Heber Ferraz-Leite

Politische und gesellschaftliche Ikonen in der Malerei von Horvath

Bilder, Figuren, Porträts. Eine Flut von bekannten Gesichtern, Ikonen aus Politik, Gesellschaft, Wissenschaft, Medizin, Kunst, Religion – die Malerei von Werner Horvath!

Schon mehrmals habe ich mich mit dem „Konstruktivismus" von Horvath beschäftigt. Konstruktivismus: Dieses Wort, das die ästhetische Strömung Anfang des 20. Jahrhunderts in Russland beschreibt, mit der die Kunst von Horvath nichts zu tun hat (1). Auch habe ich die Parallelen zwischen der medizinisch-wissenschaftlichen Arbeit Horvaths und seiner Malerei untersucht. Oder die Beziehung zwischen seinen Bildern und seinen Schriften (2). Aber der rote Faden, der sich durch all seine Werke von seiner Jugend bis zur Gegenwart zieht, ist das zentrale Thema seiner Malerei: Idole oder Ikonen, und besonders politische und gesellschaftliche Ikonen.

Horvath begann bereits in sehr jungen Jahren zu malen. Die technischen Fertigkeiten eignete er sich zunächst durch das Kopieren alter Meister und vor allem durch Ikonenmalerei an. Und in einer für mich kuriosen Form leben in den Themen seiner Malerei einige Charakteristika der byzantinischen Kunst und der Ikonenmalerei fort.

Zum Beispiel:

Die von Horvath porträtierten Figuren sind „Idole" – Kultobjekte, wenn auch überwiegend keine religiösen, aber, das schon, zu einer bestimmten Zeit von bestimmten Bevölkerungsteilen brennend verehrte Figuren. Die Galerie politischer Ikonen ist die umfangreichste; sie umfasst die Führer verschiedener Länder und Repräsentanten unterschiedlicher ideologischer Positionen: Marx, Stalin, Lenin, Mao, Hitler, Fidel Castro, Che Guevara, Kennedy, Clinton, Putin, Chirac, Havel, Saddam Hussein etc. Aber auch Ikonen aus dem gesellschaftlichen Leben wie Diana, Leonardo diCaprio, Marilyn Monroe etc. werden dargestellt sowie emblematische Figuren aus der Malereigeschichte selbst, wie zum Beispiel La Gioconda.

Die Unveränderlichkeit des Bildes. Während die orthodoxen Maler die Bilder ihrer Ikonen oft über Jahrhunderte hinweg unverändert wiedergegeben haben, weil diese für die Gläubigen wundervoll exakte Darstellungen ihrer Heiligen waren, bedient sich Horvath einer Fotografie der jeweiligen Persönlichkeit, die er nicht verändert. Allerdings nicht irgendeine Fotografie, sondern die bekannteste und am einfachsten zu erkennende. Jenes Foto, das die Presse uns tausendmal serviert hat, bis es sich als unauslöschliches Bild der betreffenden Persönlichkeit in uns eingraviert hat. Das gilt für alle seine Gemalten: Freud, Dalí, Madonna, Hitler etc.

Anreicherung des Bildes mit Anspielungen. Auch wenn die Ikonenmalerei an sich unveränderlich ist, so liefert sie doch eine umfangreiche Entwicklungsgeschichte des jeweiligen Heiligen – durch eine Reihe von kleinen Bildchen mit Szenen aus seinem Leben. Horvath bedient sich in seiner Ikonenmalerei desselben Mittels, wenn er in seine Bilder Szenen, die auf die Persönlichkeit des „Idols" anspielen, einarbeitet. Zum Beispiel Feuer, Zerstörung und ein Blinder, der Blinde führt, beim Porträt Hitlers. Panzer, die das tschetschenische Volk niederwalzen bei Jelzin usw.

Bearbeitung einer großen Oberfläche mit Ikonen. So, wie die „Ikonostase" oder Trennwand zwischen dem Platz des Altars und den Sitzreihen der Gläubigen dazu diente, eine Zusammenstellung von Bildern, welche die fundamentale theologische Botschaft transportierten, zu beherbergen, arrangiert Horvath seine Ikonen als Teil eines riesigen Wandgemäldes, das – nicht ohne Ironie – die Geschichte der Menschheit darstellt.

Die Kraft und Wirkung der dargestellten Figur kann sich aus dem Bild heraus selbst entfalten. Durch die Auswahl einer Polit- oder Gesellschaftsikone kann der Künstler auch die Wirkung jener Werte, welche die dargestellte Person repräsentiert, in seiner Arbeit verwenden. Das ist für Horvath der erste Schritt, über das Bild Einfluss auf den Betrachter zu nehmen.

Außerdem thematisiert Horvath in seinen Werken das Problem des Wertes von Bildern in der Politik und versucht, diese Debatte auf seine Bilder zu übersiedeln. Wenn wir die Geschichte des Bildes in unserer Zivilisation betrachten, kommen wir nicht um den Einfluss Platons umhin, demzufolge „die Erkenntnis dann vorliegt, wenn wir die Idee (eidos) einer Sache erfasst haben, wobei unter Idee – vereinfacht ausgedrückt – ein organisierendes Prinzip zu verstehen ist, das nicht sinnlich wahrgenommen werden kann. Bilder sind immer Abbilder (eikon), bloßer Schein, der lediglich die Oberfläche der Dinge nachbildet. Nach Platon kann man nicht mit den Augen sehen, sondern mit dem Verstand" (3). Beim byzantinischen Bilderstreit (730 – 841) glaubten die Bildverehrer, dass in den Heiligenbildern die Heiligen selbst anwesend seien. Die in den Libri Carolini festgeschriebene Vermittlung dieses Streits sah vor, dass die Bilderverehrung lediglich eine didaktische Funktion behielt. Die Bilder konnten daraufhin andere Funktionen erhalten und ästhetische wie politische Aufgaben übernehmen. Sachs-Hombach und Schirra analysieren: „Was die konkreten politischen Zusammenhänge betrifft, in denen das Bild oft als Herrscherbildnis auftrat, so entstanden gewissermaßen spezielle Bilderstürme als beliebte Instrumente sowohl im revolutionären Sinn (als Kampf gegen illegitime Herrschaft) wie im imperialen (als Neuschreibung der Geschichte aus der Siegerperspektive). Beide Varianten teilen die Ansicht, dass politische Macht in einem engen Zusammenhang mit ihrer bildlichen Darstellung steht oder sogar von ihr abhängt.

Die Zerstörung von Bildwerken (und von Kunst überhaupt) galt in dem Moment als barbarisch und kulturnegierend, in dem die Bilder ihre politische Funktion einbüßten, nämlich mit dem Abstraktwerden der Herrschaft, mit dem die bildende Kunst ‘aus den herrschaftlichen Legitimationsdiensten ausschied’ (Warnke 1973: 9). Dieser mit dem Entstehen der Nationalstaaten verbundene Wechsel kann einerseits als wichtige Bedingung der Autonomie der modernen Kunst gelten, die sich erst jetzt vom Diktat der gegenständlichen Malerei zu lösen beginnt, andererseits wird in politischen Zusammenhängen nun aber auf neue Bildmedien zurückgegriffen, die den traditionellen Abbildbegriff fortführen oder vollenden und den Erfordernissen einer technisierten Informationsgesellschaft besser entsprechen: nämlich Fotografie und Film, mit denen das klassische Herrscherbildnis durch Werbekampagne und Imagepflege ersetzt wird." (3)

Horvath arbeitet mit Bildern aus diesen beiden Gebieten: Kunst und Massenmedien. Er übernimmt mediale Bilder und verwendet sie als Thema seiner Kunst, nicht selten mit Ironie, während bei der Bearbeitung von künstlerischen Bildern stets Fragen über ihren Sinn auftauchen. Aufgrund seiner Arbeit als Radiologe weiß Horvath, dass die Medien, obgleich sie den zweifellos positiven Versuch unternehmen, technisch-wissenschaftliche Perfektion in der „Objektivierung" der Realität zu erreichen, auch das Potential zur Täuschung, zur Suggestion und zur Verzerrung der Realität besitzen und auf diese Weise die Menschen manipulieren können.

Horvath konfrontiert beide Systeme der Bildproduktion in dem ihm eigenen Stil. Während andere Künstler sich der Wiederholung und Standardisierung bedienen, um Serien identer Bilder zu produzieren – im Versuch, die Kunst zu demokratisieren, ihr die Aura der Exklusivität zu nehmen und eine Art öffentlichen Charakter zu verleihen (z. B. Warhol, mit seinen Monroe- und Mao-Serien), geht Horvath den umgekehrten Weg: Er verwendet ein von den Medien millionenfach reproduziertes Bild und reichert es mit ästhetischen, politischen und sozialen Werten an, die nur durch die Individualisierung des Bildes in der künstlerischen Arbeit zur Geltung kommen. Das einfach zu erkennende mediale Bild wird auf eine Weise reproduziert, dass der Betrachter zur kritischen Reflexion und zum Einsatz des rationalen Verstandes angeregt wird. Horvath weist damit die serienmäßige Reproduktion und Zementierung des individuellen Bildes zurück (s. seine Marilyns und Maos).

Warhol fokussierte seine Aufmerksamkeit auf Bilder des alltäglichen Lebens, womit er eine visuelle Mythologie der modernen Welt schuf, in die er die stereotypen Bilder sozialer Ikonen streute. Seine Monroes sind von gleichem Wert wie die Campbell-Suppendosen oder Mickey Mouse. Durch die endlose Wiederholung ein- und desselben Bildes sowie durch die Veränderung der ursprünglichen Farben des Modells gelang es ihm, den Sinn des Bildes zu variieren oder gar zu löschen. Horvath nimmt hingegen das von den Massenmedien stereotyp wiederholte Bild und reichert es mit neuen Inhalten an, in einem Verfahren, mit dem er die Ziele seines „Neuen Konstruktivismus" verfolgt. Seine Strategie würdigt sowohl die Arbeit des Künstlers als Bildproduzent als auch als Analysierender der ihn umgebenden Welt.

Ein angemessenes Verständnis der Realität setzt das Verstehen ihres „Funktionierens" voraus, für das mediale Bilder hilfreich, aber auch verwirrend sein können. Die Fotografie beispielsweise – auf der Horvath seine Werke aufbaut – zeigt nur die Oberfläche der Dinge und kann schwerlich ein Wissen von politischem oder moralischem Wert vermitteln. Die Fotoreportage sollte aufgrund ihrer emotionalen Wirkung zu einer größeren Sensibilisierung des Medienpublikums führen, bewirkt aber aufgrund ihres trommelfeuerartigen Auftretens nur Abstumpfung. Bilder können das Gemüt aufrühren, aber wenn Schreckensszenen zum Alltag werden, reagieren wir zunehmend mit Apathie und Gleichgültigkeit. Andererseits wird die Unzufriedenheit mit der Welt „gedämpft", weil nur eine unscharfe Kopie der Wirklichkeit gezeigt wird.

Horvath arbeitet sowohl auf dem Gebiet der Radiologie als auch der Kunst mit Bildern, die er als Symbole der Verständigung ansieht. Arthur C. Danto betont die Rolle des Betrachters als Botschaftsempfänger, wenn er sagt, dass „das Erzählen der Bilder eine Leistung des betrachtenden Subjekts und nicht des betrachteten Objekts" ist (4). Trotzdem erstellt Horvath mit seinen Symbolen eine unmissverständliche bildliche Botschaft, die er dem Betrachter anbietet. Diese Botschaft besteht nicht in Axiomen von literarischem Charakter, sondern regt dazu an, sich mit Problemen wie die menschliche Freiheit oder die Interpretation der Wirklichkeit durch die Sinne zu befassen.

Der „Bilderboom" in der modernen Welt hat nicht nur einen positiven Aspekt – indem er etwa hilft, schwierige Arbeitssituationen zu meistern –, sondern sein Vordringen in unsere elementarsten Lebensbereiche, wo er soziale Beziehungen prägt und deformiert, erhöht zweifellos die Manipulierbarkeit der Menschen, z. B. durch politische Propaganda. Bilder übermitteln Inhalte, die die Struktur des Denkens formen. Der Niedergang der Schriftkultur – deren Auftauchen im Altertum ähnliche Vorbehalte wach rief – geht Hand in Hand mit dem Boom der Bild-Kultur, die eine Bedrohung für die kritische Vernunft des Menschen darzustellen scheint. Während Bücher eine analytische und kritische Auseinandersetzung mit dem Wissen erfordern, servieren die Medien mit Bildern eine fragmentarische Realität, die sich einer rationalen und objektiven Kritik entzieht.

Welche Charakteristika geben Bildern die Fähigkeit, die Meinungen und Wünsche der Menschen zu manipulieren? In welcher Form können sie die rationale Argumentation verzerren? Eine angemessene Antwort müsste die – noch unvollständigen – Erkenntnisse verschiedener Disziplinen, wie Philosophie, Soziologie, Kommunikationswissenschaft, Psychologie oder Neurophysiologie usw. mit einschließen. Einerseits können Bilder besser als Sprachsymbole erinnert werden, andererseits sind sie oft mit Erlebnisaspekten gekoppelt und können im besonderen Maße Gefühle auslösen oder verstärken. Sachs-Hombach und Schirrer liefern folgende These als Erklärung: „Bildhafte Darstellungen besitzen eine eigentümlich ambivalente Wirksamkeit, die sie im besonderen Maße auch ideologisch instrumentalisierbar macht, weil ihre Rezeption einerseits durch die Mechanismen erleichtert wird, die wir für eine Interpretation der Wahrnehmungsprozesse ohnehin zur Verfügung haben, sie andererseits aber gerade dadurch die oft nicht bewusste Neigung fördert, Eigenschaften des Bildgegenstandes unkritisch als Eigenschaften realer Gegenstände aufzufassen." (3)

Wodurch entsteht nun das Bedürfnis nach diesen Ikonen oder Idolen, die Horvath durch seine Malerei in Frage stellt? Diejenigen, die an der Macht sind, nützen die Möglichkeit, sich in Ikonen zu verwandeln, um die Macht zu bewahren. Politische Ikonen werden uns in Wahlkampagnen als glückliche und selbstsichere Wesen präsentiert, die in der Lage sind, soziale Sicherheit zu garantieren und Ängste zu nehmen. Ähnlich religiösen Ikonen vergangener Zeiten erfüllt die politische Ikone die Funktion, Angst abzuschwächen.

Die Rolle von Idolen in der Erziehung wurde von mehreren Autoren untersucht. Über die Medien werden den Heranwachsenden Ideale und personifizierte Werte vermittelt. Die Annahme des Idols führt zur Internalisierung der von ihm repräsentierten Werte als Teil des Identitäts- und Ichfindungsprozesses. In einer Gesellschaft, in der der Mensch nach seiner Leistungskraft bewertet wird und wo die Konsummentalität das Haben in den Vordergrund und das Sein in den Hintergrund rückt (5), bleibt keine Zeit für die Beziehung mit Kindern, um ihnen in einem intensiven Austausch Werte zu vermitteln oder die Möglichkeit zu geben, in der Konfrontation eigene Werte zu entwickeln. Die Weitergabe von Werten hat sich von den Eltern auf soziale Ikonen verlagert, die das Vakuum abwesender Eltern auffüllen. Die sozialen Ikonen avancieren dadurch zu Verhaltensvorbildern, mit denen sich die Kinder angesichts einer konzeptlosen Erziehung identifizieren können. Diese glückstrahlenden Bilder verführen uns mit der Suggestion, dass uns die Nachahmung selbst glücklich mache. Auf diese Weise vergessen wir, dass unser Wohlbefinden eine Frage der Erfüllung unserer eigenen Bedürfnisse ist.

Die Bilder und speziell die sozialen Idole werden in Zukunft eine immer bedeutendere Rolle spielen, weshalb einer der Werte von Horvaths Malerei darin liegt, uns für die Gefahren zu sensibilisieren, die von ihnen ausgehen.

Bibliographie

(1) „Die Realität sehen", Heber Ferraz-Leite in Malende Ärzte Österreichs, Edition Selva Verlag, Amstetten/Linz 2000, S 74. (ISBN 3-9010-4041-2)

(2) „Werner Horvath: Künstler und Radiologe. Die Realität sehen", Heber Ferraz-Leite in Freud und Leid, Edition Selva Verlag, Amstetten/Linz 1999, S. 7-9. (ISBN 3-9010-4040-4)

(3) „Zur politischen Instrumentalisierbarkeit bildhafter Repräsentationen", Klaus Sachs-Hombach / Jörg Schirra in Die Sichtbarkeit der Macht. Theoretische und empirische Untersuchungen zur visuellen Politik, Nomos Verlag, Baden-Baden 1999, S 28-39. (ISBN 3-7890-6292-8)

(4) „Depiction and Description", Arthur C. Danto in Philosophy and Phenomenological Research, Vol. 43, 1982-83, S. 1-19.

(5) „To have or to Be", Erich Fromm. Continuum Pub. Corp. 1996. (ISBN 0-8264-0912-1)

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