Große Denker:
David Hume
Skeptiker und Aufklärer
Werner Horvath: "David Hume". Öl auf Leinwand, 50 x 40 cm, 2001.
Es
ist heute allgemein anerkannt, dass der in Schottland geborene
Denker David Hume der wahrscheinlich bedeutendste Philosoph seiner
Heimat ist.
Dabei war er seinen Zeitgenossen weniger als Philosoph, sondern eher
als
Historiker bekannt: Seine mehrbändige und vielfach aufgelegte
“History of
England” war das erste Geschichtswerk zum Thema, das sich um
eine möglichst
unparteiische Darstellung der vergangenen Geschehnisse
bemühte. Die anfängliche
Anfeindung durch religiöse und politische Gruppierungen, die
sich in einer
objektiven Geschichtsdarstellung alle irgendwie auf den Schlips
getreten fühlten,
wich nach und nach großer Bewunderung der Allgemeinheit. Noch
Winston Churchill
bezog sein historisches Wissen aus diesem Klassiker - und mit ihm ganze
Generationen. Was uns aber v.a. heute interessiert, sind Humes
bahnbrechende
philosophische Arbeiten, die - aufgrund ihrer das Denken der Menschheit
von
Grund auf verändernden Inhalte - allerdings länger
und nachhaltiger
angefeindet wurden als seine historischen Werke. Mittlerweile ist aber
auch in
diesem Punkt Bewunderung und Wertschätzung für Hume
die vorherrschende Haltung
unter europäischen Gebildeten.
David
Hume wuchs in einem kleinen schottischen Dorf namens
Ninewells auf; seine Familie stammt aus dem einfachen Landadel.
Während sein älterer
Bruder nach dem Tod des Vaters Titel und Landgut erbte, musste er sich
als jüngster
Sohn mit einer zwar lebenslangen, aber sehr geringen
jährlichen Zuwendung aus
dem Familienbesitz begnügen - es war ein Betrag, um den man
kaum leben konnte.
Hume fasste den Entschluss, sich selbst durch extreme (schottische?)
Sparsamkeit
einzuschränken, um auf diese Art unabhängig als
Philosoph und freier
Schriftsteller leben zu können. Allein: Immer wieder war er im
Laufe seines
Lebens gezwungen, aus finanziellen Gründen Berufe anzunehmen,
die ihm
eigentlich nicht angemessen waren. So verdiente er sich zeitweilig und
an den
unterschiedlichsten Orten Europas ein Zubrot z.B. als Kaufmannsgehilfe,
als persönlicher
Betreuer eines geisteskranken Adeligen, als Bibliothekar an der
Edinburgher
Universität oder als Sekretär eines Generals, den er
auf diplomatische
Missionen begleitete. Nach und nach machte er dennoch in seiner
“bürgerlichen”
Laufbahn eine beachtliche Karriere. Seine Erfahrungen in der Diplomatie
ließen
ihn zum interimistischen englischen Botschafter in Paris und
schließlich zum
britischen “Under Secretary of State” aufsteigen -
er war damit eine Art
stellvertretender Außenminister und, wie er sich selbst
spöttisch nannte, ein
“kleiner Staatsmann”.
Als
solcher sah er es als seine vordringlichste Aufgabe an, Kriege
zu verhindern und die zwischenstaatlichen Beziehungen zu verbessern. In
einem
Brief an einen Freund beklagt er die “traurige”
Tatsache, dass “triviale
Sachen” oft einen Brand “von einem Ende des Globus
zum anderen”
verursachen. In der Vergangenheit gab es viele solche Beispiele; und er
bemerkt:
“Die Erläuterung einiger weniger Punkte
könnte jenen schrecklichen,
destruktiven ruinösen Krieg verhindert haben; verderblicher
für die Sieger als
für die Besiegten. Vielleicht hätten die
Bemühungen einer Person selbst in
meiner Stellung einige Wirkung gehabt und ein so großes
Unheil verhindern können.”
Hume meint im selben Brief weiter, dass es ihm große Freude
bereiten würde,
wenn er sich für die Schaffung von Frieden in Europa und der
Welt als nützlich
erweisen könnte (zit. nach Gerhard Streminger, David Hume.
Sein Leben und sein
Werk, S.567).
Auch
der Verkauf seiner Bücher lief - nach einiger Zeit der
ausbleibenden Erfolge - immer besser und trug ebenfalls zu seinem
Wohlstand bei.
Als sein Verleger eines Tages von ihm eine Fortsetzung der
“History of
England” verlangte und dafür einen
außerordentlich hohen Preis anbot, konnte
Hume entgegnen, dass er für dieses Projekt bereits
“zu fett, zu faul und zu
reich” war. Tatsächlich bevorzugte es der
wohlbeleibte Philosoph, sich gegen
Lebensende von seiner treuen Haushälterin Peggy in seinem
Edinburgher Haus auf
Basis der von seinen zahlreichen Frankreichaufenthalten mitgebrachten
Rezepte
bekochen zu lassen und ansonsten viel Zeit mit seinen besten Freunden
und auch
mit Kindern zuzubringen. Als Erwachsene sollten sie später
erzählen, dass sie
als Kinder einmal auf den Knien des berühmten Denkers gesessen
hatten; sie
mussten sich damals allerdings, um ausreichend Halt zu finden, an den
Knöpfen
seiner Weste festhalten, weil Humes dicker Bauch ihnen ansonsten
zuwenig Platz
ließ.
Zeitgenössischen
Berichten zufolge zeichnete sich Hume -
korrespondierend zu seiner Leibesfülle - durch extreme
Gutmütigkeit aus, dazu
war er - als er ausreichend Geld besaß - freigiebig
gegenüber seiner Familie
(v.a. gegenüber
seinen Neffen,
denen er die Ausbildung finanzierte) und besaß ein
großes Maß an allgemeiner
Menschenliebe, was sich auch durch karitatives Engagement
äußerte.
Doch
der späte innere Friede der “besten Jahre”
täuscht; denn
die Jugend gehörte tiefen intellektuellen Krisen, in die ihn
seine legitimen
Zweifel an den Möglichkeiten menschlicher Erkenntnis
führten. Besonders
hervorzuheben ist dabei seine
“Kausalitätsanalyse”, also seine
Untersuchung
der beiden Begriffe “Ursache” und
“Wirkung”. Im Alltag denken wir ständig
auf Basis dieser Begriffe: Wir sehen eine Pfütze auf der
nassen Straße und
halten den vorher stattgefundenen Wolkenbruch für ihre
Ursache. Wir gehen davon
aus, dass, wenn wir einen Gegenstand loslassen, er zu Boden fallen wird
und führen
diese Wirkung auf die Ursache eines bestehenden Naturgesetzes
zurück. Auch im
wissenschaftlichen Diskurs argumentieren wir fast
ausschließlich mit
“Ursache” und “Wirkung”. Aber,
so findet Hume in seinem “Traktat”
heraus, diese beiden Begriffe besitzen keine wirkliche empirische (d.h.
auf
Erfahrung beruhende) Grundlage. Das einzige, was wir im engsten Sinne
empirisch
feststellen können, ist die Aufeinanderfolge
bestimmter Ereignisse. Wir
halten einen bestimmten Gegenstand in der Hand; wir
lassen ihn zu einem bestimmten
Zeitpunkt los und der Gegenstand fällt daraufhin
zu Boden. Dies ist es,
was wir empirisch wahrgenommen haben - und nicht mehr. Nun ziehen wir
daraus den
Schluss, dass dies allgemein und
notwendigerweise so passieren muss,
d.h. wir nehmen an, dass - auch in Zukunft - jeder
Gegenstand immer
zu Boden fallen wird, weil (nicht bloß
“nachdem”, sondern
“weil”) wir ihn loslassen. Allein: Letzteres ist
eine von unserem Subjekt
zur bloßen Erfahrung “hinzugedachte”
Annahme. Die Erfahrung gibt uns streng
genommen nämlich nur Auskunft über den einen bestimmten
Fall zu einer bestimmten
Zeit; was in Zukunft passieren wird, was immer
passieren muss -
das kann eigentlich nicht Gegenstand unserer Beobachtung sein; es ist
eine
Interpretation des Subjektes. Was garantiert uns - streng genommen -
denn, dass
sich der betreffende Gegenstand unter sonst gleichen Bedingungen sich
in Zukunft
nicht völlig anders verhalten wird? Und was garantiert uns,
kurzum, die Annahme
von der Gleichförmigkeit der Welt? Woher
wollen wir wissen, dass im
Universum morgen die gleichen Gesetze gelten wie heute und nicht
plötzlich völlig
andere? Dass es bisher so war und daher wohl auch in Zukunft so sein
wird, ist
zwar eine alltagstaugliche Annahme, aber kein strenger Beweis.
“Es
gibt (...) in der Welt reichlich Konstanz (Dinge bleiben in
ihrem Aussehen gleich) und Kohärenz (Dinge, z.B. Feuer oder
Eis, verändern
sich zwar, aber sie verändern sich in gewohnter bzw.
gesetzmäßiger Weise).
Vor
dem Hintergrund dieser Beobachtung erscheint die
Gleichförmigkeitsthese
natürlich als bestens begründet. Ihr empirisches
Korrelat sind all jene
Beobachtungen, in denen Erwartungen eingetroffen sind und Prognosen
sich erfüllt
haben. Versuchen wir jedoch mit Hilfe dieser vielen vergangenen
Beobachtungen
die These zu begründen, dass die Zukunft der Vergangenheit
gleich (oder
zumindest ähnlich) ist, so entsteht ein neues, fundamentales
Problem. Denn
wir argumentieren zirkulär, und das heißt:
Dasjenige, was begründet
werden soll, nämlich die Gleichförmigkeit des
Naturverlaufs, wird im Begründungsversuch
bereits als gerechtfertigt vorausgesetzt. Die Feinstruktur des
Schlusses:
‘Bisher gab es eine Gleichförmigkeit im Naturverlauf, also wird es auch künftighin eine Gleichförmigkeit im Naturverlauf geben.’
lautet
nämlich so:
‘Bisher
gab es eine Gleichförmigkeit im Naturverlauf und da
es eine Gleichförmigkeit im Naturverlauf gibt, wird
es auch künftig eine
Gleichförmigkeit im Naturverlauf geben.’
(...)
Aber
damit läuft der ganze Begründungsversuch auf
folgende, höchst
unbefriedigende Argumentation hinaus: Warum q? Weil p und weil
q.” (Gerhard
Streminger, David Hume. Sein Leben und sein Werk, S.168f.)
Eng
mit der Kausalitätsanalyse David Humes hängt auch
seine
Kritik an der Induktion zusammen (Induktion ist das Schließen
von allgemeinen Sätzen
aus der Beobachtung besonderer Fälle). Diese ist nach Humes
Meinung immer
ungerechtfertigt, weil sie gehaltserweiternd ist. Um dies durch Karl
Poppers später
genauer ausgeführtem “Schwanengleichnis” -
das ohne Zweifel von der
Hume’schen Philosophie inspiriert ist - zu illustrieren: Wenn
man einen weißen
Schwan sieht und noch einen zweiten und noch einen dritten, kann man
daraus
streng genommen nicht wissenschaftlich schließen:
“Alle Schwäne sind weiß”.
Denn man hat nicht “alle” Schwäne
beobachtet, sondern nur drei (oder
hundert, oder tausend, oder hunderttausend, aber eben nicht
“alle”). Das heißt,
es liegt keine Lösung des prinzipiellen Problems vor, wenn wir
statt einem Fall
viele Fälle beobachten; aus der Empirie lassen sich keine
allgemeinen Gesetze -
und damit auch keine Kausalität - endgültig
begründen.
Bei
diesen Ergebnissen angelangt, begann Hume zu verzweifeln. Denn
er sah sich in einem Dilemma. Einerseits kann Kausalität und
Induktion keine
Begründung auf Basis der Erfahrung finden. Wenn man aber die
Erfahrung als
wichtigsten Maßstab wissenschaftlicher Beweisführung
anerkennt (und dies tat
Hume), heißt das, dass z.B. kausales Denken keine wirkliche
Legitimität
besitzt. Andererseits ist es dem Menschen unmöglich, dieses
aufzugeben.
Kausalität ist für uns, wie Hume es
ausdrückt, der “Mörtel des
Universums”. Kein Mensch ist alltagstauglich und
wahrscheinlich gar nicht
lebensfähig, wenn er auf Kausalität oder Induktion
verzichtet. So ist der
Mensch in seinem Denken unentrinnbar auf Konzepte angewiesen, die
vielleicht
jeglicher Grundlage entbehren.
Erst
Kant sollte durch die Weiterentwicklung der Hume’schen
Ansätze
einen Ausweg aus dieser problematischen Situation finden. Er
interpretiert in
der “Kritik der reinen Vernunft” die
Kausalität (und in weiterer Folge
sogar Raum und Zeit) als “a priori” (“von
vornherein”) vorhandene Vermögen
des menschlichen Erkenntnisapparates. Es sind, um es einfach
auszudrücken, die
Beobachtungsinstrumente, mit denen wir die
“Realität” quasi angreifen.
Unser Erkenntnisapparat wird durch Erfahrung angeregt, sozusagen in
Gang
gesetzt. Der Mensch interpretiert diese aber auf ganz bestimmte Art und
Weise,
z.B. durch Kausalität verbunden, in Raum und Zeit lokalisiert
etc. Wir können
Erfahrungen gar nicht anders strukturieren und verstehen als im Rahmen
dieses
Ordnungsrahmens; er ist wesensmäßig Teil unserer
Erkenntnisprozesse und vor
aller Erfahrung vorhanden - nicht durch Gewohnheit entstanden, wie Hume
meinte,
sondern angeboren. Ob wir wollen oder nicht: Wir können nur im
Rahmen dieses
Ordnungsrahmens erkennen und denken; verlassen wir ihn, verlassen wir
auch jedes
mögliche Gebiet der Erkenntnis. Wir können uns keinen
Begriff von Wahrheit
(dem “Ding an sich”) machen. Denn genauso wenig,
wie ein Insekt, das die
Welt durch Facettenaugen sieht, sich nicht vorstellen kann, wie diese
“wirklich” d.h. jenseits dieser Facettenaugen
aussieht, können wir uns ein
Universum jenseits der Denkvermögen von Kausalität,
Raum oder Zeit vorstellen,
die unserem Subjekt anhaften. Wir sind die unentrinnbaren Gefangenen
unseres
Subjektes, das eine eigene Wirklichkeit
“konstruiert”, die vielleicht nichts
mit der Welt außerhalb unserer selbst zu tun hat. Einzig die
Art, nach welchen
Gesetzmäßigkeiten dies geschieht, kann man
vielleicht erforschen. Das bedeutet
aber auch, dass die geistige Strömung des Empirismus - dieser
sagt, dass alles
Wissen aus Erfahrung stammt - bei Hume und dann bei Kant
überwunden wurde.
Vielmehr setzt jede Erfahrung ein erkennendes Subjekt voraus, das diese
auf
bestimmte Weise strukturiert und zur bloßen Erfahrung vieles
“hinzufügt”.
Im
Bereich der Moralphilosophie nimmt David Hume eine
Vermittlerrolle zwischen den Ansichten der beiden Philosophen Hobbes
und
Shaftesbury ein. Oben war bereits von Hobbes’ negativem
Menschenbild die Rede;
für ihn war der Mensch wesensmäßig
triebhaft, gierig, egoistisch, rücksichtslos
etc. Der Philosoph Shaftesbury vertrat im Gegensatz dazu ein
ausgesprochen
positives Menschenbild. Der Mensch ist seiner Ansicht nach zu Mitleid,
Liebe und
Aufopferung für den anderen fähig; er gleicht in
Shaftesburys Werken also eher
der Taube als dem gierigen Hobbes’schen Wolf. Hume meint,
dass beide Denker
irgendwie recht haben, aber eben nicht ganz. Im Charakter des Menschen
findet
man nämlich sowohl Eigenschaften der Taube, als auch des
Wolfes. V.a. in einer
Hinsicht hält Hume die Hobbes’sche Ansicht
für korrekturbedürftig: Jeder
Mensch wird in einen Familienverband hineingeboren, in dem es sehr wohl
Altruismus gibt - man betrachte z.B. die oft bis zur Selbstaufopferung
gehende
Liebe der Mutter zu ihrem Kind. Solche und ähnliche
Gefühle bezeichnet Hume in
seinem “Traktat” als “natürliche
Tugenden”. Gegenüber Fremden bestehen
moralische Gefühle zunächst nicht in dieser starken
Form. Es ist aber für das
gesellschaftliche Zusammenleben und auch für unser eigenes
Interesse
langfristig notwendig, gewisse Regeln für das Leben
miteinander auch mit
Nicht-Blutsverwandten zu finden. Daher werden solche Regeln von
Menschen
entwickelt und durch stillschweigende Übereinkunft und
Gewohnheit gelebt - das
sind die “künstlichen Tugenden”. Moral ist
also teils von Natur aus
angeboren, teils von Menschen erdacht. Hume bringt auch eine Hobbes
fehlende
Fortschrittsperspektive in die Moral ein: Im Laufe der Jahrhunderte
kann es
sein, dass die Menschen “besser” werden, indem sie
nämlich die “künstlichen
Tugenden” als eine Art zweite Natur verinnerlichen.
Alle
ethischen Theorien kranken nach Hume daran, dass sie oft auf
unwissenschaftlichen und lebensfremden Spekulationen beruhen, die der
Natur des
Menschen nicht gerecht werden. Er aber besaß den Ehrgeiz,
eine Moral auf
wahrhaft wissenschaftlicher Basis zu entwerfen. Man kann sagen, dass er
der
“Newton der Moralphilosophie” werden wollte; denn
der Methode des berühmten
englischen Physikers entsprechend war es auch Humes Bestreben, sich bei
seiner
ethischen Theoriebildung auf empirische Daten zu
stützen.
In
seinem Buch “Eine Untersuchung über die Prinzipien
der
Moral” sieht er sich auf Basis dieses Forschungsvorhabens
einzelne Tugenden an
und fragt nach dem tieferen Grund ihrer Wertschätzung unter
Menschen. Aus
diesen Einzelbeobachtungen leitet er dann in besagter Schrift eine
allgemeine
Theorie der Moral ab und verspricht sich durch diese induktive Methode
einen
tiefgreifenden Durchbruch (wobei erstaunlich ist, dass er seine eigene
Induktionskritik aus seinen früheren Schriften dabei nicht
berücksichtigt). Er
kommt zu dem Ergebnis, dass den Menschen das als moralisch gilt, was
entweder
einer Person selbst oder aber anderen angenehm oder nützlich
ist. Aus diesem
tieferen Grund heraus wird z.B. jedermann die innere Ausgeglichenheit
oder den
Fleiß loben (als Eigenschaften, die dem Betreffenden selbst
angenehm bzw. nützlich
sind), genauso wie die Freundlichkeit oder die Freigiebigkeit (als
Eigenschaften, die anderen angenehm bzw. nützlich sind).
Sogenannte Tugenden,
die sich nicht auf diese Nutzensprinzipien
zurückführen lassen, verwirft Hume
mit folgender Begründung:
“Und
da jede Eigenschaft, die uns oder anderen nützlich oder
angenehm ist, im täglichen Leben als Teil des
persönlichen Ansehens
Anerkennung findet, wird keine andere jemals akzeptiert werden, wenn
Menschen
mit ihrem natürlichen, unvoreingenommenen Verstand urteilen,
ohne die trügerischen
Auslegungen des Aberglaubens und der falschen Religion.
Zölibat, Fasten, Buße,
Kasteiungen, Selbstverleugnung, Erniedrigung, Schweigen, Einsamkeit und
die
ganze Reihe mönchischer Tugenden; aus welchem anderen Grund
werden sie überall
von vernünftigen Menschen verworfen, wenn nicht deshalb, weil
sie völlig
zwecklos sind, weder das Glück des Menschen in der Welt
fördern, noch ihn zu
einem wertvolleren Mitglied der Gesellschaft machen, ihn weder zur
geselligen
Unterhaltung befähigen, noch die Gabe, aus sich selbst
Gefallen zu finden,
vergrößern? Im Gegenteil beobachten wir, dass sie
alle wünschenswerten Ziele
durchkreuzen, den Verstand abstumpfen, das Herz verhärten, die
Phantasie verdüstern
und das Gemüt verbittern. Wir setzen sie daher mit Recht auf
die Gegenliste und
reihen sie unter die Laster ein; auch hat kein Aberglaube bei
Männern von Welt
genügend Macht, diese natürlichen Empfindungen
gänzlich zu verderben. Ein düsterer,
verrückter Schwärmer mag vielleicht nach seinem Tod
eine Stelle im Kalender
finden; aber bei Lebzeiten wird er kaum jemals zu vertrautem Umgang und
zur
Gesellschaft zugelassen werden, es sei denn von jenen, die ebenso
wahnsinnig und
bedrückend sind wie er.” (aus: Eine Untersuchung
über die Prinzipien der
Moral, Neunter Abschnitt, Erster Teil)
Wie
stand der Philosoph überhaupt zur Religion? David Hume wurde
als Kind und Jugendlicher religiös erzogen; und vielleicht hat
diese strenge
Erziehung zu seiner späteren Abneigung gegen die Religion
beigetragen. Hume war
bereits schwer krank und dem Tode nahe, als ein sehr gläubiger
Zeitgenosse -
James Boswell - den sterbenden Philosophen besuchte. Er fand diesen,
wie er in
einem Bericht über dieses letzte Gespräch
erzählt, ruhig und heiter vor.
Boswell wollte sich Klarheit verschaffen, ob Hume selbst dann sein
künftiges
Weiterleben bezweifelt, wenn er den Tod vor Augen hat. Er fragte ihn
daher, ob
ein Weiterleben nach dem Tod seiner Ansicht nach nicht doch
möglich ist. Hume
entgegnete sinngemäß, dass zwar alles
möglich, die Vorstellung eines Lebens
nach dem Tod aber sehr unvernünftig und daher zu verwerfen
ist. In einem seiner
früheren Aufsatz (“Of the Immortality of the
Soul”) findet man die
umfassende Erklärung für diese
“ketzerische” Aussage: Schon der Begriff
der Materie, skizziert Hume dort, ist unklar; um wieviel mehr erst
jener der
“Seele”, der kein Erfahrungsbegriff ist. Wir
sollten daher mit genauen
Aussagen über die “Seele” sehr
zurückhaltend sein. Man kann allerdings
beobachten, dass sich unsere Geisteskräfte in Analogie zum
Körper entwickeln.
In der Kindheit sind sie - wie auch der Körper - schwach und
unentwickelt, im
Mannesalter stark; bei körperlicher Krankheit sind sie
gestört und im Alter,
wenn unser Körper verfällt, lösen sie sich
ebenfalls immer mehr auf. Die
Fortführung dieser Analogie legt nahe, dass sie ganz
verschwinden, wenn auch
unser Körper zu bestehen aufhört.
Der
erstaunte Boswell stellte daraufhin die Frage, ob ihm der
Gedanke seiner endgültigen Auslöschung nicht
irgendein Unbehagen bereitet.
Hume verneinte die Frage und wies darauf hin, dass auch niemandem der
Gedanke
Unbehagen bereitet, irgendwann einmal nicht existiert zu haben. In
seinem
Aufsatz “Of the Immortality of the Soul” vertritt
Hume sogar die Ansicht,
dass der Gedanke an ein christlich verstandenes ewiges Leben gar nicht
wünschenswert
ist - und zwar v.a. wegen seiner Kehrseite, dem Höllenglauben.
Es ist unverhältnismäßig
und damit ungerecht, so Hume, dass endliche Vergehen unendliche Strafen
nach
sich ziehen. Diese Unverhältnismäßigkeit
vergleicht er mit der übersteigerten
Wut Alexanders des Großen, der ein ganzes Volk ausrotten
ließ, um den Tod
seines Lieblingspferdes zu rächen - eine solche Vorgehensweise
ist nicht zu
billigen und schon gar nicht als gerecht zu bezeichnen. Zudem schreibt
er:
“Die Verdammnis eines einzigen Menschen ist ein unendlich
größeres Übel als
der Umsturz von tausend Millionen Königreichen.”
Besonders empörend ist die
Vorstellung ewiger Verdammnis aber dann, wenn man annimmt, dass z.B.
jung
Verstorbene oder gar Kinder (etwa, wenn sie nicht getauft sind) ihr
unter
gewissen Umständen anheim fallen können. Der
Höllenglaube ist für Hume nicht
viel mehr als eine Idee, die Religionsvertretern dazu dient, sich an
den Todesängsten
der sterbenden Menschen zu bereichern - was diese seiner Ansicht nach
auch nach
Kräften tun.
Und
Hume setzte gegenüber seinem zunehmend verunsicherten und
verwirrten Besucher noch eines drauf. Er ließ ihn wissen,
dass immer dann, wenn
es über einen Menschen heißt, dass dieser
religiös ist, man daraus schließen
kann, dass er ein Lump ist; allerdings konnte er bereits, so
fügte er hinzu,
Ausnahmen von dieser Regel kennenlernen. Diese Aussage brachte Boswell
dazu,
endgültig das Weite zu suchen. Sie entspricht aber genau der
Meinung von Humes
literarischem Sprachrohr Philo, den er im zwölften Teil der
“Dialoge über
natürliche Religion” einen deutlichen Gegensatz
zwischen Religion und Moral
diagnostizieren lässt. Auf die These, dass die Religion eine
nowendige Stütze
der Moral ist, entgegnet dieser u.a.:
“Wenn
aber der gewöhnliche Aberglaube für die Gesellschaft
so
heilsam ist, (...) wie kommt es dann, dass die ganze Geschichte von
Berichten über
seine verderblichen Folgen für die öffentlichen
Angelegenheiten nur so
wimmelt? Zwietracht, Bürgerkriege, Verfolgungen,
Regierungsumstürze, Unterdrückung,
Sklaverei: dies sind die traurigen Folgen, die mit seiner Herrschaft
über den
menschlichen Geist stets einhergehen. Wenn in einer historischen
Darstellung
irgendwo der Geist der Religion auftaucht, so können wir
sicher sein, anschließend
eine Schilderung des Elends zu finden, das ihn begleitet. Und keine
Zeitepoche
kann glücklicher oder gesegneter sein als die, wo man diesen
Geist weder
beachtet noch kennt.”
Allerdings
bleibt auch im Rahmen dieser heftigen Kritik noch eine
versöhnliche Perspektive. Einige wenige Menschen - diese sind
aber nicht die
Regel - vertreten eine religiös fundierte Moral, die dennoch
tolerant,
aufgeschlossen und menschlich ist. Mit ihnen sind Kompromisse und
Kooperationen
möglich. Die religiösen Fanatiker aber, die im Namen
ihres sogenannten
“wahren Glaubens” Andersgläubige und
-denkende dämonisieren und
unmenschliche Taten an ihnen begehen, sind unbedingt in die Schranken
zu weisen.
Die Religion muss sich auch am Maßstab der Menschlichkeit
messen lassen! Trotz
einiger Lichtblicke eignet sich Religion angesichts der in ihrem Namen
und durch
ihre oft strenggläubigen Vertreter begangenen Verbrechen nach
Humes Meinung auf
jeden Fall denkbar schlecht, um der Moral eine Stütze zu
verleihen. Daher
versuchte der Philosoph auch Zeit seines Lebens, eine Moral jenseits
der
Religion zu begründen und auch zu leben: Seine Biographie ist
- trotz seiner
mangelnden Religiosität - moralisch tadellos. Und auch sein
Tod entsprach dem
Wappenspruch seiner Familie (“True to the End”).
U.a. nach einem Bericht
seines engen Freundes Adam Smith, des Begründers der modernen
Nationalökonomie,
starb Hume 1776 mit großer innerer Ruhe und Würde -
sehr zum Ärger religiöser
Kreise, die zuvor immer gepredigt hatten, dass man nur durch die
Religion ein
sittliches Leben und ein friedliches Sterben finden kann. Viele von
ihnen hatten
insgeheim gehofft, dass sich der Skeptiker David Hume, der
“Heilige” der
Aufklärung, doch noch auf dem Sterbebett zum Christentum
bekehrt.
Große
Denker verschiedenster Fächer und Überzeugungen haben
David Hume höchste Anerkennung gezollt. Der bereits oben
erwähnte Adam Smith
hob v.a. seine persönliche, menschlichen Qualitäten
hervor:
“Über
seine philosophischen Lehren werden Menschen zweifelsohne
verschieden urteilen (...) Aber über seinen Charakter und sein
Verhalten kann
es wohl kaum eine Meinungsverschiedenheit geben. Sein Charakter schien
glücklicher
ausgewogen zu sein (...) als der irgendeines anderen Menschen, den ich
jemals
getroffen habe. (...) Die äußerste Sanftheit seiner
Natur vermochte nie, die
Entschlossenheit seines Geistes und die Beständigkeit seiner
Entschlüsse zu
schwächen. Der immer angenehme Umgang mit ihm war die
natürliche Folge seiner
freundlichen Wesensart und seiner Gutmütigkeit, in die sich
Takt und
Bescheidenheit mischten (...) Und diese Fröhlichkeit seines
Charakters, so
angenehm in
Gesellschaft, die
jedoch oft mit leichtsinnigen und oberflächlichen
Eigenschaften einhergeht, war
in ihm gewiss mit der ernstesten Gelehrsamkeit,
größten Gedankentiefe und
einem in jeder Hinsicht umfassenden geistigen Vermögen
verbunden.”
Doch
auch die Ergebnisse seiner Arbeiten konnten dadurch, dass sie
ständig das sogenannte
“Selbstverständliche” hinterfragten, das
Denken
vieler Menschen positiv beeinflussen. Der berühmte Physiker
Albert Einstein sah
in einer autobiographischen Arbeit durch die Lektüre von David
Humes
philosophischen Schriften “entscheidend
gefördert”; und zwei Jahrhunderte
vor Einstein war es Kant, der sich zu Beginn seiner
“Prolegomena” zu
folgendem Kompliment hinreißen ließ:
“Ich
gestehe frei: die Erinnerung des David Hume war
eben
dasjenige, was mir vor vielen Jahren den dogmatischen Schlummer
unterbrach, und
meinen Untersuchungen im Feld der spekulativen Philosophie eine ganz
andere
Richtung gab.”
David Hume war ein Skeptiker und Aufklärer. Er versuchte, auf Basis der Erfahrung und der vernünftigen Reflexion darüber, unhaltbare Denksysteme als solche zu enttarnen (die Sekundärliteratur spricht in diesem Zusammenhang von “Hume’s fork” - Humes Gabel; es handelt sich dabei um eine bildliche Darstellung seines Anliegens: Mit den zwei Zinken seiner “Gabel”, Erfahrung und vernünftiger Reflexion sticht er in absurde Theorien und Weltbilder). Und auch, wenn er mit dieser Vorgangsweise vielleicht auch manche Irrwege beschritt, ist es dennoch genau das, was die Aufgabe großer Denker seit Sokrates sein muss, der sich selbst nicht ohne Grund mit einer lästigen Stechmücke verglichen hat. Große Denker müssen an vielem zweifeln und die Menschen aufklären, um sie aus ihrem dogmatischen Schlummer zu reißen und stattdessen dem Licht der Erkenntnis entgegenzuführen - auch wenn dieser Vorgang für alle, die mit ihnen zu tun haben, nicht immer angenehm ist und daher in den meisten Fällen unbedankt bleibt.
© dieses Textes: Patrick Horvath, Wien, 2002.