteht; dies soll die Globalisierung bremsen und gleichzeitig eine Einnahmequelle schaffen für Mittel, die man ihren “Opfern” zukommen lassen kann. Ob solche Ideen gut sind oder schlecht, ist eine offene Frage; dass sie aber immer mehr Anhänger gewinnen - wie einst der Marxismus - ist gewiss. Wer weiß, wohin solche Tendenzen dereinst führen? 

Das vereinte Europa der Zukunft - wie soll es mit solchen und ähnlichen Bewegungen umgehen? Reicht es aus, wenn man Demonstrationen der Globalisierungsgegner - wie z.B. jüngst beim EU-Gipfel in Genua - mit polizeilichen Maßnahmen begegnet? Wohl kaum. Gewaltbereiten Splittergruppen muss im Sinne der öffentlichen Sicherheit wohl Einhalt geboten werden. Aber die Globalisierungsgegner könnten nicht so viele - auch friedliche - Menschen bewegen, wenn sie nicht manche tatsächlich bestehenden Probleme richtig erkennen würden. Die Europäische Einigung steht überhaupt im Kreuzfeuer ihrer Kritik. Einerseits erscheint sie vielen als prinzipiell abzulehnendes kapitalistisches Projekt, ganz im Sinne der Marx’schen Analyse im “Kommunistischen Manifest” vor dem Hintergrund der damaligen Einigung Italiens oder Deutschlands: 

“Die Bourgeoisie hebt mehr und mehr die Zersplitterung der Produktionsmittel, des Besitzes und der Bevölkerung auf. Sie hat die Bevölkerung agglomeriert, die Produktionsmittel zentralisiert und das Eigentum in wenigen Händen konzentriert. Die notwendige Folge hiervon war die politische Zentralisation. Unabhängige, fast nur verbündete Provinzen mit verschiedenen Interessen, Gesetzen, Regierungen und Zöllen wurden zusammengedrängt in eine Nation, eine Regierung, ein Gesetz, ein nationales Klasseninteresse, eine Douanenlinie.” 

Andererseits werden von Seiten der Globalisierungsgegner auch Stimmen laut, die beim vereinten Europa die Übernahme sozialer Verantwortung einmahnen - auf dem eigenen Gebiet und im internationalen System gleichermaßen. Es wird in der EU neben den drei Kernbereichen Wirtschafts- und Währungsunion, Gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik und Kooperation in den Bereichen Justiz und Inneres auch ein Engagement im Rahmen einer “4.Säule”, einer Sozialunion, gefordert - das bekannte Buch “Die Globalisierungsfalle” von Hans-Peter Martin und Harald Schumann äußert sich gegen Ende z.B. auf ähnliche Weise. Ist dies eine zukunftweisende Idee oder eine hoffnungslose Überforderung des Europäischen Integrationsprojektes? 

Doch zurück zu Karl Marx: Er ist der soziale Denker im Abseits, die gestürzte Götze einer unrentablen Planwirtschaft, der Staatsphilosoph kommunistischer Diktaturen, die uns alle fast umgebracht hätten. Als unerbittlichen Kritiker des Kapitalismus mit bemerkenswertem kämpferischem Engagement für die Armen kann man ihm zahlreiche Irrtümer nachweisen und gleichzeitig manchen Scharfsinn zugestehen, dazu ein unzureichendes Angebot von Lösungen bei einem richtigen Problembewusstsein. Wie werden wir in Zukunft mit ihm umgehen? Werden wir alle sein totgesagtes Werk, ob wir wollen oder nicht, nochmals lesen müssen?

© dieses Textes: Patrick Horvath, Wien, 2002.

Werner Horvath: "Karl Marx". Öl auf Leinwand, 50 x 40 cm, 2000.

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